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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1281

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 163/21, Beschluss v. 28.10.2021, HRRS 2021 Nr. 1281


BGH 4 StR 163/21 - Beschluss vom 28. Oktober 2021 (LG Fulda)

Konkurrenzen (räuberischer Diebstahl; Urkundenfälschung; schwerer gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr; Tateinheit durch Klammerwirkung).

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 252 StGB; § 267 StGB; § 315b Abs. 3 StGB iVm § 315 Abs. 3 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 14. Januar 2021 in den Fällen II.3. und II.4. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug und Diebstahl schuldig ist; die im Fall II.3. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe entfällt.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten des „räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfälschung, des schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit Urkundenfälschung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, des versuchten Betruges in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, sowie des Diebstahls in zwei Fällen“ schuldig gesprochen, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis festgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte entwendete die amtlichen Kennzeichen eines Pkw und brachte sie anschließend an einem anderen Pkw an (Fall II.3. der Urteilsgründe). Höchstens einige Stunden danach betankte er dieses Fahrzeug an einer Tankstelle und fuhr anschließend, wie zuvor geplant, davon, ohne die Tankrechnung zu bezahlen; das Landgericht hat zugunsten des Angeklagten angenommen, dass der Tankvorgang von dem Tankstellenpersonal nicht bemerkt wurde (Fall II.4. der Urteilsgründe).

Mehrere Wochen später lud der Angeklagte Waren von einem im Außenbereich einer Tankstelle aufgestellten Verkaufscontainer in sein Fahrzeug ein, an dem nunmehr andere, ebenfalls gestohlene Kennzeichen angebracht waren. Als eine Tankstellenmitarbeiterin sich vor seinen Wagen stellte und ihn auf sein Tun ansprach, entschloss sich der Angeklagte, unter Gewaltanwendung zu fliehen, um sich im Besitz der Beute zu erhalten. Hierzu fuhr er an und berührte die Zeugin mit der Fahrzeugfront, die daraufhin den Weg freigab (Fall II.6.). Im weiteren Verlauf des Abends wurde der Angeklagte, der mit demselben, weiterhin mit den gestohlenen Kennzeichen versehenen Fahrzeug auf der Autobahn fuhr, bei einer Verkehrskontrolle durch die Polizei angehalten. Da er wusste, dass sich Beutegegenstände aus vorangegangenen Diebstahlstaten in seinem Wagen befanden, beschloss er, seine Entdeckung durch Flucht zu verhindern. Auf der anschließenden Fluchtfahrt bremste der Angeklagte unter anderem ohne verkehrsbedingten Grund plötzlich stark ab, um eine Kollision mit dem ihn verfolgenden Polizeiwagen herbeizuführen und die Polizeibeamten an der weiteren Verfolgung zu hindern. Tatsächlich kam es zu einem Zusammenstoß beider Fahrzeuge (Fall II.7.).

b) Das Landgericht hat die Fälle II.3. und II.4. als Diebstahl in Tatmehrheit mit versuchtem Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung bewertet. Das Verhalten des Angeklagten im Fall II.6. hat es rechtlich als räuberischen Diebstahl in Tateinheit mit Urkundenfälschung und im Fall II.7. unter anderem als „schweren“ gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB, ebenfalls in Tateinheit mit Urkundenfälschung, gewürdigt.

2. Die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts ist in den Fällen II.3. und II.4. nicht frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten. In den Fällen II.6. und II.7. hält die Annahme tatmehrheitlicher Begehung rechtlicher Prüfung stand.

a) Die Annahme von Tatmehrheit (§ 53 StGB) zwischen der Entwendung der amtlichen Kennzeichen im Fall II.3. und der Nutzung des mit ihnen versehenen Fahrzeugs im Fall II.4. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, stehen alle insoweit verwirklichten Tatbestände vielmehr im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).

Der Diebstahl der Kennzeichen steht mit der im Anbringen der entwendeten Kennzeichen an dem Tatfahrzeug liegenden Urkundenfälschung in der Variante des Herstellens einer unechten zusammengesetzten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 Fall 1 StGB im Verhältnis der Tateinheit, weil insoweit von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 StR 528/13, NStZ 2014, 272). Zugleich bildet das Herstellen der unechten Urkunde mit dem anschließenden Gebrauchen der unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit, mithin eine einheitliche Urkundenfälschung, welche ihrerseits - wie vom Landgericht insoweit zutreffend angenommen - mit dem versuchten Betrug an der Tankstelle (Fall II.4.) im Verhältnis der Tateinheit steht (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2020 - 4 StR 364/20, juris Rn. 5).

b) Demgegenüber ist die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle II.6. und II.7. revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass zwischen dem im Fall II.6. verwirklichten räuberischen Diebstahl einerseits und den Taten im Fall II.7. andererseits Tatmehrheit besteht. Ausgehend von der ihrerseits rechtsfehlerfreien rechtlichen Bewertung der Straftaten zu II.6. und II.7. der Urteilsgründe kommt eine Tateinheit zwischen beiden Fällen kraft Klammerwirkung der Urkundenfälschung in Gestalt des mehrfachen Gebrauchmachens von der nämlichen zusammengesetzten Urkunde, bestehend aus den entwendeten Kennzeichen und dem Fahrzeug, nicht in Betracht.

Voraussetzung für die Annahme von Tateinheit durch Klammerwirkung ist, dass die Ausführungshandlungen zweier an sich selbständiger Delikte zwar nicht miteinander, wohl aber mit der Ausführungshandlung eines dritten Tatbestandes (teil-)identisch sind und dass zwischen wenigstens einem der beiden an sich selbständigen Delikte und dem sie verbindenden Delikt zumindest annähernde Wertgleichheit besteht oder die verklammernde Tat die schwerste ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2013 - 4 StR 223/13, NStZ-RR 2014, 144, 145 mwN; vom 13. Januar 2010 - 4 StR 562/09). Beides ist hier nicht der Fall. Während die Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB ein im Höchstmaß mit fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohtes Vergehen ist, handelt es sich sowohl bei dem räuberischen Diebstahl (§ 252 i.V.m. § 249 StGB) als auch bei dem schweren gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 StGB) jeweils um Verbrechenstatbestände, die beide erheblich schwerer wiegen als die Urkundenfälschung (anders für eine hier nicht gegebene Fallkonstellation BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 StR 528/13, NStZ 2014, 272 mwN).

c) Der Senat ändert den Schuldspruch hinsichtlich der Fälle II.3. und II. 4. entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung hat den Wegfall der Einzelstrafe im Fall II.3. in Höhe von drei Monaten zur Folge. Dies führt nicht zu einer Änderung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht angesichts der Einsatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und der verbleibenden Einzelstrafen von einem Jahr und zwei Monaten, acht Monaten sowie dreimal drei Monaten zu einer milderen Gesamtstrafe gelangt wäre.

d) Soweit der Senat der von dem Generalbundesanwalt beantragten Änderung des Schuldspruches und der Annahme tateinheitlicher Tatbegehung betreffend die Fälle II.6. und II.7. nicht folgt, steht dies einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO nicht entgegen, da der Generalbundesanwalt keine Aufhebung des Strafausspruches, sondern lediglich eine Schuldspruchänderung und im Ergebnis die Verwerfung der Revision beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 4 StR 617/16, juris Rn. 22 mwN).

3. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils nicht ergeben.

4. Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1281

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 68

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß