HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 246
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 295/22, Beschluss v. 15.12.2022, HRRS 2023 Nr. 246
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 9. Mai 2022 wird
a) im Fall II.12. der Urteilsgründe der Vorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens von der Strafverfolgung ausgenommen,
b) das vorbezeichnete Urteil aa) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die Verurteilung wegen tateinheitlichen verbotenen Kraftfahrzeugrennens und tateinheitlicher Steuerhinterziehung (Fall II.12. der Urteilsgründe) entfällt,
bb) dahin berichtigt, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Lemgo vom 8. Dezember 2017 und vom 4. Juni 2019 sowie des Landgerichts Detmold vom 2. Oktober 2019 zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwölf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, mit einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, mit Urkundenfälschung, mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und mit Steuerhinterziehung, sowie wegen Hehlerei in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, unter Einbeziehung „der Jugendstrafe“ eines früher gegen ihn ergangenen Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von drei Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt nach einer Beschränkung der Strafverfolgung zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Das Landgericht hat - soweit für die Entscheidung von Bedeutung - im Fall II.12. der Urteilsgründe im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
Am Vormittag des 1. Oktober 2021 befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw innerorts die H. Straße in L., obwohl er - wie er wusste - die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß und das von ihm geführte Kraftfahrzeug - wie er gleichfalls wusste - weder haftpflichtversichert noch straßenverkehrsrechtlich zugelassen war. Um gleichwohl den Eindruck einer ordnungsgemäßen Zulassung des Fahrzeuges zu erwecken, hatte der Angeklagte vor der Fahrt täuschend echt aussehende und mit Dienstsiegeln der Zulassungsbehörde versehene Dublettenkennzeichen montiert, die zuvor für ein anderes Fahrzeug ausgegeben worden waren. Eine Erklärung gegenüber den Steuerbehörden über die Benutzung seines Fahrzeugs hatte er zu keiner Zeit abgegeben, wobei ihm bewusst war, dass es einer solchen bedurft hätte.
Als der Angeklagte bemerkte, dass eine hinter ihm fahrende Polizeistreife auf ihn aufmerksam geworden war, beschloss er, sich der von ihm erwarteten Personen- und Fahrzeugkontrolle durch Flucht zu entziehen. Die von ihm vorausgesehene Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war ihm gleichgültig; ihm kam es allein darauf an, der Verkehrskontrolle und der von ihm befürchteten Strafverfolgung zu entgehen. Er beschleunigte, überholte zwei vor ihm fahrende Fahrzeuge und bog in eine in einem verkehrsberuhigten Bereich liegende Straße ein, die er - obwohl kurvenbedingt für ihn nicht einsehbar - mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h befuhr. Aufgrund der fehlenden Einsehbarkeit nahm der Angeklagte eine mittig auf der Straße und in seine Fahrtrichtung laufende Schülergruppe erst wahr, als diese unmittelbar vor ihm war. Um einen Zusammenstoß mit zwei Schülern zu verhindern, bremste er und wich nach rechts aus. Infolge dieses Fahrmanövers steuerte er mit seinem Fahrzeug auf zwei weitere Schüler zu, die sich in unmittelbarer Nähe zu seinem Fahrzeug befanden. Der Zeuge O. nahm das Fahrzeug des Angeklagten wahr und konnte mit einer schnellen Reaktion zur Seite springen, wobei er die Zeugin R. mit sich zog, und dadurch einen Zusammenstoß mit dem vom Angeklagten gesteuerten Pkw gerade noch verhindern. Der Angeklagte passierte die Zeugen mit seinem Fahrzeug mit „weniger als einer Armlänge“ Abstand. Die konkrete Gefahr einer Kollision mit lebensbedrohlichen Verletzungen hatte der Angeklagte erkannt und in Kauf genommen. Nach dem Passieren der Schülergruppe beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug wieder und unternahm in der Folge mehrere riskante Fahr- und Überholmanöver, durch die andere Verkehrsteilnehmer zum abrupten Abbremsen oder Ausweichen gezwungen wurden. Um zu entkommen, beschleunigte er sein Fahrzeug mehrmals maximal und erreichte innerorts eine Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h, außerorts eine solche von mehr als 180 km/h. Die Gefährdung der jeweils betroffenen Verkehrsteilnehmer infolge seiner hohen Geschwindigkeit war dem Angeklagten auch im Verlauf seiner weiteren Fluchtfahrt bewusst. Insgesamt erstreckte sich die von der Polizeistreife letztlich abgebrochene Verfolgungsfahrt auf eine Gesamtfahrstrecke von 15 Kilometern.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II.12. der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, mit einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, mit Urkundenfälschung, mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und mit Steuerhinterziehung verurteilt. Es hat angenommen, das festgestellte Verhalten des Angeklagten erfülle den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, da dieser vorsätzlich seiner sich aus § 15 Abs. 1 KraftStDV ergebenden Erklärungspflicht nicht nachgekommen sei.
Der Senat nimmt mit Zustimmung des Generalbundesanwalts im Fall II.12. der Urteilsgründe den Vorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB gemäß § 154a Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen von der Verfolgung aus. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen (noch) nicht, dass die Flucht des Angeklagten vor der Polizei von der Absicht getragen war, eine höchstmögliche Geschwindigkeit im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu erreichen. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass der Angeklagte das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Ziel anstrebte, um sich dem Zugriff der Polizeibeamten zu entziehen; dass der Angeklagte - wie von ihm eingeräumt - sein Fahrzeug während seiner Flucht bewusst mehrmals maximal beschleunigte, genügt allein nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20, BGHSt 66, 27 Rn. 15 ff. und vom 29. April 2021 - 4 StR 165/20, BGHR StGB § 315d Abs. 1 Nr. 3 Absicht höchstmöglicher Geschwindigkeit 3 Rn. 9).
Die Verfahrensbeschränkung führt zu einer Änderung des Schuldspruchs, die der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO vornimmt.
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich durch die Nutzung seines nicht zugelassenen Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr ohne Abgabe einer Steuererklärung wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nicht erfüllt.
1. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO macht sich strafbar, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann danach nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 - 1 StR 89/19, BGHSt 64, 252 Rn. 33). Dabei können sich Offenbarungspflichten sowohl aus den gesetzlich besonders festgelegten steuerlichen Erklärungspflichten wie auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben, die allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen (BGH, Urteile vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 Rn. 19 mwN und vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 52).
Das Kraftfahrzeugsteuergesetz enthält keine Erklärungspflicht. Eine solche folgt allein aus der aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mit Wirkung zum 20. Juli 2017 in Kraft getretenen Regelung in § 15 Abs. 1 KraftStDV (BGBl. I S. 2374). Nach dieser Vorschrift hat bei widerrechtlicher Benutzung nach § 2 Abs. 5 KraftStG die Person, die das Fahrzeug im Inland benutzt, unverzüglich eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beim zuständigen Hauptzollamt abzugeben.
2. Ob ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV zu einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führen kann, hat der Senat bislang dahinstehen lassen (BGH, Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 173/17 Rn. 31 [zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 15 Abs. 1 KraftStDV mit Wirkung zum 20. Juli 2017]). In der Literatur wird dies unterschiedlich beurteilt.
a) Teilweise wird dies angenommen (vgl. Krumm in Tipke/Kruse AO, § 370 Rn. 67 [Stand: Mai 2022]; Gehm, ZWH 2018, 71, 74). Die Regelung der Durchführungsverordnung genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insbesondere bestimme das Kraftfahrzeugsteuergesetz zumindest im Zuge einer Auslegung hinreichend deutlich und vorhersehbar, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 KraftStG Gebrauch gemacht werden und welchen Inhalt die Verordnung haben könne (vgl. Gehm, ZWH 2018, 71, 74).
b) Nach anderer Auffassung kann die allein in der Durchführungsverordnung geregelte Erklärungspflicht keine Pflicht im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründen (vgl. Spatscheck/Fraedrich, Steuerverwaltungsmagazin 2017, S. 162 ff. Küchenhoff in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 23 Rn. 382). Da das Kraftfahrzeugsteuergesetz selbst nicht bestimme, ob überhaupt und gegebenenfalls durch wen eine Steuererklärung abzugeben sei, habe es letztlich allein der Verordnungsgeber in der Hand zu entscheiden, ob bei der widerrechtlichen Benutzung von Kraftfahrzeugen eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben sei. Dies genüge den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht (vgl. Spatscheck/Fraedrich, aaO S. 164).
c) Mitunter wird die Frage der Tatbestandsmäßigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KraftStDV offengelassen (vgl. Jäger in Klein, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 61b; MüKo-StGB/Schmitz/Wulf, 3. Aufl., AO § 370 Rn. 309 ff.; Ebner, HFR 2018, 495, 497).
3. Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV führt nicht zur Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn die Regelung der steuerlichen Erklärungspflicht allein in § 15 Abs. 1 KraftStDV genügt nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG (a). Zudem dürfte § 15 Abs. 1 KraftStDV in der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG keine im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichende Grundlage finden (b).
a) Eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KraftStDV wäre mit den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
aa) Dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot genügen Blankettstrafgesetze nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe also bereits entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sind. Zudem müssen neben der Blankettstrafnorm auch die sie ausfüllenden Vorschriften die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen erfüllen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 82 und vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rn. 46; jew. mwN).
Legt die Blankettstrafnorm nicht vollständig selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz fest, welches Verhalten durch sie bewehrt werden soll, sondern erfolgt dies erst durch eine nationale Rechtsverordnung, auf die verwiesen wird, müssen daher nach Art. 103 Abs. 2 GG und ? soweit Freiheitsstrafe angedroht wird ? in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Rechtsverordnung vorhersehbar sein. Um den Grundsatz der Gewaltenteilung zu wahren, darf dem Verordnungsgeber lediglich die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt werden, nicht aber die Entscheidung darüber, welches Verhalten als Straftat geahndet werden soll (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 83; vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rn. 47 und vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04, BVerfGK 17, 273 Rn. 56 f.).
bb) Die Erklärungspflicht als Voraussetzung der Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist für den Bürger nicht schon aufgrund des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vorhersehbar; sie wird vielmehr erst aus § 15 KraftStDV deutlich.
Das Kraftfahrzeugsteuergesetz sieht keine Erklärungspflicht vor. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG wird das Bundesministerium für Finanzen ermächtigt, Rechtsverordnungen zu erlassen über „das Besteuerungsverfahren, insbesondere die Berechnung der Steuer und die Änderung von Steuerfestsetzungen, sowie die von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden Pflichten und die Mitwirkungspflicht Dritter“. Damit wird dem Normadressaten nicht erkennbar vor Augen geführt, dass der Gesetzgeber von einer Erklärungspflicht ausgeht und nur deren weitere Ausgestaltung dem Verordnungsgeber überlassen wollte. Aus dem Wortlaut der Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG ergibt sich eine Erklärungspflicht nicht. Dieser erstreckt sich zwar auf die „von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden Pflichten“. Um welche Pflichten es sich dabei handelt, ergibt sich aber weder aus der Vorschrift selbst noch aus ihrem Kontext. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass der Gesetzgeber den Verordnungsgeber damit zur Statuierung (auch) von Erklärungspflichten ermächtigt hat. Denn steuerliche Erklärungspflichten sind nicht derart selbstverständlich, dass es deren ausdrücklicher Erwähnung und Regelung nicht bedürfte. Schließlich beschränken sich Pflichten eines Steuerpflichtigen weder im Allgemeinen noch im hier relevanten Zusammenhang typischerweise auf die Abgabe einer Erklärung. Dementsprechend sieht die auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG erlassene Durchführungsverordnung neben den Erklärungspflichten auch andere, den Steuerschuldner treffende Pflichten vor. So statuiert etwa § 13 KraftStDV Mitführ- und Auskunftspflichten des Steuerschuldners. Weitere Pflichten ergeben sich aus § 7 Abs. 1 KraftStDV und § 6 KraftStDV. Dem Normadressaten ist es anhand des Wortlauts der Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mithin nicht möglich vorauszusehen, ob und unter welchen Umständen ihn eine Erklärungspflicht trifft. Da Art. 103 Abs. 2 GG gerade das Vertrauen auf den Wortlaut einer Norm schützt, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vor. Sollte sich daraus eine nicht gewollte Strafbarkeitslücke ergeben, wäre deren Schließung allein Aufgabe des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 Rn. 77).
b) Ob § 15 Abs. 1 KraftStDV in der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG eine hinreichende Grundlage findet, ist zumindest zweifelhaft. Denn es ist schon unklar, ob der Gesetzgeber dem ermächtigten Bundesministerium tatsächlich die Befugnis übertragen wollte, eine Erklärungspflicht wie erfolgt zu statuieren.
Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes lässt sich nicht ersehen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Ermächtigung von dem Grunde nach bereits geregelten Erklärungspflichten ausging, deren Ausfüllung er auf die Exekutive übertragen wollte. Die durch das Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 19. Dezember 1960 als § 19 KraftStG (BGBl. I S. 1005) eingeführte Verordnungsermächtigung wurde allein für erforderlich gehalten, um das Durchführungsrecht den Änderungen des Gesetzes und den veränderten Verhältnissen anzupassen (vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 3/1621, S. 8). Zu Erklärungspflichten verhält sich die Gesetzesbegründung nicht. Diese hat der Gesetzgeber auch später nie thematisiert. Er hat auch die Senatsentscheidung aus dem Jahr 2017, in welcher der Senat das Bestehen einer wirksamen Verordnungsermächtigung ausdrücklich offengelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 173/17 Rn. 31), nicht zum Anlass genommen, eine klare Regelung zu schaffen, obschon er gerade § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 16. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2184) geändert hat.
Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls dagegen, dass sich die Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG auf Erklärungspflichten erstreckt. Zwar liegt es nahe, dass mit der Schaffung eines gesetzlichen Steuertatbestands entsprechende Erklärungspflichten eines Steuerschuldners geregelt werden. Dennoch hat der Gesetzgeber diese regelmäßig zum Gegenstand einer eigenständigen formalgesetzlichen Regelung in zahlreichen Einzelsteuergesetzen gemacht (vgl. etwa § 25 Abs. 3 EStG; § 41a EStG; § 45a EStG; § 18 UStG; § 14a Abs. 1 Satz 1 GewStG; §§ 30, 31 ErbStG; § 17 TabStG; § 8 VersStG; §§ 8 ff. EnergieStG).
Ob für den Fall, dass sich § 15 Abs. 1 KraftStDV innerhalb der Grenzen der Ermächtigung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG halten sollte, diese Vorschrift insoweit hinreichend bestimmt im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG wäre (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 100 und vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, BVerfGK 17, 273 Rn. 38 f.) oder eine unzulässige Delegation der Entscheidung über die Strafbarkeit vorläge (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 91, 94 und vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rn. 51; Bülte, wistra 2020, 242, 252), kann hier offenbleiben.
4. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab; die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung entfällt.
Die Änderung des Schuldspruchs führt nicht zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
1. Angesichts der verbleibenden gewichtigen Taten, des festgestellten erheblichen Erziehungsbedarfs und der einbezogenen Urteile, mit denen gegen den Angeklagten zuletzt eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt wurde, schließt der Senat aus, dass das Landgericht die Einheitsjugendstrafe bei entsprechender Beschränkung der Strafverfolgung und Wegfall der - sich auf Kraftfahrzeugsteuer für einen Monat beziehenden - Steuerhinterziehung niedriger bemessen hätte. Durch den Umstand, dass das Landgericht entgegen § 105 Abs. 3 Satz 1 JGG rechtsfehlerhaft eine Strafrahmenobergrenze von lediglich fünf Jahren Jugendstrafe bei dem heranwachsenden Angeklagten angenommen hat, ist dieser nicht beschwert.
. Die Anordnung der isolierten Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 1 StGB kann ebenfalls bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vielzahl der im Verlauf der Fluchtfahrt begangenen gravierenden Verkehrsverstöße und die - unabhängig von deren rechtlicher Bewertung - dabei zu Tage getretene Bereitschaft des Angeklagten, sich in schwerwiegender Weise über seine Pflichten als Kraftfahrer hinwegzusetzen, ist ebenfalls auszuschließen, dass das Landgericht eine kürzere Sperrfrist bestimmt hätte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2021 - 4 StR 277/21 Rn. 6).
Der Senat hat die Urteilsformel hinsichtlich der einbezogenen Vorerkenntnisse klarstellend berichtigt. Die Strafkammer hat im Urteilstenor nicht zum Ausdruck gebracht, dass nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG nicht lediglich die Strafe aus dem früheren noch nicht erledigten Urteil, sondern das Urteil als solches in die Bildung der Einheitsjugendstrafe übernommen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 - 4 StR 228/20 Rn. 4). Zudem sind bei der Einbeziehung eines früheren Urteils auch alle bereits in jenes Urteil einbezogenen Urteile im Tenor des neuen Urteils aufzuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2014 - 1 StR 97/14 Rn. 2; Urteil vom 27. Oktober 1992 - 1 StR 531/92 Rn. 22).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 246
Bearbeiter: Christoph Henckel