HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1123
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 178/20, Beschluss v. 06.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1123
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin bestand seit Sommer 2018 eine Beziehung, bis dieser im Oktober 2018 bekannt wurde, dass der Angeklagte eine feste Lebensgefährtin mit drei gemeinsamen Kindern hatte. Es kam in der Folge nur noch zu unregelmäßigen Treffen. Am Morgen des 16. Juni 2019 erfuhr die Lebensgefährtin des Angeklagten von der Frau dessen Bruders, dass dieser mehrere Affären unterhielt, unter anderem auch mit der Nebenklägerin. Der Angeklagte hegte den Verdacht, dass die Nebenklägerin mit seiner Lebensgefährtin gesprochen und ihn verraten haben könnte oder dies womöglich noch geschehen könnte. Er nahm deshalb im Laufe des 18. Juni 2019 telefonisch sowie per WhatsApp Kontakt zur Nebenklägerin auf. Diese sandte ihm ein Bild auf sein Mobiltelefon, das sie mit einem Mann zeigte, den sie kurz vorher kennengelernt hatte, damit der Angeklagte dieses quasi als Alibi herumzeigen könne. Der Angeklagte reagierte eifersüchtig und wurde wütend. Er forderte die Nebenklägerin per WhatsApp am 19. Juni 2019 um 1.24 Uhr auf, ihn anzurufen. In dem folgenden Telefonat verlangte der Angeklagte von der Nebenklägerin, in seine Bar nach A. zu kommen.
Als die Nebenklägerin am 19. Juni 2019 kurz vor 3.00 Uhr in seiner Bar eintraf, war der Angeklagte immer noch wütend und machte der Nebenklägerin Vorhaltungen. In der Folge schlug der Angeklagte die Nebenklägerin in und vor seiner Bar mit der flachen Hand bis zu zehnmal ins Gesicht und drückte ihr auch zweimal mit der Hand gegen den Hals, ohne sie jedoch zu würgen. Als die Nebenklägerin nach Hause gehen wollte, bestand der Angeklagte darauf, im nahegelegenen Park weiterzureden. Er fasste die Nebenklägerin am rechten Arm und zog sie in die nahe gelegene Parkanlage am H. -Ufer. Als beide nach 50 bis 60 Metern an einer Parkbank angekommen waren, setzte sich der Angeklagte hin und forderte die Nebenklägerin auf, die Unterhose unter ihrem Minirock auszuziehen. Da die Nebenklägerin mit ihm keinen Sex haben wollte, ergriff er sie am Arm und an den Haaren und drohte mit Schlägen, wenn sie nicht mitmache. Daraufhin zog sie ihre Unterhose aus. Er packte sie erneut am Arm und an den Haaren und zwang sie dadurch auf seinen Schoss. Er vollzog gegen ihren erkennbaren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Nach einiger Zeit forderte der Angeklagte die Nebenklägerin auf, jetzt aufzustehen. Danach schob er die Nebenklägerin an das im Bereich dieser Bank befindliche Geländer des dort fließenden H. s und bugsierte sie so vor das Geländer, dass sie mit gebeugtem Oberkörper vor dem Geländer stand und die Unterarme auf dem Geländer abstützte. In dieser Position drang der Angeklagte wiederholt mit seinem erigierten Glied vaginal und auch anal in sie ein, während sie ihn aufforderte, sie in Ruhe zu lassen. Als ein Ehepaar, welches sein Schlafzimmer direkt gegenüber dem Ort des Geschehens hatte, nur getrennt durch den H., auf die Äußerungen der Nebenklägerin aufmerksam wurde, öffneten diese die Jalousien und bemerkten den Angeklagten und die Nebenklägerin. Auf die Aufforderung des Nachbarn, man solle die Schweinerei unterlassen und jetzt Ruhe geben, ging die Nebenklägerin aus Scham in das angrenzende blickdichte Gebüsch, wohin ihr der Angeklagte folgte; dort drang er erneut gegen ihren Willen in sie ein. Da es bereits hell geworden war und sich ein Spaziergänger mit seinem Hund näherte, ließ der Angeklagte - ohne zum Samenerguss gelangt zu sein - von der Nebenklägerin ab und ließ sich von ihr nach Hause fahren.
2. Der Angeklagte räumt den äußeren Sachverhalt im Wesentlichen ein. Auch habe er der Nebenklägerin vor der Gaststätte maximal vier Ohrfeigen versetzt, wobei es sich jedenfalls nicht um leichte Schläge gehandelt habe. Man habe sich dann aber gleich wieder versöhnt und sei dann in den Park gegangen, wo es einvernehmlichen „Versöhnungssex“ gegeben habe. Das Landgericht folgt im Rahmen seiner umfangreichen Beweiswürdigung den Angaben der Nebenklägerin, dass sie keine Sexualkontakte wollte und dass sie während des gesamten Vorfalls gegenüber dem Angeklagten immer wieder verbalisiert und ihn auch aufgefordert habe, von ihr abzulassen.
Der Schuldspruch hält einer sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt. Allerdings bestehen besondere Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht - wie hier - seine Feststellungen zum Einverständnis zum - vom Angeklagten eingeräumten - Geschlechtsverkehr allein auf die Angaben der Geschädigten stützt. In einer solchen Konstellation, in der die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, ob das Gericht den Angaben des einzigen Belastungszeugen folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegung einbezogen hat (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - 1 StR 612/19 Rn. 4; vom 18. März 2020 - 1 StR 67/20 Rn. 7; vom 5. April 2016 - 1 StR 53/16 Rn. 3 und vom 20. April 2017 - 2 StR 346/16 Rn. 6).
b) Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht sämtliche sich aus dem Abgleich von Feststellungen und Beweiswürdigung ergebenden Widersprüche aufgeklärt, die Beweiswürdigung bleibt damit lückenhaft.
aa) Nach der Aussage der Nebenklägerin, welche das Landgericht seinen Feststellungen zugrunde gelegt hat, habe sie der Angeklagte nach dem Geschlechtsakt auf der Parkbank an das Geländer geschoben und dort fixiert (UA S. 11). Solches haben die beiden Nachbarn indes nicht beobachtet; vielmehr soll nach deren Aussagen der Angeklagte „mit heruntergelassener Hose und erigiertem Glied“ neben der Nebenklägerin gestanden haben und auf die Geschädigte „zugewatschelt“ sein (UA S. 37 dritter Absatz). Mit diesen zentralen Details der Zeugenaussagen hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Auch bleibt insoweit offen, welche Distanz zwischen dem Geländer am H. und der Wohnung der beiden Zeugen auf der gegenüberliegenden Seite bestand sowie ob für die Nebenklägerin eine Möglichkeit bestand, durch das Eingreifen der Zeugen Hilfe zu verständigen.
bb) Auch innerhalb der Aussage der Nebenklägerin selbst finden sich Widersprüche: So soll der Angeklagte sie ihrer zweiten polizeilichen Vernehmung zufolge in das Gebüsch geschoben haben (UA S. 23). Mit der Frage, ob die Aussagekonstanz damit aufgrund des Widerspruchs zu den übrigen Angaben, sie sei „in das Gebüsch gegangen“ (UA S. 26), erschüttert war, hat sich das Landgericht in seiner „Konstanzanalyse“ (UA S. 32 ff.) nicht auseinandergesetzt.
Desgleichen bleibt unerörtert, dass die Nebenklägerin in der ersten polizeilichen Vernehmung angegeben hat, der Angeklagte habe sie in der Bar, weil er so sauer gewesen sei, in die Lippe gebissen (UA S. 20 f.), und in der zweiten polizeilichen Vernehmung, er habe sie in den Mundwinkel gebissen (UA S. 22). Daran habe sie sich bei den nachfolgenden Vernehmungen nicht mehr erinnern können. Ob dies bei einem derart relevanten Umstand des Kerngeschehens plausibel ist, hat das Landgericht nicht erörtert; es hat im Gegenteil dies als einen Gesichtspunkt für die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage gewertet, weil sie den Angeklagten nicht über Gebühr belasten wollte (UA S. 44).
2. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird, sollte es sich wiederum von den Tatvorwürfen überzeugen, sorgfältig zu prüfen haben, ob tatsächlich zwischen dem Geschehen in bzw. vor der Bar und dem zeitlich nachfolgenden und 50 bis 60 Meter von dort räumlich entfernten Geschehen im Park eine natürliche Handlungseinheit anzunehmen ist. Allein der innere Wille des Angeklagten vermag zwei äußere Geschehen nicht zur Tateinheit zu verbinden, zumal nicht einmal festgestellt ist, dass der Angeklagte von vornherein die Durchführung des Geschlechtsverkehrs beabsichtigte. Ebenso bedarf es einer genaueren Darlegung, zu welchen konkreten Gewaltanwendungen es seitens des Angeklagten zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs gekommen ist. Dies muss abgegrenzt werden von solchen körperlichen Einwirkungen auf die Nebenklägerin, die in Ausführung des Geschlechtsakts an sich erfolgten und im übrigen teilweise bei früheren (einvernehmlichen) Sexualkontakten praktiziert wurden. In die Gesamtwürdigung wird auch einzubeziehen sein, ob ein Eingreifen der Zeugen über den Bach hinweg in Betracht gekommen wäre, wenn sie etwa von der Nebenklägerin um Hilfe oder das Verständigen von Hilfe gebeten worden wären.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1123
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 184
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede