HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 53
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 422/09, Beschluss v. 24.11.2009, HRRS 2010 Nr. 53
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12. Mai 2009 aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten ein Vorwegvollzug von einem Jahr Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist. Zur erneuten Entscheidung über den Vorwegvollzug und über die Kosten des Rechtsmittels wird die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer weiteren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat die in dem einbezogenen Urteil angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten und angeordnet, dass von der verhängten Strafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft vor der Unterbringung ein Jahr zu vollziehen ist. Ferner hat es ausgesprochen, dass dem Angeklagten vor Ablauf von drei Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen ist.
Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Anordnung über den 1 Vorwegvollzug; über diesen muss neu entschieden werden. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 Satz 1 StGB hält jedenfalls im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Zwar hat das Landgericht die Anordnung der Maßregel gegenüber dem Angeklagten sowie auch gegenüber dem Mitangeklagten S. auf die Erwägung gestützt, nach Einschätzung des medizinischen Sachverständigen erscheine ein erneuter Therapieversuch "nicht als aussichtslos". Danach ist zu besorgen, dass das Landgericht entgegen dem Wortlaut von § 64 Satz 2 StGB in der Fassung des am 20. Juli 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BGBl. I S. 1327) eine vom Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1994 für verfassungswidrig erklärte Auslegung (vgl. dazu BVerfGE 91, 1) zu Grunde gelegt und nicht bedacht hat, dass schon § 64 Abs. 1 a.F. StGB in verfassungskonformer Auslegung stattdessen die Feststellung einer konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel voraussetzte.
2. Diese rechtsfehlerhafte Erwägung des Landgerichts gefährdet den Bestand des Maßregelausspruchs jedoch ausnahmsweise nicht, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat:
"Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann dennoch bestehen bleiben, weil den Feststellungen eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht zu entnehmen ist. Der Angeklagte, der im Jahr 2003 nach einer neunmonatigen stationären Therapie 16 Monate lang suchtmittelfrei gelebt hat, ist therapiewillig (UA S. 4, 14). Es ist daher zu erwarten, dass ihn die länger dauernde Unterbringung in einer Entziehungsanstalt über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum bewahren wird. Eine nachhaltige, d.h. sehr lang andauernde Heilung ist für die Erfolgsaussicht entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht erforderlich (Senat 4 StR 160/02).
Es genügt die konkrete Aussicht, 'den Süchtigen über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren' (BVerfGE 91, 1 f. = NStZ 1994, 578)."
Über die Anordnung des Vorwegvollzugs ist jedoch neu zu befinden.
1. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Dauer des Vorwegvollzugs der Maßregel (§§ 64, 67 Abs. 2 StGB) an der Möglichkeit einer Reststrafenaussetzung zum Zweidrittel-Zeitpunkt orientiert. Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB n.F. ist der bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren im Regelfall (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) anzuordnende Vorwegvollzug so zu bestimmen, dass nach seiner Beendigung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, also eine Halbstrafenentlassung, möglich ist. Darauf, ob es nahe liegend erscheint, dass die zuständige Strafvollstreckungskammer zu gegebener Zeit eine solche Entscheidung treffen wird, kommt es nicht an (BGH, Beschluss vom 18. März 2008 - 1 StR 103/08, NStZ-RR 2008, 182).
2. Danach liegt es im vorliegenden Fall nahe, dass unabhängig davon, ob sich der Angeklagte seit seiner vorläufigen Festnahme am 25. Oktober 2008 bis zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung durchweg in anzurechnender Untersuchungshaft in dieser Sache befand, zum jetzigen Zeitpunkt keine vorweg zu vollziehende Strafe mehr verblieben ist. Denn der nach § 67 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 StGB maßgebliche Halbstrafenzeitpunkt ist beim Angeklagten nach zwei Jahren und drei Monaten Untersuchungshaft, Strafhaft und Maßregelvollzug erreicht. Eine Festlegung des vorab zu vollstreckenden Teils der Strafe analog § 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat hier jedoch ebenso verwehrt wie eine Verwerfung des Rechtsmittels mit der Maßgabe, dass die Anordnung über den Vorwegvollzug zu entfallen hat. Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist die rechtsfehlerfreie Feststellung der zur Therapie erforderlichen Dauer der Unterbringung durch den Tatrichter (BGH, Beschluss vom 15. November 2007 - 3 StR 390/07, NJW 2008, 1173). Eine solche Feststellung hat das Landgericht jedoch nicht getroffen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erschließt sich dem Senat die erforderliche Dauer der Therapie nicht sicher.
Die vom Generalbundesanwalt beantragte Erstreckung der Aufhebung gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten S., der keine Revision eingelegt hat, kommt nicht in Betracht, da die Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB bei jedem Angeklagten auf individuellen Erwägungen beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1991 - 4 StR 548/91). Das vom 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 23. September 2009 - 2 StR 305/09 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG eingeleitete Anfrageverfahren zur Erstreckung im Fall eines Rechtsfehlers bei der Anwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB n.F. bezieht sich ausdrücklich nur auf die Fälle, in denen sich, abweichend von der vorliegenden Fallgestaltung, die voraussichtliche Dauer der erforderlichen Unterbringung auch für den Nichtrevidenten aus den Urteilsgründen ergibt.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 53
Bearbeiter: Karsten Gaede