HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 759
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 43/20, Beschluss v. 13.05.2020, HRRS 2020 Nr. 759
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. August 2019 betreffend die Angeklagten A. und X. mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben bestehen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten ebenso wie den nicht revidierenden Mitangeklagten C. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils zu Freiheitsstrafen von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es den ebenfalls nicht revidierenden Mitangeklagten O. wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Schließlich hat es die Unterbringung des Angeklagten A. und der Mitangeklagten C. und O. in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Der Angeklagte X. rügt daneben auch die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Am 12. September 2018 wurden im Rahmen einer Durchsuchung der Wohnung des Mitangeklagten C. in der R. straße in N., in welcher auch der Angeklagte X. vorübergehend untergekommen war, insgesamt 33.216,8 Gramm Marihuana (Gesamtwirkstoffmenge: 2.526,8 Gramm THC), verpackt in mehreren Paketen und Müllsäcken, gefunden. Am selben Tag wurde auch die gemeinsame Wohnung des Angeklagten A. und des Mitangeklagten O. in der G. straße in N. durchsucht. Dort wurden 881,2 Gramm Marihuana (Wirkstoffmenge: 78,18 Gramm THC) in der Schrankhälfte von O. und 190,2 Gramm Marihuana (Wirkstoffmenge: 19 Gramm THC) in der Schrankhälfte von A. gefunden.
2. Das Landgericht geht davon aus, dass die Angeklagten und der Mitangeklagte C. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt übereinkamen, mit Marihuana in größerem Umfang gemeinschaftlich Handel zu treiben. Hinsichtlich des in der Wohnung R. straße und in der Schrankhälfte des Angeklagten A. befindlichen Marihuanas nimmt es an, dass dieses zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorgesehen war. Bezüglich der dem Mitangeklagten O. zuzuordnenden Marihuanamenge geht die Strafkammer davon aus, dass er diese von den Angeklagten und dem Mitangeklagten C. erworben hat.
Die Absicht des gemeinschaftlichen Marihuanahandels und eines entsprechenden mittäterschaftlichen Handelns der Angeklagten und des Mitangeklagten C. schließt das Landgericht maßgeblich daraus, dass von diesen diverse Fingerspuren an verschiedenen Marihuanapaketen bzw. -tüten, die in der Wohnung R. straße und/oder der G. straße gefunden wurden, festgestellt werden konnten und zwar jeweils nicht nur außen, sondern auch innen, so dass die Spuren mit einem bloßen Anfassen aus Neugier oder zum Wegräumen - wie von den Angeklagten A. und X. eingeräumt - nicht in Einklang zu bringen seien. Als weitere Indizien zieht die Strafkammer die gemeinsame Wohnungsnutzung durch den Mitangeklagten C. und den Angeklagten X., die Bekanntschaft zwischen diesen und dem Angeklagten A., den Geldbedarf der Angeklagten und des Mitangeklagten C. infolge Arbeitslosigkeit (C. und X.) und Betäubungsmittelabhängigkeit (C. und A.) sowie den Umstand heran, dass dem Angeklagten A. - wie er eingeräumt hat und zudem aus einem überwachten Telefonat folgt - zumindest der Handel mit kleineren Betäubungsmittelmengen nicht wesensfremd war. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung heißt es zudem, dass sich „Erkenntnisse, die der Annahme einer gemeinsamen Handelstätigkeit der drei Angeklagten entgegenstehen würden“, nicht ergeben hätten.
1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten X. bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 29. Januar 2020 ohne Erfolg.
2. Die auf die Sachrügen gebotene Überprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung im aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang. Das Landgericht hat im Hinblick auf die Angeklagten mittäterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen, ohne die erforderliche Gesamtabwägung der wesentlichen Umstände des Falles zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe vorzunehmen. Dies ist rechtsfehlerhaft.
a) Beim Betäubungsmittelhandel gelten für die Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe die allgemeinen Grundsätze über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen (BGH, Beschlüsse vom 15. April 2020 - 5 StR 76/20 Rn. 5 und vom 29. Januar 2019 - 4 StR 589/18 Rn. 4; Urteil vom 13. März 2019 - 1 StR 593/18 Rn. 13). Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist danach in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 26. November 2019 - 3 StR 323/19 Rn. 7 und vom 26. März 2019 - 4 StR 381/18 Rn. 13; Urteile vom 17. April 2019 - 5 StR 685/18 Rn. 26 und vom 13. März 2019 - 1 StR 593/18 Rn. 13; jeweils mwN). Es ist daher nicht zulässig, jede schon unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen und das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäfts mittäterschaftlichem Handeltreiben gleichzusetzen. Auch beim Betäubungsmittelhandel deutet eine ganz untergeordnete Tätigkeit eines Tatbeteiligten im Rahmen eines Gesamtgeschäftes schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 15. April 2020 - 5 StR 76/20 Rn. 5 mwN). Die auf die Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe bezogene wertende Betrachtung ist vom Tatrichter in einer vom Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen (BGH, Urteil vom 23. September 2015 - 2 StR 434/14 Rn. 28).
b) Daran fehlt es hier. Mittäterschaft liegt bezogen auf die Angeklagten A. und X. auch nicht derart auf der Hand, dass eine Erörterung der Abgrenzungsfrage hier als entbehrlich angesehen werden könnte. Feststellungen zu den genannten, für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beteiligung maßgeblichen Aspekten sind dem Urteil nur fragmentarisch zu entnehmen. Dies gilt zum einen für die Frage, inwieweit die Angeklagten und der Mitangeklagte C. von der Tat profitieren sollten und damit zum Grad des eigenen Interesses am Taterfolg. Insofern ist lediglich jeweils ein gewisser Finanzbedarf festgestellt. Dies begründet aber noch kein besonderes eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts, wie es etwa mit einer Umsatz- oder Gewinnbeteiligung verbunden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2020 - 5 StR 76/20 Rn. 6 mwN). Eine Entlohnung erhalten in der Regel vielmehr auch Gehilfen für ihren Tatbeitrag. Zum anderen ist auch der Umfang der Tatbeteiligung der Angeklagten weitgehend unklar geblieben. Insofern kann dem Urteil lediglich entnommen werden, dass diese an der Verpackung des Marihuanas beteiligt waren, da entsprechende Fingerspuren festgestellt werden konnten. Dabei handelt es sich jedoch um eine nur untergeordnete Tätigkeit ohne Gestaltungsmöglichkeit und Handlungsspielraum. Sollte sich der Tatbeitrag darauf beschränkt haben, würde dies eher für eine Gehilfentätigkeit sprechen. Weitere Tatbeiträge der Angeklagten zu einem gemeinsamen Gesamtgeschäft hat das Landgericht nicht konkret festgestellt, während der Mitangeklagte C. zumindest noch die von ihm angemietete Wohnung zur Lagerung der Betäubungsmittel zur Verfügung stellte. Dadurch kam diesem auch zumindest ein gewisser Grad an Tatherrschaft zu, die im Hinblick auf den Angeklagten A. als Wohnungs-Externen nicht und bezüglich des die Wohnung nur zeitweise mitnutzenden Angeklagten X. jedenfalls nicht automatisch und in gleichem Ausmaß angenommen werden kann. Unter diesen Umständen versteht sich die Annahme von Mittäterschaft der Angeklagten nicht von selbst.
3. Daher bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen - mit Ausnahme der zum (nicht näher belegten) „gemeinschaftlichen Verkauf“ von 881,2 Gramm Marihuana - sind dagegen rechtsfehlerfrei getroffen und werden durch den aufgezeigten Wertungsfehler nicht berührt. Sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen kann das neue Tatgericht treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Einer Erstreckung der Aufhebung auf die nicht revidierenden Mitangeklagten unterbleibt, weil wegen der individuell jeweils für den einzelnen Tatbeteiligten vorzunehmenden Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht dieselbe Rechtsverletzung im Sinne des § 357 StPO vorliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2019 - 4 StR 449/19 Rn. 10 und vom 20. September 2018 - 1 StR 316/18 Rn. 5, 7).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 759
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede