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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 780

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 403/23, Beschluss v. 17.04.2024, HRRS 2024 Nr. 780


BGH 1 StR 403/23 - Beschluss vom 17. April 2024 (LG München I)

Rücktritt vom Versuch (Rücktritt vom beendeten Versuch bei einem error in persona: Fehlschlag, Freiwilligkeit; Rücktritt vom Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts); schwere Körperverletzung (erforderliche Dauerhaftigkeit der schweren Folge).

§ 24 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; 23 Abs. 1 StGB; § 18 StGB; § 226 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein Rücktritt beim „error in persona“ ist bei einem beendeten Versuch möglich, wenn der Täter seine Verwechslung erst nach Vornahme der Tathandlung bemerkt und sich nunmehr erfolgreich um die Rettung seines verletzten Opfers bemüht. Ob der Täter von seinem Entschluss, dass eigentlich gewollte Tatopfer zu schädigen, abrückt, ist unerheblich.

2. Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er nicht durch zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird, sondern der eigenen autonomen Entscheidung des Täters entspringt, der Täter also „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Anders kann es sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde. Nicht maßgeblich für die Bewertung der Freiwilligkeit ist dagegen der bei Beginn der Tat bestehende Tatplan. Es gilt nicht die Tatplanperspektive, sondern der Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung.

3. Ein Rücktritt vom beendeten Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts ist grundsätzlich auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der Folge verhindert, nachdem er zunächst alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan hatte (vgl. BGHSt 64, 80 Rn. 21).

4. Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen von längerer Dauer sein. Diese „Langwierigkeit“ der schweren Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolgs; fehlt es hieran, ist der Tatbestand nicht vollendet. „Längere Dauer“ ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des - länger währenden - krankhaften Zustands nicht abgesehen werden kann. Andererseits kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist. Für die Beurteilung ist im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgebend (vgl. BGHSt 62, 36 Rn. 16).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 29. Juni 2023 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall C.II. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bestehen,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung (Fall C.II. der Urteilsgründe) in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung (Fall C.III. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Angeklagte wendet sich mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gegen diese Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte, Facharzt für Allgemeinchirurgie, sterilisierte am 10. März 2016 im Rahmen einer Operation zur Behebung eines beidseitigen Leistenbruchs den 17-jährigen unter Autismus leidenden P. Er ging aufgrund einer Personenverwechslung davon aus, G. zu operieren, bei dem zeitgleich zur Behandlung des Leistenbruchs eine Sterilisation durchgeführt werden sollte. Unmittelbar im Anschluss an den Eingriff erkannte der Angeklagte seinen Irrtum. Er legte die Personenverwechslung noch am selben Tag gegenüber der Mutter des Geschädigten P. offen und vermittelte sie am Folgetag an einen Spezialisten für Refertilisation. Zwei Wochen später konnte die Zeugungsfähigkeit des Geschädigten P. durch eine sechsstündige robotisch unterstützte Operation - nicht ausschließbar - wiederhergestellt werden. Am 14. April 2016 nahm der Angeklagte die Sterilisation des einwilligungsunfähigen G. mit Einwilligung von dessen Eltern vor. Diese waren u.a. für den Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“ als Betreuer ihres Sohnes bestellt. Ein Sterilisationsbetreuer (§ 1899 Abs. 2 BGB a.F.) war nicht bestellt worden; die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts für die Sterilisation (§ 1905 BGB a.F.) lag nicht vor.

. Das Landgericht ist zu Gunsten des Angeklagten im Fall C.II. der Urteilsgründe von einem Versuch der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB ausgegangen, da die schwere Folge - hier der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit - bei dem Geschädigten P. nicht ausschließbar nicht eingetreten sei. Von dem beendeten Versuch der absichtlichen schweren Körperverletzung sei der Angeklagte nicht strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten. Seine Bemühungen, den Eintritt der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit des Geschädigten P. zu verhindern, seien nicht als freiwilliges Abstandnehmen vom Tatplan im Sinne des § 24 StGB anzusehen, da sich dieser auf den Patienten G. bezogen und der Angeklagte seine Bemühungen entfaltet habe, nachdem er erkannt habe, dass er einem „error in persona“ unterlegen gewesen sei. Von seinem Entschluss, bei dem Geschädigten G. eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit herbeizuführen, sei er damit nicht freiwillig abgerückt.

II.

Die Verurteilung des Angeklagten im Fall C.II. der Urteilsgründe wegen versuchter schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 223 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB) zum Nachteil des P. hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Landgericht ist bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktritts von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Im Übrigen bleibt das Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

1. Zwar ist das Landgericht im Fall C.II. der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei von einem beendeten Versuch einer schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB zum Nachteil des P. ausgegangen. Jedoch hat es bei der Prüfung der Freiwilligkeit des Rücktritts einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt, indem es sich an dem Tatplan des Angeklagten und nicht am Tatbegriff des § 24 StGB orientiert hat.

a) Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht das Durchtrennen der beiden Samenleiter des P. rechtlich als beendeten Versuch einer absichtlichen schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 4, Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB gewertet.

aa) Die Tat wurde nicht vollendet. Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen von längerer Dauer sein. Diese „Langwierigkeit“ der schweren Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolgs; fehlt es hieran, ist der Tatbestand nicht vollendet (MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 226 Rn. 13; LK-StGB/Grünewald, 13. Aufl. 2023, § 226 Rn. 3). „Längere Dauer“ ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des - länger währenden - krankhaften Zustands nicht abgesehen werden kann. Andererseits kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist (BGH, Urteile vom 11. Mai 2023 - 4 StR 421/22 Rn. 14 und vom 23. Oktober 2019 - 5 StR 677/18 Rn. 22). Für die Beurteilung ist im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgebend (BGH, Urteil vom 7. Februar 2017 - 5 StR 483/16, BGHSt 62, 36 Rn. 16).

Diese Maßstäbe zugrundegelegt, fehlt es an dem Eintritt der schweren Folge, weil die Zeugungsfähigkeit des Geschädigten P. nach den Urteilsfeststellungen zwei Wochen nach der Vasektomie - nicht ausschließbar - wiederhergestellt werden konnte.

bb) Der Versuch ist nicht fehlgeschlagen (zum Fehlschlag: vgl. BGH, Urteile vom 3. Januar 2024 - 5 StR 406/23 Rn. 22 und vom 11. April 2018 - 2 StR 551/17 Rn. 10). Vielmehr hielt der Angeklagte die Vollendung der Tat weiterhin für möglich.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist „Tat“ im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB die Tat im sachlichrechtlichen Sinne, also die in den gesetzlichen Straftatbeständen umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg. Ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB setzt daher nur ein Abstandnehmen von bzw. eine Verhinderung der Vollendung dieses gesetzlichen Tatbestands voraus. Die vorherige Erreichung außertatbestandlicher Ziele ist unschädlich (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221 ff. Rn. 33). Dies gilt auch in den Fällen eines „sinnlos gewordenen Tatplans“ (BGH, Beschluss vom 14. November 2007 - 2 StR 458/07 Rn. 7 f.). Die „Tat“ im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB, deren Rücktritt hier in Rede steht, ist mithin - entgegen den Ausführungen des Landgerichts - nicht die beabsichtigte Sterilisierung des konkreten identifizierbaren Patienten, sondern allgemeiner die vom Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 4, Abs. 2 StGB umschriebene Verursachung der Zeugungsunfähigkeit einer Person. Diese „Tat“ war nicht fehlgeschlagen, sondern wäre - hätte der Angeklagte den Dingen seinen Lauf gelassen - zum Nachteil des P. zur Vollendung gelangt. Die Identität des Patienten betraf lediglich außertatbestandliche Motive des Angeklagten. Ob der Angeklagte von seinem Entschluss, den Patienten G. zu sterilisieren, (endgültig) abgerückt ist, ist somit unerheblich.

Dies wahrt auch den Opferschutz, weil für den Täter ein Anreiz geschaffen wird, die Tatvollendung nach Bemerken eines „error in persona“ noch aktiv zu verhindern (zum Gesichtspunkt des Opferschutzes beim Rücktritt vgl. auch: BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221 ff. Rn. 37; Urteil vom 20. April 2016 - 2 StR 320/15, BGHSt 61, 88 Rn. 10).

(2) Auch die Literatur hält einen Rücktritt beim „error in persona“ jedenfalls bei einem beendeten Versuch im Ergebnis für möglich, wenn der Täter seine Verwechslung erst nach Vornahme der Tathandlung bemerkt und sich nunmehr erfolgreich um die Rettung seines verletzten Opfers bemüht (LK-StGB/Murmann, 13. Aufl. 2021, § 24 Rn. 125; ders., JuS 2021, S. 385, 391; NK-StGB/Engländer, 6. Aufl. 2023, § 24 Rn. 24; Brand/Wostry, GA 2008, S. 611, 619 ff.; Brand/Kanzler, JA 2012, S. 37, 39; Rengier, Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 37 Rn. 24; Feltes, GA 1992, S. 395, 413). Hiervon abweichende Literaturstimmen, die im Falle des Bemerkens eines „error in persona“ durch den Täter stets einen Fehlschlag annehmen (vgl. Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30. Aufl. 2019, § 24 Rn. 11; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 24 Rn. 8; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 24 Rn. 11; ders., StV 2010, S. 320, 321; Heger/Petzsche, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 24 Rn. 21; Roxin, Strafrecht AT, Bd. II, § 30 Rn. 94 ff.; ders., JuS 1981, S. 1, 3; anders SK-StGB/Jäger, 9. Aufl. 2017, § 24 Rn. 22: fehlende Freiwilligkeit), verkennen den Tatbegriff im Sinne des § 24 StGB.

cc) Es lag ein beendeter Versuch vor, weil der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Samenleiter des P. nach seiner Vorstellung bereits alles Erforderliche getan hatte, um dessen Zeugungsunfähigkeit herbeizuführen. Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nach dieser letzten Ausführungshandlung nicht an einen Rücktritt dachte, weil er davon ausging, G. mit Einwilligung der Eltern zu sterilisieren und er dessen Zeugungsunfähigkeit auch herbeiführen wollte. Eine Rücktrittsperspektive ergab sich für ihn jedenfalls mit Erkennen des „error in persona“, weil hierdurch die erfolgte Sterilisation nachträglich unerwünscht wurde und der Angeklagte nun erstmals vor der Entscheidung stand, eine (dauerhafte) Zeugungsunfähigkeit des P. durch aktive Gegenmaßnahmen zu verhindern bzw. sich hierum ernsthaft zu bemühen oder den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11 Rn. 14).

dd) Der Angeklagte verhinderte die Vollendung des Delikts. Ein Rücktritt vom beendeten Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts ist grundsätzlich auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der Folge verhindert, nachdem er zunächst alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan hatte (BGH, Urteil vom 5. Juni 2019 - 1 StR 34/19, BGHSt 64, 80 Rn. 21). Die Aufdeckung der Tat gegenüber der Mutter des Geschädigten P. und deren Vermittlung an den Refertilisierungsexperten setzte eine neue Kausalkette in Gang, an deren Ende die - nicht ausschließbar erfolgreiche - Refertilisierung des Geschädigten stand. Damit hat der Angeklagte die am besten geeignete („optimale“) Rettungsmaßnahme ergriffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 2022 - 1 StR 270/22 Rn. 3 und vom 5. Juli 2018 - 1 StR 201/18 Rn. 10). Dabei ist unerheblich, dass der Angeklagte - was die Feststellungen nahelegen (UA S. 32 zum ersten Entwurf des Operationsberichts: „Komplikationen“ bei der Operation des Leistenbruchs) - unmittelbar nach der Tatentdeckung zunächst versuchte, seine Tat gegenüber der Zeugin P. zu verschleiern bzw. zu bagatellisieren, bis er die Tat dann umfassend offenbarte und den Geschädigten an einen Refertilisierungsexperten vermittelte. Verschleierungshandlungen des Täters schließen einen Rücktritt nicht aus, es sei denn - was hier nicht der Fall ist - die Verschleierung ist der alleinige Zweck und die Vollendungsverhinderung ist lediglich unbeabsichtigte und zufällige Folge dieser Verschleierungsbemühungen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2019 - 4 StR 514/18 Rn. 16; Urteil vom 5. Dezember 1985 - 4 StR 593/85 Rn. 8).

b) Jedoch hat das Landgericht bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktritts einen unzutreffenden Maßstab angelegt und deshalb weitere notwendige Feststellungen zur rechtlichen Beurteilung der Freiwilligkeit unterlassen.

aa) Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er nicht durch zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird, sondern der eigenen autonomen Entscheidung des Täters entspringt, der Täter also „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2023 - 4 StR 442/22 Rn. 8 und vom 7. Oktober 2021 - 1 StR 315/21 Rn. 10). Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Anders kann es sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (BGH, Urteile vom 14. Dezember 2022 - 1 StR 273/22 Rn. 10 und vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18 Rn. 8 f.). Nicht maßgeblich für die Bewertung der Freiwilligkeit ist dagegen der bei Beginn der Tat bestehende Tatplan. Es gilt nicht die Tatplanperspektive, sondern der Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung.

bb) Das Landgericht knüpft demgegenüber rechtsfehlerhaft an den Tatplan an, indem es ausführt, die Bemühungen des Angeklagten, den Eintritt der dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit des Geschädigten P. zu verhindern, seien nicht als freiwilliges Abstandnehmen vom Tatplan im Sinne des § 24 StGB anzusehen, weil sich dieser auf den Patienten G. bezogen und der Angeklagte die Bemühungen entfaltet habe, als er erkannt habe, dass er einem „error in persona“ unterlegen sei; damit aber sei er von seinem Entschluss, bei dem Geschädigten G. eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit herbeizuführen, nicht freiwillig abgerückt.

cc) Da das Landgericht - nach seinem rechtlichen Ansatz folgerichtig - keine Feststellungen zur Freiwilligkeit des Rücktritts im Hinblick auf den Versuch der schweren Körperverletzung zulasten des Geschädigten P. getroffen hat, ist dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Freiwilligkeitserfordernisses nicht möglich. In diesem Zusammenhang wird das neue Tatgericht insbesondere zu erörtern haben, ob der Angeklagte nach dem Hinweis einer Mitarbeiterin auf die Personenverwechslung noch eine eigene autonome Entscheidung treffen konnte, eine operative Wiederherstellung der Fortpflanzungsfähigkeit zu veranlassen, oder sich durch die Aufdeckung der Tat dazu gezwungen sah.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter schwerer Körperverletzung lässt zugleich die - von diesem Rechtsfehler nicht betroffene - Verurteilung wegen der tateinheitlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) entfallen. Der Wegfall der für diese Tat verhängten Einzelstrafe entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

Die bisherigen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können aufrecht erhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 780

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede