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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2017
18. Jahrgang
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1. Ob die Klage im Sinne des § 211 StPO auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel (sog. Nova) wiederaufgenommen werden durfte, überprüft das Revisionsgericht als besondere Prozessvoraussetzung auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegenden Akteninhalts. (BGHR)
2. Bestand bei Eröffnung hiernach bezüglich der Nova ein Beweisverwertungsverbot, so ist dies im Revisionsverfahren ebenso wie im Eröffnungs- und Hauptverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen; eines Verwertungswiderspruchs des Angeklagten bedarf es nicht. (BGHR)
3. Allein die Entgegennahme von belastenden Informationen durch die Ermittlungsbehörden, die ein Zeuge durch Täuschung des Beschuldigten erlangt hat, führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Eine Pflicht, dies zu unterbinden, trifft die Ermittlungsbehörden grundsätzlich nicht. (BGHR)
4. Gemäß der den Senat bindenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG HRRS 2005 Nr. 133) ist § 210 Abs. 1 StPO dahin einschränkend auszulegen, dass in dessen Anwendungsbereich der Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens bei vorausgegangener rechtskräftiger Nichteröffnung nach § 211 StPO nicht einbezogen ist Vielmehr ist der Eröffnungsbeschluss in dem Zweitverfahren mit der einfachen Beschwerde anfechtbar, um die verfassungsrechtlich gebotene zeitnahe justizförmige Überprüfung der Nova zu gewährleisten. Im Revisionsverfahren steht § 336 S. 2 StPO deshalb einer Überprüfung des erneuten Eröffnungsbeschlusses nicht entgegen. (Bearbeiter)
5. Bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts im Rahmen der Eröffnungsentscheidung sind mögliche Beweisverwertungsverbote zu berücksichtigen, weil für die Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht nur der materielle Verdachtsgrad, sondern auch die tatsächliche Beweisbarkeitsprognose gegeben sein muss. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass Verwertungsverbote bereits durch den jeweiligen Gesetzesverstoß, nicht erst durch ein Untätigbleiben in der Hauptverhandlung begründet werden und bei der Eröffnungsentscheidung unabhängig von einer Beanstandung durch den Angeschuldigten von Amts wegen zu beachten sind. (Bearbeiter)
1. Nur zu Beginn der Hauptverhandlung ist die Auskunft nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gegebenenfalls auch darüber zu erteilen, dass keine derartigen Gespräche stattgefunden haben (sog. „Negativattest“). Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ist erneut eine Mitteilung zu machen, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO). Daraus folgt, dass eine weitere Mitteilung lediglich dann erfolgen muss, sobald verständigungsbezogene Gespräche stattgefunden haben.
2. Um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob verständigungsbezogene – und damit eine Unterrichtungspflicht auslösende – Gespräche stattgefunden haben, muss der Revisionsführer Tatsachen zum Inhalt der Erörterungen vortragen. Erforderlich ist die bestimmte Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in einen Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden,
damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde.
3. Gegenstand eines – die Mitteilungspflicht nicht begründenden – unverbindlichen sonstigen verfahrensfördernden Gesprächs kann insbesondere der in einem Rechtsgespräch erteilte Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses sein.
1. Das Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG gilt prinzipiell auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG bei der Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB berücksichtigt werden, wenn in einem neuen Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Umstände der früheren Tat dafür von Bedeutung sind.
2. Die Anordnung der Unterbringung wird grundsätzlich nicht durch die Möglichkeit minder einschneidender Maßnahmen außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln gehindert. Bei den freiheitsentziehenden Maßregeln gilt das Subsidiaritätsprinzip nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein für die Frage der Vollstreckung (vgl. BGH NStZ 2009, 260, 261).
3. Daher ist es für die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unerheblich, ob die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung abgewendet werden könnte. Auch die Überwachung der Medikation oder die Bestellung eines Betreuers, eines Bewährungshelfers sowie die Erteilung von Bewährungsauflagen und Weisungen, die allein die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe betreffen, sind insoweit ohne Belang. Solche Maßnahmen erlangen erst für die Frage Bedeutung, ob die Vollziehung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens ist eine Verständigung regelmäßig nur dann zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Heilung einer fehlenden Belehrung erfordert eine rechtsfehlerfreie Wiederholung des von dem Verfahrensfehler betroffenen Verfahrensabschnitts. Das erfordert einen ausdrücklichen Hinweis auf den Fehler und auf die daraus folgende gänzliche Unverbindlichkeit der Zustimmung des Angeklagten sowie eine Nachholung der versäumten Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO und die erneute Einholung einer nunmehr verbindlichen Zustimmungserklärung.
1. Eine Verurteilung wird von den Feststellungen nicht getragen, wenn die Darstellung des strafbaren Verhaltens widersprüchlich ist und deshalb unklar bleibt, welche Tatsachen das Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen hält und welchen Sachverhalt es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat.
2. Die aus dem Schuldprinzip folgende Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen, gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat.
Die Anklageschrift hat die Aufgabe, den Verfahrensgegenstand zu kennzeichnen (vgl. BGHSt 40, 44, 45). § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO nennt Tatzeit und Tatort als Konkretisierungsmerkmale; jedoch stehen diese Merkmale nicht allein. Andere Umstände, insbesondere Einzelheiten der Tatbegehung, dienen ebenfalls der Tatkonkretisierung. Tatzeit und Tatort als Umgrenzungsmerkmale können dadurch ergänzt oder ersetzt werden. Ihr Fehlen oder ihre Unbestimmtheit ist nicht schon für sich genommen ein wesentlicher Anklagemangel. Maßgeblich ist vielmehr, ob der historische Geschehensablauf mit der Gesamtheit der mitgeteilten Umgrenzungsmerkmale noch ausreichend gekennzeichnet ist.
Aus dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) folgt mit dem Ausschöpfungsgebot
die Verpflichtung des erkennenden Gerichts, den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies – auch bei freisprechenden Urteilen – erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden.
Das sog. „Senatsheft“ stellt eine rein interne Arbeitsgrundlage dar. Abgesehen von Notizen, Bearbeitungshinweisen und Ähnlichem von Senatsmitgliedern, auf die sich ein Akteneinsichtsrecht ohnehin nicht beziehen kann, befinden sich im „Senatsheft“ ausschließlich Vorgänge, die im Original oder in Ablichtung auch in den Sachakten enthalten sind oder die zu den Sachakten gelangen. Ein Bedürfnis für ein gesondertes Akteneinsichtsrecht besteht deshalb nicht (vgl. bereits BGH HRRS 2014 Nr. 268).
Das in der Hauptverhandlung erklärte Einverständnis mit der Abladung nicht präsenter Zeugen entfaltet keine Rechtswirkungen, die denjenigen einer Erklärung im Sinne des § 245 Abs. 1 StPO vergleichbar und damit im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung anzusehen sind.
1. Den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern ist in allen Fällen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, in denen der noch nicht volljährige Angeklagte ein Recht darauf hat. Wird dem am Schluss der Beweisaufnahme anwesenden gesetzlichen Vertreter nicht von Amts wegen das letzte Wort erteilt, liegt darin ein Verstoß gegen das Recht des letzten Wortes.
2. Ein Verstoß gegen das Recht des letzten Wortes ist nicht als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet. Er führt deshalb nur insoweit zur Aufhebung eines Urteils, als dieses auf dem Fehler beruht). Dabei reicht die bloße Möglichkeit eines Beruhens aus. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn nach den Umständen des Einzelfalls mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sich die Entscheidungsgrundlage bei einer dem Gesetz entsprechenden Verfahrensweise verändert hätte und das Urteil deshalb anders ausgefallen wäre.
Ob eine Einziehung nur in dem Strafverfahren angeordnet werden kann, das gegen den tatbeteiligten Eigentümer geführt wird und inwieweit dies auf Revision des von der Einziehung nicht betroffenen Angeklagten der revisionsrechtlichen Prüfung unterliegt, bedarf im Hinblick auf die Verfahrensbeschränkung keiner Entscheidung.
1. Hebt das Revisionsgericht ein Urteil in Anwendung des § 353 Abs. 2 StPO im Strafausspruch mit den (dazugehörigen) Feststellungen auf, so bezieht sich diese Aufhebung auf solche Umstände tatrichterlicher Sachverhaltsfeststellung, die ausschließlich die Straffrage betreffen. Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen, und solche, die als doppelrelevante Umstände zugleich für Schuld- und Straffrage von Bedeutung sind, bleiben aufrechterhalten und sind für das weitere Verfahren bindend.
2. Zum Rechtsfolgenausspruch zählen jedoch die Feststellungen zur Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Daher bezieht sich die Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen auch auf die Feststellungen und die Entscheidung des früheren Tatgerichts zur Frage einer verminderten Schuldfähigkeit des Täters im Sinne von § 21 StGB.
Für eine deklaratorische Aufhebung eines „zweiten Urteils“ ist kein Raum, wenn sich aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierten Verfahrensablauf ergibt, dass die Strafkammer nicht zwei unterschiedliche Urteile erlassen, sondern ein und dasselbe Urteil lediglich zweimal verkündet hat.
1. Wenn im Verfahren wegen einer oder mehrerer Taten nur einzelne Bestandteile des Urteils, etwa der Strafausspruch, angefochten werden (sog. horizontale Teilrechtskraft), sind Verfahrensvoraussetzungen stets zu prüfen; denn sie betreffen unmittelbar auch die angefochtenen Bestandteile. Wenn im Verfahren wegen mehrerer Taten das Rechtsmittel auf die Verurteilung wegen einzelner Taten beschränkt wird (sog. vertikale Teilrechtskraft), ist danach zu differenzieren, ob die Einzelstrafen, gegen die sich die Revision wendet, mit den rechtskräftigen Einzelstrafen auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen waren.
2. In dem zweiten (Regel-)Fall ist durch die Beschränkung des Rechtsmittels auch hinsichtlich der von ihm ausgenommenen Taten insoweit keine Rechtskraft eingetreten, als die Gesamtstrafe in Frage steht, so dass Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen sind. Hatte das Tatgericht eine solche Gesamtstrafe indes nicht zu bilden, wirkt sich das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, soweit Rechtskraft eingetreten ist, nicht mehr aus. Das Fehlen der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Adhäsionsantragsstellung ist daher nicht mehr zu prüfen, wenn die Adhäsionsentscheidung in Rechtskraft erwachsen ist.
Es ist im Rahmen einer sachlich-rechtlich fehlerfreien Beweiswürdigung generell erforderlich, dass das Tatgericht alle Umstände, die geeignet sind, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkennt und in seine Überlegungen miteinbezieht. Das ist aber insbesondere dann unabdingbar, wenn der Tatrichter seine Feststellungen zum Tatkerngeschehen allein auf die Angaben des (vermeintlichen) Tatopfers stützt und daher seine Urteilsfindung maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob diesem zu glauben ist oder nicht. Hat der einzige Belastungszeuge zudem weitere Straftaten behauptet, von denen sich das Gericht nicht zu überzeugen vermag, so bedarf die Auswirkung auf die Glaubhaftigkeit der weiteren Aussagen näherer Erörterung.