HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2025
26. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

804. BGH 3 StR 405/24 – Urteil vom 17. April 2025 (LG Oldenburg)

BGHR; Einziehung von Taterträgen; Geldstrafe neben Freiheitsstrafe; Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch bei obligatorischer Einziehung.

§ 41 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB; § 345 StPO

1. Wird die Bereicherung des Täters im Wege der Tatertragseinziehung abgeschöpft, kann dies Anlass sein, auf die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafe zu verzichten. Allerdings schließt eine solche Einziehungsanordnung diese Form der Bestrafung nicht zwangsläufig, grundsätzlich oder in aller Regel aus. (BGHR)

2. Sinn und Zweck des § 41 StGB ist in erster Linie, Täter, für die bestimmendes Tatmotiv die Erlangung von Vermögensvorteilen ist, mit einem besonders wirksamen Strafübel belegen zu können. Die Vorschrift ermöglicht eine flexible Auswahl der Strafen und ist auf Fälle zugeschnitten, in denen es nach der Art von Tat und Täter ausnahmsweise zur Erreichung der Strafzwecke sinnvoll erscheint, ihn nicht nur an der Freiheit, sondern darüber hinaus am Vermögen zu treffen. (Bearbeiter)

3. Daneben bietet § 41 StGB nach dem gesetzgeberischen Willen „in geeigneten Fällen“ die Möglichkeit, „die Freiheitsstrafe niedriger zu halten und auf diese Weise zu einem angemessenen Ausgleich für die Schuld des Täters zu gelangen“. Auf die gesonderte Geldstrafe darf allerdings nicht allein deshalb erkannt werden, um die an sich verwirkte höhere Freiheitsstrafe auf ein Maß herabsetzen zu können, das die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung ermöglicht. (Bearbeiter)

4. Die Verhängung der zusätzlichen Geldstrafe bedarf der näheren Begründung (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), wohingegen die Urteilsgründe auf das Absehen von dieser Form der Bestrafung regelmäßig nicht explizit eingehen müssen. (Bearbeiter)

5. Dem primären Zweck des § 41 StGB ist nicht ohne Weiteres dadurch Genüge getan, dass die Bereicherung nach §§ 73 ff. StGB abgeschöpft wird. Im Hinblick auf diesen Zweck ist es eine Frage des Einzelfalles im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung, ob die Anwendung von § 41 StGB auch bei gleichzeitig angeordneter Tatertragseinziehung sachgerecht sein kann. (Bearbeiter)


Entscheidung

838. BGH 5 StR 178/25 – Beschluss vom 20. Mai 2025 (LG Berlin I)

Strafzumessung bei Verurteilung wegen Taten nach dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (keine Erforderlichkeit einer Grenzwertüberschreitung zur nicht geringen Menge).

§ 4 NpSG

Die Tatgerichte sind nicht verpflichtet, für die Strafzumessung bei Taten nach dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) Grenzwerte zu nicht geringen Mengen zu beziffern und das Maß ihrer Überschreitung zu berücksichtigen (tendenziell wie hier BGH HRRS 2025 Nr. 458; a. A. HRRS 2022 Nr. 407). Einen notwendigen Orientierungspunkt für die Strafzumessung kann das Maß der Grenzwertüberschreitung nur bilden, wenn das Gesetz für den Umgang mit nicht geringen Mengen einen anderen Strafrahmen vorsieht. Dies ist im NpSG gerade nicht der Fall. Hier können Stoffmenge und Gefährlichkeit daher ohne Umrechnung in das Maß einer Grenzwertüberschreitung unmittelbar nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB in die Strafzumessung einfließen.


Entscheidung

747. BGH 2 StR 17/25 – Beschluss vom 9. April 2025 (LG Gießen)

Strafzumessung (lange Verfahrensdauer: bestimmender Strafzumessungsgrund, Überlastung der Geschäftsstelle, Unterbesetzung; Nennung der Strafzumessungsgesichtspunkte bei der Strafrahmenwahl; nachträgliche Gesamtstrafenbildung); Rechtskraft (Teilrechtskraft der Nichtanordnung einer Maßregel).

Art. 6 EMRK; § 46 Abs. 1 StGB; § 55 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

1. Eine überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer ist ungeachtet eines geringeren Strafbedürfnisses auf Grund des zeitlichen Abstands zwischen Tatbegehung und Urteil (und unbeschadet eines etwa zu gewährenden Vollstreckungsabschlags) bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar.

2. Benennt das Tatgericht bei der konkreten Strafzumessung, nicht aber bei der vorhergehenden Prüfung eines benannten oder unbenannten minder schweren Falls eine Reihe zugunsten des Angeklagten sprechender Umstände, kann die Besorgnis begründet sein, bei der Strafrahmenwahl seien nicht alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte bedacht worden. Es ist zumindest empfehlenswert, bereits bei der Strafrahmenbestimmung alle nach den Feststellungen in Betracht kommenden, maßgeblichen Strafzumessungsgesichtspunkte zu benennen und bei der konkreten Strafzumessung – was zulässig ist – hierauf Bezug zu nehmen.

3. Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf grundsätzlich nicht zugemutet werden, eine überlange Verfahrensdauer nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Staatsanwaltschaften und der Gerichte zu genügen.

4. Regelmäßig sind zur Prüfung einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht nur die Daten der zu berücksichtigenden Vorverurteilungen, sondern zumindest auch die diesen zugrundeliegenden Tatzeiten und – so von Bedeutung – das Datum der letzten tatrichterlichen Verhandlung mitzuteilen.

5. Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft und ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen; der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden. Maßgeblich für die Reichweite der Teilrechtskraft ist die Beschlussformel der Revisionsentscheidung.


Entscheidung

767. BGH 2 StR 464/24 – Beschluss vom 24. April 2025 (LG Köln)

Strafzumessung (Tagessatzhöhe bei Geldstrafe: maßgeblicher Zeitpunkt, mit Sicherheit zu erwartende Veränderung der Einkommensverhältnisse, arbeitsloser Täter, zu erwartende Arbeitsaufnahme).

§ 40 Abs. 2 StGB

1. Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt sich unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). Dabei ist grundsätzlich vom Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB). Nicht zum Nettoeinkommen gehören die laufenden Steuern, bei Unselbständigen die Sozialversicherungsbeiträge, bei Selbständigen die Betriebsausgaben, die Verluste, die Werbungskosten, ferner Kranken- und Altersversicherung sowie weitere Versicherungsleistungen, die der Sozialversicherung der Unselbständigen vergleichbar sind. Jedoch erschöpft sich die Festlegung der Tagessatzhöhe nicht in einer mechanischen Berechnung. Vielmehr handelt es sich um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt.

2. Maßgebend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der tatgerichtlichen Entscheidung. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn die Veränderung der Einkommensverhältnisse bereits im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung mit Sicherheit zu erwarten ist und die Veränderung nicht lediglich von vorübergehender Dauer sein wird. Die Berücksichtigung zukünftig zu erzielender Einnahmen setzt dabei hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine fundierte richterliche Überzeugung von der künftigen Entwicklung der Einkommensverhältnisse voraus. Zudem ist zu beachten, dass bei einem im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung arbeitslosen Täter selbst bei einer mit Sicherheit zu erwartenden zeitnahen Arbeitsaufnahme die wirtschaftliche Lebenssituation nicht sofort wieder durch die Höhe des Erwerbslohns bestimmt wird.


Entscheidung

758. BGH 2 StR 118/25 – Urteil vom 7. Mai 2025 (LG Marburg)

Korrektur der Urteilsformel (unrichtige Bezeichnung des Tatbestandes: „besonders schwere“ Vergewaltigung); Strafzumessung (Strafrahmenwahl: Verhältnis

von Verneinung der Indizwirkung bei Regelbeispielen und vertypten Milderungsgründen).

§ 21 StGB; § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB; § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB; § 354 Abs. 1 StPO

Stehen dem Richter im Einzelfall mehrere Strafrahmen zur Auswahl, erfolgt die Wahl des konkret anzuwendenden Strafrahmens auf Grund einer Gesamtwürdigung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände einschließlich des Vor- und Nachtatverhaltens und der Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht sich der Wahlmöglichkeit bewusst war und dass es sich beispielsweise bei Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes bewusst für die Verschiebung des Strafrahmens nach § 49 Abs. 1 StGB entschieden hat, statt die Indizwirkung eines Regelbeispiels aufgrund des Milderungsgrundes zu verneinen. Es ist indes nicht verpflichtet, den jeweils für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen zugrunde zu legen; vielmehr unterliegt seiner pflichtgemäßen Entscheidung, welchen Strafrahmen es wählt.


Entscheidung

763. BGH 2 StR 158/25 – Beschluss vom 6. Mai 2025 (LG Frankfurt am Main)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (Darstellungsanforderungen: Zeitpunkt der letztmaligen Prüfung der Feststellungen, Zäsurwirkung eines Verurteilung, Mitteilung des Vollstreckungsstandes); Schuldspruchberichtigung (Gewerbsmäßigkeit, Regelbeispiel).

§ 55 StGB

Bei einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung müssen die Urteilsgründe die einzelnen Taten, die Tatzeiten, (kurz) die ihnen zugrundeliegenden Lebenssachverhalte und die jeweils verhängten Einzelstrafen, das Datum der Verurteilung, gegebenenfalls das Datum der Berufungshauptverhandlung, den Eintritt der Rechtskraft sowie den Vollstreckungsstand mitteilen. Liegen mehrere Vorverurteilungen vor, kommt es nach § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung auf dasjenige Urteil in dem früheren Verfahren an, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmalig geprüft werden konnten. Das ist jede Entscheidung zur Schuld- und Straffrage, namentlich auch ein Berufungsurteil, wenn wenigstens noch über einen Teil des Strafausspruchs zu befinden war.


Entscheidung

784. BGH 4 StR 67/25 – Beschluss vom 8. April 2025 (LG Essen)

Strafzumessung (Gesamtstrafenbildung: Härteausgleich bei Verurteilung durch ausländisches Gericht, Feststellungsanforderungen, Rechtskraft des berücksichtigten Urteils, Vollstreckung einer berücksichtigten Geldstrafe).

§ 46 StGB; § 55 StGB

1. Grundsätzlich sind bei der Strafzumessung etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, welche von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären, eine solche aber wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Vollstreckungshoheit der Mitgliedstaaten nicht erfolgen kann. Denn der Angeklagte soll nicht schlechter behandelt werden, als wenn die frühere Verurteilung in Deutschland ergangen wäre. Ein ausgleichsbedürftiger Nachteil liegt dabei bei einer Geldstrafe nur dann vor, wenn diese im Wege des Freiheitsentzuges vollstreckt worden wäre.

2. Die Rechtskraft der früheren Verurteilung, die den Bestand der einzubeziehenden Strafen sicherstellt, ist zwingende Voraussetzung für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB bzw. einen zu gewährenden Härteausgleich. Für einen Härteausgleich besteht ferner keine Veranlassung, wenn eine Geldstrafe bereits durch Zahlung vollstreckt ist. Zu diesen Fragen muss das Urteil Feststellungen enthalten.