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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 30

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 299/17, Beschluss v. 19.09.2017, HRRS 2018 Nr. 30


BGH 1 StR 299/17 - Beschluss vom 19. September 2017 (LG Würzburg)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Schuldunfähigkeit im Moment der Tat aufgrund des Zusammenwirkens einer länger andauernden geistig-seelischen Störung und dem Konsum von Alkohol, erforderliche Darstellung im Urteil)

§ 63 StGB; § 267 Abs. 6 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 7. März 2017 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach der seit 1. August 2016 geltenden Neufassung des § 63 StGB (§ 2 Abs. 6 StGB) angeordnet sowie ein sichergestelltes Feuerzeug eingezogen.

Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); lediglich die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben bestehen (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte unter einer leichten Intelligenzminderung und betreibt einen schädlichen Gebrauch von Alkohol. Er besuchte eine Sonderschule für geistig Behinderte und erwarb Grundkenntnisse des Lesens, Schreibens und Rechnens. Einen Beruf erlernte er nicht, sondern übte einfache Tätigkeiten in speziellen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen aus. Zuletzt sortierte und reparierte er für eine Firma Paletten. Für ihn ist eine Gebrechlichkeitspflegschaft/Betreuung angeordnet.

Gegen den Angeklagten war aufgrund mehrfacher Brandlegungen in bewohnten Gebäuden seit August 1989 wiederholt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Während der Aussetzung der jeweiligen Unterbringung zur Bewährung folgten stets neue Brandstiftungsdelikte, die der Angeklagte unter Alkoholeinfluss beging. Bis zum Jahr 2009 befand er sich im Maßregelvollzug. Anschließend schloss sich die Führungsaufsicht mit engmaschiger Betreuung an. Die angeordneten Maßregeln sind mittlerweile erledigt.

Der Angeklagte lebte seit 1. Mai 2014 in einer Wohngemeinschaft, war aber mit der Wohnsituation unzufrieden und versuchte deshalb eine eigene Wohnung zu finden. Dies misslang. Seine Arbeitsstelle musste er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Er verbrachte nun den größten Teil seiner Zeit bei seiner Mutter, die aber seine Verlobte nicht akzeptierte.

Aus Frustration über diese Situation trank er Bier, fürchtete dann aber, er werde wegen des Alkoholkonsums Schwierigkeiten mit seiner Mutter bekommen. Um seine Anspannung zu lösen, zündete er nachts in der Waschküche des Wohnanwesens mit seinem Feuerzeug Kartons an, die auf Waschmaschinen gestapelt waren und entfachte ein Feuer auf der Trommel eines Wäschetrockners. Schließlich setzte er einen Notruf ab. Die Feuerwehr löschte den Brand. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 20.212 €. Zur Tatzeit betrug seine BAK höchstens 2,23 Promille.

2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten rechtlich als Sachbeschädigung gewertet. Es hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - festgestellt, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten uneingeschränkt erhalten, aber seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit aufgrund der Intelligenzminderung in Verbindung mit dem Alkohol erheblich vermindert war. Die Konfliktsituation in Verbindung mit der Intelligenzminderung und dem Alkohol habe den Angeklagten veranlasst, Feuer zu legen. Ohne Behandlung werde der Angeklagte weitere Brandlegungen begehen, bei denen nicht nur schwerer wirtschaftlicher Schaden, sondern auch die Gefährdung von Personen naheliege. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seien gegeben, weil die Intelligenzminderung verbunden mit dem Alkoholkonsum und der auf alltäglichen Ereignissen beruhenden Konfliktsituation die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgelöst habe.

Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) scheide aus, da bei dem Angeklagten kein Hang vorliege, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen. Er konsumiere nur gelegentlich Alkohol und habe keine Neigung zum wiederholten Alkoholgenuss.

II.

Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als Grundlage für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sind nicht ohne Rechtsfehler.

Die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB setzt voraus, dass der Ausschluss (§ 20 StGB) oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) auf einem länger andauernden psychischen Defekt des Täters beruht. Ein solcher Zustand kann auch dann vorliegen, wenn die für die Maßregelanordnung erforderliche, sicher zumindest erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit auf einem Zusammenwirken einer länger andauernden geistig-seelischen Störung und dem Konsum von Alkohol beruht (BGH, Urteile vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374 f. und vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 und vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42). Insoweit genügt, dass bei länger andauernden Störungen im Sinne von §§ 20, 21 StGB bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dieses getan haben (BGH jeweils aaO).

Die Urteilsgründe ergeben aber bereits nicht zweifelsfrei, dass der Angeklagte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund, wie das Landgericht sie angenommen hat, dem Eingangsmerkmal des „Schwachsinns“ unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 - 4 StR 497/14 Rn. 15, NStZ-RR 2015, 71), die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 55/17 Rn. 8, NStZ-RR 2017, 270 mwN).

Wie sich die leichte Intelligenzminderung des Angeklagten über seine Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus konkret auswirkt, wird im Urteil nicht näher beschrieben. Auch teilt das Urteil nicht mit, welchen Intelligenzquotienten der Angeklagte erreicht. Schon im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 240/10 für die Diagnose „Schwachsinn“) sind die Urteilsausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche Überprüfung unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist. Die Annahme des Eingangsmerkmals darf sich auch nicht auf die Feststellung der Intelligenzminderung oder eines niedrigen Intelligenzquotienten beschränken, sondern bedarf einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209 mwN). Die im Urteil mitgeteilten Umstände - der Angeklagte hat einen Betreuer, sein Entschluss, die Wohnsituation zu ändern und sein Bemühen, eine neue Wohnung zu finden, das Aufrechterhalten einer dauerhaften Beziehung mit einer Frau seit dem Jahr 2001, das Eingehen eines Verlöbnisses, das Wahrnehmen des Besuchsrechts zu zwei aus der Beziehung hervorgegangenen und nun in einer Pflegefamilie lebenden Kindern, und die Beschäftigung in einer Firma -rechtfertigen für sich die Annahme des Eingangsmerkmals nicht.

Zudem fehlen Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des alkoholisierten Angeklagten in der konkreten Tatsituation hatte (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306). Das Landgericht hat den für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptomatischen Zusammenhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leichten Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.

Dies führt zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen. Von der Aufhebung nicht betroffen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO) sind indes die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen der Anlasstat. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich. Da nicht völlig auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die eine Schuldunfähigkeit belegen, hat der Senat auch den Schuldspruch aufgehoben.

Die teilweise Aufrechterhaltung der Feststellungen bedingt die Verwerfung der weitergehenden Revision des Angeklagten.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 30

Externe Fundstellen: StV 2019, 239

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede