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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1274

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 677/18, Urteil v. 23.10.2019, HRRS 2019 Nr. 1274


BGH 5 StR 677/18 - Urteil vom 23. Oktober 2019 (LG Berlin)

Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen (Rücktrittshorizont; Gesamtbetrachtung; gedankliche Indifferenz des Täters; umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizont); schwere Körperverletzung aufgrund geistiger Krankheit (längere Dauer).

§ 24 StGB; § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont). Wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf.

2. Die Annahme eines unbeendeten Versuchs setzt gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass Umstände festgestellt werden, die die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten. Wahrnehmbare, laute Atemgeräusche des am Boden liegenden Tatopfers können einen solchen Umstand darstellen.

3. Eine sogenannte umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts kann zur Annahme eines beendeten Versuchs führen, wenn der den Todeseintritt nicht (mehr) für möglich haltende Täter in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Tathandlung erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat.

4. Eine „geistige Krankheit“ im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss - wie bei den anderen von § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen - von längerer Dauer sein. „Längere Dauer“ ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des - länger währenden - Krankheitszustands nicht abgesehen werden kann. Andererseits kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist. Entscheidungstenor Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 31. August 2018 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zielt mit der Sachrüge auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat festgestellt:

Der Nebenkläger gehörte wie der Angeklagte und der Zeuge D. einer Personengruppe an, innerhalb derer regelmäßig Alkohol im Übermaß getrunken wurde. Er war überzeugt, dass D. ihm im Juli 2017 bei einer Geburtstagsfeier 150 € gestohlen habe. Bei nachfolgenden Treffen forderte er ihn immer wieder zur Zahlung auf. D. wies die Forderung stets als unberechtigt zurück. Ungeachtet dessen trafen sich beide weiterhin und tranken miteinander. D. berichtete unter anderem seinen Bekannten K. und L. von den unberechtigten Zahlungsaufforderungen und seiner Angst vor dem ihm körperlich überlegenen und unter Alkohol aggressiven Nebenkläger.

Am Vormittag des 6. Februar 2018 kündigte der Nebenkläger dem Zeugen D. sein Kommen an und erneuerte aufgebracht die Zahlungsforderung. Dadurch bedrängt bat D. den Zeugen K. telefonisch um Hilfe, der ihn an den Angeklagten verwies. Der Nebenkläger erschien gegen Mittag in der Wohnung D. s. Nach anfänglich freundlicher Unterhaltung und gemeinsamem Alkoholkonsum verlangte er abermals energisch die Zahlung der 150 €, die D. erneut verweigerte. Telefonisch bat D. den Angeklagten um Hilfe, die dieser zusagte. Gegen 14:30 Uhr traf der Angeklagte in der Wohnung ein.

In der Folge tranken die drei Männer Alkohol. Nach einer weiteren Zahlungsforderung des Nebenklägers wies der „großgewachsene, hünenhafte“ Angeklagte diesen lautstark an, D. nicht weiter zu belangen, da er sonst Probleme mit ihm bekomme. Der Nebenkläger verließ daraufhin die Wohnung. Der Angeklagte und D. blieben und tranken weiter.

Gegen 20 Uhr kam der Nebenkläger zurück. Es wurde „in zunächst noch friedlicher Stimmung Alkohol“ getrunken. Dann verlangte der Nebenkläger ein weiteres Mal die 150 € und drohte D., dass er ihn bei Nichtzahlung schlagen werde. Alle Anwesenden waren mittlerweile stark alkoholisiert. In aggressiver Stimmung drängte der Nebenkläger gegen 22 Uhr von Neuem auf Zahlung. Darüber verärgert ergriff der aufgrund vorangegangenen Alkohol- und Amphetamin- sowie Medikamentenkonsums in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigte Angeklagte den sitzenden Nebenkläger am Hemdkragen, zog ihn hoch und versetzte ihm mindestens zwei heftige Faustschläge. Der Nebenkläger ging zu Boden und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen. Nun trat ihm der Angeklagte mit seinen beschuhten Füßen mindestens zweimal „von oben stampfend auf den Hinterkopf“, wobei er mit einer Stahlkappe verstärkte Arbeitsschuhe trug. Mögliche tödliche Folgen für den Nebenkläger erkannte er und nahm sie billigend in Kauf.

Nach den Tritten ließ der Angeklagte vom Nebenkläger ab, weil er sein Ziel erreicht hatte, ihn zur Ruhe zu bringen. Ihm war bewusst, dass der laut röchelnde Nebenkläger noch lebte. Er und D. setzten sich auf das Sofa und tranken weiter Bier. „Die Ernsthaftigkeit der Verletzungen des Zeugen nahmen die beiden aufgrund ihrer alkoholischen Beeinflussung nicht wirklich wahr“ (UA S. 14).

Der Zeuge K. hatte während der Tat in telefonischem Kontakt mit dem Angeklagten oder D. gestanden und Teile der Auseinandersetzung sowie Hilferufe des Nebenklägers über das Telefon mitverfolgt. Er alarmierte fernmündlich den Zeugen L., einen Nachbarn D. s. L. suchte nach eigener Heimkehr „kurz darauf“ die Wohnung D. s auf und fand den Nebenkläger am Boden liegend vor. Angesichts der „mittlerweile entstandenen Blutlache“ schrie er die Anwesenden an, ob sie „bescheuert“ seien, und fragte, ob sie schon die Rettung herbeigerufen hätten. Als er die Wohnung verlassen wollte, stellte der Angeklagte sich ihm in den Weg. Er „raunzte ihm halbherzig zu: ,Keine Bullen!‘“ und hielt die Wohnzimmertür zu. L. schubste den Angeklagten in einen Sessel und verließ die Wohnung. Um 22:19 Uhr setzte seine Ehefrau einen Notruf ab.

Der Nebenkläger erlitt schwere Kopfverletzungen. Am Boden liegend hatte er geringe Mengen Blut und/oder Mageninhalt in den rechten Lungenflügel eingeatmet. Es bestand akute Lebensgefahr.

Trotz mittlerweile erreichter erheblicher gesundheitlicher Fortschritte sind die kognitiven Fähigkeiten des Nebenklägers noch stark herabgesetzt. Es bestehen ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom mit unter anderem Orientierungsstörungen, einer Störung der Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Merkfähigkeit, einer Sprachverarbeitungsstörung und einem auffälligen, etwas schwankenden Gangbild. Er wird von seiner Verlobten bei den täglichen Anforderungen unterstützt. Erst nach einem bis eineinhalb Jahren wird beurteilt werden können, ob und inwieweit die Genesung vollständig gelingen kann und ob und gegebenenfalls welche bleibenden Folgen für die Gesundheit die Tat haben wird.

2. Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verurteilt. Aus Sicht des Angeklagten sei nach den Gewalthandlungen das Ziel erreicht gewesen, den Nebenkläger von weiteren Forderungen gegen D. abzuhalten. Aufgrund der lauten Atemgeräusche habe der Angeklagte erkannt, dass der Nebenkläger noch lebte. Die Blutlache habe sich „erst jetzt“ bis zum Erscheinen des Zeugen L. gebildet. Die Überzeugung, dass der Angeklagte über eine längere Zeit hinweg tatenlos zusehen würde, bis der Nebenkläger versterbe, habe sich die Schwurgerichtskammer nicht verschaffen können. Vielmehr sei nach dem Zweifelssatz zugrunde zu legen, dass der Angeklagte davon ausgegangen sei, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können. Eine andere Wertung folge nicht daraus, dass der Angeklagte sich dem herbeieilenden Zeugen L. in den Weg gestellt und ihm „halbherzig“ zugeraunt habe, er solle nicht „die Bullen“ informieren. Es sei offensichtlich gewesen, dass sich L. schon aufgrund seiner großen und athletischen körperlichen Erscheinung und seines energischen Auftretens nicht davon werde abhalten lassen, Rettungskräfte bzw. die Polizei zu informieren.

Eine schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer im Blick auf die seit der Tat erzielten erheblichen Verbesserungen des Gesundheitszustands des Nebenklägers sowie zu erwartender weiterer Fortschritte verneint.

3. Die Revision hat keinen Erfolg.

a) Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.

aa) Die Schwurgerichtskammer hat zutreffend den Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Urteile vom 12. November 1987 - 4 StR 12 13 14 15 16 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; vom 21. Februar 2018 - 5 StR 347/17, StV 2018, 711, 712). Wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 5 StR 347/17, aaO, mit zahlreichen Nachweisen).

bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem festgestellten Sachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 - 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704; Urteil vom 21. Februar 2018 - 5 StR 347/17, aaO) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt. Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters voraus, dass Umstände festgestellt werden, die die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand hat die Schwurgerichtskammer in wahrnehmbaren, lauten Atemgeräuschen des Nebenklägers gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, selbst wenn andere Schlüsse nähergelegen hätten (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179; vom 21. Februar 2018 - 5 StR 347/17, aaO).

cc) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist ein durchgreifender Rechtsfehler auch nicht darin zu erblicken, dass das Landgericht wegen der sich bildenden Blutlache nicht ausdrücklich die Möglichkeit einer sogenannten umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts erörtert hat. Eine solche kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Annahme eines beendeten Versuchs führen, wenn der den Todeseintritt nicht (mehr) für möglich haltende Täter in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Tathandlung erkennt, dass er sich insoweit (erneut) geirrt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 1998 - 5 StR 189/98, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12; vom 15. März 2018 - 4 StR 397/17, jeweils mwN).

Die Schwurgerichtskammer hat den von der Revision angesprochenen Umstand, zu dem die Staatsanwaltschaft keine Verfahrensrüge erhoben hat, nicht etwa übersehen. Auch weist das Urteil insofern keinen Erörterungsmangel auf. Denn das Landgericht vermochte schon nicht aufzuklären, mit welcher Geschwindigkeit sowie in welchem Ausmaß sich das Blut ausbreitete und welches Vorstellungsbild der Angeklagte insoweit unmittelbar nach der Tat hatte. Die Feststellung, dass der Angeklagte die Ernsthaftigkeit der Verletzungen des Nebenklägers aufgrund seiner alkoholischen Beeinflussung, die nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen noch durch die Wirkung von Amphetamin sowie eines wegen einer depressiven Erkrankung eingenommenen Medikaments (Mirtazapin) verstärkt worden war, „nicht wirklich“ wahrgenommen hat (UA S. 14), gibt unter solchen Vorzeichen keinen Anlass zu revisionsgerichtlicher Beanstandung.

b) Die Schwurgerichtskammer war auch nicht gehalten, ein versuchtes Tötungsdelikt durch Unterlassen oder durch Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs zu prüfen, weil der Angeklagte - nach Auffassung des Landgerichts zudem „halbherzig“ - versucht hatte, den Zeugen L. am Verlassen der Wohnung zu hindern. Denn aus den vorgenannten Gründen drängte sich (auch) im Zeitpunkt des Unterlassens von Rettungsmaßnahmen bzw. der Handlung gegenüber dem Zeugen L. - auch unter Berücksichtigung seiner Äußerung - der erforderliche Tötungsvorsatz nicht auf.

c) Die Ablehnung einer Strafbarkeit wegen schwerer Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist gleichfalls frei von durchgreifenden Rechtsfehlern.

Das vom Nebenkläger erlittene Psychosyndrom mit den dadurch verursachten Defekten erfüllt allerdings zumindest das Merkmal der „geistigen Krankheit“ im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2017 - 4 StR 317/17, NStZ 2018, 102, 103). In Rechtsprechung und Schrifttum besteht dabei Einigkeit, dass die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen von längerer Dauer sein müssen (vgl. etwa SSWStGB/Momsen-Pflanz/Momsen, 4. Aufl., § 226 Rn. 2; LKStGB/Grünewald, 12. Aufl., § 226 Rn. 3; MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 226 Rn. 7 ff., alle mit zahlreichen Nachweisen). Für den Folgenkatalog nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB ergibt sich dies aus dem Merkmal des „Verfallens“ (vgl. schon RGSt 12, 127, 128; 44, 59, 60; 72, 321, 322) sowie aus einem Vergleich mit den sonstigen Varianten des § 226 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2017 - 4 StR 317/17, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 3 StR 453/08). „Längere Dauer“ ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen (vgl. RGSt aaO; BGH, Urteil vom 24. Mai 1965 - 2 StR 173/65, MDR 1968, 17 [bei Dallinger]; LKStGB/Grünewald, aaO, § 226 Rn. 23). Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des - länger währenden - Krankheitszustands nicht abgesehen werden kann (vgl. RGSt jeweils aaO; BGH, Urteil vom 24. Mai 1965 - 2 StR 173/65, aaO; vom 22. Januar 1997 - 3 StR 522/96, NStZ 1997, 233; 234). Andererseits kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist (vgl. OLG Hamm, GA 1976, 304, 306; SSWStGB/Momsen-Pflanz/Momsen, aaO; MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 226 Rn. 12).

Nach diesen Maßstäben ist gegen die Wertung des Landgerichts rechtlich im Ergebnis nichts zu erinnern. Zwar konnte im Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch nicht mit Gewissheit beurteilt werden, ob der Nebenkläger wieder vollständig genesen oder ob und gegebenenfalls welche körperlichen Einschränkungen er haben wird. Die Feststellungen ergeben aber, dass bereits in den fünf Monaten nach der Tat bis zur Urteilsverkündung erhebliche Behandlungsfortschritte erzielt wurden. So war der Nebenkläger nicht mehr an einen Rollstuhl gebunden und konnte wieder selbständig gehen. Ferner war seine konzentrative Belastbarkeit bei geistiger Beanspruchung verbessert. Davon ausgehend haben der rechtsmedizinische Sachverständige und ihm folgend die Schwurgerichtskammer zugrunde gelegt, dass weitere Verbesserungen sicher zu erwarten sind. Aufgrund dessen konnte die Prognose gestellt werden, der Nebenkläger werde in absehbarer Zeit einen Zustand erreichen, bei dem der erforderliche Schweregrad der Krankheit nicht mehr erfüllt ist.

d) Das Urteil weist auch ansonsten keinen Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO). Insbesondere kann der Strafausspruch bestehen bleiben.

aa) Zwar hat das Landgericht bei der Strafrahmenwahl nicht - wie geboten (st. Rspr., vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1115 mwN) - ausdrücklich geprüft, ob der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB zur Annahme des minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung führen könnte. Darauf beruht das Urteil indessen nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Denn die Annahme eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB lag angesichts des überaus schweren Tatbildes und der gravierenden Folgen für den Nebenkläger auch in Anbetracht der beim Angeklagten angenommenen Schuldminderung denkbar fern.

bb) Soweit das angefochtene Urteil schließlich bei der Prüfung der Versagung einer Strafrahmenmilderung unter dem Blickwinkel der selbstverschuldeten Trunkenheit einen in Bezug auf die Alkoholisierung unzutreffenden rechtlichen Maßstab anwendet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17, BGHSt 62, 247, 253 ff.), hat sich dies nicht ausgewirkt. Denn die hierfür vom Großen Senat für Strafsachen entwickelten Grundsätze gelten nicht für illegale Drogen und rauschmittelhaltige Medikamente (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17, aaO, S. 271), unter deren Einfluss der Angeklagte bei der Tat aber auch gestanden hat.

e) Die Adhäsionsentscheidung steht, da allein die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, nicht zur Entscheidung des Senats.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1274

Externe Fundstellen: StV 2020, 83

Bearbeiter: Christian Becker