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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1028

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH,  , StB 35/24, Beschluss v. 26.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1028


BGH StB 35/24 - Beschluss vom 26. Juni 2024 (OLG Frankfurt am Main)

Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig (völlige Ungeeignetheit des Vorbringens des Ablehnenden; Erfordernis einer dienstlichen Äußerung); Ablehnung des Antrags auf Verteidigerwechsel (sofortige Beschwerde; Pflichtverteidigerbestellung; Störung des Vertrauensverhältnisses; Gewährleistung einer angemessenen Verteidigung; zusätzlicher Pflichtverteidiger).

§ 24 StPO; § 26 Abs. 3 StPO; § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO; § 143a StPO; § 144 StPO; § 304 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bringt ein Ablehnungsgesuch bereits beschiedenen Vortrag erneut vor, ist es schon aus diesem Grund offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung hängt dann nur noch von einer formalen Prüfung ab, die kein erneutes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert.

2. Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers kommt dem hierzu gemäß § 142 Abs. 3 StPO berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dessen Beurteilung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert, kann das Beschwerdegericht daher nur beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält; anderenfalls hat es sie hinzunehmen.

Entscheidungstenor

1. Die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schäfer sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg und Dr. Voigt werden verworfen.

2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Mai 2024 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist gegen den Angeklagten und weitere Mitangeklagte ein Strafverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer in Tateinheit mit Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens anhängig.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss vom 30. März 2023 dem Angeklagten mit dessen Zustimmung die Rechtsanwälte T. und A. als Pflichtverteidiger bestellt. Die Rechtsanwälte Dr. S. und G. sind als Wahlverteidiger mandatiert. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die im vorgenannten Beschluss vorgenommene Beiordnung von Rechtsanwalt T. hat der Senat durch Beschluss vom 15. August 2023 verworfen (StB 27/23).

Ein erstes Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 1. März 2024 anlässlich der Zwölfmonatshaftprüfung durch den Senat (AK 23/24) hatte dieser damit begründet, ihm sei in zwei vorangegangenen Haftfortdauerentscheidungen des Senats zu Unrecht angelastet worden, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 € fördern wollen oder gefördert. Dieses Gesuch hat der Senat durch Beschluss vom 18. März 2024 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2024 hat der Angeklagte beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt T. aufzuheben, da das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört sei. Auch sei die Verteidigung durch einen Pflicht- sowie einen weiteren Wahlverteidiger gesichert. Diesen Antrag hat das Oberlandesgericht durch Entscheidung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats vom 10. Mai 2024 abgelehnt. Zur Begründung hat es unter näherer Darlegung im Einzelnen ausgeführt, dass weder ein zerstörtes Vertrauensverhältnis noch eine grobe Pflichtverletzung des Pflichtverteidigers im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO vorliegen.

Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 14. Mai 2024 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgebracht, er habe den Beiordnungen in Unkenntnis der Tatsache zugestimmt, dass er im Verurteilungsfall beide Pflichtverteidiger bezahlen müsse; vor diesem Hintergrund werde die Zustimmung widerrufen. Die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers sei auch nicht erforderlich, da die Verteidigung durch den Wahlverteidiger Dr. S. gesichert sei.

Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 7. Juni 2024 den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schäfer sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg und Dr. Voigt wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er erneut ausgeführt, im Beschluss des Senats vom 20. März 2024 über die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer (AK 23/24) werde diesem zu Unrecht angelastet, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 € fördern wollen. Dass der Senat seine früheren Haftentscheidungen nicht korrigieren wolle, rechtfertige bei dem Beschwerdeführer die Besorgnis der Befangenheit der genannten Richter. Im Übrigen stütze sich der dringende Tatverdacht lediglich auf Mutmaßungen. Soweit im Haftfortdauerbeschluss Handlungen weiterer Beschuldigter genannt würden, fehle es an einer Darstellung dazu, dass dies dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sei. Ferner ignoriere der Beschluss, dass nach dem Ergebnis der Ermittlungen ein Strategiewechsel von einigen mutmaßlichen Mitgliedern der Vereinigung vollzogen worden sei. Danach habe die „Allianz“, die im Übrigen nicht existiere, die Erstürmung des Reichstagsgebäudes übernehmen sollen.

II.

Die Ablehnungsgesuche sind unzulässig.

1. a) Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juni 2019 - 2 BvR 910/10, juris Rn. 10; vom 27. April 2007 - 2 BvR 1674/06, BVerfGK 11, 62, 73; BGH, Beschlüsse vom 31. Oktober 2023 - StB 30/23, juris Rn. 9 mwN; vom 24. Februar 2022 - RiZ 2/16, juris Rn. 2 ff.; vom 9. Juli 2015 - 1 StR 7/15, juris Rn. 15; vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.; vom 15. November 2012 - 3 StR 239/12, juris Rn. 5; vom 1. Februar 2005 - 4 StR 486/04, NStZ-RR 2005, 173, 174).

Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Fall der Verwerfung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410, 3412; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.). Eine Begründung ist danach insbesondere dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN; vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.).

b) Ungeachtet dessen, ob oder gegebenenfalls inwieweit es zutrifft, dass der Angeklagte nicht an den Planungen zur Erstürmung des Reichstagsgebäudes beteiligt war (vgl. Beschluss des Senats vom 20. März 2024 - AK 23/24), liegt gemessen an den obigen Maßstäben eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, er halte die Haftfortdauerentscheidungen des Senats für falsch, an denen die abgelehnten Mitglieder mitgewirkt haben. Dieser Einwand ist - auch bei Anlegen eines strengen Maßstabes und zugleich wohlwollender Auslegung des Vorbringens des Beschwerdeführers - zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs im vorliegenden Verfahren offensichtlich ungeeignet. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich der Beschwerdeführer der Sache nach allein gegen die von den abgelehnten Richtern in den Entscheidungen vorgenommene Bewertung der Ermittlungsergebnisse und des hierauf beruhenden dringenden Tatverdachts wendet. Damit liefe das Verfahren der Richterablehnung der Sache nach auf eine Fehlerkontrolle hinaus, wozu es indes nicht dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 - 2 BvR 910/10, juris Rn. 15; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2022 - RiZ 2/16, juris Rn. 10 mwN).

2. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer lediglich ein im wesentlichen gleichlautendes Vorbringen wiederholt hat, über das der Senat in dem Verfahren AK 23/24 mit Beschluss vom 18. März 2024 bereits in der Sache entschieden hatte. Bringt ein Ablehnungsgesuch bereits beschiedenen Vortrag erneut vor, ist es schon aus diesem Grund offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung hängt dann nur noch von einer formalen Prüfung ab, die kein erneutes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2021 - 1 BvR 854/21, BVerfGE 159, 147, 148; vom 20. Dezember 2021 - 1 BvR 1170/21, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2022 - RiZ 2/16, juris Rn. 7; vom 25. Juni 2020 - 4 StR 654/19, juris Rn. 2; vom 9. Juli 2015 - 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter hat es bei dem Vorgehen nach § 26a StPO nicht bedurft. Denn sie sind gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO bei der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 - 2 BvR 910/10, juris Rn. 16 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 26 Rn. 14).

III.

Die gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO statthafte, fristgerechte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) hat den Antrag auf Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt T. zu Recht abgelehnt. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen besteht kein Anlass zur Aufhebung der Verteidigerbeiordnung gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO.

1. a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet ist. Mit dieser am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Vorschrift (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134) sollten zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel normiert werden. Deshalb kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 48). Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 - StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 6 f. mwN).

b) Daran gemessen ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein Grund für eine Rücknahme der Verteidigerbestellung. Aus den zutreffenden und auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens fortgeltenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die Bezug genommen wird, ist weder von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen, noch ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung erkennbar (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Ergänzend ist nur Folgendes auszuführen:

aa) Es ist schon nicht ersichtlich, dass die behauptete Unkenntnis des Angeklagten von seiner Kostentragungspflicht für die angefallenen Pflichtverteidigergebühren eine grobe Pflichtverletzung von Rechtsanwalt T. darstellt. Hinzu kommt, dass der Angeklagte Rechtsanwalt T. zuvor selbst bevollmächtigt hatte. Dem Angeklagten war damit bewusst, dass er für dessen Tätigkeit als Wahlverteidiger honorarpflichtig ist. Die nachfolgende Beiordnung wurde sodann mit Zustimmung des Angeklagten vorgenommen. Hierdurch ist er auch vor dem Hintergrund nicht beschwert, dass er etwaig zu einem späteren Zeitpunkt mit den Kosten des Pflichtverteidigers belastet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2023 - StB 27/23).

bb) Der weiterhin behauptete Umstand, Rechtsanwalt T. habe hohe Honorarforderungen gestellt und seine Tätigkeiten als Wahlverteidiger später überhöht abgerechnet, begründet weder einen Vertrauensverlust noch eine grobe Pflichtverletzung. Zwar kommt die Zurücknahme der Beiordnung wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses in Betracht, wenn der Pflichtverteidiger den Angeklagten ungeachtet dessen erklärter Ablehnung wiederholt bedrängt, eine schriftliche Vereinbarung über ein Honorar abzuschließen, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigen würde, und hierbei zum Ausdruck bringt, ohne den Abschluss dieser Vereinbarung sei seine Motivation eingeschränkt, für den Angeklagten tätig zu werden (vgl. KG, Beschluss vom 23. Januar 2012 - 4 Ws 3/12, StV 2013, 142, 143; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 143a Rn. 12). Indes ist dem Vortrag des Angeklagten bereits ein derartiges pflichtwidriges Verhalten von Rechtsanwalt T. nicht zu entnehmen. Dessen Honorarforderungen standen zudem im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Wahlverteidiger und lagen zeitlich vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger.

cc) Ferner rechtfertigen die vom Angeklagten vorgetragenen Umstände zum Schließfach in der Sch. nicht die Rücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt T. Dass sich dieser zumindest vorübergehend gehindert sah, auf Wunsch des Angeklagten und seines Wahlverteidigers den Schlüssel für das Schließfach an den Sohn des Angeklagten auszuhändigen, erscheint in der konkreten Konstellation vertretbar. Im Übrigen gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Pflichtverteidiger von der Unrichtigkeit seiner Angaben überzeugt war, das Schließfach sei von den Ermittlungsbehörden aufgebohrt worden.

2. Die Bestellung von Rechtsanwalt T. zum Pflichtverteidiger ist auch nicht gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufzuheben, weil der Angeklagte mit Rechtsanwalt Dr. S. einen anderen Verteidiger gewählt hat. Denn es begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts die Aufrechterhaltung der Beiordnung von Rechtsanwalt T. als Pflichtverteidiger gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO aus den Gründen des § 144 StPO weiterhin für erforderlich gehalten hat.

a) Nach § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2024 - StB 19/24, NStZ-RR 2024, 178, 179; vom 5. Mai 2022 - StB 12/22, juris Rn. 12; vom 24. März 2022 - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers kommt dem hierzu gemäß § 142 Abs. 3 StPO berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dessen Beurteilung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert, kann das Beschwerdegericht daher nur beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält; anderenfalls hat es sie hinzunehmen (vgl. zur Fallkonstellation der Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 - StB 12/22, juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 18).

b) Gemessen daran ist gegen das Vorgehen des Vorsitzenden nichts zu erinnern. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Erörterung des § 144 StPO in den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich jedoch, dass der Vorsitzende die Verfahrenssicherung im Blick gehabt und nach den dargelegten Maßstäben keinen Anlass gesehen hat, Rechtsanwalt T. zu entpflichten. Der Vorsitzende ist im Rahmen der Beurteilung des Entpflichtungsgrundes nach § 143a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO auf entsprechende sachliche Gesichtspunkte eingegangen. Seine daraus hervorgehende Wertung, die Rechte des Angeklagten an einer effektiven Verteidigung (s. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK) geböten aufgrund des außergewöhnlich umfangreichen und schwierigen Verfahrens die Bestellung von zwei Pflichtverteidigern neben dem Wahlverteidiger, überschreitet den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht und ist frei von Ermessensfehlern.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1028

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede