HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 961
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 139/21, Beschluss v. 19.05.2021, HRRS 2021 Nr. 961
1. Auf die Revision des Angeklagten R. wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 7. Dezember 2020 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten und die Mitangeklagte A. als Gesamtschuldner die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten R. und die nicht revidierende Mitangeklagte A. jeweils wegen Betruges in 117 tatmehrheitlichen Fällen verurteilt. Gegen den Angeklagten hat das Landgericht deswegen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Die Mitangeklagte hat es zu einer solchen von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht von den verhängten Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zwei Monate als vollstreckt erklärt. Zudem hat es gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner die Einziehung eines Betrages von 1.014.116,97 Euro angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der Einziehungsanordnung Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte war geschäftsführender Direktor der C. F. Ltd. (im Folgenden: C. Ltd.), die im Jahr 2012 ihre Tätigkeit im Groß- und Einzelhandel von Münzen und Edelmetallen aufgenommen hatte. Der Verkauf erfolgte ganz überwiegend über ein Internetportal der Mitangeklagten gegen Vorkasse. Die C. Ltd. besaß selbst keine Warenvorräte und musste sich daher für die von den Kunden bestellten Waren im Nachgang selbst bei Münzgroßhändlern eindecken. Über das Konto der Gesellschaft bei der Sparkasse F. waren sowohl der Angeklagte als auch die Mitangeklagte verfügungsberechtigt. Der zeitlich verzögerte Wareneinkauf führte bei fast allen Bestellungen dazu, dass der von der C. Ltd. aufzuwendende Einkaufspreis höher war als der mit den Kunden vereinbarte Kaufpreis. In dem Buchhaltungsprogramm der Gesellschaft war kein Warenwirtschaftssystem integriert; sonstige Aufzeichnungen wurden ebenfalls nicht vorgenommen. Ab dem Jahr 2016 konnten aufgrund fehlender Liquidität der C. Ltd. die von den Kunden bestellten Waren nur noch teilweise ausgeliefert werden, weil die Bezahlung der Münz- und Edelmetalllieferanten mit Geldern erfolgen musste, die aus den Vorauszahlungen anderer Kunden stammten. Im Zeitraum vom 4. März 2016 bis zum 19. Juli 2017 wurden von 117 Kunden Bestellungen und Vorauszahlungen entgegengenommen, wobei bei 110 Kunden überhaupt keine Lieferung und bei den Übrigen nur Teillieferungen vorgenommen werden konnten. Die Kunden leisteten ihre Vorauszahlungen jeweils aufgrund eines täuschungsbedingten Irrtums über die Lieferfähigkeit und Lieferwilligkeit der Angeklagten. Hierdurch entstand ihnen ein Gesamtschaden von 1.126.796,63 Euro, was der Angeklagte und die Mitangeklagte billigend in Kauf nahmen.
Beide Angeklagte handelten in allen Fällen in der Absicht, sich durch die wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Die Mitangeklagte A. bezog als Angestellte der C. Ltd. ein monatliches Bruttogehalt von 2.200 Euro. Der Angeklagte R. war bei der Gesellschaft auf 450-EuroBasis angestellt und sozialversichert. Beiden Angeklagten stand zudem das Firmenfahrzeug zur Verfügung. Dass sich die Angeklagten an dem Firmenvermögen „in sonstiger Weise zu Unrecht bereichert“ oder Edelmetalle beiseitegeschafft hätten, konnte das Landgericht nicht feststellen (UA S. 12).
b) Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten als 117 selbständige, jeweils gemeinschaftlich begangene Taten des Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB gewertet. Gemäß §§ 73, 73c StGB hat es gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.014.116,97 Euro angeordnet. Hierbei hat es im Hinblick auf „kostenfreie Zugaben“ an geschädigte Kunden von der Gesamtschadenssumme „vorsorglich“ zehn Prozent in Abzug gebracht.
2. Mit Ausnahme der Einziehungsanordnung hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten R. ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
3. Die Einziehungsanordnung hinsichtlich des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) hat demgegenüber keinen Bestand.
a) Ein Vermögenswert ist nach § 73 Abs. 1 StGB „durch die Tat“ erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19 Rn. 11; vom 17. Januar 2019 - 4 StR 486/18 Rn. 9; vom 23. Oktober 2018 - 5 StR 185/18 und vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18 Rn. 8). Bei der Bestimmung des „erlangten Etwas“ ist der tatsächliche Vorgang maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2018 - 3 StR 144/18 Rn. 11).
Dabei ist bei juristischen Personen, die über eine eigene Vermögensmasse verfügen, zwischen der Vermögenssphäre der Gesellschaft und derjenigen des Täters zu trennen. Handelt der Täter lediglich als Beauftragter, Vertreter oder Organ einer juristischen Person für eine solche Gesellschaft und tritt die Vermögensmehrung ausschließlich bei ihr ein, kann demnach nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Täter - auch in Fällen einer (legalen) Zugriffsmöglichkeit - eigene Verfügungsgewalt über das Erlangte hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2021 - 1 StR 13/21 Rn. 11 mwN). In solchen Fällen ist eine Dritteinziehung bei der Gesellschaft nach § 73b StGB anzuordnen. Die Gesellschaft ist dann als Einziehungsbetroffene am Verfahren zu beteiligen oder es ist ein selbstständiges Einziehungsverfahren gegen sie zu führen (BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2019 - 1 StR 75/19 Rn. 13; vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18 Rn. 10 und vom 7. September 2016 - 2 StR 352/15 Rn. 10 f.; Urteil vom 28. November 2019 - 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234 Rn. 21 f.).
Zur Begründung einer Einziehungsanordnung gegen einen als Organ handelnden Täter bedarf es der über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, dass dieser selbst etwas erlangte, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte. Dies kann etwa darin liegen, dass der Täter die Gesellschaft nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzte, eine Trennung zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft aber nicht vornahm, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird. Wird der Vermögensvorteil hingegen von der Gesellschaft vereinnahmt, so kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass der wirtschaftliche Wert der Geschäftsanteile im Privatvermögen des Täters mit jeder Zahlung oder jeder zurückgewiesenen Forderung steigt oder sich der Zufluss auf die Höhe einer späteren Entnahme aus dem Gesellschaftsvermögen auswirkt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2021 - 1 StR 13/21 Rn. 11; vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19 Rn. 10 ff., 15; vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18 Rn. 10 f. mwN und vom 31. Juli 2018 - 3 StR 620/17 Rn. 26).
b) Ausgehend von diesen Maßstäben erweisen sich die der Einziehungsanordnung zugrundeliegenden Feststellungen als lückenhaft. Festgestellt ist lediglich, dass die Kunden die Vorauszahlungen für ihre Bestellungen auf das Konto der C. Ltd. geleistet und die Zahlungen somit dem Firmenvermögen der Gesellschaft zugeführt haben (UA S. 11). Besondere, den Zugriff auf das Vermögen des Angeklagten rechtfertigende Umstände hat das Landgericht bislang nicht getroffen. Insbesondere ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte die C. Ltd. lediglich als formalen Mantel seiner Taten nutzte. Vielmehr konnte es nicht feststellen, dass sich der Angeklagte, der bei der C. Ltd. auf 450-EuroBasis angestellt war, an dem Firmenvermögen „in sonstiger Weise zu Unrecht bereichert“ hat. Dies stellt keine tragfähige Grundlage für die vom Landgericht getroffene Einziehungsanordnung gegen den Angeklagten dar.
Im Hinblick darauf, dass das Landgericht betreffend die Einziehung des Wertes von Taterträgen beim Angeklagten von unzutreffenden Maßstäben ausgegangen ist, hebt der Senat die Einziehungsanordnung mit den zugrundeliegenden Feststellungen auf und verweist er die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Denn es ist nicht auszuschließen, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Einziehung des Wertes von Taterträgen beim Angeklagten rechtfertigen.
4. Die Aufhebung ist gemäß § 357 StPO auf die die Mitangeklagte betreffende Einziehungsanordnung zu erstrecken, da diese Anordnung auf demselben sachlichrechtlichen Fehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 StR 52/13).
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zur Entscheidung über die Verfahrenskosten im Falle der Abänderung der Einziehungsanordnung nach Aufhebung durch das Revisionsgericht auf die Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 2021 im Verfahren 1 StR 423/20 und vom 24. März 2021 im Verfahren 1 StR 13/21 (Rn. 13) hin.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 961
Externe Fundstellen: StV 2021, 707
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede