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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 99

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 239/12, Beschluss v. 15.11.2012, HRRS 2013 Nr. 99


BGH 3 StR 239/12 - Beschluss vom 15. November 2012 (LG Wuppertal)

Mitwirkung eines Richters im Präsidium bei Entscheidungen im Zusammenhang mit der sogenannten Vorsitzendenkrise kein Ablehnungsgrund; Anhörungsrüge (fehlende Angabe von Gründen für Entscheidung kein zwingendes Indiz für Verletzung rechtlichen Gehörs).

§ 26a StPO; Art. 103 Abs. 1 GG; § 356a StPO

Entscheidungstenor

Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Bundesgerichtshof Pfister wird verworfen.

Die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen den Senatsbeschluss vom 18. September 2012 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 18. September 2012 hat der Senat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 22. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen und auf die Rüge, der Senat sei - infolge des Beschlusses des Präsidiums des Bundesgerichtshofes vom 28. Juni 2012, mit dem dem Vorsitzenden des erkennenden Senats, Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Becker, zusätzlich der Vorsitz des 2. Strafsenats übertragen worden ist - nicht ordnungsgemäß besetzt, unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2012 (2 BvR 610/12 u.a., NJW 2012, 2334) zusätzlich ausgesprochen, dass der Senat ordnungsgemäß besetzt ist. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Anhörungsrüge des Verurteilten, die in der Sache im Wesentlichen beanstandet, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei bei der Entscheidung über die Besetzungsrüge verletzt, da diese ohne weitere Begründung zurückgewiesen worden ist. Desweiteren sei ihm die (veränderte) Besetzung der zur Entscheidung über sein Rechtsmittel zuständigen Spruchgruppe des Senats nicht mitgeteilt worden.

Zugleich hat der Verurteilte im Anhörungsrügeverfahren - wie schon im Revisionsverfahren - Richter am Bundesgerichtshof Pfister wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er - wie ebenfalls bereits im Revisionsverfahren - im Wesentlichen geltend gemacht, dass wegen der Mitwirkung des abgelehnten Richters als Mitglied des Präsidiums an dessen - „offensichtlich rechtswidrigen“ - Beschlüssen zur Geschäftsverteilung vom 15. Dezember 2011 und vom 28. Juni 2012 sowie infolge seiner Teilnahme an den - „von Anfang an rechtswidrigen“ - Anhörungen von Richtern des Bundesgerichtshofes durch das Präsidium vom 15. Dezember 2011 und vom 18. Januar 2012 „ein vernünftiger Angeklagter“ besorgen müsse, „dass Herr RiBGH Pfister auch in anderen Situationen, insbesondere in Beratungen im dritten Senat ... über einen Besetzungseinwand gegen den doppelten Vorsitzenden, eine vergleichbare Haltung einnehmen und ein offensichtlich rechtswidriges Verhalten nicht unterbinden werde, sowie dass er unzulässigen Einflussnahmen auf die richterliche Entscheidungsfindung nicht hinreichend entgegentreten“ werde. Der abgelehnte Richter biete aus diesen Gründen auch keine ausreichende Gewähr dafür, „dass in dem Revisionsverfahren des Angeklagten auch hinsichtlich der Besetzungsfrage ausschließlich rechtmäßig gearbeitet“ werde. Ein vernünftiger Angeklagter müsse besorgen, „dass - wenn bereits mit Kollegen ein derartiges Vorgehen akzeptiert und mit der eigenen Stimme zustimmend unterstützt“ werde - „ein Angeklagter dann erst recht keinen fairen Umgang erwarten“ dürfe.

II.

1. Die Ablehnung von Richter am Bundesgerichtshof Pfister ist als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch des Verurteilten verspätet und deshalb unstatthaft ist. Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege - wie hier gemäß § 349 Abs. 2 StPO -, so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Etwas anderes gilt grundsätzlich auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einer Anhörungsrüge gemäß § 356a StPO verbunden wird, die sich jedoch - wie hier (s. unten 2.) - deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Denn § 356a StPO verfolgt allein den Zweck, dem Revisionsgericht, das in der Sache entschieden hat, Gelegenheit zu geben, im Falle eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör diesem Mangel durch erneute Sachprüfung selbst abzuhelfen, und hierdurch die Notwendigkeit eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu vermeiden. Dagegen dient er nicht dazu, einem unzulässigen Ablehnungsgesuch durch die unzutreffende Behauptung einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG doch noch Geltung zu verschaffen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - 3 StR 425/06, NStZ 2007, 416, 417 mwN; BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2007 - 2 BvR 746/07; LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., § 26a Rn. 37). Ob Entsprechendes gilt, wenn - wie vorliegend - die Ablehnung im Anhörungsrügeverfahren gegen einen Richter angebracht wird, der - aus denselben Gründen - schon im Revisionsverfahren abgelehnt worden, indes (hier: wegen Urlaubs) nicht an der Revisionsentscheidung beteiligt gewesen ist, kann jedoch dahinstehen.

Denn das Ablehnungsgesuch des Verurteilten ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil in ihm entgegen § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO kein Grund zur Ablehnung angegeben ist. Eine völlig ungeeignete Begründung steht dabei rechtlich einer fehlenden Begründung gleich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 26a, Rn. 4a mwN; BGH, Beschlüsse vom 4. Januar 1989 - 3 StR 398/88, vom 24. Oktober 1996 - 5 StR 474/96, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 2 und 7 sowie vom 1. Februar 2005 - 4 StR 486/04, NStZ-RR 2005, 173, 174). So verhält es sich hier: Die Tätigkeit des abgelehnten Richters in seiner Eigenschaft als Mitglied des Präsidiums des Bundesgerichtshofes ist - auch bei Anlegen eines strengen Maßstabes und zugleich wohlwollender Auslegung des Vorbringens des Verurteilten - zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs im vorliegenden Verfahren offensichtlich gänzlich ungeeignet. Ungeachtet der - auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - unzutreffenden Bewertungen der herangezogenen Präsidiumstätigkeiten des Richters entbehrt der allein aus diesen gezogene Schluss auf seine Voreingenommenheit gegenüber dem Verurteilten jeden sachlichen Bezugs und ist in keiner Weise nachvollziehbar.

Den Anträgen des Verurteilten, ihm die zur Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch berufenen Richter (vorab) namhaft zu machen sowie seiner Verteidigerin die dienstliche Erklärung des abgelehnten Richter zuzuleiten und dieser vor einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu zu geben, war demgemäß nicht nachzukommen: § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO findet keine Anwendung, wenn das Ablehnungsgesuch ohne Ausscheiden der abgelehnten Richter (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) gemäß § 26a Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 5 6 55. Aufl., § 24 Rn. 21; BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - 3 StR 425/06, NStZ 2007, 416, 417). Der senatsinterne Geschäftsverteilungsplan ist dem Verurteilten bekannt.

2. Die Anhörungsrüge (§ 356a StPO) ist zurückzuweisen, weil der Anspruch des Verurteilten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt worden ist.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung über die Revision zum Nachteil des Verurteilten weder Verfahrensstoff verwertet, zu dem dieser nicht gehört worden ist, noch hat er Vorbringen des Verurteilten übergangen. Dem Senat lagen bei seiner Entscheidung alle Schriftsätze der Verteidigerin vor und waren Gegenstand der Beratung. Der Senat hat insbesondere die in der Revisionsbegründung, der Gegenerklärung sowie in allen anderen Schriftsätzen enthaltenen Ausführungen zur Kenntnis genommen, bei seiner Beratung umfassend erwogen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Dies gilt uneingeschränkt auch für die im Revisionsverfahren erhobene Besetzungsrüge. Aus dem Umstand, dass der Senat deren Erfolglosigkeit nicht näher begründet hat, kann - entgegen der Ansicht des Verurteilten - nicht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs geschlossen werden; denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94, BVerfGE 96, 205, 216). So war es auch hier. Die bloße Mitteilung des Beratungsergebnisses steht im Übrigen in Einklang mit dem - auch verfassungsrechtlich unbedenklichen - Grundsatz, dass eine weitergehende Begründungspflicht für letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen nicht besteht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 7 8 55. Aufl., § 34 Rn. 1 mwN; BGH, Beschluss vom 11. August 2009 - 3 StR 131/09, wistra 2009, 483, 484; BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07, StraFo 2007, 463). Eine Ausnahme hiervon ist vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass dies erst recht gilt, wenn - wie hier - das Vorbringen schon von seinem sachlichen und rechtlichen Gehalt her keinen Anlass bietet, die Entscheidung näher zu begründen. Zu einer Mitteilung der Senatsbesetzung vor der Revisionsentscheidung bestand ebenfalls kein Anlass (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2006 - 5 StR 589/05, NStZ 2007, 538, 539 und vom 17. Juli 2012 - 5 StR 33/12). Die Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofes und die des Senates waren dem Verurteilten im Übrigen bekannt.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 99

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 153

Bearbeiter: Christian Becker