HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 475
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 426/18, Urteil v. 14.03.2019, HRRS 2019 Nr. 475
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. Januar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des Betruges freigesprochen und die Staatskasse verpflichtet, sie für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg; auf die erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht mehr an.
Den Angeklagten liegt zur Last, im Zeitraum von Juli 2009 bis Mai 2011 im Rahmen eines gemeinsam betriebenen Geschäftsmodells - die Angeklagten M. und K. als Betreiber von Inkassobüros, die Angeklagten R. und E. als Rechtsanwälte - beim massenhaften Inkasso von Kleinforderungen den Schuldnern der Inkassoauftraggeber in den Forderungsschreiben Inkassokosten und Rechtsanwaltsgebühren als Verzugsschaden der Gläubiger in Rechnung gestellt zu haben, obwohl diese vorgeblichen Kosten bzw. Gebühren tatsächlich nicht angefallen seien.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte M. war Geschäftsführer der C. GmbH, der Angeklagte K. Geschäftsführer der F. GmbH. Geschäftsgegenstand beider Gesellschaften war das Inkasso fremder Forderungen. Beide Gesellschaften teilten sich Geschäftsräume und hatten gemeinsame Mitarbeiter. Auch für die angeklagten Rechtsanwälte R. und E. war dort ein gemeinsames Büro eingerichtet, das beide als Zweigniederlassung ihrer andernorts befindlichen Rechtsanwaltskanzleien nutzten.
Die Geltendmachung der Forderungen erfolgte in einem standardisierten Verfahren. Nach Eingang eines „Forderungspakets“ - hierbei handelte es sich um von den Gläubigern in digitaler Form übermittelte Angaben wie die Höhe der Hauptforderungen und die Anschriften der Schuldner - wurde bei der Inkassogesellschaft mittels EDV an jeden Schuldner automatisiert ein „erstes Mahnschreiben“ als Serienbrief gedruckt und versandt. Hierin wurden neben der Hauptforderung Verzugszinsen auf die Hauptforderung in Höhe von zwölf Prozent, Auslagen des Gläubigers, Kontoführungskosten sowie als „Verzugsschaden“ bezeichnete Inkassokosten von 57 Euro geltend gemacht; zugleich wurde den Schuldnern eine zweiwöchige Zahlungsfrist eingeräumt unter gleichzeitiger Androhung, nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vorgang „unseren Rechtsanwälten“ zur gerichtlichen Geltendmachung der Forderung zu übergeben. Erfolgte innerhalb dieser Frist keine Reaktion des Schuldners, wurde automatisiert eine zweite Mahnung erzeugt und versandt.
Mit den Gläubigern hatten die Angeklagten M. und K. im Vorfeld sogenannte Inkassoverträge abgeschlossen, die ebenfalls standardisiert waren. § 5 Nr. 1 der Verträge sah vor, dass „Bearbeitungsgebühren Honorare“ gegenüber Auftraggebern „nicht berechnet“ würden. In § 5 Nr. 2 war geregelt, dass „Erfolgsprovisionen“ berechnet würden. Soweit Schuldner auf die Mahnschreiben hin Zahlungen leisteten, wurden diese von den Inkassogesellschaften nach Abzug von „Inkassoansprüchen“ monatlich an die Gläubiger ausgekehrt. Abweichend von § 5 Nr. 1 der Inkassoverträge wurden den Gläubigern insoweit nicht nur Erfolgsprovisionen, sondern auch „Honorare“ in Rechnung gestellt und von dem auszukehrenden Betrag abgezogen. Die Gläubiger akzeptierten diese Abrechnungsmodalitäten.
An Schuldner, die auf die vorherigen Inkassoschreiben nicht reagiert hatten, wurden zudem „aus den Geschäftsräumen“ der Inkassobüros unter dem anwaltlichen Briefkopf des Angeklagten R. oder des Angeklagten E. Anwaltsmahnungen versandt, die „teilweise mit eingescannter Unterschrift der Rechtsanwälte“ versehen, teilweise wohl von ihnen selbst unterschrieben waren. In diesen Schreiben wurde „unter anwaltschaftlicher Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung“ die Vertretung des Forderungsgläubigers angezeigt und dem Schuldner mitgeteilt, er habe neben der Hauptforderung und den bisherigen Kostenforderungen der Inkassogesellschaft „im Rahmen des Verzugsschadens gemäß §§ 286 ff. BGB“ Rechtsanwaltsgebühren (in Höhe einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr) nach Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses des RVG sowie eine Auslagenpauschale zu tragen. Ob diese Schreiben den angeklagten Rechtsanwälten vor dem Versand zur Prüfung vorgelegt wurden, hat das Landgericht „jedenfalls in den Fällen, in denen eine eingescannte Unterschrift daruntergesetzt“ wurde, nicht festzustellen vermocht. Auch eine vorherige Bevollmächtigung der Angeklagten R. und E. durch die Gläubiger für den vorgerichtlichen Bereich hat es nicht feststellen können. Den Inkassounternehmen war in § 3 Nr. 1 der Inkassoverträge seitens der Gläubiger lediglich die Befugnis eingeräumt worden, für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens einen Rechtsanwalt zu bestimmen.
Die C. GmbH vereinnahmte im Tatzeitraum von den Forderungsschuldnern Rechtsanwaltsgebühren von insgesamt etwa 113.000 Euro; dem Angeklagten R. zahlte sie 28.784 Euro aus. Die F. GmbH vereinnahmte 12.987 Euro an Rechtsanwaltsgebühren; Zahlungen an den Angeklagten E. erfolgten nicht.
2. Die Strafkammer hat die Angeklagten vom Vorwurf des Betruges freigesprochen. Im Hinblick auf die geltend gemachten Inkassokosten hat sie ausgeführt, es liege schon keine unwahre Tatsachenbehauptung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB vor. Soweit gegenüber den Schuldnern behauptet wurde, Inkassokosten würden als „Verzugsschaden“ in Rechnung gestellt, weil das Inkassobüro vertragsgemäß eine Honorarforderung gegenüber dem Gläubiger geltend mache, handele es sich nicht um eine unwahre Tatsache. Denn die Beweisaufnahme habe ergeben, dass - abweichend von § 5 Nr. 1 der Inkassoverträge - neben den schriftlich vereinbarten Erfolgshonoraren mit den Gläubigern „zumindest konkludent ein Honoraranspruch“ der Inkassounternehmen vereinbart und auch tatsächlich beanstandungsfrei abgerechnet worden sei.
Bezüglich der geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren sei zwar eine Bevollmächtigung der angeklagten Rechtsanwälte für das vorgerichtliche Verfahren durch die Gläubiger nicht festzustellen gewesen. Es könne aber dahinstehen, ob die in den Mahnschreiben behauptete anwaltliche Bevollmächtigung als Täuschung der Schuldner anzusehen sei. Denn den Angeklagten R. und E. sei auch ohne entsprechende Beauftragung nach den Grundsätzen einer Geschäftsführung ohne Auftrag gegenüber den Gläubigern ein Aufwendungsersatzanspruch in Höhe der geltend gemachten Gebühren entstanden, da sie den Gebührentatbestand auslösende Tätigkeiten entfaltet hätten, die im Interesse des Gläubigers gelegen hätten. Diesen Aufwendungsersatzanspruch der Rechtsanwälte hätten die Gläubiger gleichermaßen als Verzugsschaden gegenüber den Schuldnern geltend machen können; diesen sei deshalb kein Schaden entstanden.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Freisprüche der Angeklagten vom Vorwurf des Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) haben keinen Bestand, weil die Begründung des Landgerichts, mit der es das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen dieser Straftat in Bezug auf die Geltendmachung von anwaltlichen Geschäftsgebühren verneint hat, nicht frei von durchgreifenden Rechtsfehlern ist.
1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Landgerichts, dass die Mahnschreiben, mit denen die Inkassogesellschaften neben den - begründeten - Hauptforderungen Inkassokosten in Höhe von 57 Euro geltend machten, keine unwahre Tatsachenbehauptung enthielten.
a) Tatsachen sind alle gegenwärtigen oder vergangenen Ereignisse oder Zustände, die dem Beweis zugänglich sind (vgl. BGH, Urteile vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 359/13, BGHSt 60, 1, 6; vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 226/86, BGHSt 34, 199, 201). Bloße Werturteile wie Rechtsauffassungen, Meinungsäußerungen oder reklamehafte Anpreisungen sind demgegenüber grundsätzlich keine Tatsachen im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB. Etwas anderes gilt dann, wenn sie zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern enthalten (vgl. BGH, Urteile vom 22. Februar 2017 - 2 StR 573/15, NStZ 2018, 215, 216; vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 359/13, aaO; Beschlüsse vom 6. Oktober 2009 - 4 StR 307/09, NStZ-RR 2010, 146 [Ls]; vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 344). Welcher Inhalt einer Erklärung zukommt, hat der Tatrichter anhand des Empfängerhorizonts und der Erwartungen der Beteiligten zu ermitteln und festzustellen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Februar 2017 - 2 StR 573/15, aaO, 216; vom 15. Dezember 2006 - 5 StR 181/06, BGHSt 51, 165, 170; Beschluss vom 9. Juni 2009 - 5 StR 394/08, NJW 2009, 2900, 2901). Auch in der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Dies ist der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird (BGH, Urteil vom 22. Februar 2017 - 2 StR 573/15, aaO, 216). Wann der Rechtsverkehr der Geltendmachung einer Forderung schlüssig zugleich die Behauptung bestimmter Tatsachen beimisst, ist Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Februar 2017 - 2 StR 573/15, aaO, 216; vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 405/13, NStZ 2015, 591, 593).
b) Hieran gemessen hält die Annahme des Landgerichts, die Mahnschreiben der Inkassogesellschaften enthielten keine unwahren Tatsachenbehauptungen, rechtlicher Prüfung stand.
Soweit das Landgericht ersichtlich davon ausgegangen ist, durch die Geltendmachung der Inkassokosten sei in den Schreiben als Tatsachenkern schlüssig behauptet worden, das mahnende Inkassobüro sei aufgrund einer mit dem Gläubiger getroffenen Vereinbarung mit der entgeltlichen Beitreibung der Forderung beauftragt worden, diese Behauptung sei jedoch nicht falsch, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn nach den Feststellungen waren die Inkassogesellschaften von den Gläubigern tatsächlich damit beauftragt worden, deren Forderungen gegen eine entsprechende Vergütung gegenüber den Schuldnern geltend zu machen. Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass den Inkassogesellschaften neben den schriftlich vereinbarten Erfolgshonoraren aufgrund mündlich getroffener Nebenabreden ein vom Erfolg des Beitreibungsversuchs unabhängiger Honoraranspruch zustand, den sie bei der Auskehr der beigetriebenen Forderungen an die Gläubiger mit deren Billigung einbehielten.
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen hingegen die Erwägungen des Landgerichts, auf die es seine Annahme gestützt hat, die Angeklagten hätten sich auch nicht durch das Versenden der anwaltlichen Mahnschreiben wegen Betrugs strafbar gemacht. Seine Ansicht, den Schuldnern sei durch die Geltendmachung der Anwaltsgebühren jedenfalls kein Schaden entstanden, wird von den Feststellungen nicht getragen.
a) Ein Schaden im Sinne des § 263 StGB entsteht, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung; vgl. BGH, Urteile vom 16. Juni 2016 - 1 StR 20/16, NJW 2016, 3543, 3544; vom 2. Februar 2016 - 1 StR 437/15, NStZ 2016, 286, 287; vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 359/13, BGHSt 60, 1, 9; Beschlüsse vom 16. Juni 2014 - 4 StR 21/14, NStZ 2014, 640, 642; vom 19. Februar 2014 - 5 StR 510/13, NStZ 2014, 318, 319). Ein solcher Vermögenszuwachs tritt auch ein, soweit durch die Verfügung das Vermögen des Verfügenden von einer Verbindlichkeit befreit wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1999 - 5 StR 667/98, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 46; Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 444/10, NStZ-RR 2011, 312, 313).
b) Die Annahme des Landgerichts, den Schuldnern sei in Höhe ihrer Zahlung unmittelbar Vermögen zugeflossen, weil sie durch die Zahlung von ihrer Verbindlichkeit befreit worden seien, die Gläubiger von den Kosten der anwaltlichen Tätigkeit freizustellen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der gegen die Schuldner geltend gemachte Erstattungsanspruch bestand - unbeschadet der Frage, ob die vom Landgericht herangezogene Begründung, die Gläubiger seien zumindest nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag ihrerseits den angeklagten Rechtsanwälten gegenüber zum Ausgleich ihrer Tätigkeit verpflichtet gewesen, überhaupt rechtlich tragfähig ist (vgl. hierzu unten IV.2) - jedenfalls nicht in voller Höhe. Auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen begründete die Tätigkeit der Angeklagten R. und E. im Zusammenhang mit den anwaltlichen Mahnschreiben nämlich allenfalls eine Geschäftsgebühr für ein einfaches Schreiben gemäß Nr. 2301 (im Tatzeitraum Nr. 2302) VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG mit einem Gebührensatz von 0,3 anstelle der geforderten 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV.
aa) Eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG). Ein Rechtsanwalt hat Anspruch auf diese Gebühr, wenn er beauftragt wird, die Forderung seines Mandanten außergerichtlich durchzusetzen, sie zu überprüfen und seinen Auftraggeber insoweit auch zu beraten (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juni 2004 - IX ZR 56/03, JurBüro 2005, 141; vom 19. Oktober 1967 - VII ZR 324/64, BGHZ 48, 334, 336 [jeweils noch zu § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO]; Bischof/Jungbauer, RVG, 8. Aufl., Vorbemerkung 2.3 VV Rn. 19 ff. mwN; Teubel in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., Vorbemerkung 2.3 Rn. 3). Beschränkt sich jedoch der ihm erteilte Auftrag darauf, ein Schreiben einfacher Art zu erstellen, das weder schwierige rechtliche Ausführungen noch größere sachliche Auseinandersetzungen enthält, steht ihm gemäß Nr. 2301 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG die Geschäftsgebühr lediglich mit einem Gebührensatz von 0,3 zu.
Maßgeblich für die Bestimmung der Gebühr ist hierbei allerdings nicht die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach außen, sondern der Inhalt des ihm erteilten Auftrags (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, NJW 2015, 3793, 3795; Bischof/Jungbauer, aaO, Nr. 2301 VV Rn. 2 und 7; Teubel, aaO, Nr. 2301 VV Rn. 2). Anspruch auf die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG hat ein Rechtsanwalt deshalb auch dann, wenn auftragsgemäß dem erstellten einfachen Schreiben umfangreiche Prüfungen oder Überlegungen vorausgegangen sind (vgl. BTDrucks. 15/1971, S. 207 zu Nr. 2402-E; BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, aaO, 3795; Bischof/Jungbauer, aaO, Nr. 2301 VV Rn. 2; Teubel, aaO, Nr. 2301 VV Rn. 4; Schneider/Wolf/Onderka/Thiel, RVG, 8. Aufl., VV 2301 Rn. 7; Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 16. Aufl., Nr. 2301 VV Rn. 3).
bb) Gemessen hieran lagen auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen, unter denen die angeklagten Rechtsanwälte gegenüber den Gläubigern eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG beanspruchen konnten, nicht vor.
(1) Eine Beauftragung der Rechtsanwälte zu einer - wie auch immer gearteten - außergerichtlichen Tätigkeit hat das Landgericht zu Recht nicht festgestellt.
Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Angeklagten R. und E. unmittelbar durch die Gläubiger mit einer entsprechenden Tätigkeit beauftragt wurden. Ebenso wenig erschließt sich aus dem angefochtenen Urteil, dass etwa die Mitangeklagten als Geschäftsführer der Inkassogesellschaften als Vertreter der Gläubiger tätig wurden und die angeklagten Rechtsanwälte mit der außergerichtlichen Beitreibung der Forderungen beauftragten. Ausweislich § 3 Nr. 1 der Inkassoverträge war den Inkassogesellschaften vielmehr lediglich die Befugnis eingeräumt, „im Namen und für Rechnung der Gläubiger“ einen Rechtsanwalt mit der Durchführung des gerichtlichen Mahnverfahrens zu beauftragen. Für eine darüber hinausgehende Bevollmächtigung enthält das Urteil keine Anhaltspunkte.
(2) Aber auch unter Zugrundelegung der vom Landgericht - wegen des Fehlens einer entsprechenden Beauftragung - herangezogenen rechtlichen Konstruktion über die Grundsätze einer Geschäftsführung ohne Auftrag wären die Angeklagten R. und E. nicht berechtigt gewesen, von den Gläubigern als Ausgleich für die von ihnen erbrachten Leistungen Aufwendungsersatz in Höhe einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV zu verlangen, den die Gläubiger ihrerseits als Verzugsschaden gegen die Schuldner geltend machen konnten. Denn nach den Feststellungen erschöpften sich die Tätigkeiten der Rechtsanwälte in dem Erstellen und Versenden einfacher anwaltlicher Schreiben im Sinne der Nr. 2301 (im Tatzeitraum Nr. 2302) VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG. Die unter ihren Anwaltsbriefköpfen verfassten Mahnschreiben enthielten weder schwierige rechtliche Ausführungen noch größere sachliche Auseinandersetzungen. Es handelte sich vielmehr um standardisierte Formularschreiben, die unter Verwendung elektronischer Datensätze automatisiert erstellt und an die Schuldner versendet wurden. Eine anwaltliche Prüfung der angemahnten Forderungen oder der Zweckmäßigkeit einer nochmaligen vorgerichtlichen Mahnung in jedem Einzelfall ging den Mahnschreiben nicht voraus; eine solche Prüfung war den Angeklagten R. und E. nach den Feststellungen angesichts der Vielzahl der Beitreibungsfälle auch unmöglich.
Nicht einmal den Eingang der angemahnten Forderungen überwachten die angeklagten Rechtsanwälte. Dies geschah vielmehr durch die Inkassounternehmen, die - bis auf einen an den Angeklagten R. ausgekehrten kleineren Anteil - die Rechtsanwaltsgebühren sogar selbst vereinnahmten.
Demgegenüber gehen die Erwägungen, auf die das Landgericht seine Annahme gestützt hat, den Angeklagten R. und E. habe aufgrund erbrachter Leistungen gegenüber den Gläubigern in allen Mahnfällen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG zugestanden, rechtlich fehl. Denn weder das Entwerfen eines anwaltlichen Musterschreibens für zukünftige Mahnungen für neue „Forderungspakete“ noch das Bereithalten von Büroangestellten für etwaige Rückfragen lässt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV in jedem einzelnen Mahnfall entstehen. Vielmehr vermag das festgestellte Tätigkeitsbild allenfalls eine Gebühr aus dem Ermäßigungstatbestand der Nr. 2301 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG für jeden einzelnen Mahnfall zu rechtfertigen (vgl. Bischof/ Jungbauer, aaO, Nr. 2300 VV Rn. 12 und Nr. 2301 VV Rn. 12 mwN; Hartung/ Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., Nr. 2301 VV Rn. 10; Jäckle, NJW 2013, 1393, 1395; kritisch hierzu Kleine-Cosack, AnwBl. 2016, 802, 806 ff.).
cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist daher den Schuldnern - soweit Zahlungen erfolgten - durch die Geltendmachung außergerichtlicher anwaltlicher Gebühren als Verzugsschaden der Gläubiger ein Schaden mindestens in Höhe der Differenz zwischen der geltend gemachten 1,3-fachen Geschäftsgebühr und der den Rechtsanwälten allenfalls zustehenden Gebühr aus dem Ermäßigungstatbestand mit einem Gebührensatz von 0,3 entstanden.
c) Der Berücksichtigung des Schadens in Gestalt überhöhter Rechtsanwaltskosten steht die von der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung vorgenommene Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 1 StPO nicht entgegen.
Zwar hat die Staatsanwaltschaft - neben weiteren Beschränkungen - auch insoweit vorläufig von der Verfolgung abgesehen, als die Angeklagten „insgesamt überhöhte Gebühren“ geltend machten. Diese Verfahrensbeschränkung bezog sich aber ausdrücklich nur auf den Verdacht weiterer Rechtsverletzungen durch die Angeklagten „über den Anklagegegenstand hinaus“. Der Vorwurf, dass die Angeklagten einen Betrug begingen, indem sie die Schuldner über entstandene Anwaltskosten täuschten und ihnen in diesem Umfang Schaden zufügten, sollte deshalb uneingeschränkt der gerichtlichen Kognition unterliegen.
1. Hinsichtlich möglicher Täuschungshandlungen aufgrund des den anwaltlichen Mahnschreiben innewohnenden Erklärungswerts, der vom neuen Tatrichter anhand des Empfängerhorizonts und der Erwartungen der Beteiligten zu ermitteln und festzustellen ist, weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Sollte der neue Tatrichter eine betrugsrelevante Täuschung in der anwaltlichen Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung erblicken, wird hinsichtlich der die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Betrugs miteinander verbindenden Kausalität die Senatsentscheidung vom 15. März 2018 (4 StR 425/17, wistra 2018, 477) zu beachten sein.
b) Es wird zudem zu erwägen sein, dass der Rechtsverkehr dem Einfordern einer konkreten anwaltlichen Gebühr - hier in Gestalt eines Verzugsschadens der Gläubiger - die Erklärung beilegen dürfte, die tatsächlichen Voraussetzungen ihrer Entstehung seien erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2012 - 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95, 101 mwN [zur ärztlichen Abrechnung nach der GOÄ]; Beschluss vom 9. Juni 2009 - 5 StR 394/08, NJW 2009, 2900, 2901 [zur Abrechnung nach Tarifen]). Aufgrund der konkreten Geltendmachung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG dürfte den anwaltlichen Mahnschreiben die schlüssige Erklärung zu entnehmen sein, die Rechtsanwälte seien über das einfache Schreiben hinaus auch mit einer weiter gehenden rechtlichen Prüfung oder Beratung beauftragt worden.
2. Sollte das neue Tatgericht nicht zur Annahme einer rechtswirksamen Beauftragung der Rechtsanwälte mit einer vorgerichtlichen Tätigkeit mit Wirkung für die Gläubiger gelangen und erneut einen Aufwendungsersatzanspruch der angeklagten Rechtsanwälte nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 Satz 1, § 670 BGB) in Betracht ziehen, wird es das Folgende zu beachten haben:
a) Für einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach diesen Vorschriften ist erforderlich, dass die Übernahme der Geschäftsführung dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Das neue Tatgericht wird sich dabei nicht nur mit dem Einwand des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 31. Oktober 2018 auseinanderzusetzen haben, wonach die Forderungsbeitreibung durch die Rechtsanwälte - nach den bereits erfolglosen Bemühungen der Gläubiger selbst und zweier Mahnschreiben der Inkassogesellschaften - wegen eines Verstoßes gegen die zivilrechtliche Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB (dazu auch unten IV.3.b)) nicht mehr im Interesse der Gläubiger lag. Es wird im Rahmen der ihm obliegenden Vertragsauslegung darüber hinaus auch zu prüfen haben, ob die Bestimmung in § 3 Nr. 1 der Inkassoverträge, durch welche die Inkassounternehmer ausdrücklich nur für das gerichtliche Mahnverfahren mit der Auswahl und Beauftragung eines Rechtsanwalts für den Gläubiger ermächtigt wurden, nach den gesamten Vertragsumständen deren Willen zum Ausdruck brachte, die vorgerichtliche Forderungsbeitreibung solle nicht zusätzlich durch einen Rechtsanwalt erfolgen (vgl. § 683 Satz 2, § 679 BGB; vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. April 1998 - III ZR 251/96, BGHZ 138, 281, 287).
b) Sofern das Landgericht bei einer unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag - wie in der Literatur vereinzelt vertreten wird (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., § 1 Rn. 30) - einen bereicherungsrechtlichen Anspruch der angeklagten Rechtsanwälte aus § 684 Satz 1, §§ 812 ff. BGB in Erwägung ziehen sollte, wird zu berücksichtigen sein, dass diese den Gläubigern ihr anwaltliches Tätigwerden aufdrängten und deshalb ein Anspruch auf Herausgabe der Bereicherung gegenüber den Gläubigern nur insoweit bestand, als die Gläubiger den Wert der anwaltlichen Leistung in ihrem Vermögen auch tatsächlich realisierten (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 812 Rn. 52 mwN). Hieran fehlt es, wenn die Gläubiger nicht berechtigt waren, die Kosten der anwaltlichen Tätigkeit auf die Schuldner umzulegen, weil es den Gläubigern aus rechtlichen Gründen verwehrt war, die Schuldner mit den Kosten einer sukzessiven vorgerichtlichen Tätigkeit von Inkassounternehmen und Rechtsanwalt zu belasten (vgl. dazu unten IV.3.b)).
3. a) Bei der Prüfung eines Schadens der Schuldner wird sich das neue Tatgericht zudem damit auseinanderzusetzen haben, ob es sich bei der konkreten Tätigkeit der Angeklagten R. und E. im Rahmen des massenhaften Inkassos von Kleinforderungen überhaupt um nach dem RVG zu vergütende anwaltliche Dienste handelte. Die Abgrenzung zwischen anwaltlicher und reiner Inkassotätigkeit hängt davon ab, ob die dem Rechtsanwalt eigentümliche Aufgabe, rechtlichen Beistand zu leisten, so in den Hintergrund tritt, dass seine Dienste als reine Inkassotätigkeit zu werten sind (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juli 1998 - IX ZR 63/97, NJW 1998, 3486; vom 5. April 1976 - III ZR 79/74, WM 1976, 1135, 1136; Beschluss vom 9. Juni 2008 - AnwSt (R) 5/05, juris Rn. 9 [insofern nicht abgedruckt in NJW 2009, 534]). Ein Rechtsanwalt, der mittels seiner Büroorganisation vollautomatisiertes Mengeninkasso in Form des massenhaften Versendens standardisierter Mahnschreiben betreibt, übt ein rein kaufmännisches Inkasso aus (vgl. BFH, Beschluss vom 20. August 2012 - III B 246/11, juris Rn. 16 f.; Riedel/Sußbauer/Pankatz, RVG, 10. Aufl., § 1 Rn. 36a und 36b; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl., § 1 Rn. 38; Schneider/Wolf/Volpert, RVG, 8. Aufl., § 1 Rn. 156).
b) Schließlich wird das neue Tatgericht zu berücksichtigen haben, dass die Zahlung der Kosten sowohl für die Mahnungen der Inkassounternehmen als auch für diejenigen der Rechtsanwälte bereits für sich genommen einen Schaden der Schuldner herbeigeführt haben dürfte. Denn ungeachtet der dogmatischen Herleitung entsprach es auch schon im Tatzeitraum der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass ein Gläubiger als Verzugsschaden die Kosten der außergerichtlichen Beitreibungsbemühungen eines Inkassobüros und eines Rechtsanwalts nicht kumulativ ersetzt verlangen kann (vgl. AGH Hamm, Urteil vom 7. Januar 2011 - 2 AGH 48/10, juris Rn. 49 mwN; MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl., § 286 Rn. 167; Palandt/Grüneberg, aaO, § 286 Rn. 46; BeckOK-BGB/Lorenz, 49. Edition [1. Februar 2019], § 286 Rn. 77; Jäckle, VuR 2016, 60, 62; vgl. auch BGH, Urteil vom 1. Februar 1974 - IV ZR 2/72, VersR 1974, 639, 641 f. [zur Unzweckmäßigkeit der außergerichtlichen Rechtsverfolgung bei erkennbarer Zahlungsunwilligkeit des Schuldners]; Beschluss vom 20. Oktober 2005 - VII ZB 53/05, NJW 2006, 446 [zur sukzessiven Beauftragung eines Rechtsbeistands und eines Rechtsanwalts]).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 475
Externe Fundstellen: NJW 2019, 1759; NStZ-RR 2019, 181
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner