hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 617

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 594/14, Urteil v. 28.04.2015, HRRS 2015 Nr. 617


BGH 1 StR 594/14 - Urteil vom 28. April 2015 (LG München II)

Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang zur Begehung erheblicher Straftaten: Definition; Begriff der erheblichen Straftaten: Sexualstraftaten; Gefährlichkeitsprognose: Definition, Indizwirkung der Hangtätereigenschaft, Grad der Wahrscheinlichkeit, Beurteilungszeitpunkt; isolierte Anfechtbarkeit der (Nicht-)Anordnung mit der Revision).

§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 344 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Merkmal „Hang“ in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGHSt 50, 188, 196).

2. Von dem Hang bzw. der Hangtätereigenschaft ist die durch § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ebenfalls geforderte Prognose über die zukünftige Gefährlichkeit des Täters zu trennen; die Merkmale sind nicht identisch (vgl. BGHSt 50, 188, 196). Vielmehr bildet der Hang ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose. Diese schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH jeweils aaO). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beeinflusst dabei der Grad der „Eingeschliffenheit“ der Verhaltensweisen des Täters die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung von Straftaten. Wird die Hangtätereigenschaft festgestellt, ist regelmäßig auch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben; zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. BGHSt 50, 188, 196).

3. Anderes kann gelten, wenn nach der letzten hangbedingten Tat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger (erheblicher) Straftaten entfallen lassen (vgl. BGH NStZ 2007, 464, 465).

4. Für die Annahme der zukünftigen Gefährlichkeit kommt es lediglich darauf an, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGH NStZ 2007, 464, 465). Soweit während der Dauer der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326, 404 ff.) zwischenzeitlich auch an die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten strengere Anforderungen zu stellen waren, kommt es darauf nicht mehr an, wenn die verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 am 1. Juni 2013 begangen worden sind.

5. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose wird eine statistisch mit 25 % bewertete Wahrscheinlichkeit regelmäßig auf eine „bestimmte Wahrscheinlichkeit“ ernsthaft zu erwartender erheblicher Taten hindeuten.

6. Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB kommt es für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung an (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 273). Angesichts dessen können während des Strafvollzugs denkbare Änderungen im Verhalten des Verurteilten oder sonstiger für seine zukünftige Gefährlichkeit bedeutsamer Umstände nur herangezogen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe dargelegt sind (vgl. BGH NStZ 2015, 208, 209 f.). Im Übrigen sind solche möglichen Veränderungen erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen.

7. Nach der Rechtsprechung des Senats können sich auch Straftaten gemäß § 176 Abs. 1 StGB als erhebliche Straftaten erweisen; maßgeblich sind die Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 204, 206 mwN). Auf das Erfordernis einer „schweren Sexualstraftat“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326, 404 ff.) kommt es nicht an, wenn die verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung begangen worden sind (vgl. BGH NStZ 2015, 208, 209).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2014 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist.

2. Der Strafausspruch des vorgenannten Urteils wird klarstellend dahingehend gefasst, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen eines weiteren Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht - dem Wortlaut des Tenors nach - zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgelehnt. Auch die Anordnung einer weiteren Führungsaufsicht hat der Tatrichter nicht für veranlasst gehalten.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf das Unterbleiben der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Bei dem Angeklagten besteht eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie (ICD-10 F65.4), die nach der Wertung der sachverständig beratenen Strafkammer aber nicht als „fixierte pädosexuelle Deviation“ zu begreifen sei (UA S. 33). Er ist seit 1994 mehrfach wegen Sexualstraftaten zu Lasten von Kindern, vor allem Jungen, verurteilt worden. Im Einzelnen ist dazu Folgendes festgestellt:

a) Im Dezember 1994 wurde der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bei Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung, verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte vor zwei sechs und sieben Jahre alten Mädchen, die er zu beaufsichtigen übernommen hatte, sich am Unterkörper vollständig entkleidete, Onanierbewegungen ausführte und die Mädchen dazu veranlasste, seinen Penis anzufassen. Straferlass war im März 1998 eingetreten.

b) Die zweite Verurteilung erfolgte im Dezember 2000 wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern, drei rechtlich zusammentreffenden Fällen des Missbrauchs von Kindern in drei tatmehrheitlichen Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Gegen den Angeklagten wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Dieser Gesamtstrafe lag u.a. eine Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie eine weitere von einem Jahr Freiheitsstrafe zugrunde. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Nach mehrfacher Verlängerung der Bewährungszeit trat Straferlass im Mai 2006 ein.

Der Verurteilung lagen sexuelle Übergriffe auf mehrere Jungen im Alter von zwölf und dreizehn Jahren zugrunde, vor allem auf den im Tatzeitraum zwölfjährigen A. In einem der verfahrensgegenständlichen Fälle versuchte der Angeklagte dem Jungen einen Zungenkuss zu geben. Dies blieb jedoch erfolglos. Anschließend zog der Angeklagte dem Jungen Hose und Unterhose herunter, umfasste dessen Geschlechtsteil und masturbierte daran. An einem anderen Tag entblößte der Angeklagte wiederum den Unterkörper des Jungen, führte Onanierbewegungen an dessen Penis aus und sodann den Oralverkehr an dem Jungen durch, indem er dessen Geschlechtsteil solange in den Mund nahm, bis der Junge zum Samenerguss kam. Bei anderer Gelegenheit zog der Angeklagte zwei Jungen deren Hosen und Unterhosen aus, um im Anschluss daran vor den Augen des ebenfalls anwesenden A. an deren Geschlechtsteilen zu manipulieren. Das Unterfangen, einem der Jungen einen Zungenkuss zu geben, scheiterte an dessen Gegenwehr. Alle Taten ereigneten sich in der Wohnung des Angeklagten. Die später geschädigten Jungen kamen dorthin, weil sie bei dem Angeklagten Computerspiele ausführen durften und er ihnen Geld und Süßigkeiten schenkte.

c) Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte den Angeklagten im April 2006 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von zwei Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Eine der zugrunde liegenden Einzelfreiheitsstrafen betrug ein Jahr und sechs Monate, eine weitere ein Jahr. Bei den durch die Straftaten Geschädigten handelte es sich jeweils um Jungen im Alter zwischen neun und dreizehn Jahren.

In einem der dort verfahrensgegenständlichen Fälle hatte der Angeklagte den damals neunjährigen Geschädigten, mit dem er „seit ca. zwei Jahren … befreundet“ war (UA S. 10), in den Swimmingpool des Hauses eines Bekannten mitgenommen. Während eines gemeinsamen Nacktbadens hatte der Angeklagte mehrfach an den Penis des Jungen gefasst. Später hatte er sich mit geöffneter Hose auf die Beine des bekleidet auf einem Sofa liegenden Geschädigten gesetzt, dessen Hose und Unterhose nach unten gezogen, das Geschlechtsteil des Jungen angefasst und dieses geküsst. Die übrigen Taten hatten sich in der Wohnung des Angeklagten ereignet. Dem Angeklagten war es gelungen, die Geschädigten dazu zu veranlassen, den Handverkehr an ihm zu vollziehen oder von dem Angeklagten an ihnen vornehmen zu lassen. In einem Fall war es zu wechselseitigem Handverkehr zwischen dem Angeklagten und zwei zehn- bzw. dreizehnjährigen Jungen gekommen.

Nach Vollverbüßung der genannten Gesamtfreiheitsstrafe trat Führungsaufsicht ein. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2007 setzte die zuständige Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre fest. Zudem erteilte sie u.a. folgende Weisungen:

„4. Dem Verurteilten wird verboten, Kontakt zu Kindern oder Jugendlichen aufzunehmen, insbesondere nicht mit ihnen zu verkehren, sie zu beschäftigen, sie auszubilden oder sie zu beherbergen.

5. Dem Verurteilten wird verboten, sich mit Kindern oder Jugendlichen alleine - ohne Beisein von Vertrauenspersonen der Kinder und Jugendlichen - in abgeschlossenen Räumlichkeiten oder an wenig frequentierten Örtlichkeiten aufzuhalten.“

d) Im September 2011 verurteilte das Landgericht München I den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Führungsaufsicht verlängerte sich dadurch bis zum 20. September 2015.

Der Verurteilung lag eine durch den Angeklagten betriebene Kontaktaufnahme mit einem 13jährigen Jungen zugrunde. Dieser hatte angesichts eines geöffneten Fensters der im Hochparterre gelegenen Wohnung des Angeklagten bemerkt, dass er mit seiner Spielkonsole spielte. Der Angeklagte übergab dem Jungen den zugehörigen Joystick und ließ ihn vom Fensterbrett aus spielen. Das Angebot, in die Wohnung zu kommen, lehnte der Junge ab.

2. Zu den hier verfahrensgegenständlichen Taten hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte am Vormittag des 16. August 2013 den damals knapp zehn Jahre alten L. an einem in der Nähe der Wohnung des Angeklagten gelegenen Teich traf. Beide waren sich dort bereits zuvor begegnet und ins Gespräch gekommen. Im Keller der Wohnung des Angeklagten fielen L. zahlreiche dort gelagerte Spiele sowie ein noch verpackter „Rennfahrersitz“ für eine Spielkonsole auf. L. und der Angeklagte verabredeten, den Sitz in dessen Wohnung aufzubauen. Während des Aufbaus zog der Angeklagte wegen der hohen Temperaturen sein Hemd aus. Der an den Jungen gerichteten Aufforderung, sein T-Shirt ebenfalls auszuziehen, kam dieser nicht nach. Vor Abschluss der Aufbauarbeiten erhielt L. um die Mittagszeit einen Anruf von seiner Familie, zum Essen nach Hause zu kommen. Bei der Verabschiedung ergriff der Angeklagte den Jungen unter den Achseln und hob ihn auf seine Augenhöhe hoch. Anschließend gab er L. „einen einige Sekunden dauernden Kuss auf den Mund, bei dem sich jeweils nur ihre Lippen berührten“ (UA S. 14). Zuvor, noch während der Arbeiten an dem Sitz, hatte der Angeklagte, bereits mit freiem Oberkörper, bei gleichzeitiger Umarmung L. auf den Mund geküsst. Die Dauer dieses Kusses war etwas kürzer als bei der Verabschiedung gewesen. L. empfand die Küsse als merkwürdig. Merkliche psychische Beeinträchtigungen bei ihm hat das Landgericht nicht feststellen können.

Beide vereinbarten, dass L. nach dem Mittagessen wieder zurückkehren sollte, um den Aufbau des Sitzes abzuschließen. Dazu zeigte der Angeklagte dem Jungen die Wohnungsklingel und riet ihm, zu Hause nicht von ihm, dem Angeklagten, zu erzählen. Eine halbe Stunde später kehrte L. in dessen Wohnung zurück und hielt sich dort für rund eine bis eineinhalb Stunden auf. Zu weiteren sexuell motivierten Berührungen kam es nicht.

Entweder während dieses Besuchs oder früherer Besuche von L. hatte der Angeklagte vorgeschlagen, sie könnten gemeinsam zum Poinger See zum Baden gehen. Er plane, ein Schiff mit Fernsteuerung zu kaufen, mit dem dann auch L. spielen könne. Eine Umsetzung des Plans erfolgte nicht mehr.

3. Das Landgericht hat das Verhalten des in seiner Schuldfähigkeit nicht eingeschränkten Angeklagten als sexuellen Missbrauch in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie einem weiteren Fall eines solchen Verstoßes gewürdigt.

Die nicht nur flüchtigen, mit einer Umarmung bzw. dem Hochheben verbundenen Küsse seien angesichts des Fehlens einer engen und vertrauten emotionalen Beziehung zu dem Kind oberhalb der Erheblichkeitsschwelle liegende sexuelle Handlungen im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB. Durch die jeweils auf einem gesonderten Tatentschluss beruhende unbegleitete Mitnahme von L. in die Wohnung des Angeklagten habe dieser in zwei Fällen gegen die Weisung gemäß Ziffer 5 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 4. Dezember 2007 verstoßen. Die vor dem ersten Verlassen zur Mittagszeit erfolgten sexuellen Handlungen in Gestalt der Küsse auf den Mund stellten sich als einheitlicher Lebenssachverhalt dar, mit dem der Weisungsverstoß in zeitlicher Hinsicht teilidentisch sei. Die erneute Aufnahme des Jungen in die Wohnung nach dem Mittagessen hat das Landgericht als auf einem neuen Tatentschluss beruhend und deshalb als materiell-rechtlich eigenständige Tat gewertet. Ungeachtet der bereits verabredeten Rückkehr habe die zwischenzeitliche Abwesenheit von L. eine Zäsur bedeutet, die dem Angeklagten Anlass gegeben habe, die von ihm geschaffene Situation erneut zu bedenken.

Für die Tat gemäß § 176 Abs. 1 in Tateinheit mit § 145a Satz 1 StGB hat es eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, für den weiteren Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht eine solche von einem Jahr. Daraus hat das Landgericht der Sache nach (unten III. Rn. 46) eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten gebildet.

4. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hat es trotz des Vorliegens der formellen Voraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. Nr. 1c StGB aus materiellen Gründen abgelehnt. Der Angeklagte weise „unter Gesamtwürdigung seiner Person und seiner Taten gegenwärtig keinen Hang zu erheblichen Straftaten auf, d.h. solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (UA S. 39). Gestützt auf eingeholte Sachverständigengutachten geht das Landgericht davon aus, es bestehe eine mittlere Wahrscheinlichkeit (etwa 50 %) für die zukünftige Begehung von Verstößen gegen das Kontaktaufnahmeverbot sowie von Straftaten wie der verfahrensgegenständlichen (UA S. 40, 44). Diese stellten aber ebenso wie der durch das Landgericht München I 2011 abgeurteilte Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht keine erheblichen Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (UA S. 44). Die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten mit dem Intensitätsgrad der den Verurteilungen „1999, 2000 und 2005“ zugrundeliegenden Taten liege lediglich bei etwa 25 %.

II.

Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Sicherungsverwahrung ist wirksam.

a) Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch weisen keine so enge Verbindung auf, dass - ausnahmsweise (näher Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 318 Rn. 7a mwN) - eine getrennte Überprüfung des angefochtenen Teils nicht möglich wäre. Die getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß § 145a StGB belegen die durch die Weisungsverstöße begründete konkrete Gefährdung des Maßregelzwecks. Einer ausdrücklichen Erwähnung dieser Gefährdung bedurfte es nicht, lag doch in einem der beiden Weisungsverstöße zugleich die Begehung einer neuen Sexualstraftat zu Lasten eines Kindes.

b) Innerhalb des Ausspruchs über die Rechtsfolgen besteht zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine der Beschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (BGH, Urteile vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 24. November 2011 - 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156 f.). Ein Ausnahmefall, bei dem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe im konkreten Fall ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (siehe dazu BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 - 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor. Aus dem Urteil ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tatgericht die Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe in Abhängigkeit zu der unterbliebenen Maßregelanordnung gebracht hat.

Ebenso wenig hat das Landgericht zwischen den Gründen der Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung einerseits und den Erwägungen für das Absehen von der Anordnung einer weiteren Führungsaufsicht (UA S. 45) eine Verknüpfung hergestellt.

c) Da die Teilrücknahme des Rechtsmittels, das ursprünglich auch den (Teil-)Freispruch des Angeklagten erfasste, vor Beginn der Revisionshauptverhandlung erklärt worden ist, hing die Wirksamkeit der (weiteren) Beschränkung nicht von der Zustimmung des Angeklagten ab (§ 303 Satz 1 StPO).

2. Das Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat bereits die Bedeutung des „Hanges“ im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht zutreffend erkannt. Zudem mangelt es an der umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände für die Beurteilung, ob von dem Angeklagten zukünftig erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden (Gefährlichkeitsprognose).

a) Die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hat das Landgericht im Hinblick auf die früheren Verurteilungen des Angeklagten und die Vollstreckung der dort verhängten Strafen rechtsfehlerfrei festgestellt.

b) Die Begründung, mit der es einen Hang des Angeklagten abgelehnt hat, trägt allerdings nicht.

aa) Wie das Landgericht zunächst im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, verlangt das Merkmal „Hang“ nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (etwa BGH, Urteile vom 25. Februar 1988 - 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f. mwN). Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 6. Mai 2014 - 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09; zu den für den Hang bedeutsamen Kriterien näher Rissing-van Saan/Peglau in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 3, § 66 Rn. 126 ff.).

Von dem Hang bzw. der Hangtätereigenschaft ist die durch § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ebenfalls geforderte Prognose über die zukünftige Gefährlichkeit des Täters zu trennen; die Merkmale sind nicht identisch (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203 f.; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 2, § 66 Rn. 99 mwN; siehe auch BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5. August 2009 - 2 BvR 2098/08 u.a. Rn. 20). Vielmehr bildet der Hang ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12, NStZ-RR 2014, 13; vgl. auch BVerfGK 9, 108, 114; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5. August 2009 - 2 BvR 2098/08 u.a., Rn. 20). Diese schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH jeweils aaO). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beeinflusst dabei der Grad der „Eingeschliffenheit“ der Verhaltensweisen des Täters die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung von Straftaten. Wird die Hangtätereigenschaft festgestellt, ist regelmäßig auch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben; zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 1989 - 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; siehe auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 - 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464 Rn. 5).

bb) Diese Grundsätze hat das Landgericht verkannt und damit bereits einen rechtsfehlerhaften Maßstab für die Beurteilung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB herangezogen. Es hat die Unterschiede zwischen der Hangtätereigenschaft und der ihr zugrundeliegenden Umstände einerseits sowie die Gefährlichkeitsprognose und der für sie maßgeblichen Gesichtspunkte andererseits nicht bedacht. Bei den zur Ablehnung des Hanges des Angeklagten vom Tatgericht herangezogenen Kriterien (Gliederungsziffern F.III.2.-4. der Urteilsgründe, UA S. 40-45 oben) handelt es sich sämtlich um solche, denen für die Prognose über die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftatbegehung des Angeklagten und den Schweregrad („erhebliche Straftaten“) der drohenden Straftaten Bedeutung zukommt. Für die anhand einer vergangenheitsbezogenen Betrachtung vorzunehmende Beurteilung der Hangtätereigenschaft sind sie nicht unmittelbar relevant.

Wegen des fehlerhaften Maßstabs mangelt es an tragfähigen Erwägungen, mit denen das Verneinen der Hangtäterschaft des Angeklagten hätte begründet werden können. Damit fehlt zugleich ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose (siehe oben Rn. 30).

c) Das Urteil beruht insoweit auch auf dem Rechtsfehler. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Tatgericht die nicht im Ermessen stehende Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet hätte, wenn es die Hangtätereigenschaft anhand eines zutreffenden Maßstabs gewürdigt und das Ergebnis dieser Würdigung in die Gefährlichkeitsprognose einbezogen hätte.

aa) Da das Landgericht die angesichts des strafrechtlich relevanten Vorlebens (mindestens mögliche) Hangtätereigenschaft des Angeklagten gar nicht in die Prognose über das zukünftig zu erwartende Legalverhalten einbezogen hat, tragen die sonst in die Prognose eingestellten Erwägungen über die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten des Angeklagten die Verneinung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen nicht. Wie bereits aufgezeigt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der Annahme der Hangtätereigenschaft - wegen der Bedeutung für die Prognose zukünftiger Gefährlichkeit - regelmäßig auch die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten durch den Angeklagten gegeben (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 1989 - 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; vom 10. Januar 2007 - 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465). Anderes kann gelten, wenn nach der letzten hangbedingten Tat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger (erheblicher) Straftaten entfallen lassen (BGH, Urteile vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 10. Januar 2007 - 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465). Solche Umstände sind dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen.

bb) Es sind auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, die eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB als sicher ausgeschlossen erscheinen lassen. Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit selbst ungeachtet des zur Verkürzung der Prognosegrundlage führenden Wertungsfehlers nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

(1) Soweit das Landgericht die fehlende Gefährlichkeit des Angeklagten (auch) mit zu erwartenden Erfolgen bei der Therapie des Angeklagten für den Fall der Umstellung auf eine Verhaltenstherapie begründet (siehe UA S. 39, 40, 43 f.), legt es wiederum einen nicht zutreffenden Maßstab zugrunde.

Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB kommt es für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung an (näher Senat, Urteil vom 22. Oktober 2013 - 1 StR 210/13, NStZ-RR 2014, 273; BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 - 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209). Angesichts dessen können während des Strafvollzugs denkbare Änderungen im Verhalten des Verurteilten oder sonstiger für seine zukünftige Gefährlichkeit bedeutsamer Umstände nur herangezogen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe dargelegt sind (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12 Rn. 35; siehe auch Senat, Urteil vom 22. Oktober 2013 - 1 StR 210/13, NStZ-RR 2014, 273 sowie BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 - 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209 f.). Im Übrigen sind solche möglichen Veränderungen erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen.

Diesen Maßstäben wird das Tatgericht nicht gerecht, wenn es unter Berufung auf die zu Rate gezogenen Sachverständigen die den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht genügende zukünftige Gefährlichkeit auch mit Erwägungen zu einer empfehlenswerten Verhaltenstherapie anstelle der bislang über lange Zeiträume in Anspruch genommenen psychoanalytisch ausgerichteten Therapie begründet (UA S. 39, 40, 43 f.). Angesichts der sonstigen Feststellungen über bisherige Therapien des Angeklagten lässt das Urteil nicht erkennen, aus welchen Gründen nunmehr bereits im Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftig nachhaltige Verhaltensänderung bestehen. Ausweislich der Feststellungen zur Person hat der Angeklagte bereits nach der Verurteilung im Dezember 2000 über einen Zeitraum von zwei Jahren an etwa 34 Therapiesitzungen bei einem Diplompsychologen teilgenommen. Weiterhin befand er sich nach der Verurteilung aus dem April 2006 für zwei Jahre in der sozialtherapeutischen Anstalt einer Justizvollzugsanstalt und nahm regelmäßig an den dortigen Therapiesitzungen teil (UA S. 7 f.). Ab 2009 erfolgte dann die bereits angesprochene psychoanalytisch ausgerichtete Therapie. Nachhaltige Verhaltensänderungen über eine von dem Tatgericht angenommene rückläufige Intensität der pädosexuellen Delinquenz hinaus sind nicht dargelegt. Da zudem die in den ab 2000 und 2006 durchgeführten, jeweils mehrjährigen Therapien in ihrer Ausrichtung nicht festgestellt sind, hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, warum die nunmehr seitens der im Erkenntnisverfahren gehörten Sachverständigen empfohlene behavioristische Therapie aktuelle konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftige Verhaltensänderung soll begründen können.

(2) Die mit näher bezifferten Wahrscheinlichkeiten von dem Angeklagten zukünftig drohenden Straftaten können grundsätzlich auch im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB erhebliche Straftaten sein, durch die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden. Wie vom Tatgericht im Ansatz nicht verkannt, können sich nach der Rechtsprechung des Senats auch Straftaten gemäß § 176 Abs. 1 StGB als erhebliche Straftaten erweisen; maßgeblich sind die Umstände des konkreten Einzelfalls (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 465/12, NStZ-RR 2013, 204, 206 mwN). Auf das Erfordernis einer „schweren Sexualstraftat“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326, 404 ff.) kommt es nicht an, weil die hier verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2425) am 1. Juni 2013 begangen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 - 2 StR 292/14 Rn. 16, NStZ 2015, 208, 209; siehe auch Beschluss vom 15. Januar 2015 - 5 StR 473/14 Rn. 2, NStZ 2015, 210).

Die maßgebliche umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Erheblichkeit der zukünftig drohenden Taten lässt das Urteil allerdings vermissen. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufzeigt, hat das Landgericht nicht ausreichend in den Blick genommen, dass bei den früheren, unzweifelhaft erheblichen Straftaten des Angeklagten, dieser vor allem durch das Eröffnen von Spielmöglichkeiten (Computerspiele) die später Geschädigten zu einem Aufsuchen seiner Wohnung zu bringen vermochte. In den Räumlichkeiten ist es dann gegenüber Jungen, die ihn öfter besuchten, zu sexuellen Übergriffen gekommen.

Sowohl bei der der Verurteilung durch das Landgericht München I aus dem Jahr 2011 zugrundeliegenden als auch bei den hier vorliegenden Taten sind Verhaltensweisen festgestellt, die auf ein Locken der Geschädigten in die Wohnung des Angeklagten und bezüglich L. zudem auf den Aufbau eines längerfristigen Kontakts abzielten. Die Bewertung des Landgerichts, es sei „reine Spekulation ohne entsprechende Tatsachengrundlage“ (UA S. 44) anzunehmen, der Angeklagte habe damit lediglich die Gelegenheit für weitere sexuelle Übergriffe schaffen wollen, lässt befürchten, dass es angesichts der früheren Verhaltensweisen des Angeklagten selbst überhöhte Anforderungen an die Überzeugungsbildung hinsichtlich der in eine Gesamtwürdigung einzubeziehenden prognoserelevanten Umstände gestellt hat.

(3) Darüber hinaus hat das Landgericht in der Gefährlichkeitsprognose nicht erkennbar berücksichtigt, dass nach den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens, die das Tatgericht „aufgrund eigener Überzeugungsbildung zugrunde legte“ (UA S. 43), eine Wahrscheinlichkeit von „ungefähr 25 % oder mäßig darüber“ für die zukünftige Begehung von Straftaten mit einem seinen „Verurteilungen 1999, 2000 oder 2005“ entsprechenden Schweregrad besteht (UA S. 40). Ausweislich der Feststellungen zur Person war der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2006 jeweils auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden (UA S. 9-12). Diesen Verurteilungen lagen u.a. Fälle des Oral- und des Handverkehrs zugrunde.

Für die Annahme der zukünftigen Gefährlichkeit kommt es lediglich darauf an, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 - 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465; Beschluss vom 31. Juli 2012 - 3 StR 148/12 Rn. 5). Angesichts der - wenn auch allein für die Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichenden (BGH aaO) - statistischen Wahrscheinlichkeit für die zukünftige Begehung von sich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern erweisender Straftaten kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, von dem Angeklagten seien keine erheblichen Straftaten ernsthaft zu erwarten. Soweit während der Dauer der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (oben Rn. 39) zwischenzeitlich auch an die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten strengere Anforderungen zu stellen waren (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2012 - 3 StR 148/12 Rn. 7), kommt es darauf nicht mehr an. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose wird eine statistisch mit 25 % bewertete Wahrscheinlichkeit regelmäßig auf eine „bestimmte Wahrscheinlichkeit“ ernsthaft zu erwartender erheblicher Taten hindeuten.

cc) Angesichts des vorstehend Ausgeführten steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht von vornherein entgegen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 StGB unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von der obligatorischen Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen werden kann (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 9. Januar 2013 - 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256 sowie Urteil vom 22. Oktober 2013 - 1 StR 210/13, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Verhältnismäßigkeit 1 jeweils mwN). Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt allerdings bei der Auslegung und Anwendung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB angesichts der mit der Sicherungsverwahrung verbundenen Intensität des Eingriffs in das Freiheitsrecht des Angeklagten erhebliche Bedeutung zu.

3. Bereits der aufgezeigte Wertungsfehler (oben Rn. 28 f.) führt zur Aufhebung hinsichtlich der unterbliebenen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Der Senat hebt die zugrundeliegenden Feststellungen ebenfalls auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter umfassende und widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen für die Bewertung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB bedeutsamen Umständen zu ermöglichen.

III.

Soweit der Strafausspruch auf die Verurteilung zu einer „Freiheitsstrafe“ von zwei Jahren und drei Monaten lautet, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 38) hat das Tatgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe in der genannten Höhe verhängt. Wie sich aus der Sitzungsniederschrift der Hauptverhandlung vom 16. Juni 2014 ergibt, ist auch eine solche Gesamtfreiheitsstrafe verkündet worden. Der Senat hat daher den Tenor des schriftlichen Urteils entsprechend klarstellend gefasst.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 617

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 77

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel