HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 420
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 27/18, Beschluss v. 30.10.2018, HRRS 2019 Nr. 420
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 18. September 2017 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Verunglimpfung des Staates in Tateinheit mit Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel den sich aus der Entscheidungsformel ergebenden Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schrieb der Angeklagte ein mit „Deutschland“ betiteltes Lied im Musikstil des Rap und ließ davon ein professionell gestaltetes Musikvideo produzieren. Dieses zeigte den Angeklagten bei der Darbietung des Liedes, während fortlaufend Bilder oder kurze Videosequenzen eingeblendet oder auf den Oberkörper des Angeklagten projiziert wurden. Mit Kenntnis und Billigung des Angeklagten lud ein Dritter das Musikvideo am 14. Februar 2016 auf der Internetplattform „YouTube“ in dem Kanal „NRapSupport“ als „offizielles HD Musikvideo“ hoch, so dass es für jedermann abrufbar war. Dem Angeklagten kam es darauf an, durch die von seinem Einverständnis getragene Veröffentlichung des Videos rechtsradikale Gruppierungen zu unterstützen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die pluralistische Demokratie der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen und diese durch ein dem Dritten Reich vergleichbares totalitäres Regime im Sinne einer Gewalt- und Willkürherrschaft zu ersetzen.
2. Das Landgericht hat in der in dem Lied enthaltenen Textpassage „Wir wollen nur das Reich, behaltet eure scheiß Republik lieber! Gekaufte Politiker, Päderasten und Genderspasten! Das ist, was die BRD aus deutschen Menschen machte“ in Verbindung mit den hierzu eingeblendeten Bildern von Angela Merkel, Gerhard Schröder, dem Logo der Partei Bündnis 90/Die Grünen sowie einer sog. Drag Queen ein Beschimpfen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen. Weitere Textpassagen, die auf „das Reich“, die „Siegesnacht“, in der man mit Fackeln durch die Straßen gelaufen sei, (Leni) Riefenstahl und - mittels zeitgleicher Einblendung historischer Aufnahmen unter anderem von marschierenden Soldaten und entsprechender Portraits mit einem schwarzen Balken über den Augen - Adolf Hitler Bezug nahmen, hat die Strafkammer als öffentliches Billigen und Verherrlichen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB gewertet.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen schwerer Verunglimpfung des Staates nach § 90a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB hat keinen Bestand.
Das Landgericht hat allerdings zutreffend in den Blick genommen, dass bei der Prüfung des Tatbestands der Verunglimpfung des Staates gemäß § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB insbesondere bei politischer Kritik den Grundrechten der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG besondere Beachtung zukommt. Gerade das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05, NJW 2009, 908 Rn. 13 mwN). Die Strafkammer ist jedoch davon ausgegangen, dass die Kunstfreiheit ebenso wie die Meinungsfreiheit ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen finde (Art. 5 Abs. 2 GG) und ihr Schutzbereich daher durch § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB beschränkt sei. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil das Grundrecht der Kunstfreiheit vorbehaltslos gewährleistet ist. Für die Kunstfreiheit gelten weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 191 ff.). Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen allein in den Grundrechten Dritter und in anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern. Daraus folgt hier:
1. Die Kunstfreiheit geht der Meinungsfreiheit als spezielleres Grundrecht vor und ist daher vorrangig zu beachten (BVerfG, Beschlüsse vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 191, 200; vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369, 377). Dabei schließt die vorbehaltslos gewährleistete Kunstfreiheit eine Bestrafung nach § 90a StGB nicht generell aus. Im Lichte dieses Grundrechts darf aber der Schutz des Staates und seiner Symbole nach § 90a StGB nicht zu einer Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen. Es bedarf daher stets einer einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter, hier der Kunstfreiheit und des durch § 90a StGB geschützten Bestands des Staates und seiner verfassungsmäßigen Ordnung (BVerfG, Beschlüsse vom 3. November 2000 - 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596, 597 f.; vom 7. März 1990 - 1 BvR 266/86 ua, BVerfGE 81, 278, 292 f., 294).
2. Als Grundlage einer solchen Abwägung muss im Wege einer werkgerechten Interpretation (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369, 376) unter Berücksichtigung der der Kunst eigentümlichen Strukturmerkmale (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188) der in der künstlerischen Einkleidung verborgene Aussagekern ermittelt werden. Bei der Auslegung mehrdeutiger Aussagen darf - wie bei dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05, NJW 2009, 908 Rn. 12 f.; vom 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339, 349 mwN) - nicht die zu einer strafrechtlichen Sanktion führende Bedeutung zu Grunde gelegt werden, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen auszuschließen.
3. Im Grundsatz hat das Landgericht diese Maßstäbe zwar nicht verkannt und mit tragfähiger Argumentation ausgeschlossen, dass der Angeklagte mit der in Rede stehenden Textpassage etwa lediglich die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung habe kritisieren wollen.
Die Strafkammer hätte indes eine weitere, nicht fern liegende Deutungsmöglichkeit in ihre Erwägungen einbeziehen müssen: In der Äußerung „Gekaufte Politiker, Päderasten und Genderspasten!" in Verbindung mit Bildern von Angela Merkel, Gerhard Schröder, dem Logo der Partei Bündnis 90/Die Grünen und einer Drag Queen könnte auch eine - wenngleich überzogen formulierte und geschmacklose - politische Kritik zu sehen sein, die jedenfalls zum Teil an tatsächliche Geschehnisse anknüpft. Der Begriff „Päderast“ in Verbindung mit dem Parteilogo ließe sich als Bezugnahme auf die Pädophilie-Debatte aus dem Jahr 2013 interpretieren, deren Gegenstand u.a. die im Parteiprogramm der Grünen in den 1980erJahren enthaltene Forderung war, dass sexuelle Handlungen - unabhängig vom Alter der Beteiligten - nur noch bestraft werden sollten, wenn Gewalt angewendet oder angedroht oder Abhängigkeitsverhältnisse missbraucht werden. Der Ausdruck „Genderspast“ in Verbindung mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen und einer Drag Queen könnte als Kritik an der Gleichbehandlung sexueller Ausrichtungen, die jenseits des herkömmlichen Geschlechterverständnisses liegen, oder deren Einbeziehung in den politischen Minderheitenschutz gesehen werden. Mit der Verwendung des Begriffs „gekaufte Politiker“ in Verbindung mit Bildern von Angela Merkel und Gerhard Schröder könnte - naheliegend - eine angenommene Bestechlichkeit von Politikern bis in Spitzenämter hinein angeprangert worden sein.
Bedenken begegnet in diesem Zusammenhang auch die Argumentation des Landgerichts, aus der Formulierung „Scheiß Republik“ im Zusammenhang mit den genannten Inhalten ergebe sich, dass der Angeklagte die Bundesrepublik in ihrer derzeitigen Form einer pluralistischen Demokratie ablehne. Allein eine solche Ablehnung führt nicht zur Strafbarkeit einer entsprechenden Äußerung. Denn das Grundgesetz baut zwar auf Werteloyalität, erzwingt diese jedoch nicht, so dass der Grundrechtsschutz auch dem zukommt, der die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen nicht teilt (BVerfG, Beschluss vom 28. November 2011 - 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273 Rn. 18). Schließlich ist nicht rechtsbedenkenfrei, dass das Landgericht eine aggressive Grundstimmung des Musikvideos mitberücksichtigt hat, die sich aus dem Sprechrhythmus und der Gestik einschließlich Schlagbewegungen ergebe. Denn bei der Ermittlung des Aussagekerns eines Kunstwerks dürfen die Elemente der künstlerischen Einkleidung diesem nicht zugerechnet werden (BVerfG, Beschluss vom 3. November 2000 - 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596, 597). Für die Musikrichtung des Rap sind Sprechrhythmus und schlagende Armbewegungen aber gerade typische Stilmerkmale.
4. Bei der im Anschluss an die Ermittlung des Aussagekerns vorzunehmenden Einzelfallabwägung der betroffenen Verfassungsrechtsgüter ist zu beachten, dass dem Staat kein grundrechtlicher Ehrenschutz zukommt. Rechtsgut des § 90a StGB ist der Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung. Für eine Strafbarkeit nach § 90a StGB ist erforderlich, dass aufgrund der konkreten Art und Weise der in dem Kunstwerk zum Ausdruck kommenden Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik, die Funktionsfähigkeit ihrer staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in Deutschland zu gefährden (BVerfG, Beschluss vom 28. November 2011 - 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273 Rn. 24). Dabei bezieht sich der Schutz des § 90a Abs. 1 StGB allein auf die Bundesrepublik selbst. Eine Herabwürdigung von Staatsorganen, einzelnen Politikern oder der Verwaltung reicht zur Erfüllung des Tatbestandes grundsätzlich nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2008 - 1 BvR 519/08, juris Rn. 50; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 18. August 2000 - 3 StR 433/99, NStZ 2000, 643 f.; vom 7. Februar 2002 - 3 StR 446/01, NStZ 2002, 592 Rn. 8).
5. Die Aufhebung des Schuldspruchs der (schweren) Verunglimpfung des Staates im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB zieht die Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Volksverhetzung nach § 130 Abs. 4 StGB nach sich (§ 353 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteile vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, juris Rn. 14; vom 29. August 2007 - 5 StR 103/07, juris Rn. 51; vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können indes vollständig bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO).
Für die neue Verhandlung weist der Senat im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens nach § 130 Abs. 4 StGB auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin (BVerfG, Beschlüsse vom 22. Juni 2018 - 1 BvR 673/18, NJW 2018, 2858 Rn. 26, 31 ff.; 1 BvR 2083/15, NJW 2018, 2861 Rn. 23 ff.).
Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird zudem Gelegenheit haben, auch eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu prüfen. Die Textpassage „Uns einte das Reich, reiner Siegeswille. (…) Keine Ketten mehr, die uns koppelten an die Zinsen. Wir schlugen wie Rocky zu, ließen Würmer im Kompost winseln. Parasitenpack hing an Deutschland, fraß sich an Renditen satt. Wir liefen mit Fackeln durch die Straßen in der Siegesnacht. Räucherten die Nester aus, fackelten sie schließlich ab“ könnte dahin verstanden werden, dass die Bevölkerungsgruppe der Juden durch Verwendung der Begriffe „Zinsen“ und „Renditen“ sowie die inhaltliche Bezugnahme auf die Reichspogromnacht konkludent als „Würmer im Kompost“ und „Parasitenpack“ bezeichnet werden sollte. Dies könnte einen Angriff auf die Menschenwürde dieser Personen darstellen, weil sie mit der gleichsam zum Ausdruck gebrachten Freude über die Opfer der Reichspogromnacht und die Vernichtung vermeintlicher Feinde Deutschlands unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt wurden und ihnen das Lebensrecht in der deutschen Gemeinschaft abgesprochen wurde (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 55 mit zahlreichen wN). Die Grundrechte der Kunst- und Meinungsfreiheit stünden einer Bestrafung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesem Fall nicht entgegen; denn diese müssen stets zurücktreten, wenn die Menschenwürde anderer als oberster Wert und Wurzel aller Grundrechte angetastet wird. Die Würde des Menschen ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua, BVerfGE 93, 266, 293).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 420
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 659
Bearbeiter: Christian Becker