HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 297
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 BGs 124/21, Beschluss v. 22.03.2021, HRRS 2021 Nr. 297
Auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 18. März 2021 wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2021 - 1 BGs 42/21 aufgehoben.
Der Antrag vom 7. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Der Beschwerde war abzuhelfen, weil sich nunmehr herausgestellt hat, dass die mit dem Beweisantrag der Ausschussminderheit begehrten Protokolldaten (sogenannte Logfiles) bestimmter E-Mail-Accounts nicht mehr vorhanden sind. Der Beweisantrag ist damit auf ein unerreichbares Beweismittel gerichtet. Der Antrag der Ausschussminderheit nach § 17 Abs. 4 PUAG ist deshalb zurückzuweisen; auf die aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es nicht an.
1. Die Antragsteller beantragen mit ihrem Schriftsatz vom 7. Dezember 2020, gemäß § 17 Abs. 4 PUAG festzustellen, dass der 2. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages verpflichtet ist, Beweis zu erheben durch ein Ersuchen an den Präsidenten des Deutschen Bundestages auf Vorlage der auf den Bundestagsservern gespeicherten Protokolldaten bestimmter E-Mail-Accounts. Zuvor hatte der Untersuchungsausschuss mehrheitlich einen dahingehenden Beweisantrag vom 29. Oktober 2020 abgelehnt.
2. In seiner Antragserwiderung vom 8. Januar 2021 stellt der Antragsgegner den Ablauf der bisherigen Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses dar und befasst sich in der Sache ausschließlich mit der Frage eines Verstoßes der von den Antragstellern begehrten Beweiserhebung gegen Art. 44 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 10 GG, den er bejaht und hieraus auf eine Unzulässigkeit der Beweiserhebung schließt.
3. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29. Januar 2021 - 1 BGs 42/21 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs festgestellt, dass der Untersuchungsausschuss zu der von den Antragstellern begehrten Beweiserhebung verpflichtet ist.
4. Unter Bezugnahme auf eine Anfrage des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses vom 1. Februar 2021 hat der Präsident des Deutschen Bundestages mit Schreiben vom 5. Februar 2021 dem Ausschussvorsitzenden mitgeteilt, dass für den relevanten Zeitraum vom 27. November 2013 bis zum 28. November 2019 keine Protokolldaten mehr vorliegen; dies habe auch bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Beweisantrages am 29. Oktober 2020 gegolten.
5. Der Antragsgegner - nunmehr vertreten durch am 1. März 2021 beauftragte Verfahrensbevollmächtigte - hat mit Schriftsatz vom 18. März 2021, eingegangen am 19. März 2021, Beschwerde gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2021 - 1 BGs 42/21 eingelegt. Er beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag der Antragsteller zurückzuweisen sowie die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet; ihr ist deshalb abzuhelfen.
1. Laut der Mitteilung des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 5. Februar 2021 waren die mit dem Antrag der Ausschussminderheit begehrten Protokolldateien schon zum Zeitpunkt der Stellung des Beweisantrages im Untersuchungsausschuss am 29. Oktober 2020 gelöscht. Der Beweisantrag richtete sich damit - für das Gericht bei Beschlussfassung nicht erkennbar - von Anfang an auf ein nicht (mehr) vorhandenes und damit objektiv unerreichbares Beweismittel. Zu einer unmöglichen Beweiserhebung kann der Untersuchungsausschuss nicht verpflichtet sein (§ 17 Abs. 2 aE PUAG). Hätte einer der Beteiligten - naheliegend der die Beweiserhebung ablehnende Antragsgegner - in dem Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG vorgetragen, dass die Protokolldateien bereits gelöscht sind, wäre der Beschluss vom 29. Januar 2021 daher von vornherein nicht ergangen.
Indes erwähnen weder die Begründung der Ablehnung des Beweisantrags im Untersuchungsausschuss noch die Antragserwiderung vom 8. Januar 2021, dass die Dateien nicht mehr vorhanden sind, sondern beschränken sich auf die Frage einer etwaigen Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach Art. 44 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 10 GG. Die Begründung der Ausschussmehrheit und die Antragserwiderung vom 8. Januar 2021 gehen damit selbst davon aus, die Daten seien noch vorhanden. Denn anderenfalls käme es offenkundig nicht darauf an, ob Art. 10 GG einschlägig ist oder nicht. Auf eine Unerreichbarkeit des Beweismittels stützt sich der Antragsgegner demgegenüber gerade nicht (vgl. S. 5 der Antragserwiderung vom 8. Januar 2021).
2. Die dem Beweisantrag und dem Vortrag des Antragsgegners zugrundeliegende Annahme, die Daten seien noch vorhanden, musste der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs seiner Entscheidung zugrunde legen. Er durfte nicht von sich aus unterstellen, dass die Protokolldateien bereits gelöscht sein könnten, und auch keine dahingehenden Nachforschungen anstellen.
Das Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG ist dem Organstreit ähnlich (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. August 2010 - 3 ARs 23/10, NJW 2010, 3251, 3254 Rn. 30; Brocker in Glauben/Brocker, Handbuch mit Kommentierung zum PUAG, 3. Aufl. 2016, § 17 Rn. 25; Gärditz in Waldhoff/Gärditz, PUAG-Kommentar, 1. Aufl. 2015, § 17 Rn. 32) und kontradiktorisch ausgestaltet. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs entscheidet lediglich über die Rechtsfrage, ob der Untersuchungsausschuss nach § 17 Abs. 2 PUAG zu der begehrten Beweiserhebung verpflichtet ist oder nicht. Diese Entscheidung ergeht - und dies ist kennzeichnend für ein kontradiktorisches Verfahren - auf der Grundlage ausschließlich des von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalts. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ist nicht befugt, von sich aus Nachforschungen anzustellen oder Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Abgesehen davon, dass er sich damit der Besorgnis der Befangenheit aussetzen würde, fehlt es § 17 Abs. 4 PUAG an einer Rechtsgrundlage für eigene Aufklärungsarbeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs. Eine solche Rechtsgrundlage resultiert auch nicht aus dem Verweis in Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach die Vorschriften über den Strafprozess auf die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses sinngemäß Anwendung finden. Selbst in seinem originären Aufgabenbereich ist dem Ermittlungsrichter verwehrt, von sich aus Nachforschungen anzustellen oder Ermittlungen vorzunehmen; für sein Tätigwerden bedarf es eines Antrags der Staatsanwaltschaft (vgl. § 162 StPO und die Ausnahmeregelung in § 165 StPO). Einen Antrag auf Feststellung, ob die Daten noch vorhanden sind, hat keiner der Beteiligten gestellt. Vorliegend kann deshalb dahinstehen, ob im Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG einem solchen, auf den Beweis einer streitigen Tatsache gerichteten Antrag nachzugehen wäre. Vielmehr gingen beide Seiten davon aus, dass die Daten noch nicht gelöscht sind, was damit „unstreitig“ war.
3. Seit dem - mit der Beschwerdeschrift vorgelegten - Schreiben des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 5. Februar 2021 steht allerdings nunmehr fest, dass die Protokolldateien unwiederbringlich gelöscht sind und damit der Beweisantrag auf ein nicht (mehr) vorhandenes Beweismittel gerichtet ist. Es steht außer Frage, dass der Untersuchungsausschuss nicht zu einer ins Leere gehenden Beweiserhebung verpflichtet sein kann. Um die Aufhebung des Beschlusses vom 29. Januar 2021 zu erreichen, hätte daher die Vorlage des Schreibens des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 5. Februar 2021 genügt. Einer nahezu ausschließlich unerhebliche Ausführungen enthaltenden 42seitigen Beschwerdebegründung gleich zweier Verfahrensbevollmächtigter bedurfte es dafür nicht.
1. Mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erledigt sich der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.
2. Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2010 - 3 ARs 23/10, NJW 2010, 3251, 3254 Rn. 30).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 297
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede