HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 799
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 149/22, Beschluss v. 29.11.2022, HRRS 2023 Nr. 799
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 18. November 2021
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass in den Fällen II. 2. e) bis j) der Urteilsgründe (Taten zu Ziffern 6, 7, 8, 11, 13 und 14) jeweils die tateinheitliche Verurteilung wegen Urkundenunterdrückung entfällt, sowie
b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Rechtsbeugung in zehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in sechs Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensbeanstandungen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
I. Der Schuldspruch in den Fällen II. 2. a) bis d) der Urteilsgründe (Fälle 1 bis 4) wegen Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB in vier Fällen, im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe (Fall 1) in Tateinheit mit Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Das Landgericht hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagte war Richterin auf Lebenszeit am Amtsgericht L. Ihr Dezernat umfasste im Tatzeitraum von 2016 bis 2020 nach der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Straf- und Bußgeldverfahren sowie Familiensachen.
a) In der Hauptverhandlung am 27. Oktober 2017 verurteilte die Beschwerdeführerin in einer Strafsache den abwesenden dort Angeklagten zu einer Geldstrafe. Als sie spätestens im März 2018 aufgrund einer Anfrage der Staatsanwaltschaft bemerkte, kein Urteil zu den Akten gebracht zu haben, beschloss sie, dieses Versäumnis zu verschleiern (Fall 1). Sie tauschte daher zwei Seiten des fertiggestellten Hauptverhandlungsprotokolls gegen selbst gefertigte Seiten aus und entfernte die Anlage mit dem Urteilstenor, wodurch das manipulierte Protokoll dem Geschehen in der Hauptverhandlung zuwider mit einem Beschluss über deren Aussetzung endete.
Diesen unzutreffenden Verfahrensstand gab die Angeklagte auch gegenüber einem Dezernenten der Staatsanwaltschaft vor, deren Sitzungsvertreter inzwischen pensioniert worden war. Sie setzte das erstinstanzliche Strafverfahren fort, indem sie am 26. April 2019 in Anwesenheit des Angeklagten eine Hauptverhandlung durchführte. Sie setzte diese aus und beschloss im Mai 2019, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zu einem weiteren, bereits zweimal verlegten Hauptverhandlungstermin kam es aufgrund der Erkrankung der Beschwerdeführerin ab August 2020 nicht mehr. Ihr Dezernatsnachfolger stellte im November 2020 das Urteil vom 27. Oktober 2017 ohne Gründe zu. Das von dem Angeklagten angerufene Berufungsgericht stellte das Verfahren ein (§ 153 Abs. 2 StPO).
b) In drei weiteren Strafverfahren verurteilte die Beschwerdeführerin die dort Angeklagten zu Freiheits- oder Geldstrafen; gegen einen Angeklagten setzte sie außerdem einen Haftbefehl wieder in Vollzug. Alle Angeklagten legten gegen ihre Verurteilung Rechtsmittel ein. Nachdem die Beschwerdeführerin jeweils bemerkt hatte, das Urteil nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gebracht zu haben, entschloss sie sich, dieses Versäumnis zu verschleiern und den Eindruck zu erwecken, die Urteilsabsetzungsfrist eingehalten zu haben (Fälle 2 bis 4).
Im Fall 2 datierte sie die Zustellungsverfügung für das von ihr „um den 6. April 2018“ auf den Abtrag gelegte Urteil auf den 9. März 2018 als den letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist zurück. Es ging - wie dort vermerkt - am 9. April 2018 auf der Geschäftsstelle ein. Mit seinem als Revision durchgeführten Rechtsmittel rügte der Angeklagte einen Verstoß gegen § 338 Nr. 7 StPO. Daraufhin erklärte die Beschwerdeführerin in zwei dienstlichen Stellungnahmen wahrheitswidrig, sich an Besonderheiten beim Abfassen des Urteils nicht zu erinnern; sie verwies auf das von ihr in der Verfügung niedergelegte Datum, an dem auch die Datei mit dem selbst gefertigten Urteil erstellt worden sei. Zudem beschrieb sie als ihr übliches Vorgehen, die Urteile unmittelbar nach Fertigstellung zu unterschreiben und in den Geschäftsgang zu geben, indem sie die Akten zum Abtragen bereitlege. Der Angeklagte nahm die Revision zurück, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft - unter Bezugnahme auf die dienstlichen Stellungnahmen der Beschwerdeführerin - die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt hatte.
Ferner datierte die Angeklagte im Fall 3 ihre unter den Urteilsgründen angebrachte Verfügung, eine Abschrift des erst am 21. Juni 2018 und damit etwa drei Monate zu spät zu den Akten gelangten Urteils anzufertigen, auf den 9. März 2018 zurück. Auf dessen Rückseite vermerkte sie unter dem 11. Juni 2018 außerdem, das Urteil sei rechtzeitig abgefasst und lediglich versäumt worden, die Zustellung zu verfügen. Der dort Angeklagte nahm seine Berufung schließlich zurück.
Im Fall 4 datierte die Angeklagte im Februar 2020 die Zustellungsverfügung für das Urteil, welches bis zum 18. Oktober 2019 hätte vorliegen müssen, sowie die „am Schluss des Urteils“ unter Ziffer II. beigefügte Verfügung, eine Abschrift des Urteils zu Ziffer I. zu fertigen, auf den 18. September 2019 zurück. Überdies legte sie die Akten auf der Geschäftsstelle in ein falsches Aktenfach, um einen Fehler des Geschäftsstellenbeamten vorzutäuschen. Dieser fand die Strafakten am 25. Februar 2020 auf und vermerkte im Rubrum des Urteils den Eingang auf der Geschäftsstelle an diesem Tag. Das Berufungsgericht stellte das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO ein.
2. Diese Feststellungen tragen jeweils die Verurteilung der Angeklagten wegen Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB.
a) Als Tathandlung einer Rechtsbeugung kommen nur elementare Rechtsverstöße in Betracht. Die Schwere des Unwerturteils wird dadurch indiziert, dass Rechtsbeugung als Verbrechen eingeordnet ist und im Falle der Verurteilung das Richter- oder Beamtenverhältnis des Täters gemäß § 24 Nr. 1 DRiG, § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG kraft Gesetzes endet (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - 4 StR 83/20 Rn. 22; Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 19; Urteil vom 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14 Rn. 12; Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383). § 339 StGB erfasst deshalb nur Rechtsbrüche, bei denen sich der Richter oder Amtsträger bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2021 - 5 StR 39/21 Rn. 32; Urteil vom 21. Januar 2021 - 4 StR 83/20 Rn. 22; Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 19; Urteil vom 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14 Rn. 12; Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 13; Beschluss vom 7. Juli 2010 - 5 StR 555/09 Rn. 29; Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109; Urteil vom 5. Dezember 1996 - 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 345; Urteil vom 9. Mai 1994 - 5 StR 354/93, BGHSt 40, 169, 178; Urteil vom 6. Oktober 1994 - 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283).
Eine unrichtige Rechtsanwendung oder Ermessensausübung reicht daher für die Annahme einer Rechtsbeugung selbst dann nicht aus, wenn sich die getroffene Entscheidung als unvertretbar darstellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - 4 StR 83/20 Rn. 22; Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 19; Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109; Urteil vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 251). Insoweit enthält das Merkmal der Beugung des Rechts ein normatives Element, dem die Funktion eines wesentlichen Regulativs zukommt. Ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, ist auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2021 - 5 StR 39/21 Rn. 32; Beschluss vom 14. September 2017- 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 19; Urteil vom 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14 Rn. 12).
Das Recht kann grundsätzlich auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht gebeugt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2021 - 5 StR 39/21 Rn. 34; Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 20; Beschluss vom 7. Juli 2010 - 5 StR 555/09 Rn. 29; Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109; Urteil vom 5. Dezember 1996 - 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 344 f.; Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383). Für die Frage eines elementaren Rechtsverstoßes kann dabei Bedeutung erlangen, welche Folgen der Verstoß für eine Partei hatte, inwieweit die Entscheidung materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter oder Amtsträger bei der Entscheidung leiten ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 20; Urteil vom 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14 Rn. 12; Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 16; Urteil vom 5. Dezember 1996 - 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 351). Für den Eintritt des Taterfolges ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass ein endgültiger Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. April 2013 - 5 StR 261/12 Rn. 39 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 - 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 351).
b) Nach diesen Maßgaben hat das Landgericht im Fall 1 zu Recht eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 339 StGB wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Strafverfahrensrecht angenommen. Die Angeklagte verletzte - entsprechend der Bewertung durch das Landgericht - in elementarer Weise Recht und Gesetz, indem sie das amtsgerichtliche Verfahren trotz des Urteilsspruchs weiterführte.
aa) Die Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens war rechtswidrig und unvertretbar. Mit Verkündung des Strafurteils endete die Instanz. Die Angeklagte hatte ihre Kompetenz erschöpft, als Strafrichterin in der Sache zu entscheiden (vgl. § 260 Abs. 1 StPO). Für eine „Wiedereröffnung“ der Hauptverhandlung und für alle darauf gerichteten prozessleitenden Maßnahmen gab es keine rechtliche Grundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - 2 StR 285/12 Rn. 5; RG, Urteil vom 12. Oktober 1931 - II 575/31, RGSt 65, 397, 398; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 268 Rn. 40, 42; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 260 Rn. 5).
bb) Der Rechtsverstoß stellt sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände auch als elementar im zuvor genannten Sinne dar. Die Tathandlungen der Angeklagten in diesem Fall sind dabei gemeinsam zu beurteilen. Denn mehrfache Rechtsbeugungshandlungen in demselben Verfahren bilden regelmäßig eine einheitliche Tat, wenn sie - wie hier - mit identischer Zielrichtung zugunsten oder zu Ungunsten derselben Beteiligten begangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 250).
Auf die Schwere des Verfahrensverstoßes weist bereits der Umstand, dass die Angeklagte tateinheitlich einen weiteren Straftatbestand verwirklichte (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 27; Urteil vom 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14 Rn. 13; Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 22). Die Manipulation des Hauptverhandlungsprotokolls vom 27. Oktober 2017, zu dessen Abänderung die Angeklagte nach seiner Fertigstellung durch ihre und die Unterschrift des Protokollführers (§ 271 Abs. 1 StPO) nicht allein befugt war (vgl. zu Mitausstellern der Urkunde BGH, Beschluss vom 23. März 2010 - 5 StR 7/10 Rn. 4; Zieschang in LK-StGB, 12. Aufl., § 267 Rn. 286), erfüllt den Tatbestand der Urkundenfälschung in der Variante des Verfälschens einer echten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB). Zudem ist das Regelbeispiel eines besonders schweren Falls gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB zu bejahen (vgl. Erb in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 267 Rn. 228 mwN), denn die Angeklagte nutzte zur Urkundenfälschung die tatsächlichen Möglichkeiten aus, die mit ihrer Stellung als Richterin verbunden waren. Ob sie auch das grundrechtsgleiche Recht des in diesem Verfahren Angeklagten aus Art. 103 Abs. 3 GG verletzte, wonach eine Mehrfachverfolgung untersagt ist (vgl. hierzu Remmert in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 97. EL, Art. 103 Rn. 61 mwN; Nolte/Aust in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl., Art. 103 Rn. 217), muss der Senat nicht entscheiden.
Denn für die Annahme eines elementaren Rechtsverstoßes genügen jedenfalls die weiter hinzutretenden Umstände, insbesondere dass die Angeklagte die Tathandlungen nach den Feststellungen über einen langen Zeitraum von mehr als zwei Jahren beging und währenddessen ihre auch nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO fortbestehende Pflicht (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rn. 17) verletzte, das Urteil vom 27. Oktober 2017 zu den Akten zu bringen. In subjektiver Hinsicht war darüber hinaus das rechtsfehlerfrei festgestellte sachfremde Motiv der Angeklagten zu berücksichtigen, eigenes Fehlverhalten zu verschleiern.
cc) Für den durch die Tathandlungen bewirkten Taterfolg hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, die Beschwerdeführerin habe verhindert, dass der Angeklagte ein „an sich aussichtsreiches“ Rechtsmittel einlege (vgl. § 338 Nr. 7 StPO). Denn die Beschwerdeführerin hat nicht nur die Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts verfälscht (vgl. zu solchen Fällen BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 9), sondern bereits die Einlegung eines Rechtsmittels zunächst vereitelt. Darüber hinaus wurde der Angeklagte mit einem neuerlichen erstinstanzlichen Verfahren überzogen und hatte den sich daraus ergebenden Pflichten nachzukommen.
c) In den Fällen 2 bis 4 beging die Angeklagte elementare Rechtsverstöße im Sinne des § 339 StGB, indem sie vortäuschte, die Strafurteile fristgerecht nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gebracht zu haben.
aa) Die Angeklagte verletzte in diesen Fällen - über die den Urteilsgründen zufolge womöglich nur fahrlässigen Verstöße gegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus - vorsätzlich den Rechtsgrundsatz der Aktenwahrheit. Dieser nicht ausdrücklich in der Strafprozessordnung genannte, jedoch von ihr vorausgesetzte Grundsatz folgt aus der verfassungsrechtlichen Bindung der Justiz an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie aus ihrer im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Pflicht zur Objektivität. Er besagt, dass tatsächliche Vorgänge in den Verfahrensakten wahrheitsgemäß wiedergegeben werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 2 BvR 2474/14 Rn. 19 mwN; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 BGs 408/20 Rn. 17; Beschluss vom 15. Oktober 2010 - 5 StR 119/10 Rn. 10). Demgemäß sind Verfügungen in den Akten mit zutreffendem Tagesdatum zu versehen sowie in Aktenvermerken und dienstlichen Stellungnahmen die Verfahrensvorgänge so wiederzugeben, wie diese sich nach der Wahrnehmung und Erinnerung des Verfassers ereignet haben.
Demgegenüber gab die Angeklagte bewusst rückdatierte Verfügungen und inhaltlich unzutreffende schriftliche Erklärungen über den Verfahrensablauf in den Geschäftsgang. Im Fall 2 entnimmt der Senat dabei der festgestellten in dem Verwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft mündenden Abfolge, dass die Angeklagte ihre dienstlichen Stellungnahmen zu dem Rechtsmittel des Revisionsführers abgab, als die Akten dem Revisionsgericht noch nicht vorlagen und die Sache daher nach der Hauptverhandlung weiter beim Amtsgericht anhängig war (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - 1 StR 293/12 Rn. 6; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 347 Rn. 10). Infolge ihres Einflusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts handelte die Angeklagte auch insoweit noch bei der Leitung der Rechtssache gemäß § 339 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 14).
bb) Nach den konkreten Umständen der einzelnen Fälle waren die an die Verletzung von § 275 Abs. 1 StPO anknüpfenden Verstöße der Beschwerdeführerin gegen den Grundsatz der Aktenwahrheit gravierend und sind als elementare Rechtsverstöße anzusehen. In objektiver Hinsicht folgt dies insbesondere aus den Folgen ihres Tuns für die Angeklagten, denn die Beschwerdeführerin verschleierte jeweils das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 17). Die Urteile, die sie außerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten brachte, wären ohne ihre heimlichen Manipulationen auf eine zulässige Verfahrensrüge durch das Revisionsgericht ohne Weiteres gemäß § 338 Nr. 7 StPO aufzuheben gewesen. Eine solche Rüge war auch den Berufungsführern in den Fällen 3 und 4 nicht verschlossen, denn sie hätten innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO zur Revision übergehen können (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. November 1953 - 1 StR 279/53, BGHSt 5, 338). Die Angeklagte verschleierte jedoch durch jeweils mehrere Einzelakte ihre Fristverstöße, die angesichts deren Einstufung als unbedingter Revisionsgrund bereits besonders schwerwiegende Verfahrensfehler waren (vgl. Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 1; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 338 Rn. 1). Ihr Motiv, eigenes Fehlverhalten zu verheimlichen, war darüber hinaus erschwerend in die Gesamtbetrachtung einzustellen.
cc) Das Verhalten der Angeklagten war zudem geeignet, sich in allen Fällen zum Nachteil des jeweiligen Rechtsmittelführers auszuwirken. Bei einer zulässigen Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 7 StPO klärt das Revisionsgericht - nicht allein anhand des in § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO vorgesehenen Vermerks - freibeweislich, ob die Urteilsabsetzungsfrist eingehalten wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2015 - 1 StR 555/14 Rn. 7; Greger in KK-StPO, 9. Aufl., § 275 Rn. 42). Mit den Tathandlungen verschlechterte die Beschwerdeführerin daher die Rechtsmittelposition der Angeklagten, worin deren Benachteiligung liegt. Denn infolge der Manipulationen lag es nach Aktenlage zumindest nicht fern, dass die Beschwerdeführerin die Urteile fristgerecht auf den Weg zur Geschäftsstelle und damit zu den Akten gebracht hatte. Ob sich das Revisionsgericht hiervon jeweils konkret überzeugt hätte (vgl. zur Nachweispflicht der Justiz für die Fristwahrung Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rn. 53 mwN), ist dabei für die Beurteilung ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob die ergangenen Urteile materiell richtig waren (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13 Rn. 19). Die Rechtsstellung der Rechtsmittelführer wurde bereits dadurch unmittelbar verletzt, dass die auch insofern vorsätzlich handelnde Angeklagte die Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts verfälschte.
II. In den Fällen II. 2. e) bis j) der Urteilsgründe (Fälle 6 bis 8, 11, 13 und 14) hat der Schuldspruch wegen Rechtsbeugung im Ergebnis ebenfalls Bestand. Rechtsfehlerfrei ist darüber hinaus die jeweilige tateinheitliche Verurteilung wegen Verwahrungsbruchs (§ 133 Abs. 1 und 3 StGB), wohingegen eine Strafbarkeit der Angeklagten auch wegen Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) von den Feststellungen nicht getragen wird.
1. Das Landgericht hat in diesen weiteren Fällen im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) In drei Strafverfahren verurteilte die Beschwerdeführerin die dort Angeklagten im Januar 2016, März 2018 und August 2018 zu Freiheits- oder Geldstrafen. Mit Ausnahme einer Verurteilung, die rechtskräftig wurde, legten alle (weiteren) Angeklagten Berufung ein. Die schriftlichen Urteile setzte die Beschwerdeführerin entgegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht ab. Als sie diese Versäumnisse spätestens aufgrund von Sachstandsanfragen erkannte, blieb sie ohne sachlichen Grund weiter untätig und kam in keinem der Verfahren der ihr bekannten Pflicht nach, das schriftliche Urteil zu den Akten zu bringen (Fälle 6 bis 8). Die Verfahrensakten nahm sie zu nicht genau feststellbaren Zeitpunkten mit nach Hause. Dort legte sie diese jeweils in einen Umzugskarton, den sie schließlich in ihrem Keller deponierte. Dies tat sie, um „die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen“ und sie dem Geschäftsgang zu entziehen.
Im Fall 6 vermerkte die Angeklagte am 16. März 2017 - über dreizehn Monate nach der Hauptverhandlung - auf die inzwischen sechste Sachstandsanfrage der Staatsanwaltschaft bewusst wahrheitswidrig, die Akten zuletzt „mit dem Urteil in Händen gehalten“ und dessen Zustellung verfügt zu haben. Der Verbleib der Akten lasse sich nicht klären; eine elektronische Fassung des Urteils sei nicht mehr vorhanden. Die Akten wurden daraufhin rekonstruiert und aufgrund der von dem dort Angeklagten eingelegten Berufung dem Landgericht zugeleitet. Im Februar 2018 reichte die Angeklagte - nach der Rückgabe der Sache durch den Vorsitzenden Richter des Berufungsgerichts - ein Urteil ohne Gründe zu den Akten. Das Berufungsgericht stellte nachfolgend das Verfahren gegen den Berufungsführer gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. In den weiteren Verfahren (Fälle 7 und 8) gelangten die Akten erst wieder in den Geschäftsgang, nachdem sie im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei der Angeklagten im Oktober 2020 sichergestellt worden waren. Die Berufungsverfahren waren während der Hauptverhandlung in der hiesigen Sache noch nicht abgeschlossen.
b) Im August 2017 und im Januar 2018 gestellte Anträge auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in zwei Familiensachen (Fälle 11 und 13) bearbeitete die auch hierfür zuständige Angeklagte zunächst ohne Verzögerung. Im Fall 11 förderte sie das Verfahren jedoch ab November 2017 nicht weiter und führte trotz Sachstandsanfragen des Antragstellers und dessen (unstatthafter und auf einen Hinweis des Oberlandesgerichts zurückgenommener) Untätigkeitsbeschwerde keine Entscheidung über den Antrag herbei. Im Fall 13 fand bei bewilligter Verfahrenskostenhilfe im November 2018 ein Güte- und Verhandlungstermin statt, auf den hin die Angeklagte das Verfahren ohne sachlichen Grund bewusst nicht weiterbetrieb. Die Verfahrensakten nahm sie ebenfalls zu nicht genau feststellbaren Zeitpunkten jeweils mit nach Hause und deponierte sie schließlich in einem Umzugskarton im Keller ihrer Wohnung, um auch sie „nicht mehr bearbeiten zu müssen“ und dem Geschäftsgang zu entziehen. Weitere eingehende Schriftsätze und Sachstandsanfragen legte sie ebenfalls in einem der Umzugskartons ab. Erst nach der Übernahme des der Angeklagten zugewiesenen Familiendezernats im Juni oder Juli 2020 förderte eine andere Richterin die Sachen wieder; die von der Angeklagten in ihrem Keller gelagerten Akten wurden dort erst bei der Durchsuchung im Oktober 2020 aufgefunden.
Im Oktober 2018 hatte die Angeklagte zudem auf Vorlage eines anderen Amtsgerichts darüber zu entscheiden, ein Sorgerechtsverfahren zu übernehmen (Fall 14). Sie blieb jedoch untätig und traf bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Familiendezernat im Juni oder Juli 2020 keine Entscheidung. Vielmehr deponierte sie auch in diesem Fall die Verfahrensakten aus denselben Beweggründen wie in den vorigen Fällen in einem Umzugskarton in ihrem Keller. Bei einer außerordentlichen Geschäftsprüfung im Februar 2020 war sie sich der in ihrem Keller gelagerten Akten (Fälle 6 bis 14) bewusst, gab jedoch nur weitere bei ihr zu Hause aufbewahrte Akten heraus.
c) Im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung zum Vorwurf der Rechtsbeugung hat das Landgericht maßgeblich darauf abgestellt, dass die Angeklagte die Verfahrensakten dem Geschäftsgang entzogen habe, um diese „nicht mehr weiter zu bearbeiten“ und „keiner Entscheidung mehr zuzuführen“. Es hat - ohne sich mit der Möglichkeit einer Unterlassungsstrafbarkeit auseinanderzusetzen und ohne eine konkret verletzte Verfahrensnorm zu benennen - den Tatbestand der Rechtsbeugung auch insoweit durch aktives Tun verwirklicht gesehen.
2. Dem entgegen beugte die Angeklagte nach den Feststellungen in den Fällen 6 bis 14 das Recht jeweils durch ein pflichtwidriges Unterlassen (§ 13 StGB).
a) aa) Die Abgrenzung zwischen strafbarem Tun und Unterlassen ist eine Wertungsfrage, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine normative Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292 Rn. 59; Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 Rn. 29; Beschluss vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04 Rn. 14; Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02 Rn. 14).
bb) Hieran gemessen liegt in den Fällen 6 bis 8 der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Angeklagten in ihrem Unterlassen, die schriftlichen Urteilsgründe zu den Akten zu bringen. Das Verhalten der Angeklagten war nach den tatgerichtlichen Feststellungen darauf angelegt, die schriftlichen Urteilsgründe dauerhaft nicht zu den Akten zu bringen. In diesem Unterlassen, mit dem ein geordneter Verfahrensabschluss vereitelt worden ist, liegt der Kern des ihr vorwerfbaren strafbaren Verhaltens. Demgegenüber kommt bei der Abgrenzung dem Umstand, dass sie die Akten und mehrere Sachstandsanfragen - durch ein aktives Tun - in ihren Keller verbrachte und damit dem Geschäftsgang entzog, unter den hier gegebenen Umständen kein selbständiges Gewicht zu. Die vom Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Januar 2016 (5 StR 328/15) stützt keine andere Bewertung, da das Tatgeschehen vom hiesigen abwich. Dort hatte die Amtsträgerin mittels Manipulationen im Computersystem ihrer Behörde die Abgabe von Bußgeldverfahren an andere Stellen vorgetäuscht und mit diesem aktiven Vorgehen, das im Ergebnis einer abschließenden Entscheidung gleichkam, die weitere Verfolgung der Betroffenen vereitelt.
cc) Die rechtliche Bewertung des Landgerichts, die Angeklagte sei der Rechtsbeugung durch aktives Tun schuldig, trifft auch in den Fällen 11, 13 und 14 nicht zu. Vielmehr liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit hier ebenfalls darin, dass die Angeklagte die (weitere) Bearbeitung der Verfahren unterließ.
b) In den Fällen 6 bis 8, in denen die Angeklagte die verkündeten Strafurteile nicht zu den Akten brachte, sind die Anforderungen an einen elementaren Rechtsverstoß im Sinne von § 339 StGB bei der gebotenen Gesamtbetrachtung erfüllt.
aa) Verletzt der Richter Verfahrensrecht durch Unterlassen, namentlich durch eine verzögerte, den Maßstäben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK widersprechende Sachbehandlung, erfüllt allein dies regelmäßig nicht die aufgezeigten strengen Anforderungen an einen elementaren Rechtsverstoß gemäß § 339 StGB. Denn grundsätzlich bleibt es dem Richter aufgrund seiner Unabhängigkeit überlassen, welchem von mehreren Dienstgeschäften er den Vorrang einräumt. Ein strafrechtlich relevanter Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz kommt daher nur dann in Betracht, wenn der Richter bewusst gegen eine Vorschrift verstoßen hat, die ein bestimmtes Handeln unabweislich zur Pflicht macht, wenn er untätig bleibt, obwohl besondere Umstände sofortiges Handeln zwingend gebieten oder wenn die zögerliche Bearbeitung auf sachfremden Erwägungen zum Vorteil oder Nachteil einer Partei beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 21, 31; Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 111).
bb) Hiervon ausgehend verstieß die Angeklagte mit § 275 Abs. 1 StPO gegen eine Norm, die ihr ein bestimmtes Handeln unabweislich zur Pflicht machte. Danach ist der Richter verpflichtet, ein gesprochenes Urteil, das nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden ist, unverzüglich, regelmäßig spätestens fünf Wochen nach der Verkündung zu den Akten zu bringen. Diese Pflicht besteht auch nach der Überschreitung der gesetzlich angeordneten Höchstfrist fort (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rn. 17). Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO waren in keinem der Fälle gegeben, wie der Senat der Gesamtheit des Urteils entnimmt.
Die gesetzliche Anordnung in § 275 Abs. 1 StPO lässt dem Richter - auch unter Berücksichtigung seiner Unabhängigkeit - keinen Spielraum, andere Dienstgeschäfte bei der Reihenfolge der Bearbeitung vorzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 - KRB 37/19 Rn. 7; KG, wistra 2016, 511, 512; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rn. 8, 15). Vielmehr hat der Gesetzgeber das aus dem Rechtsstaatsprinzip und der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht abzuleitende, in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK allgemein normierte Beschleunigungsgebot durch die Vorschrift des § 275 Abs. 1 StPO verbindlich konkretisiert und ein rechtlich eindeutiges Handlungsgebot geschaffen (vgl. BVerfGK 7, 140 Rn. 68; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 508/18; Urteil vom 12. Dezember 1991 - 4 StR 436/91). Demgemäß ist ein Verstoß gegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO als absoluter Revisionsgrund (§ 338 Nr. 7 StPO) ausgestaltet. Der Gesetzgeber wollte den vormaligen Rechtszustand ändern, wonach die Regelungen über die Urteilsabsetzungsfrist als bloße Ordnungsvorschriften ausgestaltet waren, deren Verletzung die Revision nicht begründen konnte (so noch BGH, Beschluss vom 4. Januar 1966 - 1 StR 299/65, BGHSt 21, 4), und die Beachtung der Vorschrift als zwingendes Gebot sicherstellen (vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 49; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rn. 2).
cc) Ausgehend von diesem aus § 275 Abs. 1 StPO folgenden Handlungsgebot liegen nach den Gesamtumständen elementare Rechtsverstöße der Angeklagten in den Fällen 6 bis 8 vor. Zu berücksichtigen ist insbesondere die lange Dauer des pflichtwidrigen Unterlassens, wobei nur der Zeitraum zugrunde zu legen ist, der nach den Feststellungen vom Vorsatz der Angeklagten umfasst war. Ferner verwirklichte diese jeweils den Straftatbestand des Verwahrungsbruchs gemäß § 133 Abs. 1 und 3 StGB, indem sie mit den ihr als Amtsträgerin anvertrauten Verfahrensakten dienstlich verwahrte Sachen (vgl. RG, Urteil vom 21. Januar 1929 - II 1013/28, RGSt 63, 31, 32 f.) der dienstlichen Verfügung entzog.
Dies kann durch jedes Verhalten geschehen, das dem Berechtigten die Verfügungsmöglichkeit über den verwahrten Gegenstand nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 25. August 1988 - 4 StR 165/88, BGHSt 35, 340, 341; Krauß in LK-StGB, 13. Aufl., § 133 Rn. 26). Ein solches Verhalten der Angeklagten lag hier jedenfalls in dem Verbringen der Akten in den Keller, worin sich auch ihre Arbeitsverweigerung ausdrückte. Aufgrund dieses funktionalen Zusammenhangs tritt der Verwahrungsbruch in Tateinheit hinzu (§ 52 StGB). Elementare Rechtsverstöße liegen ferner aufgrund der festgestellten Absicht der Angeklagten vor, die Verfahren schließlich endgültig nicht mehr zu bearbeiten.
dd) Mit der Untätigkeit der Angeklagten war darüber hinaus zumindest aufgrund von deren strafmildernden Auswirkungen auf den Rechtsfolgenausspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 - 2 StR 158/22) die von ihr vorsätzlich herbeigeführte konkrete Gefahr einer Besser- oder Schlechterstellung der Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Rechtsmittelverfahren verbunden.
c) In den familiengerichtlichen Verfahren (Fälle 11, 13 und 14) sind unter den festgestellten Umständen elementare Rechtsverstöße ebenfalls zu bejahen. Insoweit beugte die Angeklagte das Recht durch die unterlassene Verfahrensförderung, der eine Verweigerungshaltung in dem Sinne zugrunde lag, die dem Geschäftsgang entzogenen Akten überhaupt nicht mehr zu bearbeiten.
aa) Eine verzögerte, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK widersprechende Sachbehandlung erfüllt allerdings - wie ausgeführt - regelmäßig nicht die strengen Anforderungen, die an die Annahme einer Beugung des Rechts zu stellen sind. Dies gilt auch, wenn - wie hier - die Dauer der Verzögerung erheblich ist. Die Angeklagte verletzte durch ihr Verhalten auch keine Prozessnormen, aus denen sich anders als aus dem allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz konkrete Zeitpunkte ergeben könnten, zu denen die weiteren Verfahrenshandlungen und Entscheidungen spätestens hätten vorgenommen und getroffen werden müssen. Namentlich waren die Voraussetzungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebots gemäß § 155 Abs. 1 FamFG nicht erfüllt; auch im Fall 14 sind dessen Voraussetzungen den Feststellungen nicht zu entnehmen. Im Übrigen machen weder das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder - soweit gemäß § 113 FamFG anwendbar - die Zivilprozessordnung bestimmte zeitliche Vorgaben für die Sachbehandlung in den jeweiligen familiengerichtlichen Verfahrenskonstellationen.
Ebenso wenig blieb die Angeklagte untätig, obwohl besondere Umstände ihr sofortiges Handeln - wie es etwa bei der Veranlassung der Freilassung eines Inhaftierten nach Aufhebung des Haftbefehls der Fall ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 111) - zwingend geboten hätten.
bb) Die Beugung des Rechts durch die Angeklagte gründet jedoch darauf, dass die unterlassene Bearbeitung der Familiensachen auf ihrem - mit Blick auch auf ihre Einlassung vom Landgericht tragfähig belegten - Entschluss beruhte, die dem Geschäftsgang entzogenen Akten nicht mehr zu bearbeiten. Die damit verbundene Totalverweigerung, bei der ein Richter jede (weitere) Verfahrensförderung endgültig ablehnt, kann Fällen der Rechtsbeugung gleichzustellen sein, in denen eine zögerliche Bearbeitung auf sachfremden Erwägungen zum Vorteil oder Nachteil einer Partei beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 - 4 StR 274/16, BGHSt 62, 312 Rn. 31; Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 111).
Die kategorisch verweigerte Verfahrensbearbeitung bleibt bei wertender Betrachtung in ihrem Unrechtsgehalt hinter derartigen Fällen grundsätzlich nicht zurück (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 113 f. zur Vereitelung effektiven Rechtsschutzes). Denn die richterliche Intention, ein Verfahren gar nicht mehr zu bearbeiten, berührt im Kern den grundgesetzlich verbürgten Anspruch der Verfahrensbeteiligten gegen den Staat, ihnen durch die zuständigen Organe, insbesondere die Gerichte, Rechtsschutz zu gewähren. Sachliche Bedingung des Gebots effektiven Rechtsschutzes, das für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG abzuleiten ist (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 97, 169, 185; 85, 337, 345; 80, 103, 107; 54, 277, 291), ist die Bereitschaft der Richter, denen die rechtsprechende Gewalt anvertraut ist (Art. 92 GG), ihren Amtspflichten nachzukommen. Es wird in besonders gravierender Weise sowie zum Nachteil aller Verfahrensbeteiligten unterlaufen, wenn ein Richter willkürlich die Verfahrensbearbeitung gänzlich verweigert. Die richterliche Unabhängigkeit ist weder Standesprivileg noch absoluter Selbstwert (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 111), weshalb sich ein Richter die von ihm zu bearbeitenden Verfahren auch nicht selbst aussuchen kann. Die Verteilung der Geschäfte ist vielmehr allein Sache der Gerichtspräsidien (vgl. § 21e Abs. 1 GVG).
cc) Gemessen hieran hat das Landgericht im Einzelfall schwerwiegende Rechtsverstöße der Angeklagten festgestellt. Nach den Urteilsgründen beabsichtigte sie die familiengerichtlichen Verfahren - unabhängig von dem erst im Juni oder Juli 2020 vom Präsidium des Amtsgerichts beschlossenen Zuständigkeitswechsel - überhaupt nicht (mehr) zu fördern. Mit ihrem Entschluss einer umfassenden Rechtsschutzverweigerung, durch den sie eigenmächtig die nicht geförderten Verfahren faktisch aus ihrem Dezernat aussonderte, ging aus den genannten Gründen jeweils eine schwere Missachtung der verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Parteien und der Gerichtsverfassung einher. Darüber hinaus entzog sie die Akten, die sie auch im Zuge der Geschäftsprüfung Ende Februar 2020 in ihrem Keller beließ, dem Geschäftsgang. Unter Berücksichtigung des von der Angeklagten jeweils tateinheitlich verwirklichten Delikts des Verwahrungsbruchs gemäß § 133 Abs. 1 und 3 StGB hatte ihr Verhalten in den Fällen 11, 13 und 14 damit einen derart hohen Unwertgehalt, dass auch hier elementare Rechtsverstöße zu bejahen sind.
d) Im Ergebnis hat die Verurteilung wegen Rechtsbeugung in den Fällen 6 bis 14 demnach Bestand. § 265 StPO hindert den Senat nicht, anders als die zugelassene Anklage und das angefochtene Urteil insoweit eine Unterlassungstäterschaft der Angeklagten anzunehmen. Denn es ist auszuschließen, dass sich die Angeklagte effektiver als geschehen hätte verteidigen können.
3. Die - laut den Urteilsgründen in den Fällen 6 bis 14 versehentlich erfolgte - tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist rechtsfehlerhaft. Die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
a) Eine Nachteilszufügungsabsicht der Angeklagten, die sich wie von § 274 StGB gefordert auf die Beeinträchtigung des Beweisführungsrechts eines Dritten bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2009 - 2 StR 430/09 Rn. 16; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 274 Rn. 9 f.), ist nicht festgestellt. In den Fällen 6 bis 8 würde selbst die Intention, den staatlichen Strafanspruch zu vereiteln, nicht genügen. Denn insoweit ist keine „andere“ Person benachteiligt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 - 5 StR 328/15 Rn. 17; Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10 Rn. 7; offen BGH, Beschluss vom 27. Juli 2012 - 1 StR 238/12 Rn. 8 mwN). Dass die Angeklagte das Beweisführungsrecht eines von der Norm geschützten Beteiligten beeinträchtigen wollte, ergeben die Urteilsgründe nicht. Dies gilt auch in den Fällen 11, 13 und 14, wo Ausführungen zu einem solchen Vorstellungsbild ebenfalls fehlen.
b) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Strafbarkeit der Angeklagten auch nach § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu tragen vermöchten.
4. Der Senat ändert daher den Schuldspruch in den Fällen 6 bis 8, 11, 13 und 14 entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin ab, dass die tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen Urkundenunterdrückung jeweils entfällt.
Im Übrigen verbleibt es bei dem Schuldspruch des angefochtenen Urteils. Insbesondere hat die konkurrenzrechtliche Beurteilung des Landgerichts Bestand, dass die Fälle 6 bis 14 ebenfalls in Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen. Denn die Tathandlungen im Rahmen von § 339 StGB beziehen sich auf die Leitung einer Rechtssache und sind damit regelmäßig verfahrensbezogen zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 250). Auch bei der Beugung des Rechts durch Unterlassen, die - wie hier - verschiedene Verfahren betrifft, liegen daher mit Blick auf die zur Erfolgsabwendung jeweils gebotenen unterschiedlichen Handlungen tatmehrheitlich verwirklichte Delikte vor. Darüber hinaus haben die nach den Feststellungen womöglich in einer Ausführungshandlung zusammentreffenden Delikte des Verwahrungsbruchs bei einer konkreten Gewichtung der Taten nicht die Kraft, die selbständigen Verbrechen der Rechtsbeugung zu einer Tat zu verklammern (vgl. zu den Kriterien BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2021 - 4 StR 163/21 Rn. 10; Beschluss vom 31. Juli 2013 - 4 StR 223/13 Rn. 9; jeweils mwN).
III. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung insgesamt nicht stand.
1. a) Die Verneinung einer verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten (§ 21 StGB) lässt allerdings auch unter Berücksichtigung ihres weiteren Vorbringens in der Gegenerklärung vom 30. August 2022 keinen auf Sachrüge beachtlichen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil erkennen.
b) In den Fällen 6 bis 8, 11, 13 und 14 genügt die Strafrahmenwahl den rechtlichen Anforderungen gleichwohl nicht. Das Landgericht hat den Strafrahmen insoweit jeweils § 339 StGB als dem verletzten Strafgesetz entnommen, das die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 2 StGB). Bei diesen Unterlassungstaten hat es jedoch - auf der Grundlage seiner rechtlichen Würdigung folgerichtig - eine Milderung nach § 13 Abs. 1 und 2, § 49 Abs. 1 StGB nicht geprüft. Dies beschwert die Angeklagte hinsichtlich der Mindeststrafe des anzuwendenden Strafrahmens.
c) Darüber hinaus ist die Wahl des Strafrahmens im Fall 1 rechtsfehlerhaft, in dem das Landgericht den Regelstrafrahmen des § 267 Abs. 3 Satz 1 StGB herangezogen hat. Es hat bei der Prüfung eines „unbenannten minder schweren Falls“ - richtig: bei der Frage, ob von der Regelwirkung abzusehen ist - als straferschwerend gewertet, dass die Angeklagte dem „Ansehen und Vertrauen in die Justiz“ geschadet habe. Insofern durfte das Landgericht zwar eine tateinheitliche Verwirklichung von § 339 StGB berücksichtigen. Die Strafkammer hat aber einen tatsächlich eingetretenen Ansehensverlust der Justiz weder konkret festgestellt noch belegt. Zudem hat das Landgericht nicht bedacht, dass eingetretene Tatfolgen nur dann mit ihrem vollen Gewicht bei der Einzelstrafbemessung berücksichtigt werden können, wenn sie unmittelbare Folge allein einzelner Taten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2022 - 4 StR 449/21 Rn. 4; Beschluss vom 18. Februar 2021 - 2 StR 7/21 Rn. 4).
2. Bei der konkreten Bemessung der Einzelstrafen liegt der zuletzt aufgezeigte Rechtsfehler ebenfalls vor. Die Erwägung, die Angeklagte habe dem Ansehen der Justiz geschadet, hat das Landgericht über die Einzelstrafe im Fall 1 hinaus strafschärfend auch den Einzelstrafen in den Fällen 2 bis 14 zugrunde gelegt. Da es insoweit jeweils den Strafrahmen des § 339 StGB angewendet hat, tritt hier als weiterer Rechtsfehler ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB hinzu.
Über dessen Wortlaut hinaus, der nur die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands nennt, darf auch das Schutzziel der Strafdrohung nicht erschwerend bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2022 - 6 StR 274/22; Beschluss vom 9. Januar 1987 - 2 StR 641/86 Rn. 7; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 256; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 46 Rn. 538; jeweils mwN). Der Schutzweck des § 339 StGB geht u. a. dahin, mit der innerstaatlichen Rechtspflege auch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit und Rechtstreue der rechtsprechenden Organe zu schützen (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 339 Rn. 2; Sinner in Matt/ Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 339 Rn. 2; Kudlich in SSW-StGB, 5. Aufl., § 339 Rn. 5). Die strafschärfende Berücksichtigung eines Ansehens- und Vertrauensverlustes der Justiz, jedenfalls solange er nicht außergewöhnlich schwer ist, scheidet daher aus, wenn die Strafe aus dem Strafrahmen des § 339 StGB zuzumessen ist. Dies hat das Landgericht übersehen.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesen Rechtsfehlern beruht. Die Einzelstrafen sind daher aufzuheben. Dies entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die zugehörigen Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 799
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede