HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 648
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 72/21, Beschluss v. 18.05.2021, HRRS 2021 Nr. 648
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 6. November 2020
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die Einziehung des sichergestellten Bargelds angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts übernahm der Angeklagte von einer nicht ermittelten Person zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 28. Januar 2020 an einem unbekannten Ort einen Lastkraftwagen, auf dem rund 105 kg Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von fast 13 kg THC geladen waren. Der Angeklagte sollte dieses Marihuana an verschiedene Abnehmer vorwiegend im süddeutschen Raum ausliefern; dies hätte mehr als einen Tag in Anspruch genommen. Dem Angeklagten wurde eine Entlohnung von 70 € pro transportiertem Kilogramm versprochen. Am 28. Januar 2020 übergab der Angeklagte an den gesondert verfolgten G. fast 15 kg Marihuana gegen einen Kaufpreis von 72.000 €. Das restliche Marihuana, das teilweise in Taschen verpackt war, die mit Bestimmungsorten wie etwa F. beschriftet waren, konnte der Angeklagte infolge eines polizeilichen Zugriffs nicht mehr ausliefern.
2. a) Der Schuldspruch wegen (mit-)täterschaftlich begangenen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 1 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Beim Betäubungsmittelhandel gelten für die Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe die allgemeinen Grundsätze über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist danach in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein. Beschränkt sich - wie regelmäßig bei einem Kurier - die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es maßgeblich darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Erschöpft sich die Tätigkeit im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, ist regelmäßig von einer untergeordneten Bedeutung auszugehen. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn der Kurier erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 13. April 2021 - 4 StR 506/20 Rn. 5; vom 15. Oktober 2020 - 1 StR 331/20 Rn. 3; vom 13. Mai 2020 - 1 StR 43/20 Rn. 9; vom 29. Januar 2019 - 4 StR 589/18 Rn. 4 und vom 7. September 2017 - 1 StR 409/17 Rn. 3). Ausreichend wäre also etwa, wenn der Beteiligte zumindest mit den Abnehmern verhandelte und selbständig den Umfang der Verkaufsmenge bestimmte; eine bloße weisungsgebundene Transporttätigkeit genügt nicht (BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2019 - 1 StR 570/19 Rn. 7; vom 13. Februar 2019 - 4 StR 22/19 Rn. 5 und vom 29. Januar 2019 - 4 StR 589/18 Rn. 4; je mwN).
bb) An diesen Grundsätzen gemessen tragen die Feststellungen keine täterschaftliche Beteiligung. Der Angeklagte hatte am Einkauf des Marihuanas nicht mitgewirkt. Zudem ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte beim Aushandeln des Umfangs des zu veräußernden Rauschgifts und des jeweiligen Kaufpreises beteiligt war. Die Auswertung der Überwachung des Verkaufsgeschäfts mit G. (UA S. 20) spricht im Gegenteil aufgrund des zügigen Ablaufs der Übergabe des Marihuanas und der Entgegennahme des Bargeldes dafür, dass der Hintermann den Absatz bereits organisiert hatte. Zwar musste der Angeklagte im gewissen Umfang selbständig vorgehen, weil er allein - ohne Anwesenheit des Organisators - über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Orten erhebliche Mengen auszuliefern und gegebenenfalls die Routen festzulegen hatte. Jedoch muss sich die Täterschaft auf den Handel und nicht bloß auf den Besitz erstrecken. Solche hierfür sprechenden Umstände sind auch nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen. Insbesondere belegen die ausgewerteten Beweismittel (Wiedergabe der vom Angeklagten über sein Mobiltelefon versandten Nachrichten, Familienbriefe; UA S. 24-26) nicht mehr als einen weisungsgebundenen Transport und Auslieferung. Auch die Entlohnungsabrede vermag eine täterschaftschaftliche Beteiligung nicht zu tragen. Jeder Kurier wirkt regelmäßig am Handel mit, weil er Geld benötigt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 1 StR 43/20 Rn. 10). Der Angeklagte sollte mit pauschal 70 € pro übernommenen Kilogramm entlohnt werden; dies ist keine Gewinn- oder Umsatzbeteiligung nach erfolgreichem Absatz. Ohnehin ist das Entgelt von insgesamt 7.350 € im Vergleich zum Gesamtwert des Marihuanas in Höhe von über 700.000 € gering. Anders als der Generalbundesanwalt meint, kann nach alledem das fehlende Mitwirken am Aushandeln von Kaufpreis und Abnahmemenge hier nicht durch die gewisse Selbständigkeit beim Transport ausgeglichen werden.
b) Da nach erschöpfender Würdigung der Beweismittel weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch auf Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 4 BtMG) in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 1 BtMG, § 27 StGB) ab. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders hätte verteidigen können.
c) Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung der Strafe. Zwar bleibt der Strafrahmen unberührt; der Senat kann gleichwohl nicht ausschließen, dass das Tatgericht zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre, weil die Bewertung der Tat als Beihilfe zum Handeltreiben im Vergleich zur täterschaftlichen Begehung in der Regel einen geringeren Schuldvorwurf beinhaltet, der nicht durch den tateinheitlich hinzutretenden Besitz aufgewogen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2020 - 1 StR 331/20 Rn. 6 und vom 7. September 2017 - 1 StR 409/17 Rn. 5 mwN).
d) Die Feststellungen werden von der Schuldspruchänderung nicht betroffen und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Strafzumessung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 648
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 249
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede