HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 970
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 177/21, Beschluss v. 30.06.2021, HRRS 2021 Nr. 970
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 5. Februar 2021 mit den Feststellungen zur Schadenshöhe aufgehoben; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit einer nicht ausgeführten und daher unzulässigen Verfahrensrüge und mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel erkennbaren Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit 2015 alleingeschäftsführender Gesellschafter der A. OHG. Diese betrieb einen Pflegedienst und bot seit 2014/2015 unter anderem ambulante intensivmedizinische Versorgungsleistungen zur ?Rund-um-die-Uhr-Versorgung? beatmungsbedürftiger Patienten durch gesondert geschultes Personal in sogenannten Pflegewohngemeinschaften oder „Beatmungs-WGs“ an. Im Frühjahr 2016 schloss die A. OHG mit der I. als gesetzlichem Krankenversicherer der Patientin K. eine Vergütungsvereinbarung für eine ?1:1-Versorgung? zu einem Stundensatz von 36 €, wobei der Versicherer ausdrücklich darauf hinwies, dass Veränderungen im Versorgungsschlüssel sogleich mitzuteilen seien, damit der Vergütungssatz entsprechend angepasst werden könne. Die Versicherte K. war nach ihrer Aufnahme in die Einrichtung am 16. März 2016 zunächst die einzige Beatmungspatientin. Obwohl am 10. Mai 2016 die privat beim D. a.G. (im Folgenden: D.) versicherte Patientin B. als weitere Beatmungspatientin in die Einrichtung aufgenommen und ebenfalls von der A. OHG intensivmedizinisch versorgt wurde, nunmehr also für beide Patientinnen eine ?1:2-Versorgung? zu erbringen war, teilte der Angeklagte dies der I. nicht mit. Vielmehr veranlasste er, dass die A. OHG in der Folge am 15., am 23. und am 31. Mai, am 30. Juni, am 31. Juli, am 31. August, am 30. September, am 31. Oktober und am 21. November 2016 die tatsächlich für die Versorgung der Patientin K. angefallene Stundenzahl zu dem für eine ?1:1-Versorgung? vereinbarten Stundensatz bei der I. abrechnete und geltend machte. Hierdurch wollte sich der Angeklagte für nicht unerhebliche Dauer eine zusätzliche Einnahmequelle verschaffen. Die I. zahlte aufgrund der Leistungsabrechnungen insgesamt einen Betrag von 150.984 € an die A. OHG aus. Die für eine ?1:2-Versorgung? üblicherweise vereinbarten Vergütungssätze beliefen sich auf etwa 75 % der Stundensätze für eine ?1:1-Versorgung?.
Der privaten Krankenversicherung der Patientin B. ließ der Angeklagte wahrheitswidrig mitteilen, dass nur die Versicherte B. als einzige Beatmungspatientin durch das intensivmedizinisch geschulte Personal der A. OHG zu versorgen sei. Durch diese Täuschung veranlasste er die D., sich auf eine Erstattungsvereinbarung mit der von der A. OHG bei den Vertragsverhandlungen vertretenen Patientin einzulassen, wonach eine ?1:1-Versorgung? durch die A. OHG mit einem Stundensatz von 33,50 € zu vergüten war. Bei Kenntnis der tatsächlich erbrachten ?1:2-Versorgung? hätte sich die D. lediglich auf einen Stundensatz von 22,00 € eingelassen. Auch die von der A. OHG zur Versorgung der Patientin B. erbrachten Leistungen ließ der Angeklagte in der Folge am 23. und 31. Mai, am 30. Juni, am 31. Juli, am 31. August, am 30. September, am 31. Oktober und am 30. November 2016 unter Geltendmachung der für eine ?1:1-Versorgung? vereinbarten Vergütungssätze abrechnen, um sich eine fortlaufende zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen. Die D. zahlte aufgrund dieser Abrechnungen für die erbrachten intensivmedizinischen Versorgungsleistungen irrtumsbedingt einen Betrag von insgesamt 129.274,50 € (von der Pflegeversicherung getragene Grundpflegeleistungen nicht eingerechnet).
1. Der Schuldspruch wegen eines einheitlichen Falles des Betruges hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Nach den getroffenen Feststellungen täuschte der Angeklagte zu verschiedenen Zeitpunkten zwei verschiedene Geschädigte - die I. als den gesetzlichen Krankenversicherer der Patientin K. einerseits (insoweit durch Unterlassen, § 13 StGB) und die private Krankenversicherung D. (Patientin B.) andererseits (durch Tun) - über die tatsächliche, für den abrechnungsrelevanten Versorgungsschlüssel maßgebliche Versorgungssituation und veranlasste die Versicherer hierdurch jeweils zu Vermögensverfügungen, nämlich zum einen die I. dazu, sich an der zuvor getroffenen Vergütungsvereinbarung für eine ?1:1-Versorgung? der Patientin K. festhalten zu lassen und Zahlungen auf die nachfolgenden Leistungsabrechnungen aufgrund dieser überholten Abrede zu erbringen, und zum anderen die D. dazu, eine Erstattungsvereinbarung für eine ?1:1-Versorgung? zum Stundensatz von 33,50 € zu treffen und nachfolgend auf dieser Grundlage Zahlungen auf die Leistungsabrechnungen der A. OHG zu erbringen. Jedenfalls die Vermögensverfügungen in Gestalt der erbrachten Zahlungen auf die späteren Leistungsabrechnungen führten auch zu Vermögensschäden der Versicherer in Höhe der jeweils täuschungsbedingt für eine ?1:1-Versorgung? geleisteten Mehrbeträge. Mit Blick auf die unterschiedlichen Täuschungen gegenüber zwei verschiedenen Versicherern, auf die hierauf beruhenden Vermögensverfügungen und Vermögensschäden der beiden Geschädigten ist nicht lediglich von einem einheitlichen Fall des Betruges auszugehen. Nach den getroffenen Feststellungen drängt sich vielmehr auf, dass in den einzelnen Leistungsabrechnungen selbständige Betrugstaten liegen. Insbesondere ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht von einem einheitlichen (uneigentlichen) Organisationsdelikt des Angeklagten auszugehen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13. August 2020 - 1 StR 648/18 Rn. 29; Beschluss vom 20. April 2021 - 3 StR 343/20 Rn. 8). Der Angeklagte bestimmte als alleingeschäftsführender Gesellschafter die Geschäfte der Gesellschaft bis ins Detail; sämtliche Mitarbeiter der A. OHG handelten nach dessen Weisung und stets in enger Absprache mit diesem, so dass gesonderte Tatbeiträge des Angeklagten zu den verschiedenen Taten naheliegen.
b) Eine abschließende Beurteilung, wie viele Betrugstaten aufgrund des angeklagten Sachverhalts anzunehmen sind, ist dem Senat wegen der hierfür unzureichenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich.
aa) Vollendete Betrugstaten in Gestalt der auf Aufrechterhaltung der Vergütungsvereinbarung beziehungsweise Abschluss der Erstattungsvereinbarungen gerichteten Täuschungen (Eingehungsbetrug) kämen nur dann in Betracht, wenn nach den konkreten Umständen des Vertragsschlusses und dem jeweiligen Vertragsinhalt bereits mit den jeweiligen Vereinbarungen konkrete Ansprüche der Vertragspartner (A. OHG; B.) auf Zahlung beziehungsweise Erstattung überhöhter Beträge begründet worden wären, die nach der gebotenen Gesamtsaldierung (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2021 - 1 StR 6/21 Rn. 9; vom 23. Oktober 2019 - 1 StR 444/19 Rn. 15 mwN und vom 14. März 2019 - 4 StR 426/18 Rn. 17 mwN) aufgrund des täuschungsbedingt unausgewogenen vertraglichen Äquivalenzverhältnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2018 - 1 StR 13/18 Rn. 9 mwN) zu einem messbaren Vermögensnachteil bei den Versicherern geführt hätten (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2021 - 1 StR 6/21 Rn. 9; vom 26. Juni 2019 - 1 StR 551/18 Rn. 18 und vom 20. September 2016 - 2 StR 497/15 Rn. 9; Urteil vom 17. Dezember 2019 - 1 StR 171/19 Rn. 32; BVerfGE 130, 1, 47 ff.). Dies wäre gegebenenfalls etwa der Fall, wenn die A. OHG bereits grundsätzlich erstattungsfähige Versorgungsleistungen im Vorgriff auf das täuschungsbedingte Unterlassen einer Vertragsanpassung (Fall K.) oder die erwartete Erstattungsvereinbarung (Fall B.) erbracht und in diesem Sinne vorgeleistet hätte.
bb) Dies oder ein sonst messbarer und bezifferbarer Vermögensschaden der Versicherer bereits aufgrund der bloßen Vergütungs- beziehungsweise Erstattungsabreden ist indes nicht tragfähig festgestellt. So lassen die Feststellungen zu den Umständen der Vertragsschlüsse und zu den Vertragsinhalten keine Beurteilung zu, ob konkrete Vergütungsansprüche bereits durch das Unterlassen des Hinwirkens auf eine Vertragsanpassung durch die I. (Fall K.) beziehungsweise den Vertragsschluss mit der D. (Fall B.) begründet und sogar fällig waren oder ob diese erst mit Erbringung der Leistung nach Vertragsschluss entstanden. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe liegt jedenfalls nahe, dass die konkreten Vergütungs- beziehungsweise Erstattungsansprüche von der vorher zu erbringenden Leistung abhängig waren, so dass ein konkreter Schadenseintritt bereits wegen der getroffenen beziehungsweise täuschungsbedingt aufrecht erhaltenen Vereinbarungen allenfalls dann vorläge, wenn aufgrund schon zuvor erbrachter Versorgungsleistungen eine bestimmbare Belastung des Vermögens der geschädigten Versicherer mit Erstattungsforderungen eingetreten wäre (vgl. zur Zug-um-Zug-Leistungspflicht BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2001 - 4 StR 402/00 Rn. 5 und vom 6. März 2018 - 3 StR 552/17 Rn. 7; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 263 Rn. 163b f.). Weitergehende, bereits durch den Vertragsschluss beziehungsweise die unterbliebene Vertragsänderung unmittelbar verursachte Schäden wären in Anbetracht der ungewissen Entwicklung des Zustands der Patientinnen und ihres Versorgungsbedarfs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beziehungsweise dem täuschungsbedingten Unterlassen einer Vertragsanpassung im Fall K. zumindest nicht bezifferbar (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2021 - 1 StR 6/21 Rn. 9; vom 26. Juni 2019 - 1 StR 551/18 Rn. 19 und vom 20. September 2016 - 2 StR 497/15 Rn. 9; Urteil vom 17. Dezember 2019 - 1 StR 171/19 Rn. 32; BVerfGE 130, 1, 47 ff.).
cc) Näher liegt nach den getroffenen Feststellungen die Annahme, dass es sich bei den jeweiligen Vertragsschlüssen und der unterlassenen Mitteilung über den veränderten Versorgungsschlüssel um bloße Vorbereitungshandlungen und erst bei den späteren Falschabrechnungen um die eigentlichen - jeweils selbständigen - Betrugstaten handelt. Hier und nicht bei den auf die jeweiligen vertraglichen Stundensatz-Vereinbarungen gerichteten Täuschungshandlungen liegt auch der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Unrechts, nachdem beim Vertragsschluss beziehungsweise bei dem Unterbleiben eines Hinwirkens auf eine Vertragsänderung im Fall K. die künftige, für die Leistungsabrechnung und Zahlungsverpflichtung der Versicherer maßgebliche Entwicklung der Versorgungssituation in Anbetracht des problematischen Gesundheitszustands der Patientinnen noch nicht konkret absehbar gewesen sein dürfte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2021 - 1 StR 6/21 Rn. 15). Gerade bei unbefristeten Dauerschuldverhältnissen der hier gegenständlichen Art ist aufgrund der unabsehbaren - nicht selten kurzfristigen - Entwicklung des vom konkreten Gesundheitszustand der Patientinnen und des von der Nachfragelage abhängigen tatsächlichen Versorgungsschlüssels eher anzunehmen, dass zwar die vertragliche Grundlage für die Vergütungsansprüche bereits in der Stundensatz-Vereinbarung gelegt, die Entstehung bestimmter Vergütungs- beziehungsweise Erstattungsansprüche aber untrennbar an die konkrete Leistungserbringung und die nachfolgende Leistungsabrechnung geknüpft ist, so dass auch der Schadenseintritt hiervon abhängig ist.
c) Anders als der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 25. Mai 2021 kann der Senat eine Beschwer des Angeklagten durch die fehlerhafte Wertung des Landgerichts nicht ausschließen, weil bei Vorliegen mehrerer Betrugstaten in Form der bewusst unrichtigen Leistungsabrechnungen in keinem Fall die Wertgrenze des § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB erreicht und damit das Regelbeispiel des Vermögensverlusts großen Ausmaßes neben dem vom Landgericht rechtsfehlerfrei angenommenen Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit (§ 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB) verwirklicht wurde und die Wahl des anzuwendenden Strafrahmens für die Einzelstrafen daher nicht von vornherein auf der Hand liegt.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.
3. Die Feststellungen sind - bis auf diejenigen zur Schadenshöhe, die das Landgericht zudem aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen rechtsfehlerhaft auf den für die Versorgungsleistungen ausgezahlten Gesamtbetrag bemessen hat - von dem zur Aufhebung führenden Wertungsfehler nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Für die genaue Anzahl der Betrugstaten wird das neue Tatgericht indes weitergehende Feststellungen zu treffen haben, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 970
Externe Fundstellen: NJW 2022, 636; NStZ-RR 2021, 343
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede