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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2021
22. Jahrgang
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1. Bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt es nahe, dass der Täter im Sinne eines Eventualvorsatzes mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch sie zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein riskantes Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dabei sind für die Beurteilung der Gefährlichkeit von Brandanschlägen auf Wohnhäuser bedeutsam namentlich die Beschaffenheit des angegriffenen Objekts im Hinblick auf Fluchtmöglichkeiten und auf die Brennbar-
keit der beim Bau verwendeten Materialien, eine erhöhte Schutzlosigkeit der Bewohner zur Nachtzeit sowie die Belegungsdichte.
2. Angesichts der gewöhnlich hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist indes immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr des Todes nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das – selbstständig neben dem Wissenselement stehende – Willenselement gegeben ist.
3. Das fehlende Tötungsmotiv kann bei der Prüfung des Eventualvorsatzes regelmäßig nicht als vorsatzkritischer Umstand herangezogen werden, da der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter grundsätzlich kein Tötungsmotiv hat, sondern stets einem anderen Handlungstrieb nachgeht. Für die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit kommt – anders als beim direkten Vorsatz – den Motiven des Täters vielmehr nur unter bestimmten Umständen Gewicht zu. So kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben.
1. Der Angegriffene muss im Rahmen der Notwehr auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen.
2. Das Merkmal der Gebotenheit kann im Einzelfall sozialethisch begründete Einschränkungen an sich erforderlicher Verteidigungshandlungen notwendig machen. Danach ist die Verteidigung dann nicht geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine weniger risikoreiche Verteidigung zu verlangen ist (st. Rspr.). So kann bei infolge Alkohol- oder Drogenkonsums schuldunfähigen Personen das Notwehrrecht des Angegriffenen eingeschränkt sein (vgl. BGHSt 3, 217, 218).
3. § 32 StGB erfordert in subjektiver Hinsicht einen Verteidigungswillen. Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind demnach erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille, das Recht zu wahren, ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein.
1. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Ursachenzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Demgegenüber verliert eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht, wenn außer ihr noch andere Ereignisse zur Herbeiführung des Erfolges beitragen. Ob die weitere Ursache durch das Opfer, einen Dritten oder den Täter selbst gesetzt wird, ist dabei ohne Bedeutung.
2. Der Vorsatz muss sich auf den gesamten Geschehensablauf erstrecken. Da aber alle Einzelheiten dieses Ablaufs kaum jemals genau voraussehbar sind, schließen Abweichungen gegenüber dem vorgestellten Verlauf den Vorsatz nicht ohne weiteres aus. Unwesentlich sind vielmehr Abweichungen, die sich in den Grenzen allgemeiner Lebenserfahrung, das heißt im Rahmen adäquater Kausalität, halten.
Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist nicht nur die Feststellung erforderlich, dass bei diesem eine psychische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des
§ 20 StGB zu subsumieren ist, sondern es sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Erforderlich ist eine konkretisierende und widerspruchsfreie Darstellung dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf dessen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.).
Lässt sich nicht feststellen, durch wie viele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB der Angeklagte die festgestellten Taten gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat.
1. Dem Täter eines fahrlässig herbeigeführten Brand- oder Explosionsgeschehens können der durch Rettungsmaßnahmen verursachte Tod oder die Körperverletzung von Berufsrettern zugerechnet werden (im Anschluss an BGHSt 39, 322). (BGHSt)
2. Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind. Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist. (Bearbeiter)
3. Eine Explosion ist dann gegeben, wenn es zu einer plötzlichen Volumenvergrößerung und dadurch zu Druckwellen mit außergewöhnlicher Beschleunigung kommt. (Bearbeiter)
1. Ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, kann durch eine Brandlegung auch dann teilweise zerstört werden, wenn die betroffene Wohnung bereits wegen einer vorangegangenen Brandstiftung nicht nutzbar war. (BGHR)
2. Der Tatbestand des § 306a Abs. 1 StGB erfasst abstrakte Gefahren für Leib und Leben von Menschen, die sich aus der teilweisen Zerstörung von Wohngebäuden durch Brandlegung wegen des damit verbundenen generellen hohen Gefährdungspotentials ergeben. Solche Gefahren gehen regelmäßig auch mit einer wiederholten Brandlegung in Bezug auf dasselbe Objekt einher. Unabhängig davon, ob eine Wohnung bereits zuvor unbrauchbar war, drohen etwa allgemein Gefahren für sonstige Hausbewohner oder Rettungskräfte. (Bearbeiter)
3. § 306a Abs. 1 StGB hat in der Variante des teilweisen Zerstörens durch eine Brandlegung vor allem brandbedingte Einwirkungen auf die Sachsubstanz des Wohnobjekts im Blick, nicht dagegen allein ein Hervorrufen der Unbenutzbarkeit. Die Unbrauchbarkeit einer Untereinheit ist vielmehr für die Frage von Belang, ob die Beeinträchtigungen von solchem Gewicht sind, dass ein teilweises Zerstören des Gebäudes vorliegt. Dabei braucht die Nutzungsbeschränkung nicht von Dauer zu sein. Obschon der betroffene Zeitraum beträchtlich sein muss und wenige Stunden oder ein Tag nicht ausreichen, können nach den Umständen des Einzelfalls zwei Tage genügen. (Bearbeiter)
1. Zum Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB. (BGHR)
2. Unbeschadet der Frage, welche Verwendungszwecke im Einzelnen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen vermögen, setzt ein Verwenden des gefährlichen Werkzeugs jedenfalls voraus, dass das Werkzeug überhaupt als Mittel zu einem Zweck, also zur Erzielung einer in Bezug auf das Tatopfer angestrebten Wirkung, eingesetzt wird, wofür auch die (konkludente) Ankündigung des körperlichen Einsatzes des Werkzeugs, sein Gebrauch als Drohmittel, genügen kann. Kein Verwenden, sondern nur ein Beisichführen im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB ist demgegenüber gegeben, wenn das Werkzeug von dem Täter nicht als zweckgerichtetes Mittel eingesetzt wird, sondern sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer in dem körperlichen Vorhandensein des Werkzeugs bei der Tat erschöpft. (Bearbeiter)
1. Die Einrichtung von Social Media-Accounts (z. B. Facebook oder Twitter), die einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung (hier: des sog. „IS“) zur Nutzung für die Verbreitung von Propaganda zur Verfügung gestellt werden, sind selbst dann als nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbare Unterstützungstaten einzustufen, wenn die Accounts tatsächlich nicht genutzt werden.
2. Zahlungen, die Witwen von gestorbenen Kämpfern einer terroristischen Organisation zugutekommen, können eine Unterstützung im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB darstellen, sofern hierdurch ein Beitrag zur Witwenversorgung geleistet wird, deren Sicherstellung der Kampfmoral der verbliebenen Kämpfer förderlich ist und damit die Schlagkraft der Organisation stärkt.
3. Zahlungen an das Mitglied einer terroristischen Vereinigung, die von diesem zur Finanzierung des Lebensunterhalts verwendet wird, können die Unterstützung der Vereinigung i.S.d. §§ 129a, 129b begründen, sofern dem Mitglied dadurch ermöglicht wird, weiterhin uneingeschränkt als Kämpfer für die Organisation tätig zu sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Organisation im Tatzeitraum nicht mehr in der Lage ist, die Mitglieder ausreichend zu alimentieren, so dass die Zuwendungen nicht lediglich zu einer Verbesserung der privaten Lebenssituation eines prinzipiell ausreichend versorgten Empfängers ohne positiven Effekt für die Vereinigung führen.
4. Bei terroristischen Vereinigungen verbietet es sich im Rahmen des Verstoßes gegen ein Bereitstellungsverbot gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG, hinsichtlich der tauglichen Empfänger von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen zwischen im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation vereinigungsbezogen tätigen „einfachen“ (nachrangigen) Mitgliedern einerseits und der Organisation selbst und ihren (ranghohen) Repräsentanten andererseits zu differenzieren. Vielmehr genügt es für ein unmittelbares „Zur-Verfügung-Stellen“, wenn Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen irgendeinem im Herrschaftsgebiet vereinigungsbezogen tätigen und in die dortigen Strukturen eingebundenen Mitglied zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließen.
5. Die Einziehung des Wertes von Tatmitteln und Tatobjekten nach § 74c Abs. 1 StGB erfasst nur solche Fälle, in denen der Täter oder Teilnehmer durch andere als die im konkreten Fall die Einziehung begründenden Tathandlungen die Einziehung eines Tatmittels oder Tatobjektes vereitelt. Wenn der Täter Geldbeträge unter Verstoß gegen § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG einer gelisteten terroristischen Vereinigung zukommen lässt und so zugleich mit der Tatbegehung eine spätere Einziehung der Gelder als Tatmittel beziehungsweise Tatobjekte nach § 74 Abs. 1 und 2 StGB in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AWG unmöglich macht, liegt mithin keine Vereitelung der Einziehung im Sinne des § 74c Abs. 1 StGB vor.
1. In Verdeckungsabsicht im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer ein Opfer deswegen tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten. Die Verdeckungsabsicht kann auch dann vorliegen, wenn der Täter bereits aus anderen Gründen zur Tötung des
Opfers entschlossen war. Schon begrifflich scheidet eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat indes aus, wenn diese in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang bereits aufgedeckt ist. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nicht auf die objektiv gegebene Sachlage, sondern ausschließlich auf die subjektive Sicht des Täters an.
2. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verlangt Umstände von Gewicht. Der Tatrichter hat seine Entscheidung ohne Bindung an begriffliche Vorgaben im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu treffen. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat, darf aber seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen.
3. Als möglicher Umstand von Gewicht, der die Annahme besonderer Schuldschwere tragen kann, kommt auch eine besondere Verwerflichkeit der Motive in Betracht, sofern sie über diejenigen Merkmale hinausgehen, die überhaupt erst die Mordqualifikation ergeben. Dabei ist auf die konkrete Tatmotivation des Angeklagten abzustellen, die nicht mit seinen allgemeinen Einstellungen oder Zielen gleichgesetzt werden darf.
4. Grundsätzlich kann eine Rechtsmittelbeschränkung auf die vollstreckungsrechtliche Vorfrage des Vorliegens besonderer Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB wirksam erfolgen, weil die Bejahung oder Verneinung der besonderen Schuldschwere regelmäßig sowohl den Schuldspruch wegen Mordes als auch die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe unberührt lässt.
5. Eine Beschränkung des Rechtsmittels ist aber auch insoweit nur zulässig, wenn die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen. Eine Beschränkung ist deshalb insbesondere dann unwirksam, wenn der Gegenstand der Anfechtung mit dem unangefochtenen Teil so eng verzahnt ist, dass die Gefahr besteht, dass die (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde.
Ein unmittelbares Ansetzen (vgl. § 22 StGB) zu einer tatbestandlichen (sexuellen) Handlung im Sinne des § 182 Abs. 2 StGB liegt regelmäßig noch nicht vor, wenn die Vornahme des Oralverkehrs nach der Vorstellung des Angeklagten von der Bereitschaft des Opfers, sich auf das sexuelle Ansinnen des Angeklagten einzulassen, und damit von einem wesentlichen Zwischenakt abhängig ist.
Die Nötigung verdrängt als Erfolgsdelikt das abstrakte Gefährdungsdelikt der Bedrohung auch im Falle des Versuchs, wenn die Bedrohung das Nötigungsmittel darstellt.