HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 615
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 39/15, Beschluss v. 24.03.2015, HRRS 2015 Nr. 615
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 31. Oktober 2014, soweit es ihn betrifft, aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wie auch den nicht revidierenden Mitangeklagten als Mittäter derselben Tat, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fiel der Angeklagte, bei dem es 1998 infolge eines Verkehrsunfalles zu einem Frontalhirnsyndrom nach schwerem Schädelhirntrauma mit Kontusionsblutung gekommen war, seit dem Jahr 1999 durch die Begehung von Straftaten auf. Zuletzt wurde er von dem Landgericht Hof am 19. November 2010 wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, zugleich ordnete das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Diese Taten waren sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass der Angeklagte gemeinsam mit seiner Freundin, einer tschechischen Prostituierten, Überfälle auf andere tschechische Prostituierte beging, die Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma waren. Durch diese Überfälle wollte der Angeklagte seinen bereits langjährig sehr ausgeprägten Rassenhass durch körperliche Misshandlungen und Demütigungen seiner Opfer ausleben und die Gewaltanwendung zugleich ausnutzen, um diesen mitgeführtes Bargeld abzunehmen und für sich zu behalten. Die Misshandlungen der Geschädigten gipfelten in einem Fall darin, dass der Angeklagte und seine Freundin die Geschädigte mit verbundenen Augen im Kofferraum eines Pkws in ein abgelegenes Waldstück verbrachten, ihr über zwei Stunden hinweg Schläge mit Fäusten sowie einer Metallstange und Fußtritte verabreichten, ihr das lange Haar abschnitten und sie dann ihres mitgeführten Bargelds beraubten. Die Strafkammer war dabei davon überzeugt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den Tatzeiten jeweils aufgrund einer gravierenden hirnorganisch bedingten Persönlichkeitsstörung im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt war.
In der Folgezeit befand sich der Angeklagte in der Maßregelvollzugsklinik in Bayreuth. Dort lernte er im Dezember 2011 den ebenfalls im Maßregelvollzug befindlichen nichtrevidierenden Mitangeklagten R. kennen, mit dem er ab Juli 2013 Fluchtpläne entwickelte.
Gemeinsam mit dem Mitangeklagten R. entschloss sich der Angeklagte, einen als Lockerungsmaßnahme durchgeführten begleiteten Fahrradausflug in das örtliche Freibad am 5. September 2013 zum Entweichen aus dem Maßregelvollzug zu nutzen. In Ausführung des gefassten Tatplans ließen sich die Angeklagten auf ihren Fahrrädern während der Rückfahrt durch das Stadtgebiet Bayreuth an das Ende der Kolonne zurückfallen und bogen an geeigneter Stelle unbemerkt in eine Seitenstraße ab. In einer nahegelegenen Tiefgarage zwangen die Angeklagten einen Passanten unter Verwendung eines zuvor eigens für die Tatausführung entwendeten und angeschliffenen Brotmessers und unter Einsatz erheblicher körperlicher Gewalt zur Herausgabe seines Pkws. Die anschließende Verfolgungsjagd mit Beamten des Polizeivollzugsdienstes durch das Stadtgebiet endete nach einem Unfall der Angeklagten mit ihrer Festnahme.
2. Sachverständig beraten (§ 246a Abs. 1 Satz 1 StPO) ist das Landgericht rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner zur Tatzeit fortbestehenden organischen Persönlichkeitsstörung sicher erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben war, so dass die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben waren und auch die Eingangsvoraussetzungen für eine erneute Unterbringung nach § 63 StGB dem Grunde nach vorliegen.
Die Strafkammer hat gleichwohl davon abgesehen, den Angeklagten erneut nach § 63 StGB unterzubringen. Die erneute Anordnung sei nicht verhältnismäßig (§ 62 StGB), weil sie angesichts der bereits bestehenden Anordnung zur besseren Erreichung des Maßregelzieles weder geeignet noch erforderlich sei. Insbesondere werde der Ablauf des derzeitigen Maßregelvollzugs und dessen Ausgestaltung nicht von einer erneuten Verhängung der Maßregel beeinflusst werden.
3. Die Entscheidung der Strafkammer, von der erneuten Anordnung der Unterbringung abzusehen, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Entscheidung liegt insoweit ein fehlerhaftes Verständnis der damit verbundenen Rechtsfolgen zugrunde.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die wiederholte Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB gegenüber einem bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, der nochmalige Maßregelausspruch jedoch voraussetzt, dass dieser in besonderer Weise gemäß § 62 StGB mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 - 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199, 201 mwN).
Indes betreffen die auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützten Erwägungen, welche das Landgericht nachfolgend angestellt hat, die Rechtslage bezüglich einer erneuten Maßregelanordnung bei schuldunfähigen Personen. Bei diesen kommt nur die isolierte Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB in Betracht, die unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit immer - und zugleich nur - dann eine geeignete und erforderliche Maßnahme ist, wenn das erneute Erkenntnis Auswirkungen auf die Ausgestaltung oder die Dauer des Maßregelvollzugs haben kann, die der bisherige Vollzug nicht zeitigt, und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue Symptomtat sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2005 - 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199, 205; vom 9. Mai 2006 - 3 StR 111/06, NStZ-RR 2007, 8, 9; vom 23. November 2010 - 5 StR 466/10 und vom 17. Juli 2012 - 4 StR 179/12, StraFo 2012, 369; Urteile vom 17. September 2009 - 4 StR 325/09, Rn. 8; und vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 329/14, Rn. 8 ff.).
Hat der bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Angeklagte die in dem neuen Verfahren angeklagte Tat hingegen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen (§ 21 StGB), während Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) sicher ausgeschlossen werden kann, und muss daher gegen ihn eine Freiheitsstrafe verhängt werden, so ist der erneute Maßregelausspruch nach § 63 StGB nicht nur zulässig, sondern geboten, um die Anrechenbarkeit der Zeit des Maßregelvollzugs auf die Strafe zu gewährleisten. Wurden Strafe und Maßregel in demselben Urteil festgesetzt und wird die Unterbringung der gesetzlichen Regel entsprechend vor der Freiheitsstrafe vollzogen (§ 67 Abs. 1 StGB), ist die Zeit des Maßregelvollzugs auf die Strafe anzurechnen, bis diese zu zwei Dritteln erledigt ist (§ 67 Abs. 4 StGB). Wurde der Maßregelvollzug hingegen nicht in demselben Urteil wie die Strafe angeordnet, findet eine Anrechnung auf die isoliert verhängte Freiheitsstrafe nicht statt. Das Absehen von der wiederholten Maßregelanordnung hat deshalb nicht ausschließbar eine sachlich ungerechtfertigte Benachteiligung des Angeklagten zur Folge (vgl. BVerfGE 130, 372 ff.; BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2005 - 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199, 202; vom 23. November 2010 - 5 StR 466/10 und vom 17. Juli 2012 - 4 StR 179/12, StraFo 2012, 369; Urteile vom 17. September 2009 - 4 StR 325/09, Rn. 8; und vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 329/14, Rn. 11), die im vorliegenden konkreten Einzelfall einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten darstellt.
b) Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterblieben ist. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da lediglich Wertungsfehler bei ansonsten fehlerfrei getroffenen Feststellungen vorliegen. Auch eine mit dem freigesprochenen Angeklagten vergleichbare Konstellation, in der die fehlerfreien Feststellungen aufzuheben sind, weil der freigesprochene Angeklagte das Urteil nicht hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1999 - 5 StR 537/99 und vom 18. März 2004 - 4 StR 533/03, NStZ 2004, 499; Beschlüsse vom 25. September 2007 - 4 StR 348/07 und vom 23. April 2013 - 4 StR 485/12, NStZ 2013, 612), liegt nicht vor. Ohnehin umfasst der Revisionsangriff hier die Feststellungen, soweit sie im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 21 StGB doppelrelevant sind.
Das zur neuen Entscheidung berufene Tatgericht wird unter Anwendung des zutreffenden rechtlichen Prüfungsmaßstabs über die erneute Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu befinden haben, wobei ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die den bisherigen nicht widersprechen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten war zu verwerfen; das Urteil erweist sich insoweit, entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, als rechtsfehlerfrei.
5. Eine Erstreckung der Aufhebung auf den Mitangeklagten R. gemäß § 357 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht. Zwar liegt dem Absehen von der Maßregelanordnung dieselbe ihn benachteiligende Gesetzesverletzung zugrunde. Da die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB jedoch an höchstpersönliche Charaktermerkmale und Dispositionen des Täters anknüpft und diese individuellen Wertungsfragen für die Entscheidung bestimmend sind, war keine Erstreckung vorzunehmen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 1994 - 2 StR 265/94, BGHR StPO § 357 Erstreckung 4; vom 4. September 1998 - 2 StR 390/98, NStZ-RR 1999, 15; vom 16. April 2003 - 2 StR 60/03 [jeweils zu § 64 StGB]; Beschluss vom 24. November 2009 - 4 StR 422/09 [zu § 67 Abs. 2 StGB]; Urteil vom 4. November 2014 - 1 StR 233/14, Rn. 12 [zu § 69 Abs. 1 StGB]).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 615
Externe Fundstellen: StV 2016, 733
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel