Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2025
26. Jahrgang
PDF-Download
1. Für sich genommen ist die Mitwirkung eines Staatsanwalts als Sitzungsvertreter, der Beschuldigter (irgend-)einer Straftat ist, nicht geeignet, die Gesamtfairness eines Strafverfahrens in Frage zu stellen. Andernfalls wäre es Verfahrensbeteiligten möglich, bereits durch einen fingierten Tatvorwurf einen für sie missliebigen Staatsanwalt vom Verfahren auszuschließen.
2. Im Fall der Mitwirkung eines Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, gegen den ein Ermittlungsverfahren geführt wird, kommt es auf die Bewertung des gesamten Verfahrensablaufs an, der in der Revisionsbegründung umfassend darzustellen ist.
3. Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, ob ein Zusammenhang zwischen dem Verfahrensgegenstand des gegen den Sitzungsvertreter geführten Ermittlungsverfahrens und dem in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten verhandelten Tatvorwurf bestand, wie eng dieses „prozessuale Band“ war und wie substantiiert die Verdachtsmomente gegen den Staatsanwalt waren. In die Wertung einzubeziehen ist zudem, ob die Staatsanwaltschaft insoweit Verfahrenssicherungen ergriffen hat, etwa durch Einteilung eines weiteren Sitzungsvertreters.
4. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde.
5. Die in die Gesamtabwägung einzustellenden Umstände sind mit Tatsachen zu belegen. Dabei hat der Revisionsführer seiner im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren liegenden Erkundigungspflicht, ggf. auch durch Nachfragen beim erstinstanzlichen Verteidiger oder beim Gericht, nachzukommen (vgl. BGH StV 2006, 459 mit Anm. Ventzke). Ist ihm aufgrund verwehrter Einsichtnahme seitens der Verfolgungsbehörden in bestimmte Unterlagen eine vollständige Darstellung der rügebegründenden Tatsachen nicht möglich, muss er sich, jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge, weiter um Akteneinsicht bemühen und entsprechende Anstrengungen darlegen.
6. Die Strafprozessordnung enthält keine Regelungen über den Ausschluss eines „befangenen“ oder einer Straftat verdächtigen Staatsanwalts von der Mitwirkung im Verfahren; die für Richter geltenden Regelungen über die „Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen“ gemäß §§ 22, 23 StPO und § 24 StPO finden auf Staatsanwälte weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung. In Betracht kann aber eine Verletzung des Rechts des Angeklagten auf ein faires und justizförmiges Verfahren kommen.
7. In die bei der Prüfung einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren vorzunehmende Gesamtbetrachtung wäre – jedenfalls im Fall der Mitwirkung eines in derselben Sache beschuldigten Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft – ungeachtet der fehlenden Voraussetzungen für eine Gesetzesanalogie – im Ausgangspunkt die Nähe zu einem für Richter geltenden gesetzlichen Ausschlusstatbestand einzustellen. Wesentliche Bedeutung in der Gesamtbetrachtung käme auch dem Verdachtsgrad gegen den beschuldigten Staatsanwalt zu. Zu berücksichtigen wären weiterhin das Gewicht etwaiger Verstöße des beschuldigten Staatsanwalts gegen seine staatsanwaltlichen Amtspflichten sowie sein konkretes Verhalten in der Hauptverhandlung. Von erheblicher Bedeutung für die Frage, ob bei einer Gesamtbetrachtung ein Verstoß gegen den Fairnessgrundsatz anzunehmen wäre, sind schließlich auch etwaige Absicherungen durch den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft.
1. Die Grenze zulässigen Verteidigungsverhaltens wird erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck einer besonders verwerflichen Einstellung des Täters darstellt, etwa, weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht.
2. Ausführungen zur Strafzumessung, wonach die Strafkammer „das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu seinen Lasten“ gewertet hat, „da der Angeklagte trotz vielfacher Ermahnungen durch die Kammer sein Fragerecht häufig dazu genutzt hat, Zeugen zu diskreditieren“, können besorgen lassen, dass die Strafkammer zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten gewertet hat.
3. Das Rekonstruktionsverbot gilt auch für Verfahrensrügen, zu deren Prüfung Tatsacheninformationen erforderlich sind, die nur aufgrund der Rekonstruktion der Hauptverhandlung verifizierbar wären. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass über das Ergebnis des Augenscheins allein das Tatgericht entscheidet. Dies gilt auch für die Beurteilung des Auftretens einer Nebenklägerin und Zeugin, die sich im Zeugenschutz befindet und der deshalb eine Verdeckung des Gesichts sitzungspolizeilich gestattet wird.
4. Ein Gericht hat seinen eine Anordnung der Vorsitzenden bestätigenden Beschluss im Allgemeinen unmittelbar auf die Beanstandung hin, jedenfalls aber vor Abschluss des jeweiligen Verfahrensabschnitts, dem die Maßnahme zuzuordnen ist, zu fassen und zu verkünden. Allerdings kann allein die Verspätung der Entscheidung des Gerichts der Revision dann nicht zum Erfolg verhelfen, wenn auszuschließen ist, dass der Revisionsführer aufgrund der Verspätung gehindert war, seine Verteidigung durch Anträge und Erklärungen der durch den Beschluss klargestellten Rechtslage anzupassen.
Der Grundsatz des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt – anders als etwa bei den Strafkammern nach § 74a GVG – nicht, dass für Staatsschutzsachen ein Spezialspruchkörper vorgesehen ist. Auch ist es nicht erforderlich, dass eine Staatsschutzsache, wird sie vom Rechtsmittelgericht an einen Spruchkörper zugewiesen, an einen Spruchkörper gelangt, der explizit für Staatsschutzsachen zuständig ist.
Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt nicht stets, sondern nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt. Dagegen liegt bei einer „nur“ schlicht fehlerhaften Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften ein Verfassungsverstoß nicht vor.
Fällt eine elektronische Anzeigetafel vor dem Sitzungssaal aus, kann es zur Behauptung eines Verstoßes gegen die Öffentlichkeit des Verfahrens angezeigt sein, näher darzulegen, warum dieser Ausfall zu einer faktischen Beschränkung der Öffentlichkeit geführt haben könnte. Dies gilt vor allem, wenn alle Verfahrensbeteiligten den richtigen Sitzungssaal gefunden haben. Ferner sind in der Regel auch Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass das Gericht den geltend gemachten Verstoß zu vertreten hat.
Erscheint zu einem Fortsetzungstermin nicht der beigeordnete Pflichtverteidiger, sondern ein anderer Rechtsanwalt, der nach dem Revisionsvorbringen weder beigeordnet noch bevollmächtigt worden sei, ist im Zuge einer Verfahrensrüge, die anführt, der Angeklagte sei an einem Hauptverhandlungstag nicht verteidigt gewesen, unter Umständen weiterer Vortrag erforderlich, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände dieser Rechtsanwalt als Verteidiger an der Verhandlung teilnahm. Sofern sich der für die Revision erhebliche Ablauf nicht aus den Gerichtsakten ergibt, ist der am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligte Revisionsverteidiger gehalten, sich gegebenenfalls bei dem dort tätigen Verteidiger zu erkundigen.
Die (lediglich ergänzende) Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle wirkt dann nicht nach § 251 StPO vernehmungsersetzend, wenn in der Hauptverhandlung zuvor eine Vorführung der ermittlungsrichterlichen Bild-Ton-Aufzeichnung der Zeugenvernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO stattgefunden hat. In dessen Anwendungsbereich tritt die ermittlungsrichterliche Zeugenanhörung an die Stelle der Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch das Tatgericht (§ 250 Satz 1 StPO) und ist als in dieser als durchgeführt zu bewerten.
Die nach § 257c Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 StPO erforderliche Zustimmung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu einer Verständigung bewirkt deren formwirksames Zustandekommen. Sie ist als gestaltende Prozesserklärung unanfechtbar und unwiderruflich. Die Zustimmung zum Verständigungsvorschlag muss deshalb – nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung – ausdrücklich erfolgen. Eine nur konkludente Erklärung des Angeklagten reicht nicht aus.
1. Nach § 119a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 110 StVollzG ist grundsätzlich die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Die Dauer des vom Gericht zu überprüfenden Zeitraums ist in § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG mit zwei Jahren festgesetzt und kann verlängert, aber nicht abgekürzt werden. In dem Überprüfungszeitraum kann es zu einer Zuständigkeitsänderung durch eine nicht nur vorübergehende ‚Verlegung‘ des Verurteilten in eine Vollzugsanstalt im Bezirk eines anderen Gerichtes kommen, weil das Gesetz für das Verfahren nach § 119a StVollzG, anders als im Verfahren nach § 462a StPO, keine Fortwirkung der zuerst begründeten Gerichtszuständigkeit vorsieht. Da durch den Verweis von § 119a Abs. 6 Satz 3 StVollzG auf die Vorschrift des § 110 StVollzG die Zuständigkeit der auch räumlich möglichst vollzugsnahen Strafvollstreckungskammer begründet werden soll, ist diejenige Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk sich der Verurteilte am Ende des Überprüfungszeitraumes aufhält; dies deshalb, weil diese Strafvollstreckungskammer die für das Verfahren nach § 119a StVollzG größte Sachnähe aufweist.
2. Die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer kann durch einen Verweisungsbeschluss einer anderen Strafvollstreckungskammer begründet werden. Grundsätzlich ist ein solcher Beschluss für das darin bestimmte Gericht nach § 83 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend, selbst wenn dieser fehlerhaft ist. Eine Bindungswirkung tritt nur ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisungsentscheidung willkürlich erscheint, namentlich, wenn eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, an die der Rechtsstreit verwiesen worden ist, unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt oder die Verweisung sonst inhaltlich grob und offensichtlich fehlerhaft ist.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 EGGVG ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Begründung in der Form des § 24 Abs. 1 EGGVG muss dabei binnen der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG eingereicht werden. Die Regelung des § 26 Abs. 1 EGGVG stellt auf einen im Sinne des § 24 Abs. 1 EGGVG begründeten Antrag ab, der innerhalb der Monatsfrist zu stellen ist. Anders, als beispielsweise für die Revision in Strafsachen (vgl. §§ 341, 345 StPO) hat der Gesetzgeber für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG davon abgesehen, getrennte Fristen für die Einlegung und Begründung zu regeln.
2. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbietet zwar, an die Begründungserfordernisse des § 24 Abs. 1 EGGVG in formeller Hinsicht überhöhte Anforderungen zu stellen. Daher kann etwa eine Bezugnahme auf die einem Antrag beigefügten Unterlagen im Einzelfall genügen, wenn daraus der dem Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt und die erforderliche Darlegung einer eigenen Rechtsverletzung des Betroffenen im Sinne des § 24 Abs. 1 EGGVG für das Gericht
ausreichend erkennbar wird. Das bloße Beifügen eines angegriffenen Bescheids reicht jedoch in der Regel nicht aus.
Die Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde im Rahmen des Verfahrens bei Einziehung und Vermögensbeschlagnahme richtet sich nicht allein nach § 438 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 424 Abs. 4 Satz 2 StPO als allgemeine Bestimmungen über das Beschwerderecht. Vielmehr findet darüber hinaus die Vorschrift des § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO Anwendung, die das Rechtsmittel gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte insoweit nicht zulässt.
1. Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung oder der Ermächtigung hierzu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird durch Einschränkungen in der Kommunikations- oder Alltagsfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst dann auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen.
2. Für die Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers.
Ein anwaltlich vertretener Angeklagter hat keinen eigenen Anspruch auf Akteneinsicht, die ausschließlich von seinem Verteidiger wahrgenommen wird. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. b EMRK. In welcher Weise der Verteidiger aus der Verfahrensakte erlangte Kenntnisse mit dem Mandanten teilt, ist gesetzlich nicht vorgegeben und liegt ‒ unter Beachtung sonstiger, etwa grund- und datenschutzrechtlicher Anforderungen ‒ in der Hand des Verteidigers.