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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2020
21. Jahrgang
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1. Der für eine Strafbarkeit wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot erforderliche mindestens bedingte Vorsatz muss sich auf die Existenz des gegen den ausländischen Verein verfügten vollziehbaren Verbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter - zumindest in laienhafter Parallelwertung - eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum, nicht Verbotsirrtum. (BGHR)
2. Bei einem Blankettstrafgesetz beschränkt sich der Vorsatz grundsätzlich auf die Kenntnis der Umstände, die zu dem aus Blankett und blankettausfüllender Norm „zusammengelesenen“ Gesamttatbestand gehören, und nur die Unkenntnis dieser Umstände begründet einen Tatbestandsirrtum, wohingegen ein Irrtum über Bestehen, Gültigkeit, Anwendbarkeit, Inhalt und Reichweite der blankettausfüllenden Norm als solcher allenfalls einen Verbotsirrtum darstellen kann. (Bearbeiter)
3. Bei § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handelt es sich jedoch um ein Blankettstrafgesetz, das sich nicht auf eine gesetzliche oder untergesetzliche Norm, sondern auf ein durch Verwaltungsakt verfügtes Verbot bezieht und dessen Tatbestand selbst die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot zum Gegenstand hat. Für Strafnormen, die den Verstoß gegen eine solche behördliche Einzelanordnung regeln, gilt, dass deren Existenz vom Vorsatz umfasst sein muss und somit ein Irrtum hierüber § 16 Abs. 1 StGB unterfällt. (Bearbeiter)
Der Senat legt die Sache dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung der folgenden Rechtsfrage vor: Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?
1. Für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz Nr. 1 UStG vorliegen müssen, kommt es dabei nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorlagen. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nur dann, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, und er deshalb als Beteiligter dieser Hinterziehung anzusehen ist.
2. Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nicht deshalb nachträglich wieder, weil der Unternehmer nach dem Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen oder sonstigen Leistungen von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren bzw. Abwicklung des Geschäfts gekannt hätte.
1. An die Beauftragung im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB sind – wie schon die ansonsten nicht zu rechtfertigende Gleichstellung mit den Organen und Betriebsleitern (§ 14 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1 StGB) verdeutlicht – strenge Anforderungen zu stellen. Das bloße Einräumen von Leitungsbefugnissen reicht hierfür ebenso wenig aus wie das Einbeziehen in eine unternehmerische Mitverantwortung. Entscheidend ist vielmehr, dass gesetzliche
Pflichten in die eigenverantwortliche Entscheidungsgewalt des Beauftragten übergehen. Es darf auch nicht ohne Weiteres von der Übertragung von Leitungsbefugnissen auf die Begründung einer Normadressatenstellung geschlossen werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob – wie etwa im Hinblick auf die betriebliche Struktur und die Vorerfahrung der handelnden Personen – eine sachliche Notwendigkeit für eine derart weitgehende Aufgabenübertragung bestanden haben könnte. Je weniger eine solche erkennbar ist, umso ferner liegt es, eine Übertragung genuiner Pflichten des Organs anzunehmen.
2. Nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 VAG aF macht sich u.a. strafbar, wer ohne Erlaubnis ein Versicherungsgeschäft betreibt. Bei der Voraussetzung „Versicherungsgeschäft“ handelt es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal, für dessen Auslegung vornehmlich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts heranzuziehen ist. Danach ist ein Versicherungsgeschäft gegeben, wenn gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen übernommen werden, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Anzahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt.
3. Der Annahme eines Versicherungsgeschäfts steht es entgegen, wenn der Fall des Leistungseintritts im freien Willen des Kunden steht. Das Erfordernis des Eintritts eines ungewissen Ereignisses legt nahe, dass es vom Willen des Versicherungsnehmers unabhängig ist. Ein „Schaden“ indiziert ein unfreiwilliges Vermögensopfer, eine „Risikoübernahme“, dass der Kunde zunächst ein Risiko trägt, welches durch die Abrede auf den Versicherer verlagert wird.
4. § 140 Abs. 1 Nr. 1 VAG aF ist ein Sonderdelikt: Täter kann nur derjenige sein, der das Versicherungsgeschäft betreibt.
Bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen.
Ein strafbarer Verstoß gegen das Uniformverbot (§§ 3 Abs. 1, 28 VersammlG) liegt nur vor, wenn das Auftreten in einheitlicher Kleidung nach den Gesamtumständen geeignet ist, eine suggestiv-militante, einschüchternde Wirkung gegenüber anderen zu erzielen (siehe bereits BGH HRRS 2018 Nr. 446). Ein tatsächliches Zusammentreffen mit potenziell eingeschüchterten Personen, etwa verstanden als von den §§ 3 Abs. 1, 28 VersammlG tatbestandlich vorausgesetzter Teil- oder Zwischenerfolg, ist mit Blick auf den Charakter der Norm als abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt indes kein zur Tatbestandsverwirklichung notwendiges Merkmal.
1. Zwar kommt auch der Rauschgiftmenge als solcher, ebenso wie der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit im Rahmen der Strafzumessung eine eigenständige Bedeutung zu. Dies ändert aber nichts daran, dass im Hinblick auf die durch das Betäubungsmittelgesetz geschützte Volksgesundheit die Wirkstoffmenge ein wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs ist.
2. Die erweiterte Einziehung von Taterträgen gegenüber der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB subsidiär ist und nur angeordnet werden kann, wenn sich das Tatgericht außer Stande sieht, die deliktisch erlangten Gegenstände eindeutig den abgeurteilten oder anderen konkreten rechtswidrigen Taten zuzuordnen
3. Zwar können gemäß § 74 Abs. 1 StGB als Tatwerkzeuge nicht nur solche Gegenstände eingezogen werden, die zur eigentlichen Begehung der Tat Verwendung finden bzw. nach der Planung des Täters hierzu bestimmt sind, sondern alles, was die Tat überhaupt ermöglicht und zu ihrer Durchführung dient oder hierfür erforderlich ist. Gegenstände, die sowohl zur Tatbegehung als auch zu weiteren Zwecken dienen, unterliegen der Einziehung. Jedoch reicht die nur gelegentliche Benutzung eines Gegenstandes im Zusammenhang mit der Tat nicht aus. Erforderlich ist, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert, bzw. nach der Planung des Täters fördern soll.
1. Bei einem auf spätere Veräußerung zielenden Anbau von Cannabispflanzen für die Abgrenzung des Handel-
treibens mit Betäubungsmitteln vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist die Menge maßgeblich, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll. Dementsprechend ist auch für den Schuldumfang bei der Strafzumessung die Menge an Wirkstoff maßgeblich, die mit dem Anbau letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll. Stehen keine Referenzwerte aus einem früheren Anbau zur Verfügung, muss die zu erwartende Ertragsmenge – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – geschätzt werden.
2. Folgt der Tatrichter dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist er, sofern es sich nicht um ein weithin standardisiertes Verfahren handelt, sachlich-rechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerung nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt.
1. Zur Anwendung des § 61 Abs. 1 JGG beim Zusammentreffen von Jugendstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB. (BGH)
2. Die erzieherischen Ziele der „Vorbewährung“ nach § 61 JGG können in der Fallgestaltung eines Zusammentreffens von Jugendstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nur dadurch erreicht werden, dass eine einheitliche Entscheidung über die „Vorbewährung“ für beide jugendgerichtlichen Sanktionsmöglichkeiten getroffen wird. Eine Beschränkung einer „Vorbewährung“ nach § 61 JGG allein auf die Verhängung einer Jugendstrafe würde zu Wertungswidersprüchen in Bezug auf die mit der gesetzlichen Regelung verfolgte Zielsetzung führen, einen Vollzug von Jugendstrafe möglichst zu vermeiden. (Bearbeiter)
Bei der Bestimmung der Einheitsjugendstrafe nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG wird nicht lediglich die Strafe aus dem früheren noch nicht erledigten Urteil, sondern das Urteil als solches in die Bildung der Einheitsjugendstrafe übernommen. Dabei hat der Tatrichter eine neue, selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten vorzunehmen. Ist in der einzubeziehenden Entscheidung bereits eine frühere Entscheidung einbezogen worden, sind sämtliche Entscheidungen unter Neubewertung zur Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen.