HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 930
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 305/13, Beschluss v. 20.08.2013, HRRS 2013 Nr. 930
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 10. November 1995 und seine Revision gegen dieses Urteil werden auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Angeklagte ist am 10. November 1995 wegen Betruges in 58 Fällen sowie Unterschlagung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Hiergegen haben der Angeklagte und die Verteidigerin jeweils mit Schreiben vom 13. November 1995, einen Tag später bei Gericht eingegangen, Revision eingelegt. Mit Schreiben vom 21. November 1995 hat der Angeklagte die Revision zurückgenommen. Die Verteidigerin hat wenige Tage darauf Rücknahme erklärt.
Mit Schreiben vom 13. April 2013 hat der Angeklagte erneut Revision gegen das Urteil eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung trägt er vor, das Urteil beruhe auf einer unzulässigen Absprache. Hierzu zitiert er eine Fundstelle einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. "Man" habe ihm im Hinblick auf eine versprochene Bewährung ein pauschales Geständnis abgenommen. Der "formlose Deal" sei "geplatzt", er habe deswegen Revision eingelegt. Daraufhin sei er damit "bedroht" worden, bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Untersuchungshaft bleiben zu müssen, anstatt in den Strafvollzug zu gelangen. Wegen dieser "Drohung" habe er die Revision zurückgenommen; die Rücknahme sei unwirksam. Die Verteidigerin habe sich damals schon geweigert, die Revision zu begründen.
Mit Schreiben vom 12. Juli 2013 hat er weiter ausgeführt, seine Verteidigerin habe ihm immer wieder versichert, wenn er ein pauschales Geständnis ablege, erhalte er eine Bewährungsstrafe. Nach Einlegung der Revision sei er gezielt darüber getäuscht worden, "dass eine Revision erfolgreich ist". Der Vorsitzende der Strafkammer und seine Verteidigerin hätten auf ihn eingeredet, es gäbe keinen Ansatz für eine Revisionsbegründung. Die Verteidigerin habe erklärt, das Rechtsmittel nicht begründen zu wollen. Sie habe zudem das Rechtsmittel ohne Vollmacht zurückgenommen. Jahrzehnte später habe er erfahren, dass sie dafür bekannt sei, Pflichtverteidigungen zu "sammeln" und nicht zu verteidigen. Mangels qualifizierter Rechtsmittelbelehrung laufe ohnehin keine Frist. Er beantrage daher Wiedereinsetzung hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist.
1. Die Revision des Angeklagten ist unzulässig.
a) Der Angeklagte hat sein Rechtsmittel wirksam zurückgenommen.
Die Zurücknahme der Revision durch den Angeklagten, die sich stets auf das Rechtsmittel des Verteidigers erstreckt - so dass es auf die Frage der ausdrücklichen Ermächtigung zur Rücknahme gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht mehr ankommt (BGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 - 3 StR 562/07 und vom 3. November 2011 - 2 StR 353/11) - ist unwiderruflich und unanfechtbar (BGH, Beschluss vom 16. März 2010 - 4 StR 572/09).
Schwerwiegende Willensmängel, für die die Rechtsprechung Ausnahmen von diesem Grundsatz in besonderen Fällen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 53; Beschluss vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885) anerkennt, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Tatsachenvortrag des Angeklagten belegt keine Täuschung oder sonst eine Einwirkung des Gerichts mit unlauteren Mitteln auf seine Rücknahmeentscheidung. Der Hinweis des Vorsitzenden auf die bis zur Rechtskraft fortdauernde Untersuchungshaft stellt keine objektiv unrichtige Erklärung dar (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 22). Da dieser Hinweis zudem schon keine Verknüpfung zwischen einer Haftentlassung und der Rücknahme herstellte, kommt es auf die Frage einer eklatant sachwidrigen Abhängigkeit nicht mehr an (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885).
Soweit der Angeklagte in seiner zweiten Eingabe zudem darauf abhebt, er sei über die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels getäuscht worden, behauptet er schon selbst keine Beeinflussung seiner Rücknahmeentscheidung hierdurch. Abweichend vom Schreiben vom 13. April 2013, in dem er die Rücknahme noch als alleinige Folge der Drohung mit der Fortdauer der Untersuchungshaft statt des Strafvollzugs darstellt, behauptet er nunmehr lediglich, seine Entscheidung sei auch durch die Erklärung der Verteidigerin beeinflusst gewesen, sie stehe für eine Revision nicht zur Verfügung.
Zwar behauptet der Angeklagte, dem Urteil habe eine unzulässige Absprache zugrunde gelegen. Jedoch liegt schon auf der Grundlage seines Vortrags ebenfalls keine Beeinflussung der Rechtsmittelrücknahme hierdurch vor. Vielmehr erklärt er, dass er auf das "Platzen des formlosen Deals" hin überhaupt Revision eingelegt habe. Schon aus diesem Grund geht auch sein Hinweis auf das Fehlen einer qualifizierten Rechtsmittelbelehrung fehl (vgl. zum Erfordernis BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 61; zu den Folgen BGH aaO S. 62 und Beschluss vom 1. Juli 2005 - 5 StR 583/03, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 27). Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag des Angeklagten eine unzulässige Absprache nicht trägt. So behauptet er schon nicht, dass ihm das Gericht zu irgendeinem Zeitpunkt eine Strafe bei einem bestimmten Aussageverhalten in Aussicht gestellt habe. Dass seine Verteidigerin in ihm die Erwartung geweckt haben soll, er bekomme eine Bewährungsstrafe, stellt keine Absprache dar. Soweit man seinen Ausführungen noch die Behauptung entnehmen möchte, bei der Haftbefehlsverkündung sei ihm von der Staatsanwältin zugesichert worden, bei einem Geständnis würde er entlassen, so bleibt offen, ob das Tatgericht hierüber Kenntnis hatte. Dies versteht sich nicht von selbst, da dieser Termin noch vor dem als Haftgericht zuständigen Amtsgericht Pforzheim stattfand. Im Übrigen lässt sich den für den Senat im Freibeweis zugänglichen Akten entnehmen, dass der Angeklagte keineswegs ein bloßes "Pauschalgeständnis" abgelegt hat. Seine geständigen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung umfassen 32 Seiten. Auch später hat der Angeklagte immer wieder durch umfangreiche schriftliche Eingaben zum Tatvorwurf Stellung genommen. Hierbei hat er sich auch im Rahmen von Haftprüfungsanträgen bzw. -beschwerden zu den Haftverhältnissen erklärt; von der Zusicherung einer Entlassung ist in keinem der zahlreichen Schreiben die Rede. Ein Motivirrtum über die Aussichten des Rechtsmittels ändert an der Unwiderruflichkeit der Rechtsmittelrücknahme nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 - 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341).
b) Das rechtswirksam zurückgenommene Rechtsmittel kann nicht erneuert werden (BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 1957 - 5 StR 52/57, BGHSt 10, 245, 247; vom 10. September 2009 - 4 StR 120/09, NStZ-RR 2010, 55).
2. Auch eine Wiedereinsetzung kommt nach der rechtswirksamen Rücknahme nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2000 - 3 StR 588/99, NStZ-RR 2000, 305 mwN). Eine Frist kann nur derjenige versäumen, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat. Wer von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, war nicht im Sinne des § 44 Satz 1 StPO verhindert (BGH, Beschluss vom 10. August 2000 - 4 StR 304/00, NStZ 2001, 160; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 44 Rn. 5).
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 930
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 381
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel