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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1296

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 567/19, Beschluss v. 09.07.2020, HRRS 2020 Nr. 1296


BGH 1 StR 567/19 - Beschluss vom 9. Juli 2020 (LG Frankfurt a. M.)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (steuerrechtliche Erklärungspflicht als besonderes persönliches Merkmal; erforderliche Angabe der Besteuerungsgrundlagen im Urteil: Berechnungsdarstellung).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 28 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. November 2018 aufgehoben

a) betreffend die Angeklagten M. und S.

aa) im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit diese Angeklagten wegen der Hinterziehung von Umsatzsteuer in Ziffer B.V. der Urteilsgründe verurteilt worden sind, bb) im gesamten Strafausspruch;

b) bezüglich der Angeklagten L. und I. sowie unter Erstreckung auf den Mitangeklagten V. (§ 357 StPO)

aa) im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit diese Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt worden sind; die Feststellungen zu den vorenthaltenen Arbeitsentgelten sowie zu den hinterzogenen Bauabzugsteuern bleiben jedoch aufrechterhalten, bb) im gesamten Strafausspruch.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen Steuerhinterziehung in 77 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es wegen Steuerhinterziehung in 109 Fällen sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 118 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verhängt. Den Angeklagten S. hat es wegen Steuerhinterziehung in 27 Fällen, wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 118 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten I. hat es wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Den Nichtrevidenten V. hat es wegen Steuerhinterziehung in zwölf Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilungen der Angeklagten M. und S. wegen der Hinterziehung von Umsatzsteuer in Ziffer B.V. der Urteilsgründe erweisen sich als rechtsfehlerhaft und haben daher keinen Bestand.

a) Die Angeklagten M. und S. waren als verantwortlich handelnde Organe der Bauunternehmen C. GmbH, F. GmbH, W. I GmbH und W. II GmbH verpflichtet, die umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten der Gesellschaften zu erfüllen und die in den von ihnen erstellten Rechnungen für erbrachte Bauleistungen ausgewiesene und vereinnahmte Umsatzsteuer anzumelden und an die zuständige Finanzbehörde abzuführen. Das Landgericht hat die Ausgangsumsätze der jeweiligen Anmeldezeiträume rechtsfehlerfrei ermittelt und angenommen, dass die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen von den Angeklagten unterlassen worden sei (UA S. 65, 74). Die Verkürzungsbeträge betreffend die einzelnen Taten (Nr. 103 bis 131) für die Jahre 2010 bis 2014 sowie die Voranmeldungszeiträume März 2015 bis Juli 2015, September 2015 bis April 2016 und Juni 2016 bis September 2016 berechnete es ausgehend von den - tabellarisch aufgelisteten - Bruttorechnungsbeträgen mit daraus 19 %.

b) Die Feststellungen tragen die Schuldsprüche wegen der Hinterziehung von Umsatzsteuer nicht.

aa) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Tat gefunden werden. Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiellrechtlich durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften ausgefüllt, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung führt. Hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören auch die Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die Urteilsgründe deshalb für die jeweilige Steuerart regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 21. Mai 2019 - 1 StR 159/19 Rn. 8 und vom 7. Februar 2019 - 1 StR 484/18 Rn. 5; jeweils mwN).

bb) Daran fehlt es vorliegend. Das Landgericht hat schon nicht schlüssig das tatbestandsmäßige Verhalten der Angeklagten im Sinne des § 370 Abs. 1 AO bestimmt, sodass die Mindestfeststellungen für eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO fehlen. Soweit es festgestellt hat, dass die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen und der Umsatzsteuervoranmeldungen von den Angeklagten unterlassen worden sei, steht dies im Widerspruch zu der Feststellung, dass „die in den Rechnungen der Subunternehmerebene unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer benutzt“ wurde, um die Umsatzsteuerzahllast der von den Anklagten M. und S. geführten Bauunternehmen durch den Abzug von Vorsteuern zu mindern (UA S. 36, 222).

Nach den Angaben des Zeugen Fr. sind „Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen“ für den Tatzeitraum jedenfalls „unregelmäßig“ abgegeben worden (UA S. 221). Hinzu kommt, dass jedwede Feststellungen zur Höhe etwaig abziehbarer Vorsteuerbeträge fehlen, obgleich berücksichtigungsfähige Vorsteuerbeträge vorgelegen haben (UA S. 222 f.), sodass die Verkürzungsbeträge seitens des Revisionsgerichts nicht überprüft werden können und zu hoch bemessen sein könnten (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2018 - 1 StR 642/17, BGHSt 63, 203 Rn. 18 ff.; Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 59/19 Rn. 7).

c) Mangels hinreichender Feststellungen zu den Haupttaten hat auch die Verurteilung der beiden anderen Mitangeklagten L. und I. wegen Beihilfe keinen Bestand. Da das Landgericht zutreffend von jeweils einheitlichen Beihilfehandlungen ausgegangen ist, waren diese Schuldsprüche insgesamt aufzuheben (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2019 - 1 StR 424/18 Rn. 12 und vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17 Rn. 14) [vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 - 1 StR 450/18 Rn. 14].

d) Die Aufhebung der Schuldsprüche entzieht den verhängten Einzelstrafen und damit auch den verhängten Einsatzfreiheitsstrafen von einem Jahr und neun Monaten (S.), zwei Jahren (M. und L.) und zwei Jahren neun Monaten (I.) die Grundlage und führt zur Aufhebung der daraus gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen. Der Senat hebt auch die übrigen Einzelstrafen auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 2020 - 1 StR 403/19 Rn. 8). Die Feststellungen des Landgerichts zur Hinterziehung von Umsatzsteuer hebt der Senat in vollem Umfang auf; die Feststellungen zu den übrigen Taten, mithin zur Hinterziehung von Bauabzugsteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG) und zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a Abs. 1, 2 StGB) können dagegen aufrecht erhalten bleiben, weil sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 29. August 2007 - 5 StR 103/07 Rn. 51). Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.

2. Der Rechtsfehler bei der Prüfung der Beihilfe im Hinblick auf die Hinterziehung von Umsatzsteuer in den Fällen B.V. wirkt in gleichem Maße zu Lasten des nicht revidierenden Mitangeklagten V., sodass die Entscheidung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf ihn zu erstrecken war. Dies führt auch bei dem nicht revidierenden Mitangeklagten V. zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs, um auch hier eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2020 - 1 StR 61/20 Rn. 18).

3. Für die künftige Hauptverhandlung bemerkt der Senat Folgendes:

a) Im Rahmen der Strafzumessung wird die neuere Rechtsprechung des Senats, die das Landgericht bei seiner Entscheidung noch nicht kennen konnte, zu berücksichtigen sein, wonach es sich bei der vom Straftatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) vorausgesetzten Erklärungspflicht um ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB handelt, das als vertypter Strafmilderungsgrund eine Strafrahmenverschiebung eröffnet (vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 Rn. 20 und vom 12. Februar 2020 - 1 StR 344/19 Rn. 33). Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts, wonach die Angeklagten L., S., I. sowie der nicht revidierende V. jeweils Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatz- bzw. Bauabzugsteuer geleistet haben, wird deshalb eine weitere Strafmilderung entweder in Form eines Absehens von der Regelwirkung des § 370 Abs. 3 AO oder einer weiteren Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der des § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen sein. Die weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB würde nach der Rechtsprechung des Senats lediglich dann ausscheiden, wenn die jeweilige Tat allein wegen des Fehlens des strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmals als Beihilfe statt als Täterschaft zu werten wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2020 - 1 StR 344/19 Rn. 33 mwN).

b) Hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten M. wird die unterbliebene Festsetzung der Einzelstrafen für die Taten 140, 159, 191 und 192 nachzuholen sein; denn das Landgericht hat es bisher unterlassen, für diese Fälle eine Einzelstrafe festzusetzen.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1296

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede