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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1312

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 1024/19, Beschluss v. 16.10.2020, HRRS 2020 Nr. 1312


BVerfG 1 BvR 1024/19 (2. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 16. Oktober 2020 (BayObLG / LG Landshut)

Schutz der Meinungsfreiheit und Strafbarkeit wegen Beleidigung (ehrbeeinträchtigende Äußerung über einen Familienrichter in einer Dienstaufsichtsbeschwerde; grundsätzliches Erfordernis einer Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht; kein genereller Vorrang der Meinungsfreiheit; Absehen von einer Abwägung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen; Formalbeleidigung als Verwendung einer absolut tabuisierten Begrifflichkeit; Schmähung nur bei grundlosem Verächtlichmachen ohne Sachbezug; besonderes Schutzbedürfnis der Machtkritik; Schutz von Amtsträgern vor Verächtlichmachung und Herabwürdigung; Berücksichtigung von Form, Begleitumständen, konkreter Verbreitung und Wirkung der Äußerung; „Kampf ums Recht“).

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; § 185 StGB; § 193 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Verurteilung des Beteiligten eines familiengerichtlichen Verfahrens wegen Beleidigung, der in einer Dienstaufsichtsbeschwerde moniert hatte, der Familienrichter habe ihm bei der Beschlussverkündung mit „dämlichem Grinsen“ auf die Möglichkeit einer - später ins Leere gegangenen - Beschwerde hingewiesen, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, wenn die Strafgerichte die gebotene Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nicht vornehmen, sondern lediglich den ehrverletzenden Gehalt der Äußerung hervorheben und verkennen, dass diese wegen des sachlichen Bezuges zum beruflichen Tätigwerden des Richters nicht als Schmähkritik einzustufen ist.

2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschrift des § 185 StGB gehört. Bei dessen Anwendung ist grundsätzlich eine die konkreten Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung zwischen der Beeinträchtigung erforderlich, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht. Bei der Abwägungsentscheidung kommt der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsschutz zu.

3. Eine Verurteilung wegen Beleidigung kann ausnahmsweise auch ohne Abwägung gerechtfertigt sein, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt. An diese Fallkonstellationen sind jedoch jeweils strenge Kriterien anzulegen. Um eine Formalbeleidigung handelt es sich nur bei einem kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen.

4. Den Charakter einer Schmähung nimmt eine Äußerung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, selbst wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient.

5. Bei der Gewichtung der grundrechtlichen Interessen ist dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik Rechnung zu tragen. Hierzu gehört die Freiheit der Bürger, Amtsträger ohne Furcht vor Strafe grundsätzlich auch in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen zu können.

6. Auch der Gesichtspunkt der Machtkritik bleibt allerdings in eine Abwägung eingebunden und erlaubt nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern. Welche Äußerungen hinzunehmen sind und welche nicht, hängt von Art und Umständen der Äußerung ebenso ab wie davon, welche Position der Betroffene innehat und welche öffentliche Aufmerksamkeit er für sich beansprucht. Ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern liegt im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann.

7. Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann von Bedeutung sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder mit Vorbedacht gefallen ist, ob dem Äußernden aufgrund seiner beruflichen Stellung, Bildung oder Erfahrung die Wahrung der äußerungsrechtlichen Grenzen auch in besonderen Situationen zuzumuten ist und ob für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand. So ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Anliegen zu unterstreichen (sogenannter „Kampf ums Recht“).

8. Bei der Abwägung ist außerdem die konkrete Verbreitung und Wirkung einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung in Rechnung zu stellen. Maßgeblich ist, welcher Kreis von Personen von der Äußerung Kenntnis erhält, ob die Äußerung schriftlich oder anderweitig perpetuiert wird und ob sie in wiederholender und anprangernder Weise, etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium wie dem Internet getätigt wird.

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 1. April 2019 - 206 StRR 378/19 - und das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. November 2018 - 2 Ns 307 Js 2438/18 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Landshut zurückverwiesen.

3. Das Land Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung eines Familienrichters in einem Schreiben an den die Dienstaufsicht führenden Landgerichtspräsidenten.

1. Im Rahmen eines familienrechtlichen Verfahrens erließ das Familiengericht zugunsten der vom Beschwerdeführer getrenntlebenden Ehefrau und Mutter des gemeinsamen Kindes eine einstweilige Anordnung und übertrug ihr die Entscheidung über die Durchführung einer Auslandsreise mit dem Kind. In der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung lächelte der zuständige Familienrichter nach Wahrnehmung des Beschwerdeführers süffisant und kündigte an, zu dessen Lasten zu entscheiden, dieser könne aber gegen die Entscheidung Beschwerde einlegen. In der Folge erging ein Beschluss, der es der Kindesmutter übertrug, die Entscheidung zur Reise mit dem Kind zu treffen. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde reagierte der zuständige Familiensenat des Oberlandesgerichts erst rund einen Monat nach Rückkehr des Kindes mit dem Hinweis, der Beschwerdeführer möge nach eingetretener Erledigung die Beschwerde zurücknehmen. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Familienrichter und warf diesem vor, seine Beschwerde bewusst unbearbeitet gelassen zu haben, bis die Ausreise des Kindes geschehen gewesen sei. Auf die Mitteilung des Landgerichtspräsidenten, der zuständige Familienrichter habe ihm berichtet, die Akte am Tag nach Eingang der Beschwerde dem zuständigen Oberlandesgericht vorgelegt zu haben, reagierte der Beschwerdeführer mit einem Schreiben, in dem es unter anderem heißt:

„Ich unterstelle, dass […] er Ihnen gegenüber nur eine Schutzbehauptung gemacht hat. Nach meinem Rechtsempfinden steht es einem Richter ohnehin nicht zu, bei seiner Urteilsverkündung dem Geschädigten mit einem dämlichen Grinsen Ratschläge wie er könne ja Beschwerde gegen sein Urteil einlegen zu erteilen, erst recht wenn er anscheinend davon ausgeht, dass die Beschwerde sowieso nachträglich behandelt wird. Wenn es um das Kinderwohl seiner eigenen Kinder ginge, unterstelle ich […], dass er nicht mehr so lax mit den Terminen umgehen und erst recht nicht dabei dämlich grinsen würde.“

2. Wegen dieser Äußerung verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer nach vorherigem Strafbefehl und daraufhin eingelegtem Einspruch wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 80 Euro.

3. Die Berufung des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit der Begründung, es handele sich bei der herabsetzenden Äußerung gegenüber dem Familienrichter um eine Formalbeleidigung. Bei ihr stehe die Diffamierung der betroffenen Person selbst im Vordergrund, nicht eine scharfe oder überspitzte Kritik an dessen Sachentscheidung. Zu berücksichtigen sei, dass die Äußerung weder im Gerichtssaal noch spontan als Reaktion auf ein Verhalten des Familienrichters gefallen sei. Auch sei die Äußerung nicht in der erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde gefallen, sondern erst als Reaktion auf ein vorangegangenes Schreiben des Landgerichtspräsidenten. In dieser Situation sei die Äußerung des Beschwerdeführers nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt.

4. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das Bayerische Oberste Landesgericht als unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils habe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

6. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 90, 241 <246 ff.>; 93, 266 <292 ff.>). Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der §§ 185 ff. StGB (vgl. BVerfGE 82, 43 <50 ff.>; 85, 23 <30 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

a) Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung greift in seine Meinungsfreiheit ein.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>). Der Beschwerdeführer positioniert sich vorliegend mit der Beschreibung, der Familienrichter habe in der mündlichen Verhandlung seine Vorstellung einer Entscheidung umrissen und dem in der Sache unterlegenen Kindesvater süffisant - dämlich grinsend - den Ratschlag erteilt, doch Beschwerde gegen die Entscheidung einzulegen, zur Amtsführung des Richters. Die strafrechtliche Sanktion knüpft an diese in den Schutzbereich fallende Äußerung an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.

b) Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

aa) Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 ff.>), auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen.

(1) Bei Anwendung dieser Strafnorm auf die Äußerung im konkreten Fall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2732/15 -, Rn. 12 f.). Darauf aufbauend erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 85, 1 <16>; 93, 266 <293>; stRspr). Eine Verurteilung kann ausnahmsweise auch ohne eine solche Abwägung gerechtfertigt sein, wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>; stRspr). Dabei handelt es sich um verschiedene Fallkonstellationen, an die jeweils strenge Kriterien anzulegen sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 - und - 1 BvR 1094/19 -, Rn. 18 ff.).

Der Charakter einer Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert (vgl. BVerfGE 82, 272 <283>). Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung vielmehr erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294, 303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juni 2019 - 1 BvR 2433/17 -, Rn. 18; siehe näher dazu auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 18 bis 20).

(2) Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit. Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings - wie es der Normalfall für den Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht ist - eine grundrechtlich angeleitete Abwägung, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, anknüpft (vgl. BVerfGE 12, 113 <124 ff.>; 90, 241 <248>; 93, 266 <290>). Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte.

Das Ergebnis der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196 f.>; stRspr). Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es lediglich zu überprüfen, ob die Fachgerichte dabei Bedeutung und Tragweite der durch die strafrechtliche Sanktion betroffenen Meinungsfreiheit ausreichend berücksichtigt und innerhalb des ihnen zustehenden Wertungsrahmens die jeweils für den Fall erheblichen Abwägungsgesichtspunkte identifiziert und ausreichend in Rechnung gestellt haben. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 93, 266 <296>).

(a) Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 <293>). Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, Rn. 38). In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 1999 - 1 BvR 2126/93 -, Rn. 31; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 1094/19 -, Rn. 23).

Allerdings bleibt auch der Gesichtspunkt der Machtkritik in eine Abwägung eingebunden und erlaubt freilich nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 1094/19 -, Rn. 25 mit Verweis auf BVerfGE 42, 143 <153>) und nimmt hiervon solche des öffentlichen Lebens und Amtsträger nicht aus. Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt. Welche Äußerungen hinzunehmen sind und welche nicht, liegt dabei nicht nur an Art und Umständen der Äußerung, sondern ebenso daran, welche Position der Betroffene innehat und welche öffentliche Aufmerksamkeit er für sich beansprucht. Ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 152, 152 <199 Rn. 108>).

(b) Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit (vgl. BVerfGE 12, 113 <125>) impliziert - in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung - die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität (vgl. BVerfGE 33, 1 <14 f.>) und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Abwägungsrelevant kann ferner sein, ob Äußernden aufgrund ihrer beruflichen Stellung, Bildung und Erfahrung zuzumuten ist, auch in besonderen Situationen - beispielsweise gerichtlichen und behördlichen Verfahren - die äußerungsrechtlichen Grenzen zu kennen und zu wahren. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erheblich, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde. Hierbei ist auch der Gesichtspunkt des sogenannten „Kampfs um das Recht“ zu berücksichtigen. Danach ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>).

(c) Desweiteren ist bei der Abwägung die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung in Rechnung zu stellen (vgl. ebenso für zivilrechtliche Löschungsverlangen und Unterlassungsansprüche BVerfGE 152, 152 <204 f.>). Maßgeblich hierfür sind Form und Begleitumstände der Kommunikation. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise (vgl. BVerfGK 8, 107 <116>), etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird.

(d) Aufgabe der Fachgerichte ist es, aufgrund der Umstände des Einzelfalles die jeweils abwägungsrelevanten Gesichtspunkte herauszuarbeiten und miteinander abzuwägen. Je nach Umständen kann auch eine recht knappe Abwägung ausreichen. Maßgeblich ist, dass die konkrete Situation der Äußerung erfasst und unter Berücksichtigung der auf beiden Seiten betroffenen Grundrechte hinreichend gewürdigt wird.

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht.

(1) Der Gesichtspunkt der Formalbeleidigung rechtfertigt die angegriffenen Entscheidungen nicht. Die Beschreibung der Verhaltensweise des Familienrichters mit den Worten, dieser habe dem Beschwerdeführer „mit einem dämlichen Grinsen“ den Ratschlag erteilt, Beschwerde einzulegen, gehört ganz offensichtlich nicht zum kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen.

(2) Die strafgerichtliche Verurteilung kann sich ebensowenig auf den Gesichtspunkt der Schmähkritik stützen. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass eine Schmähung dann vorliegt, wenn eine Äußerung der grundlosen Verächtlichmachung dienen soll, ohne dass es einen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung gibt. Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, letztlich als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient. Dann geht es dem Äußernden nicht allein darum, den Betroffenen als solchen zu diffamieren, sondern stellt sich die Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung dar.

Das Landgericht nimmt die Umstände des vorliegenden Falles nur unzureichend in den Blick, wenn es die Äußerung des Beschwerdeführers nicht mehr als Kritik an der Verfahrensführung des Richters ansieht und entscheidend darauf abstellt, dass die Äußerung nicht als unmittelbare Reaktion, sondern erst auf ein vorangegangenes Schreiben des Landgerichtspräsidenten im Rahmen der bereits erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde schriftlich fiel.

Der eine Schmähkritik ausschließende, hinreichende Sachbezug ergibt sich hier zum einen daraus, dass die Dienstaufsichtsbeschwerde das Verhalten und die Verfahrungsführung des Richters im konkreten familiengerichtlichen Verfahren beanstandet. Auch in der streitgegenständlichen Erwiderung des Beschwerdeführers auf die Mitteilung des Landgerichtspräsidenten, der Familienrichter habe erklärt, die Akte rechtzeitig weitergeleitet zu haben, bleibt der Sachbezug erhalten. Denn der Beschwerdeführer hielt eine bloße Erklärung des betroffenen Familienrichters, er habe die gegen seine Entscheidung eingelegte Beschwerde umgehend weitergeleitet, ohne dass der Landgerichtspräsident den Vorgang selbst nachvollzogen oder geprüft hätte, für nicht ausreichend. Die Äußerung, der Richter habe sich in ungehöriger Weise - dämlich grinsend - verhalten, indem er ihm - dem Beschwerdeführer - den Hinweis gegeben habe, bei einer zu seinem Nachteil ausgehenden Entscheidung ein von vornherein aussichtsloses Rechtsmittel einzulegen, ist damit anlassbezogenes Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes, selbst wenn sie in ihrer konkreten Form unsachlich und ehrverletzend ist.

(3) Die angegriffenen Entscheidungen sind auch nicht von einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden - hilfsweisen - Abwägung getragen. Sie lassen keine hinreichende Auseinandersetzung mit der konkreten Situation, in der die Äußerung gefallen ist, erkennen und zeigen nicht auf, weshalb das Interesse an einem Schutz des Persönlichkeitsrechts des in seiner Amtsausübung angegriffenen Familienrichters die für die Zulässigkeit der Äußerung sprechenden Gesichtspunkte überwiegt. Sie gehen auf Inhalt, Anlass, Motivation sowie die konkrete Wirkung der Äußerung unter den Umständen des Falles nicht sachhaltig ein.

(a) Die angegriffenen Entscheidungen stellen in ihrer Begründung maßgeblich darauf ab, dass es sich bei der Äußerung des Beschwerdeführers nicht um eine Auseinandersetzung mit der richterlichen Tätigkeit des Betroffenen, sondern um einen gezielten persönlichen Angriff auf dessen Ehre gehandelt habe. Damit weisen die Entscheidungen der Äußerung ohne nähere Begründung eine unmittelbar in die Privatsphäre reichende Bedeutung zu. Angesichts der sonstigen Äußerungen des Beschwerdeführers im Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren, die den Ablauf des familienrechtlichen Verfahrens und die Behandlung der Beschwerde zum Gegenstand haben, ist es jedoch naheliegend, die Äußerung auf das berufliche Tätigwerden des betroffenen Richters zu beziehen. Für einen solchen Bezug gerade zur Amtsführung spricht der Kontext der Äußerung, wonach der betroffene Familienrichter „bei seiner Urteilsverkündung“ Ratschläge zu möglichen Rechtsmitteln gegen seine Entscheidung erteilte.

Auch unter dem Aspekt des besonderen Schutzbedürfnisses der Machtkritik muss der der Entscheidungsgewalt des Familiengerichts unterworfene Beschwerdeführer die von ihm als verantwortlich angesehenen Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Amtsausübung rügen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für entscheidende gerichtliche Sanktionen bilden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 30).

(b) Das Landgericht verkennt zudem, dass sich für den Beschwerdeführer nicht in der mündlichen Verhandlung, sondern erst ex post ergab, dass man ihn - aus seiner Sicht - süffisant lächelnd auf ein von vornherein aussichtsloses Rechtsmittel verwiesen hatte. Erst aus dem Zusammenhang mit dem Anschreiben des dienstaufsichtsrechtlich vorgesetzten Landgerichtspräsidenten konnte der Beschwerdeführer schließen, dass jener den Vorgang nur aufgrund des Berichts des betroffenen Familienrichters kannte, ergab sich für den Beschwerdeführer das Erfordernis, in der dienstaufsichtsrechtlichen Auseinandersetzung weiter zu remonstrieren, wobei dann die streitgegenständliche Äußerung fiel.

Für eine Verurteilung hätten die Entscheidungen daher im Einzelnen darlegen müssen, weshalb und inwiefern die Äußerung den Betroffenen über seine Amtsführung hinaus in seiner persönlichen Sphäre derart schwerwiegend herabwürdigte, dass die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen konnte.

c) Die zulässig angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

2. Das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts sind demnach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1312

Bearbeiter: Holger Mann