Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 23/94, Urteil v. 06.10.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 14. Juni 1993 aufgehoben. Die Angeklagten werden freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts.
Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Der Angeklagte E. war von 1984 bis 1991 als Richter, die Angeklagte K. von 1977 bis 1990 als Staatsanwältin im Justizdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beschäftigt. Im Jahr 1986 waren beide mit einem Strafverfahren gegen Jürgen P. befaßt, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Seit 1984 hatten die Eheleute P. bei den dafür zuständigen Behörden der DDR mehrere Anträge auf Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland gestellt, ohne daß diese beschieden worden wären. Nachdem Jürgen P. über westliche Medien zunächst allgemein von Abschiebungen und Freikäufen politischer Häftlinge durch die Bundesrepublik Deutschland erfahren und zudem gehört hatte, daß eine befreundete Familie über eine Inhaftierung und Abschiebung in die Bundesrepublik Deutschland gelangt war, beschloß er, diesen Weg ebenfalls einzuschlagen. Zunächst brachte er an seinem Arbeitsplatz in einem volkseigenen Betrieb ein Plakat mit einem Bild aus einem Konzentrationslager aus der Zeit des Nationalsozialismus an und schrieb darüber in Großbuchstaben: "Ich brauche Freiheit". Dann entschloß er sich, seine persönliche Meinung über die Grenzen der DDR einer breiteren Öffentlichkeit kundzutun, um dadurch, wie ihm von der Ausreisebehörde nahegelegt worden war, "unbequem" zu wirken. Nachdem er mit Blick auf eine zu erwartende Haft einen Abschiedsbrief an seine Familie verfaßt hatte, begab er sich am 23. November 1985 vor das Gebäude des Rats des Kreises P., wo die öffentliche Vereidigung von Angehörigen der Grenztruppen stattfinden sollte. Während des Abspielens der Hymne der DDR entrollte er dort ein 60 x 80 cm großes selbstgefertigtes Plakat mit dem Text "DDR! Deine Grenzen sind für mich kein Friedensbeitrag!" und hielt es ausgestreckt über seinen Kopf. Ca. 20 Sekunden später wurde ihm das Plakat von Sicherheitskräften entrissen; er wurde festgenommen und inhaftiert.
2. Am 23. Januar 1986 erhob die damalige Staatsanwältin K. gegen Jürgen P. wegen seines Verhaltens bei der Vereidigung der Grenztruppen Anklage wegen Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit gemäß § 214 StGB-DDR, dessen hier einschlägiger erster Absatz wie folgt lautet:
Wer die Tätigkeit staatlicher Organe durch Gewalt oder Drohung beeinträchtigt oder in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise eine Mißachtung der Gesetze bekundet oder zur Mißachtung der Gesetze auffordert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.
Sie beantragte, den am 23. November 1985 vom Kreisgericht Sch.-S. erlassenen Haftbefehl aufrechtzuerhalten. Nachdem durch den damaligen Richter E. und zwei Schöffen einstimmig das Hauptverfahren gemäß § 193 StPO-DDR eröffnet und Haftfortdauer beschlossen worden war, fand am 18. Februar 1986 die - nichtöffentliche - Hauptverhandlung vor der Strafkammer des Kreisgerichts Sch.-S. unter dem Vorsitz des Richters E. und unter Mitwirkung der Staatsanwältin K. statt. Entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft wurde Jürgen P. durch den Richter E. und die beiden Schöffen einstimmig wegen Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Strafaussetzung zur Bewährung wurde nicht gewährt.
Auf den Rat seines Wahlverteidigers erklärte Jürgen P. unmittelbar im Anschluß an die Urteilsverkündung Rechtsmittelverzicht, um seinen "Freikauf" zu beschleunigen. Die schriftliche Urteilsbegründung wurde ihm lediglich durch Verlesen zur Kenntnis gebracht. Das Urteil wurde ihm ebensowenig zum Verbleib ausgehändigt wie zuvor Anklageschrift und Eröffnungsbeschluß.
Am 9. Juli 1986 wurde Jürgen P. nach knapp achtmonatiger Haft in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben, nachdem die Staatsanwältin K. - wie bei derartigen politischen Strafverfahren üblich - am 3. Juli 1986 beantragt hatte, den Vollzug der Reststrafe gemäß § 349 StPO-DDR zur Bewährung auszusetzen. Seinen Erwartungen entsprechend, hatte die Bundesrepublik Deutschland Jürgen P. als politischen Häftling sowie seine Frau und Tochter "freigekauft".
3. Das Landgericht geht davon aus, daß das Verhalten des Jürgen P. rechtlich nicht als "Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit" im Sinne des § 214 StGB-DDR zu werten und dies von den Angeklagten auch erkannt worden sei.
Die Angeklagte K. sei wegen Rechtsbeugung strafbar, weil sie nach Abschluß der Ermittlungen Anklage erhoben und Haftfortdauer beantragt habe. Zugleich habe sie sich der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen schuldig gemacht, indem sie es versäumt habe, die Aufhebung des ohne ihre Mitwirkung am 23. November 1985 vom Kreisgericht Sch.-S. erlassenen Haftbefehls zu beantragen und noch vor Erhebung der Anklage gemäß § 133 StPO- DDR die Entlassung des Jürgen P. anzuordnen.
Der Angeklagte E. habe dadurch Rechtsbeugung begangen, daß er als Vorsitzender der Strafkammer für die Eröffnung des Hauptverfahrens, Fortdauer der Untersuchungshaft und für eine Verurteilung des Jürgen P. gestimmt, ferner prozeßleitende Verfügungen (Ausschluß der Öffentlichkeit und Nichtaushändigung der Prozeßdokumente) getroffen habe; neben der Verurteilung als solcher stelle auch die Verhängung der unangemessen hohen Strafe eine selbständige Verwirklichung des Unrechts der Rechtsbeugung dar. Die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft und Verurteilung zu Strafe seien als Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft zu werten.
Die Verurteilung der Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar können Richter und Staatsanwälte der ehemaligen DDR in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich wegen Rechtsbeugung und damit tateinheitlich verwirklichter Delikte verfolgt werden (vgl. BGHSt 40, 30; BGH NStZ 1994, 437). Die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsbeugung sind hier jedoch nicht erfüllt.
I. Die Ahndung von Straftaten, die, wie das den Angeklagten angelastete Verhalten, vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland von Bürgern der ehemaligen DDR auf deren Territorium begangen worden sind, richtet sich nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB in der Fassung des Einigungsvertrages (Anl. I Kap. III Sachgebiet C Abschn. II Nr. 1 b) in Verbindung mit § 2 StGB. Danach kommt eine Verurteilung nur dann in Betracht, wenn die Tat nicht nur nach dem Recht der DDR, sondern auch nach dem der Bundesrepublik Deutschland mit Strafe bedroht ist. Dies trifft für die Rechtsbeugung zu, obwohl sich die Schutzgüter der zu vergleichenden Normen nicht in vollem Umfang entsprechen.
Geschütztes überindividuelles Rechtsgut des § 244 StGB-DDR und des § 336 StGB ist jeweils die innerstaatliche Rechtspflege. Deren Ausgestaltung in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wies entsprechend der jeweiligen Struktur beider Staaten gerade in dem hier in Frage stehenden Bereich politischer Strafjustiz tiefgreifende Unterschiede auf (vgl. dazu eingehend BGHSt 40, 30, 34 ff.). Gleichwohl besteht zwischen den Tatbeständen der Rechtsbeugung in den Strafgesetzen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland in einem wesentlichen Teilbereich die in § 2 StGB vorausgesetzte Unrechtskontinuität. Wie bereits der Wortlaut deutlich macht (§ 244 StGB-DDR: "gesetzwidrig zugunsten oder zuungunsten eines Beteiligten"; § 336 StGB: "zugunsten oder zum Nachteil einer Partei") entfalten beide Normen eine Reflexwirkung zum Schutz des rechtsunterworfenen Bürgers. Dieser soll vor einer Rechtsanwendung bewahrt werden, die der nationalen Rechtsordnung widerspricht. Zumindest in dieser für den hier zu entscheidenden Fall bedeutsamen Komponente beschreiben die Tatbestände beider Strafrechtsordnungen art- und wertgleiches Unrecht (vgl. auch BGHSt 39, 54, 68 ff. für den Tatbestand der Wahlfälschung; ebenso Roggemann JZ 1994, 769, 773; Scholderer, Rechtsbeugung im demokratischen Rechtsstaat, 1993, S. 503; im Ergebnis ebenso Maiwald NJW 1993, 1881, 1884; a.A. Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1992, S. 516 ff.; Vormbaum NJ 1993, 212, 213).
II. Ist somit von einer fortbestehenden Verfolgbarkeit in der DDR begangenen Justizunrechts auszugehen, so richtet sich dessen Beurteilung nach § 244 StGB-DDR als dem gegenüber § 336 StGB milderen Tatzeitrecht. Dies folgt nicht nur aus der im Verhältnis zu § 336 StGB niedrigeren Mindeststrafe, sondern auch aus einer engeren Fassung des subjektiven Tatbestandes. So setzt § 244 StGB-DDR direkten Vorsatz voraus, während § 336 StGB nach seiner Neufassung durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I 469 ff.) bedingten Vorsatz ausreichen läßt (h.M.; vgl. Spendel in LK 10. Aufl. § 336 Rdn. 77 ff.).
Hingegen bedeutet es - jedenfalls für den Bereich des Strafrechts, in dem ungeschriebenes Gewohnheitsrecht praktisch keine Rolle spielt - nur eine scheinbare Einschränkung des objektiven Tatbestandes, wenn § 244 StGB-DDR eine "gesetzwidrige" Entscheidung verlangt, § 336 StGB dagegen den weiteren Begriff einer Beugung des "Rechts" verwendet (Letzgus in Festschrift für Helmrich, 1994 S. 73, 81, 82; a.A. Buchholz ZAP-Ost 1994, 187, 189; Roggemann aaO S. 776). § 244 StGB-DDR enthält keine Freistellung eines Richters oder Staatsanwalts von der Beachtung allgemeiner, auch in der DDR anerkannter Rechtsgrundsätze, wie zum Beispiel des Gebots der Verhältnismäßigkeit. Vielmehr gilt das geschriebene Recht (nur) im Rahmen der für seine Anwendung und Auslegung entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze stellt somit eine gesetzwidrige Entscheidung dar.
Auch die Anwendung geschriebenen Rechts, das nach seinem zwingenden Gesetzeswortlaut oder in einer bestimmten menschenrechtswidrigen Auslegung gegen überpositives Recht verstößt, wird vom Normbereich des § 244 StGB-DDR erfaßt; gesetzliche Bestimmungen, die den "Kernbereich des Rechts" verletzen, der bestimmte als unantastbar anzusehende Grundsätze menschlichen Verhaltens umfaßt, die sich bei allen Kulturvölkern im Laufe der Zeit herausgebildet (BGHSt 2, 234, 237) und in neuerer Zeit in völkerrechtlichen Konventionen und Abkommen, wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPBPR), ihren Niederschlag gefunden haben, können von vornherein keine rechtliche Wirkungskraft entfalten. Einer darauf gestützten Entscheidung fehlt die Rechtsgrundlage; sie ist gesetzwidrig (Letzgus aaO; Rautenberg DtZ 1993, 71, 73; a.A. Buchholz aaO; einschränkend auch Bottke, Deutsche Wiedervereinigung, 1992 Bd. II S. 203, 227).
III. Die Rechtsanwendung durch die Angeklagten in dem Strafverfahren gegen Jürgen P. hält zwar rechtsstaatlichen Anforderungen nicht stand; sie verstieß aber weder gegen überpositives Recht noch gegen - materielles oder formelles - Recht der DDR.
1. Dies gilt zunächst für die generelle Anwendung von § 214 StGB-DDR auf Kritik an der Ausreisegesetzgebung der DDR.
§ 214 StGB-DDR bewirkt in seiner zweiten Alternative "wer in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise eine Mißachtung der Gesetze bekundet" eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit stellt ein völkerrechtlich anerkanntes, in Art. 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (MRK) und Art. 19 IPBPR unter Schutz gestelltes, auch von der Verfassung der DDR in Art. 27 garantiertes Menschenrecht dar. Sie gilt jedoch nicht schrankenlos, sondern steht auch nach den genannten völkerrechtlichen Übereinkünften unter einem weitreichenden Gesetzesvorbehalt. Zum Schutze anderer anerkannter Rechtsgüter, mit denen die Meinungsfreiheit in Konflikt geraten kann, sind daher Einschränkungen möglich, deren Ausmaß sich nach dem Wert des durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsguts richtet. Die Achtung der nationalen Rechtsordnung stellt in der Regel ein schützenswertes Rechtsgut dar, so daß es grundsätzlich als zulässig erachtet werden muß, wenn ein Staat öffentliche provokative Kritik an seiner Gesetzgebung unter Strafe stellt. Ausnahmen müssen allerdings für solche Gesetze gelten, die offensichtlich in schwerwiegender Weise gegen Menschenrechte verstoßen, etwa Völkermord oder Folter für zulässig erklären. Da solche "Rechtsvorschriften" keinerlei Anerkennung verlangen können, dürfen hiergegen gerichtete Meinungsäußerungen, in welcher Form auch immer sie erfolgen, nicht unter Strafe gestellt werden.
Hauptanwendungsfall des § 214 StGB-DDR waren - wie auch im Verfahren gegen Jürgen P. - Meinungsäußerungen, die sich auf die gesetzliche Regelung der Ausreise in der DDR bezogen. Die Ausreisefreiheit ist in völkerrechtlichen Konventionen und Abkommen, etwa in Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und in Art. 12 IPBPR, als Menschenrecht anerkannt, das zwar gesetzlichen Einschränkungen unterliegen kann, im Kern aber nicht angetastet werden darf. Die einengende Handhabung dieses Rechts durch die Gesetze und die Behörden der DDR, die einen Ausreiseanspruch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anerkannten, entsprach nicht dem Geist jener auch von der DDR anerkannten völkerrechtlichen Abkommen (vgl. hierzu eingehend BGHSt 39, 1, 16 ff.). Eine - auch provokative - Kritik an einer solchen Gesetzesregelung war deshalb nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zulässig. Diesem Verständnis wird § 214 StGB-DDR nicht gerecht, wenn er auch auf diesen Bereich kritikwürdiger Gesetzgebung erstreckt wird.
Allein dieser Umstand vermag jedoch eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Rechtsbeugung nicht zu begründen. Wollte man die Geltungskraft und Reichweite von Strafvorschriften der DDR, aus denen sich für Richter und Staatsanwälte die Rechtfertigung für Eingriffe in Rechte, insbesondere Freiheitsrechte, der Bürger herleiten, an Maßstäbe eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats anknüpfen, so würde einer Vielzahl nach dem Recht der DDR gesetzmäßiger Entscheidungen nachträglich die rechtliche Grundlage entzogen. Derartige Entscheidungen als Rechtsbeugung zu werten, widerspräche dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG.
Eine offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzung, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, ist - anders als in den genannten Beispielen einer Legalisierung von Folter oder Völkermord - weder in der Ausreisegesetzgebung der DDR als solcher noch in einer Pönalisierung öffentlicher Kritik an jener Gesetzgebung zu erblicken (vgl. zu einer ähnlichen Problematik für § 213 StGB-DDR BGH NStZ 1994, 437).
2. Etwas anderes kann freilich im Einzelfall gelten, wenn bei der Anwendung von § 214 StGB-DDR auf Meinungsäußerungen mit Bezug auf die Ausreisefreiheit die Grenzen zulässiger Auslegung augenfällig überschritten werden oder die verhängte Strafe in unerträglichem Mißverhältnis zu der Tat steht. Beides trifft hier indessen nicht zu:
a) Die Maßstäbe für die Grenzen zulässiger Auslegung von Strafgesetzen unterscheiden sich für die Rechtsanwendung in der DDR nicht grundsätzlich von denen der Bundesrepublik Deutschland. Danach richtet sich die Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Norm, begrenzt durch den Wortlaut. Die Grenzen möglicher Wortbedeutung dürfen nicht überschritten werden (vgl. BGHSt 3, 300, 303; 28, 147, 148; Eser in Schönke/ Schröder StGB 24. Aufl. § 1 Rdn. 37). Zu beachten ist dabei freilich, daß die Grenzen zwischen zulässiger Auslegung und verbotener Ausdehnung einer Strafrechtsnorm flüssig sind, da die Wortlautschranke wegen der Manipulierbarkeit des Sprachgebrauchs nur beschränkt leistungsfähig ist (vgl. dazu Maurach/Zipf, Strafrecht AT Teilband 1, 8. Aufl. § 9 II Rdn. 22, 24, sowie Roxin, Strafrecht AT Bd. I 2. Aufl. § 5 Rdn. 33, jeweils mit zahlr. Beispielen aus der Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere für die gerade in der Gesetzgebung totalitärer Staaten wie der DDR besonders häufig verwendeten "offenen" Rechtsbegriffe (vgl. zur Funktion der Generalklauseln in der Gerichtspraxis des Nationalsozialismus Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung 3. Aufl. 1988 S. 216 ff.; Gribbohm NJW 1988, 2842, 2843). Um auch in diesem Bereich eine unzulässige Überdehnung des Strafrechts, zumal zum Zwecke politischer Verfolgung, zu verhindern, ist für die Bestimmung der möglichen Wortbedeutung - auch unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots - in besonderem Maße auf die Erkennbarkeit und Verstehbarkeit für den Normadressaten abzuheben (vgl. BGHSt 28, 312, 313; Eser aaO).
Sind somit für die Auslegungsmethoden als solche keine Besonderheiten für die DDR anzuerkennen, so ist aber bei der wertenden Subsumtion des Sachverhalts unter einen Straftatbestand zu berücksichtigen, daß Richter und Staatsanwälte der DDR in ein anderes Rechtssystem eingegliedert waren, dessen Wertvorstellungen sie verhaftet waren. Solche Wertvorstellungen, wie sie insbesondere in den vom Obersten Gericht der DDR in Form von Richtlinien, "gemeinsamen Standpunkten" und "Orientierungen" herausgegebenen Verlautbarungen zum Ausdruck kommen, dürfen nicht außer acht gelassen werden, sofern sie überpositivem Recht nicht widersprechen.
b) Die so bestimmten Grenzen zulässiger Auslegung haben die Angeklagten nicht überschritten.
aa) Sinn und Zweck des § 214 StGB-DDR war nach der Rechtsvorstellung der DDR der Schutz der "Tätigkeit staatlicher Organe, der sozialistischen Rechtsordnung und der Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit vor bestimmten, im Tatbestand aufgeführten Angriffen" (Kommentar zum Strafgesetzbuch, herausgegeben vom Ministerium der Justiz der DDR, 1984, 4. Aufl. § 214 Rdn. 1). Eine Mißachtung der Gesetze in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise wurde angenommen für Fälle, in denen "der Täter in der Öffentlichkeit ... in demonstrativer Weise, kategorisch und provokatorisch die Gesamtheit oder einzelne Gesetze der DDR herabwürdigt und zum Beispiel ankündigt, sie als ungültig oder für sich als nicht verbindlich zu betrachten". Eine solche Erklärung könne auch in demonstrativen Handlungen zum Ausdruck kommen (DDR-Kommentar aaO Rdn. 4). Diese Definition entspricht wörtlich den vom Obersten Gericht der DDR im Oktober 1980 veröffentlichten "Gemeinsamen Standpunkten zur Anwendung des § 214 StGB-DDR". Ergänzt werden diese Auslegungsregeln durch die "Orientierung zur Verfolgung bestimmter Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung" des Obersten Gerichts vom Januar 1985, in der darauf hingewiesen wird, daß die oben dargestellten Grundsätze auch dann gelten sollen, wenn für Außenstehende nicht erkennbar ist, daß ein bestimmtes Handeln eine Mißachtung der Gesetze im Sinne des Tatbestandes darstellt.
bb) Auch wenn Anklage und Urteil gegen Jürgen P. keine ins einzelne gehende Subsumtion enthalten, so wird doch aus ihrem Gesamtzusammenhang deutlich, daß die Angeklagten sich an den vom Obersten Gericht vorgegebenen Auslegungsrichtlinien orientiert haben:
Mit seiner Äußerung, die Grenzen der DDR stellten für ihn keinen Friedensbeitrag dar, benennt Jürgen P. zwar nicht ausdrücklich Gesetze, die von ihm nicht anerkannt werden. Aus dem Plakattext in Verbindung mit der objektiven Situation, in der er diesen zur Schau stellte, nämlich anläßlich der Vereidigung der Grenztruppen, und seinem subjektiven Anliegen, seine Ausreise zu erzwingen, konnten die Angeklagten jedoch den Schluß ziehen, daß er die gesamte, mit der Grenzregelung in Zusammenhang stehende Gesetzgebung in Frage stellen wollte. Der Namhaftmachung eines bestimmten Gesetzes bedurfte es nicht.
Der von den Angeklagten in diesem Sinne gezogene Schluß ist zwar keineswegs zwingend, aber bei einer nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haftenden, sondern den wirklichen Willen erforschenden Auslegung der Erklärung nicht unvertretbar. Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten des Jürgen P. habe "keinen Erklärungswert in bezug auf irgendein Gesetz" und sei deshalb auch nach den Rechtsprechungsrichtlinien des Obersten Gerichts der DDR nicht von der Norm gedeckt, wird den anerkannten Auslegungsregeln nicht gerecht. Auf den Umstand, daß es in keinem Gesetz der DDR eine umfassende Ausreiseregelung gab, kann ein mangelnder Erklärungswert des Plakattextes in bezug auf Gesetze jedenfalls nicht gestützt werden. Gerade das Fehlen einer solchen Regelung kennzeichnet die nach der Überzeugung der Angeklagten von Jürgen P. "mißachtete" Gesetzeslage.
Ebensowenig kann der Auffassung des Landgerichts gefolgt werden, Jürgen P. habe nicht - wie vom Obersten Gericht in einschränkender Auslegung auch der 2. Tatbestandsalternative des § 214 Abs. 1 StGB-DDR vorausgesetzt - den Entscheidungsspielraum der Behörden einschränken können; einen solchen Spielraum habe es bei Ausreiseanträgen, die nicht auf familiäre Gründe gestützt worden seien, gar nicht gegeben. Dies trifft nicht zu. Zwar bestand für DDR-Bürger, wie Jürgen P., kein Rechtsanspruch auf Ausreise; daß diese aber gleichwohl von den Behörden der DDR nach Gutdünken genehmigt werden konnte, zeigt schon die vom Landgericht getroffene Feststellung, wonach zum Zeitpunkt seiner Festnahme die Ausreise des Jürgen P. sowie die seiner Frau und Tochter bereits genehmigt war.
cc) Das zweifellos provokatorische Verhalten des Jürgen P. als eine die öffentliche Ordnung gefährdende Mißachtung von Gesetzen zu werten, setzt freilich eine weite Auslegung der Begriffe "Gefährdung der öffentlichen Ordnung" und "Mißachtung der Gesetze" bis an die Grenze des möglichen Wortsinns voraus. Anders als in Fällen, in denen Personen verurteilt worden sind, die ohne jegliche Provokation lediglich ihren Wunsch nach Ausreise öffentlich bekundet haben, ist die Wortlautschranke jedoch unter Zugrundelegung der Wertmaßstäbe der DDR, wie sie in den Auslegungsrichtlinien des Obersten Gerichts der DDR Ausdruck gefunden haben, hier nicht überschritten. Unter Berücksichtigung der in § 214 StGB-DDR geschützten Rechtsgüter "sozialistische Rechtsordnung" und "Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit" bleiben die Mindestvoraussetzungen an die Vorhersehbarkeit strafrechtlicher Reaktionen auf ein bestimmtes Verhalten noch gewahrt. Dies belegen auch der Abschiedsbrief des Jürgen P. an seine Familie und das von ihm verfolgte Ziel, aufgrund seines Verhaltens eine Inhaftierung mit anschließendem Freikauf zu erreichen. Den Bürgern der DDR war bekannt, daß ihr Staat in seinem Streben nach internationaler Anerkennung und in seiner Sorge um eine massenhafte Abwanderung der arbeitsfähigen Bevölkerung auf öffentliche provokante Kritik an der Ausreisegesetzgebung und deren praktischer Handhabung mit strafrechtlichen Sanktionen reagierte; daß dies insbesondere dann zu erwarten war, wenn - entgegen ständigen offiziellen Verlautbarungen - der Beitrag der DDR zur Aufrechterhaltung des Friedens in Frage gestellt wurde, war ebenfalls vorhersehbar.
c) Auch die Strafzumessung erfüllt hier nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung.
Die Strafzumessung entsprechend der "sozialistischen Gerechtigkeit" hatte sich an den in § 61 Abs. 2 StGB-DDR festgelegten Grundsätzen auszurichten. Danach waren bei der Bewertung von Tat und Täterpersönlichkeit neben der Art und Weise der Begehung und den Folgen der Tat auch das gesellschaftliche Verhalten des Täters sowie die Ursachen und Bedingungen der Tat zu berücksichtigen, soweit sie über die Schwere der Tat und die Fähigkeit und Bereitschaft des Täters Aufschluß gaben, künftig "seiner Verantwortung gegenüber der sozialistischen Gesellschaft" nachzukommen.
Entsprechend diesen Grundsätzen führt das Urteil zugunsten des damaligen Angeklagten P. auf, daß er nicht vorbestraft war und zunächst eine positive schulische und berufliche Entwicklung genommen hat. Strafschärfend wertet es dagegen, daß er zur Durchsetzung seines Ausreisewunsches nicht nur die Konfrontation im Betrieb gesucht, sondern seine Plakataktion langfristig geplant, hierfür zunächst den Nationalfeiertag und schließlich die Vereidigung der Grenztruppen, mithin einen "weiteren gesellschaftlichen Höhepunkt" genutzt habe, um möglichst öffentlichkeitswirksam aufzutreten.
Mit der "unter Beachtung aller Umstände, insbesondere der hohen Tat- und Schuldschwere und der nach wie vor bei ihm vorhandenen Uneinsichtigkeit", verhängten Strafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung bewegt sich das Kreisgericht im oberen Bereich des Strafrahmens von § 214 StGB-DDR. Diese Strafe erscheint auch unter Berücksichtigung der Wertvorstellungen der DDR und deren gegenüber der Bundesrepublik Deutschland insgesamt höheren Strafniveaus überhöht.
Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt indes eine Beugung des Rechts dar (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; BGH NStZ 1994, 240, 241; NStZ 1994, 437, jeweils m.w.N.). Vielmehr soll nur der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe gestellt sein. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewußt in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt (BGH NStZ 1994, 818, 819). Dies ist bereits im Rahmen der Prüfung des objektiven Tatbestandes zu berücksichtigen. Nicht jeder Richter hat daher zwangsläufig Rechtsbeugung begangen, dessen Urteil vom Revisionsgericht im Strafmaß aufgehoben wird, weil sich die Strafe nach oben oder unten "vom Zweck gerechten Strafens entfernt". Maßstab kann vielmehr nur sein, ob sich eine Entscheidung offensichtlich als Willkürakt darstellt, weil sie entweder von einer gängigen Rechtspraxis in extremem Maße abweicht oder weil die Rechtspraxis, an der sie sich orientiert, in krassem Widerspruch zum Verhältnismäßigkeitsprinzip steht, das insbesondere Eingriffe in die Freiheit eines Menschen auch bei strafrechtlichen Verfehlungen begrenzt.
Ersteres kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Strafe, wie sie von den Angeklagten beantragt beziehungsweise verhängt wurde, in der Rechtswirklichkeit der DDR keineswegs ungewöhnlich war; sie entsprach vielmehr nach den Feststellungen des Landgerichts (UA 67) der ständigen Rechtsprechung der Rechtsmittelsenate der Bezirksgerichte und des Obersten Gerichts der DDR.
Diese Praxis verstieß zweifellos gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Als grob ungerecht und schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte im Sinne willkürlicher Rechtsanwendung erscheint sie jedoch nicht. Dies gilt hier um so mehr, als beide Angeklagten, wie auch Jürgen P. selbst, davon ausgingen, daß dieser als politischer Häftling von der Bundesrepublik Deutschland "freigekauft" werden, die Strafe mithin nicht voll verbüßen würde.
3. Auch die Art und Weise der Durchführung des gegen Jürgen P. gerichteten Verfahrens, insbesondere die Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft, der Ausschluß der Öffentlichkeit und die nur eingeschränkte Überlassung von Anklageschrift, Eröffnungsbeschluß und schriftlichem Urteil, war rechtsstaatswidrig, entsprach aber den Verfahrensvorschriften der DDR und stellte - zumindest aus der Sicht der Angeklagten - keine schwere Menschenrechtsverletzung dar.
a) Die Anordnung der Untersuchungshaft und der Beschluß über deren Fortdauer stützten sich auf § 122 Abs. 1 Ziff. 4 StPO-DDR, wonach ein Haftgrund dann vorlag, wenn die Tat, die den Gegenstand des Verfahrens bildet, mit Haftstrafe bedroht und eine Strafe mit Freiheitsentziehung zu erwarten war. Beide Voraussetzungen lagen - ausgehend von der Strafpraxis der DDR - hier vor. Die von den Angeklagten eingeschlagene Verfahrensweise stand zudem in Übereinstimmung mit einem Beschluß des Obersten Gerichts der DDR zu Fragen der Untersuchungshaft vom 20. Oktober 1977.
b) Der Ausschluß der Öffentlichkeit war in § 211 Abs. 3 StPO-DDR, die Bekanntgabe von Prozeßdokumenten anstelle von deren Zustellung zum Verbleib beim Beschuldigten in § 184 Abs. 5 in Verbindung mit § 211 Abs. 3 StPO-DDR geregelt. Voraussetzung war danach jeweils eine "Gefahr für die Sicherheit des Staates" oder die "Notwendigkeit der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen". Gemäß der Erläuterung in den "Standpunkten" des Obersten Gerichts vom 20. Mai 1985 (Leitungsinformation 13/85) sollte mit den oben genannten Einschränkungen sichergestellt werden, "daß es dem Gegner unseres Staates nicht gelingen darf, staatliche Dokumente über die Verfolgung von Straftaten gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR ... in seinen Besitz zu bringen, um diese gegen die innerstaatliche Ordnung und das internationale Ansehen der DDR zu mißbrauchen". Prozeßdokumente waren danach in der Regel nicht zuzustellen "bei Straftaten gegen die staatliche Ordnung ..., wenn die Täter Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR beantragt haben oder durch ihr Verhalten erzwingen wollten", ferner, wenn die Straftaten im Zusammenhang mit "politischen Höhepunkten" begangen wurden (OG-Standpunkte aaO). Beides traf auf das Verhalten des Jürgen P. zu.
Indem der Angeklagte E. mit seinen prozeßleitenden Entscheidungen den Auslegungsrichtlinien des Obersten Gerichts gefolgt ist, hat er eine Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und des Urteilsspruchs durch die Öffentlichkeit verhindert. Eine Rechtsbeugung könnte darin jedoch nur dann gesehen werden, wenn dies in der Absicht geschehen wäre, ein offensichtlich rechtsstaatswidriges Verfahren vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. Dafür bestehen bei dem Angeklagten keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er aufgrund der politischen Indoktrination, der gerade Juristen im Verlauf ihrer Ausbildung in der DDR ausgesetzt waren, von der "Notwendigkeit der Geheimhaltung" aus den vom Obersten Gericht angeführten Gründen überzeugt war.
Zusammenfassend ergibt sich, daß das gegen Jürgen P. gerichtete Strafverfahren weder von der Verfahrensgestaltung noch von seinem Ergebnis her den Grundsätzen eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens entsprach. Vielmehr war es Bestandteil eines von der politischen Führung der DDR entwickelten weitgefächerten Systems "zur Unterbindung und Zurückdrängung von Versuchen von Bürgern der DDR, die Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen, sowie für vorbeugende Verhinderung, Aufklärung und wirksame Bekämpfung damit im Zusammenhang stehender feindlich-negativer Handlungen" (vgl. hierzu die Mfs-Dienstanweisung Nr. 2/83 vom 13. Oktober 1983, abgedruckt in "Die geheimen Anweisungen zur Diskriminierung Ausreisewilliger", herausgegeben von Locken und Meyer-Seitz, 1992 S. 87 ff. sowie die nahezu wortgleiche "Orientierung zur Strafverfolgung bestimmter Straftaten gegen die öffentliche Ordnung" des Obersten Gerichts vom Januar 1985). Danach waren strafrechtliche Mittel gegen Ausreisewillige dann anzuwenden, "wenn andere Möglichkeiten der Disziplinierung und Erziehung ausgeschöpft sind und die betreffenden Personen trotz gesellschaftlicher Einflußnahme ihr Vorhaben hartnäckig verfolgen oder die Schwere der Handlung ein Absehen von strafrechtlicher Verfolgung ausschließt" (MfS-Informationen aaO Anlage 6 S. 191). In dieses System haben sich die Angeklagten einbinden lassen. Dies allein begründet jedoch noch keine strafrechtlich relevante Schuld (vgl. auch Limbach in Deutsche Wiedervereinigung aaO S. 99, 103). Diese setzt vielmehr erst dann ein, wenn Strafvorschriften ausschließlich als Vorwand für Zwangsmaßnahmen zur Unterdrückung des - auch nach dem Recht der DDR nicht strafbaren - Begehrens nach Ausreise benutzt wurden. Dies ist - wie vorstehend ausgeführt - angesichts der bewußt provokanten Handlungsweise des Jürgen P., der Opfer des Systemunrechts geworden ist (vgl. Roggemann JZ 1994, 769, 777), hier nicht ersichtlich.
Der Schuldspruch wegen Rechtsbeugung und damit auch wegen Freiheitsberaubung kann danach nicht bestehenbleiben. Da die Aufhebung des Urteils nur aufgrund einer anderen rechtlichen Beurteilung der vom Landgericht vollständig und fehlerfrei getroffenen Feststellungen erfolgt, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst zu entscheiden. Die Angeklagten werden freigesprochen.
Externe Fundstellen: BGHSt 40, 272; NJW 1995, 64; NStZ 1995, 31; StV 1995, 192
Bearbeiter: Karsten Gaede