HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 181
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 277/21, Beschluss v. 09.12.2021, HRRS 2022 Nr. 181
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 19. November 2020 wird
a) im Fall II.1 der Urteilsgründe der Vorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens von der Strafverfolgung ausgenommen;
b) das vorgenannte Urteil
aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz schuldig ist, und
bb) im Ausspruch über die in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von drei Jahren angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat nach einer Verfolgungsbeschränkung den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Senat beschränkt die Strafverfolgung im Fall II.1 der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen auf die Tatvorwürfe der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a) StGB, des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz gemäß § 6 Abs. 1 PflVG. Die Verurteilung des Angeklagten auch wegen eines tateinheitlich begangenen verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Feststellungen der Strafkammer zu der nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbarkeitsbegründenden Absicht auf einer nicht tragfähigen Beweiswürdigung beruhen. Das Landgericht hat lediglich ein objektiv tatbestandsmäßiges Fahrverhalten des Angeklagten beweiswürdigend belegt, nicht jedoch, dass es dem Angeklagten bei seinem Handeln darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht vor der Polizei die nach den situativen Gegebenheiten höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Beschluss vom 29. April 2021 - 4 StR 165/20).
2. Die Annahme selbständiger, real konkurrierender Taten in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Bei ihrer konkurrenzrechtlichen Bewertung hat die Strafkammer übersehen, dass bei einer Beförderung von Rauschgift zu Handelszwecken weitere Gesetzesverstöße, die der Täter durch das Führen des Transportfahrzeugs verwirklicht, wegen der Teilidentität der Ausführungshandlungen zu dem in der Beförderung liegenden Betäubungsmittelhandel im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 StGB stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 4 StR 590/18 mwN).
3. Der Senat ändert den Schuldspruch zu diesem Tatkomplex mit Blick auf die Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO und die konkurrenzrechtliche Bewertung in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO entsprechend ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung entzieht den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe sowie der Gesamtstrafe die Grundlage.
Die der Strafzumessung zu Grunde liegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen. Sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen, insbesondere zum Wirkstoffgehalt des Marihuanas (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 23. März 2021 - 3 StR 53/21 Rn. 4; vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11, 3 4 5 NStZ 2012, 339; vom 20. Juni 2017 - 1 StR 227/17) treffen, soweit diese nicht mit den bisherigen in Widerspruch stehen.
Die Anordnung der isolierten Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 1 StGB kann ebenfalls bestehen bleiben. Sie stützt sich auf die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz. Angesichts der Vielzahl der im Verlauf der Fluchtfahrt begangenen gravierenden Verkehrsverstöße und der - unabhängig von deren rechtlichen Bewertung als verbotenes Kraftfahrzeugrennen - dadurch dokumentierten Bereitschaft des Angeklagten, sich zur Vermeidung einer Verkehrskontrolle in schwerwiegender Weise über seine Pflichten als Kraftfahrer hinwegzusetzen, kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht auf Grundlage der geänderten rechtlichen Bewertung eine kürzere Sperrfrist bestimmt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 181
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß