HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 869
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 403/20, Urteil v. 30.06.2021, HRRS 2021 Nr. 869
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 8. Juli 2020
a) im Strafausspruch aufgehoben,
b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin geändert, dass sich der Betrag auf 262.296 Euro beläuft. 2. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen sowie wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung angeordnet. Ferner hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrens- und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wendet sich allein gegen den Maßregelausspruch. Die Revisionen haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte im Zeitraum von August 2018 bis zum 20. September 2019 in sieben und danach in zwei weiteren Fällen Kokain von dem gesondert Verfolgten P., um es gewinnbringend zu verkaufen. Bei den Beschaffungsfahrten begleitete ihn die gesondert Verfolgte K., in deren Wohnung das Kokain aufbewahrt wurde und die den Angeklagten in allen Fällen beim Vertrieb des Betäubungsmittels unterstützte. Die gesondert Verfolgte B. war in den Fällen sechs bis neun ebenfalls beteiligt.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg, während die Verfahrensrüge aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durchgreift.
1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bei der Begehung der Taten 1 bis 7 „durch den erst am 20.09.2019 erfolgten Erlass der Strafe aus dem Urteil aus 2016 unter Bewährung stand“. Insoweit ist den Feststellungen zu entnehmen, dass das Landgericht Braunschweig den Angeklagten am 23. August 2016 zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt hatte. Es fehlen aber Angaben zur Dauer der Bewährungszeit. Sollte der Angeklagte die Taten begangen haben, als die Bewährungszeit bereits abgelaufen war und lediglich der Beschluss über den Erlass der Strafe noch ausstand, erwiese sich die strafschärfende Berücksichtigung als rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. September 2016 - 3 StR 283/16, StV 2018, 358; vom 13. November 2019 - 2 StR 193/19; vom 15. April 2020 - 5 StR 76/20).
Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche, die den bisherigen nicht widersprechen, ergänzt werden. Der Wegfall der in den Fällen 1 bis 7 verhängten Strafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt stimmige Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Einzelstrafen für die Fälle 8 und 9 auf.
2. Der nach §§ 73, 73c StGB eingezogene Geldbetrag ist geringfügig herabzusetzen.
Den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, dass die Gesamtmenge des in den Handel gelangten Kokains 3.323,7 g und nicht - wie vom Landgericht seiner Berechnung zugrunde gelegt - 3.327,59 g betrug. Zudem hat der Senat - um jeden Nachteil des Angeklagten auszuschließen - den Wert des sichergestellten Bargelds (3.600 Euro) von den erzielten 265.896 Euro in Abzug gebracht, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich insoweit um Erlöse aus den angeklagten Betäubungsmittelgeschäften handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2018 - 5 StR 400/18).
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken, weil die diesbezügliche Beweiswürdigung fehlerhaft ist.
a) Die Strafkammer hat ihre Feststellungen zum Drogenkonsum des Angeklagten und daran anknüpfend ihre Überzeugung zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB maßgeblich auf dessen Einlassung in der Hauptverhandlung gestützt. Sie hat dazu ausgeführt, dass das wechselnde, an die Beweisergebnisse angepasste Aussageverhalten zwar gegen die Glaubhaftigkeit seiner Einlassung spreche. So habe der Angeklagte unmittelbar nach seiner Festnahme sowie bei der Aufnahme in die Haftanstalt mitgeteilt, „kein Drogenproblem zu haben“, davon abweichend im Rahmen seiner Exploration gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen jedoch geschildert, bis zur Festnahme monatlich mindestens 50 g Kokain konsumiert zu haben. Diese Angaben habe er nach dem Hinweis auf eine mangelnde Übereinstimmung mit dem Ergebnis des Haargutachtens in der Hauptverhandlung noch einmal dahin geändert, dass er in den letzten Monaten vor der Inhaftierung nur noch gelegentlich konsumiert habe.
Dennoch ist die Strafkammer zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Angeklagten auch noch im Urteilszeitpunkt eine ihn beherrschende Neigung bestehe, Kokain im Übermaß zu konsumieren.
b) Die Begründung, mit der die Strafkammer der ihrer Einschätzung nach wenig aussagekonstanten Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung gefolgt ist, ist auch eingedenk des insoweit beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179 mwN) nicht tragfähig. Sie erweist sich in zweifacher Hinsicht als lückenhaft.
aa) Zum einen hat sich das Landgericht nicht erkennbar mit der - im Übrigen als glaubhaft eingestuften - Aussage der Zeugin B. (UA S. 39) auseinandergesetzt, dass der Angeklagte ihr von „seiner zehn Jahre zurückliegenden Betäubungsmittelabhängigkeit erzählt“ habe (UA S. 51). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte der Zeugin, mit der er „eheähnlich“ zusammenlebte (UA S. 11) und die in die Betäubungsmittelgeschäfte eingebunden war, nicht die Wahrheit erzählt haben könnte, bestehen - abgesehen von der vom Angeklagten behaupteten Heimlichkeit seines Konsums - nicht.
bb) Zum anderen hat die Strafkammer die gegen einen heimlichen Konsum sprechenden Umständen nicht erörtert. Bei Durchsuchungen wurden weder im Büro noch in der Wohnung des Angeklagten Konsumutensilien gefunden. Es bestand für den Angeklagten kein plausibler Grund, seinen Konsum vor den an seinem Drogenhandel beteiligten Zeuginnen B. und K. zu verheimlichen. Insoweit hält auch die Strafkammer es für schwer nachvollziehbar, dass es dem seit Jahren in der Kokainszene tätigen Angeklagten peinlich gewesen sein sollte, selbst Kokain zu konsumieren. Zu welchen „Verwicklungen“ das Bekanntwerden des Kokainkonsums (UA S. 63) in seinem mit der Rotlichtszene verknüpften beruflichen Umfeld hätte führen sollen, wird von der Strafkammer weder ausgeführt noch sind sie sonst erkennbar.
Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB unterliegt auch auf die wirksam hierauf beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft der Aufhebung. Zur Begründung nimmt der Senat auf seine Ausführungen unter II.3 Bezug.
Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Für den Fall, dass das neue Tatgericht wiederum zur Annahme eines Hangs des Angeklagten zum Betäubungsmittelkonsum gelangt, wird es sich jedenfalls im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt ferner damit auseinanderzusetzen haben, dass der mehrjährig im Drogen- und Rotlichtmilieu tätige Angeklagte auch nach der von ihm behaupteten fast gänzlichen Einstellung des Kokainkonsums seine „Beschaffungsfahrten mit immer größer werdenden Beschaffungsmengen“ fortgesetzt hat (UA S. 63).
2. Sollte das neue Tatgericht erneut eine Maßregel nach § 64 StGB anordnen, wird es zu beachten haben, dass der Abzug der zum Urteilszeitpunkt bereits verbüßten Untersuchungshaft von der Dauer des Vorwegvollzugs rechtsfehlerhaft ist. Die erlittene Untersuchungshaft ist vielmehr im Vollstreckungsverfahren (§ 51 StGB) auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Teil der Strafe anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 1 StR 531/13, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Satz 3 Berechnung 2).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 869
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß