HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1257
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 118/22, Beschluss v. 30.03.2023, HRRS 2023 Nr. 1257
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 5. Oktober 2021
a) aufgehoben
aa) in den Einzelstrafaussprüchen zu den Taten 1, 2, 8 und 9 sowie
bb) im Gesamtstrafenausspruch,
b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin ergänzt, dass der Angeklagte in Höhe von 16.155 Euro als Gesamtschuldner haftet.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verfahrensrüge hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
2. Der Schuldspruch begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hingegen hält der im Übrigen rechtsfehlerfreie Strafausspruch in den Einzelstrafen zu den Taten 1, 2, 8 und 9 rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat hinsichtlich dieser Fälle sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass bei Begehung dieser Taten am 4. April 2020 sowie am 1., 5. und 17. Mai 2020 - was in der Sache zutrifft - die Bewährungsstrafe aus der Verurteilung vom 28. April 2017, rechtskräftig seit dem 10. Januar 2018, erst am 22. Mai 2020 erlassen wurde.
b) Diese Wertung begegnet hier durchgreifenden Bedenken.
aa) Ob der Tatrichter gehindert ist, den Umstand, dass eine Strafe noch nicht erlassen ist, straferschwerend zu berücksichtigen, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht ausdrücklich entschieden. Er hat allerdings die strafschärfende Erwägung als rechtsfehlerhaft beanstandet, der Täter habe die abgeurteilte Tat unter laufender Bewährung begangen, wenn das angefochtene Urteil keine Angaben zur Dauer der Bewährung enthielt, der Ablauf der Bewährungszeit damit nicht belegt und für das Revisionsgericht nicht nachprüfbar war (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2021 - 6 StR 403/20; für den Lauf der Fristen der Bewährung und der Führungsaufsicht Senat, Beschluss vom 13. November 2019 - 2 StR 193/19). Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen dem Täter ein Bewährungsversagen strafschärfend vorgehalten wurde, ausweislich der jeweiligen Urteilsfeststellungen nach Ablauf der Bewährungsfrist nur noch der Beschluss über den Erlass der Strafe fehlte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. September 1991 - 4 StR 346/91; vom 21. Januar 2016 - 4 StR 507/15; vom 6. September 2016 - 3 StR 283/16 und vom 15. April 2020 - 5 StR 76/20).
bb) Das Landgericht hat nicht bedacht, dass die generelle strafzumessungsrechtliche Gleichsetzung von innerhalb der Bewährungsfrist begangenen Taten mit denen, die zwischen dem Ablauf der Frist und dem Straferlass erfolgen, im Gesetz keine Stütze findet. Die vom Landgericht insoweit gewählte Formulierung lässt deshalb besorgen, dass es dem Zeitraum zwischen dem Ablauf der Bewährungsfrist und dem Straferlass generell eine straferhöhende Bedeutung beimisst, die ihm nicht zukommt. Umstände, die im Zusammenhang mit Vorverurteilungen stehen, können im Regelfall nur dann zu Lasten des Täters berücksichtigt werden, wenn von ihnen noch eine besondere Warnfunktion ausgeht und die Schuld des Täters sich durch das Hinwegsetzen über diese Warnung erhöht hat (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - (4) 1 Ss 476/02 (18/03), StV 2004, 209). Nach Ablauf der Frist des § 56a StGB ist - unabhängig vom Zeitpunkt des Straferlasses - die mit der vorigen Verurteilung einhergehende Warnung einer für den Fall künftiger Straftaten drohenden Vollstreckung der verhängten Strafe entfallen (vgl. §§ 56f Abs. 1 Nr. 1, 56g Abs. 2 StGB; KG aaO). Die Beschränkung der rechtlichen Wirkungen der §§ 56 ff. StGB auf „die Dauer der Bewährungszeit“ (so etwa §§ 56c Abs. 1, 56d Abs. 1 StGB) bildet außerdem die Grundlage für die entsprechende Erwartungshandlung des Verurteilten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juni 2009 - 2 BvR 847/09; StV 2010, 312). Es kommt hinzu, dass der Zeitpunkt des Straferlasses von organisatorischen Zufälligkeiten abhängig ist, die der Verurteilte nicht beeinflussen kann.
cc) Die vorstehend dargelegte gesetzgeberische Wertung schließt es gleichwohl nicht aus, dass Umstände des Einzelfalles die hier in Rede stehende strafschärfende Erwägung tragen können, etwa, wenn der Täter eine Bewährung von vornherein nicht beabsichtigte und bis zur Begehung weiterer Straftaten nur den Ablauf der Bewährungsfrist abwarten wollte (vgl. KG aaO). Solche Umstände sind indes im vorliegenden Fall nicht festgestellt.
d) Der Würdigungsfehler des Landgerichts führt zur Aufhebung des Strafausspruchs in den Fällen 1, 2, 8 und 9 der Urteilsgründe. Der Senat kann - auch mit Blick darauf, dass die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten zudem den Umstand berücksichtigt hat, dass er, wenn auch nicht einschlägig, vorbestraft ist - nicht ausschließen, dass sie bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre.
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil es sich insoweit um einen bloßen Wertungsfehler handelt. Der Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen, etwa zur Dauer der Bewährungszeit, zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
e) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht dem Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage.
3. Auch die Einziehungsentscheidung erweist sich insoweit als rechtsfehlerhaft, als das Landgericht es versäumt hat, hinsichtlich eines Betrags von 16.155 Euro eine gesamtschuldnerische Haftung anzuordnen.
Aus den Taten 1 und 2 erzielte der Angeklagte zusammen mit dem Mitangeklagten D. ein Gesamterlös von 32.310 Euro. Die Strafkammer konnte insoweit nicht ausschließen, dass „mit Blick auf den Gesamterlös aus den Marihuanaverkäufen lediglich ein für die Einziehung unerheblicher transitorischer Besitz des jeweiligen Angeklagten hinsichtlich der anderen Hälfte der Verkaufserlöse vorgelegen hat, „also keiner der Angeklagten die vollständige Verfügungsmacht über den Gesamterlös hatte“. Sie hat aus diesem Grund zu Gunsten der Angeklagten lediglich eine Einziehung in Höhe des jeweils hälftig erhaltenen Taterlöses anstelle einer gesamtschuldnerischen Einziehung hinsichtlich des gesamten Taterlöses (aus beiden Taten) angeordnet. Weitergehend hätte das Landgericht im Zweifel zu Gunsten des jeweiligen Angeklagten aber davon ausgehen müssen, dass der jeweils andere Mittäter zunächst die Verfügungsmacht über den gesamten Taterlös erlangt hätte, bevor er den dem anderen Angeklagten zustehenden hälftigen Erlös an diesen weitergereicht hätte. Dies führt zu einer gesamtschuldnerischen Haftung in Höhe des dem jeweiligen Angeklagten zugeflossenen Betrags von 16.155 Euro, deren Anordnung der Senat hiermit nachholt.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1257
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede