HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2014
15. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Der "Repräsentant des Staates" als Opfer der Straftat – Strafschärfend, strafmildernd oder unrechts- und schuldneutral?

Zugleich Anmerkung zu BGH HRRS 2014 Nr. 28

Von PD Jun-Prof. Dr. Osman Isfen, Ruhr-Universität Bochum

I. Einleitung

Wenn der Staat zum Schutze "seiner" Repräsentanten, vor allem Polizeibeamten, das schärfste ihm zur Verfügung stehende Mittel zum Einsatz bringt, gewinnt der Strafprozess an zusätzlicher Brisanz. Aus Sicht des Beschuldigten dürfte der Verdacht wohl nie auszuräumen sein, dass die Justiz bei der Erledigung solcher Fälle nicht ganz neutral ist, weil sie schließlich mit anderen staatlichen Stellen, insbesondere der Polizei, tagtäglich eng zusammenarbeitet. Auch wenn sich daraus selbstredend keine Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit des Richters ergeben, so scheint dennoch eine gefühlt-latente, wenn auch empirisch schwer bis gar nicht nachweisbare Grundhaltung nicht von der Hand zu weisen sein, dass Angriffe gegen Amtsträger einen mehr oder weniger gesteigerten Unrechts- und Schuldgehalt aufweisen, der sich im Strafausspruch niederschlagen müsse.[1]

Indes hat der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung[2] betont, dass es einen solchen Automatismus nicht geben darf.

In diesem auch öffentlich viel beachteten[3] Urteil ging es um den Vorwurf eines schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte an einer Demonstration gegen eine Wahlkampfkundgebung der Partei "Pro NRW" in Bonn teil. Dabei kam es zu massiven Auseinandersetzungen, worauf die Polizei offensichtlich nicht ausreichend vorbereitet war. Der Angeklagte warf gemeinsam mit anderen gewaltbereiten Demonstranten Steine und andere Gegenstände auf die Polizeibeamten, die zur Absperrung einer Straßenkreuzung eingesetzt waren. Im weiteren Verlauf zog er das von ihm mitgeführte Messer und lief damit auf einzelne Polizeibeamte zu. Er stach zuerst in Richtung der Oberschenkel eines Polizeibeamten, der in eine Auseinandersetzung mit anderen Demonstrationsteilnehmern verwickelt war. Dieser konnte den Stich abwehren. Der Angeklagte lief nun auf einen anderen Polizeibeamten zu, der als Mitglied des Beweissicherungstrupps das Geschehen filmte, und stach diesem in den linken Oberschenkel. Anschließend warf er Steine gegen weitere in der Nähe stehende Polizeibeamte. Einer Polizeibeamtin, die ihn zurückdrängen wollte, stach er in beide Oberschenkel. Sie erlitt eine zehn cm und eine drei cm lange Schnittwunde. In der Folge konnte der Angeklagte überwältigt und festgenommen werden. Das Landgericht Bonn verurteilte ihn wegen dieser Taten zu sechs Jahren Freiheitsstrafe.

Auf die Revision der Verteidigung hat der Bundesgerichtshof zwar den Schuldspruch bestätigt, aber den Strafausspruch verworfen. Bereits in der mündlichen Begründung machte der Senat deutlich, dass "die Begründung für die recht hohe Haftstrafe zu knapp ausgefallen" sei.[4] In den schriftlichen Urteilsgründen wird insbesondere ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot sowie der unzulässigen strafverschärfenden Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstandes hervorgehoben. Schon die strafschärfende Erwägung, "dass sich die Angriffe gegen ‚Repräsentanten des Staates‘ richteten, ist mit Blick auf das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) nicht unbedenklich. Sie lässt besorgen, dass das Landgericht den Umstand, dass es sich bei den Geschädigten um Polizeibeamte handelte, noch einmal zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, obgleich schon der Tatbestand des § 113 StGB eine gegen einen Amtsträger der Bundesrepublik gerichtete Handlung voraussetzt. Im Übrigen wird man auch kaum annehmen können, Gewalttätigkeiten, die im Rahmen eines (schweren) Landfriedensbruchs gegen Unbeteiligte oder sonstige Dritte begangen werden, verwirklichten eine ‚geringere‘ Schuld als Gewalt gegen Polizeibeamte."[5]

Durchschlagend für einen rechtsfehlerhaften Strafausspruch erachtet der Bundesgerichtshof jedenfalls den Umstand, dass das Landgericht Bonn eine Strafverschärfung mit der Erwägung vorgenommen habe, dass "die Geschädigten dem Angeklagten ‚keinerlei Anlass‘ für einen Angriff gegeben hätten… Da die Polizeibeamten dem Angeklagten jedenfalls insoweit einen ‚Anlass‘ gegeben hatten, als sie ihn unter Einsatz unmittelbaren Zwangs aus dem Kreuzungsbereich wegdrängten bzw. diesen absicherten, kann das Landgericht bei dieser Erwägung nur darauf abgestellt haben, dass es keinen berechtigten oder sonst verständlichen Anlass für den Messereinsatz gab. Dabei handelt es sich aber letztlich um eine strafschärfende Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstands."[6] Im Ergebnis habe das Landgericht allein darauf abgestellt, "dass der Angeklagte von der Tat hätte absehen können und müssen, weil er für sie keinen von den Polizeibeamten geschaffenen berechtigten oder ‚verständlichen‘ Anlass hatte. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des Umstands dar, dass die Tat überhaupt rechtswidrig begangen wurde."[7]

Die neue Verhandlung von einer anderen Kammer des Landgerichts Bonn brachte trotz dieser Beanstandungen durch den Bundesgerichtshof kein neues Ergebnis: Im Januar 2014 wurde die sechsjährige Freiheitsstrafe des Angeklagten mit der Begründung bestätigt, dieser stehe zu seinen Taten, habe seine "rechtsfeindliche Gesinnung" bekräftigt und sei auch weiter zu Gewalt bereit.[8]

II. Gesetzessystematische Betrach-tungen zur Amtsträgereigenschaft als qualifizierendes Merkmal

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Straftat, die gegen einen Repräsentanten[9] des Staates begangen wurde, im Vergleich zu anderen Rechtsgutsverletzungen einen erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt aufweist, kann die Regelungssystematik (vor allem mögliche Sonder- oder Qualifikationstatbestände sowie Straferschwerungsgrün-

de) einen ersten Anhaltspunkt für eine Einordnung liefern.

Im deutschen Strafgesetzbuch taucht der Amtsträger als Opfer einer Straftat zunächst im Bereich des Strafanwendungsrechts auf: Nach § 5 Nr. 14 StGB gilt das deutsche Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, auch bei Auslandstaten, wenn diese sich gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung ihres Dienstes oder in Beziehung auf ihren Dienst richten.[10] Weiterhin findet sich der Amtsträger als explizites Angriffsobjekt – neben den "klassischen" Delikten des Staatsschutzes, die naturgemäß auch ausgewählte Repräsentanten des Staates schützen wie z.B. § 106 StGB (Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans) – vor allem in § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) und § 121 I Nr. 2 StGB (Gefangenenmeuterei). Darüber hinaus spielt der Opferstatus der Amtsträger lediglich bei Fragen der Antragsstellung eine Rolle (§§ 77a I, 194 III StGB). Im Übrigen ist die Amtsträgereigenschaft durchgängig von qualifizierender Relevanz, wenn die Tat nicht gegen, sondern durch den Amtsträger begangen wurde (z.B. §§ 240 IV Nr. 3, 258a, 340 StGB).[11]

Im Gegensatz zu dieser deutschen Grundsystematik verfügen einige ausländische Strafrechtsordnungen über Qualifikationstatbestände, die sich auch außerhalb der Staatsschutzdelikte ausdrücklich auf die Repräsentanten des Staates als Opfer der Straftat beziehen, so beispielsweise Art. 221-4[12] des französischen Strafgesetzbuchs:

"Der Totschlag wird mit lebenslangem Zuchthaus bestraft, wenn er unter folgenden Umständen begangen wird:…

Nr. 4: An einem Richter oder Staatsanwalt, einem Geschworenen, einem Rechtsanwalt, einer Urkundsperson oder einem Inhaber eines öffentlichen Amtes der Rechtspflege, einem Angehörigen der Gendarmerie, einem Beamten der nationalen Polizei, der Zollbehörden oder der Justizvollzugsverwaltung oder jeder anderen Person, die Inhaber öffentlicher Gewalt oder die mit einer öffentlichen Aufgabe betraut ist, bei oder anlässlich der Ausübung ihres Amtes oder der Erfüllung ihrer Aufgabe, wenn die Stellung des Opfers offenkundig oder dem Täter bekannt ist." [13]

Aus dieser unterschiedlichen Regelungssystematik ließe sich für das deutsche Strafrecht mit Verweis auf fehlende Sondervorschriften folgern, dass Straftaten gegen die Repräsentanten des Staates a priori keine erhöhten Unrechts- und Schuldmomente aufweisen. Indessen macht ein Blick auf die Strafpraxis deutlich, dass dem Aspekt der "Staatsbetroffenheit" durchaus eine Bedeutung zukommt, die sich insbesondere bei den Voraussetzungen der Strafverfolgung und der allgemeinen Strafzumessung zeigt.

III. Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung

Auch beim Fehlen von Sonderregelungen kann ein gesteigerter strafrechtlicher Schutz von Amtsträgern mit Hilfe einer engmaschigeren Strafverfolgung, z.B. in Form einer intendierten Ermessensausübung erreicht werden. Durch eine solche Faktizität wird die Botschaft an die Öffentlichkeit verfestigt, dass der Staat beim Schutz seiner Bediensteten entschlossen vorgeht. Das zeigt sich beispielsweise bei der Frage, unter welchen Umständen das Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bei Antrags- und Privatklagedelikten bejaht wird. So schreibt Nr. 232 RiStBV vor: "Wird ein Justizangehöriger während der Ausübung seines Berufs oder in Beziehung auf ihn beleidigt und stellt die vorgesetzte Dienststelle zur Wahrung des Ansehens der Rechtspflege Strafantrag nach § 194 Abs. 3 StGB, so ist regelmäßig auch das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Sinne des § 376 StPO zu bejahen".[14] Freilich muss man gestehen, dass solche Anordnungen die Ausnahme sind und vor allem dort fehlen, wo es um ebenso praxisrelevante Fälle wie z.B. einfache Körperverletzung geht.

IV. Strafzumessungsrechtliche Relevanz der Opfereigenschaft von Amtsträgern

Die wichtigste und gewichtigste Einbruchsstelle des strafrechtlichen Schutzes von Amtsträgern ist – abgesehen von expliziten Sonderregelungen – im Bereich der Strafzumessung zu lokalisieren. Dort kommen hauptsächlich zwei Fallgruppen zum Vorschein: Zum einen

kann der Tatbestand des betreffenden Delikts so gestaltet sein, dass der Amtsträger ausdrücklich als Angriffsobjekt bezeichnet wird. Zum anderen ist es möglich, dass die Opfereigenschaft nicht auf staatliche Stellen oder Amtsträger beschränkt ist. Parallel zu dieser Unterteilung verläuft die Betrachtung, ob das entsprechende Delikt dem (vorrangigen) Schutz von Kollektiv- oder Individualrechtsgütern dient.

1. Die Vorschrift des § 113 StGB über den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte[15] stellt das praxisrelevanteste Hauptbeispiel für die erste Fallgruppe dar. Hier gewinnt die Frage an Bedeutung, ob der Zielrichtung der Handlung, die sich gemäß Wortlaut notwendigerweise gegen einen Hoheitsträger richten muss, eine strafschärfende Wirkung beigemessen werden darf, ohne gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 III StGB zu verstoßen: Demnach dürfen Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, keine Berücksichtigung bei der Strafzumessung finden.[16] Das wird man mit der eingangs wiedergegebenen BGH-Rechtsprechung[17] verneinen müssen, denn über die Stellung des Amtsträgers als notwendiges Angriffsobjekt hinaus lässt sich nichts abstrahieren, was der Tat einen erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt verleihen könnte. Mit anderen Worten stellt der Angriff gegen die Repräsentanten des Staates gerade den Gegenstand des tatbestandlichen Unrechts und der damit verbundenen Strafzumessung dar, so dass darin ein Ansatzpunkt für eine weitergehende Strafschärfung nicht erblickt werden kann.

2. Einen insoweit anderen Ausgangspunkt findet man in der zweiten Fallgruppe vor, da individualschützende Tatbestände wie Körperverletzung, Nötigung oder Beleidigung eine Beschränkung auf eine bestimmte Opfergruppe nicht kennen. Diesbezüglich gilt es, zwei mögliche Konstellationen auseinanderzuhalten.

a) Zum einen kann der Sachverhalt sich dergestalt zugetragen haben, dass die betreffenden Amtsträger entweder überhaupt nicht als Hoheitsträger in Erscheinung getreten sind (z.B. Anschlag auf ein Polizeirevier) oder aber sich bei ihrem Einsatz rechtmäßig verhalten, insbesondere von ihren hoheitlichen Befugnissen in verhältnismäßiger Weise Gebrauch gemacht haben. In diesen Fällen könnte es zwar auf den ersten Blick naheliegend erscheinen, dass ein solches Fehlen von berechtigten oder sonst nachvollziehbaren Anlässen[18] strafschärfend berücksichtigt werden müsste. Indessen zeigt sich beim näheren Hinsehen, dass man damit dem bloßen Fehlen eines strafmildernden Umstands eine strafschärfende Wirkung beimessen würde: Das ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht zulässig.[19] Eine auf verletzte Amtsträger bezogene Strafschärfung lässt sich vorliegend auch deshalb nicht rechtfertigen, weil dies zwangsläufig mit der Aussage verbunden wäre, dass rechtswidriges Verhalten gegenüber anderer Unbeteiligter eine geringere Schuld verwirklichte als solches gegen Amtsträger.[20] Jedoch ist dem deutschen Strafrecht ein Wertgefälle zwischen Amtsträgern und Nicht-Amtsträgern fremd, wenn strafrechtlich relevante Rechtsgüter verletzt werden.[21] Anders formuliert: Die Beeinträchtigung der Individualrechtsgüter eines rechtmäßig handelnden Amtsträgers bedingt keine strafrechtliche Reaktion, die sich im Vergleich zu Bürgern gewichtiger präsentiert, und umgekehrt. Möchte der Staat einen darüber hinaus gehenden besonderen Schutz seiner Gewalt mit strafrechtlichen Mitteln sicherstellen, so erreicht er dies durch Sonderdelikte, die dem kollektiven Rechtsgüterschutz dienen und in Vorschriften wie § 113 StGB[22] sowie in klassischen Staatsschutzdelikten zum Vorschein kommen.

b) Zum anderen ist ebenso vorstellbar, dass Amtsträger bei der Ausübung ihrer Hoheitsbefugnisse unverhältnismäßig vorgegangen sind und es daher für den Täter einen insofern nachvollziehbaren Anlass für seine Tat gab. Sofern in solchen Fällen nicht bereits eine nach § 32 StGB gerechtfertigte Verteidigung vorliegen sollte, ist nunmehr in umgekehrte Richtung zu überlegen, ob hier strafmildernde Umstände in Betracht kommen. Es besteht zunächst Einigkeit darin, dass eine vorangegangene Provokation seitens des Opfers, die nicht vom Täter verschuldet war, prinzipiell zu dessen Gunsten zu berücksichtigen ist[23], was auch einen gesetzlichen Niederschlag in § 213 StGB gefunden hat.[24] Das ist bei einem im Vor-

feld provozierenden Amtsträger als Opfer der Straftat nicht anders zu beurteilen, so dass eine grundsätzliche Versagung der Strafmilderung rechtsfehlerhaft wäre.

In diesem Zusammenhang bietet sich die weitergehende Überlegung an, ob eine solche Provokation seitens des Amtsträgers sogar eine noch stärkere Strafmilderung bedingen sollte. Dafür könnte sprechen, dass beispielsweise ein Polizist in Uniform mit der Autorität des Staates auftritt, in der Regel entsprechend mit Dienstwaffe, Handschellen etc. ausgestattet ist und kraft Gesetzes unmittelbaren Zwang anwenden darf, der einem sonstigen Opfer nicht oder nicht in diesem Umfang erlaubt ist. Daneben verkörpert er nicht nur den staatlich verbürgten Anspruch auf rechtsstaatskonformes Verhalten, sondern beherrscht auf der Grundlage seiner Ausbildung regelmäßig auch entsprechende Techniken zur Deeskalation. Wenn nun ein solcher "Macht ausstrahlender" Repräsentant des Staates den Täter zurechenbar zur Tat aufreizt, könnte seine Mitverantwortlichkeit für die eigene Rechtsgutsbeeinträchtigung höher anzusiedeln sein. Jedoch wird man eine solche Handhabung letztlich ablehnen müssen,[25] denn abzustellen ist auch hier auf das fehlende Wertgefälle zwischen dem Amtsträger und dem Nicht-Amtsträger beim Rechtsgüterschutz: Das durch Verletzung der Individualrechtsgüter des Amtsträgers verwirklichte Unrecht wiegt nicht deshalb minder schwer, weil dieser die exekutive Staatsgewalt in der gebotenen rechtlichen und tatsächlichen Ausstattung ausübt. Ebenso bedeutsam ist ferner der Umstand, dass der Bürger einem unverhältnismäßigen Staatshandeln nicht schutzlos ausgeliefert ist, sondern ihm eine Reihe von Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung steht, die er wahrzunehmen hat.

V. Ergebnis

Entgegen einiger ausländischer Strafrechtsordnungen, die in der Verletzung von Individualrechtsgütern eines Staatsrepräsentanten ein erhöhtes Unrecht erblicken, pflegt das deutsche Strafrecht in diesem Punkt eine weitgehend neutrale Haltung. Dass das Opfer einer Straftat eine Amtsträgereigenschaft innehat, ist bei der Frage einer zum Regelfall möglicherweise erhöhten oder geminderten Schwere des Tatunrechts und der darauf aufbauenden Strafzumessungsschuld irrelevant, so dass allein darauf weder eine Strafschärfung noch eine -milderung gestützt werden kann. Bezüglich der Delikte des (vorrangigen) Kollektivrechtsgüterschutzes ergibt sich dieses Ergebnis bereits daraus, dass der Angriff gegen einen Repräsentanten des Staates gerade den Gegenstand des tatbestandlichen Unrechts und der damit verbundenen Strafzumessung darstellt (Doppelverwertungsverbot, § 46 III StGB). In Bezug auf den Individualrechtsgüterschutz darf zunächst nach allgemeinen Grundsätzen das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgrundes nicht strafschärfend berücksichtigt werden. Von ausschlaggebender Bedeutung ist hier jedoch die Erwägung, dass dem deutschen Strafrecht ein Wertgefälle zwischen dem Amtsträger und dem Nicht-Amtsträger beim Rechtsgüterschutz fremd ist. Das gilt nicht nur für eine Strafschärfung, sondern betrifft auch die Erwägung einer weitergehenden Strafmilderung bei Provokationen seitens eines Amtsträgers, der anschließend Opfer der Straftat wird.


[1] Eine ähnliche "Staatslastigkeit" bei Strafprozessen wird hinsichtlich der allgemein hohen Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen von Amtsträgern beklagt, dazu pars pro toto Meyer-Mews NJW 2000, 916: "Auch Zeugen, deren Zeugentauglichkeit wahrscheinlich noch nie gutachterlich überprüft worden ist, deren Angaben gleichwohl bisweilen mit Vorsicht zu genießen wären, überzeugen die Gerichte regelmäßig. Gemeint sind solche Zeugen, die zur Berufsgruppe der Polizei zählen".

[2] BGH 2 Str 119/13 – Urteil vom 9. Oktober 2013 (LG Bonn) = BGH HRRS 2014 Nr. 28.

[3] http://www1.wdr.de/themen/panorama/salafist132.html

[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/haftstrafe-nach-messerattacke-bundesgerichtshof-verwirft-urteil-gegen-salafist-1.1791386 .

[5] BGH HRRS 2014 Nr. 28 Rn. 14.

[6] BGH HRRS 2014 Nr. 28 Rn. 15.

[7] BGH HRRS 2014 Nr. 28 Rn. 18.

[8] http://www.ksta.de/bonn/-messerattacke-salafist-murat-k--erneut-vor-gericht,15189200,25935646.html .

[9] Der Begriff des "Repräsentanten" ist im vorliegenden Zusammenhang nicht als strafrechtliches Merkmal, sondern als umfassende Bezeichnung für solche Personen zu verstehen, deren Handeln eine Beziehung zur Ausübung staatlicher Gewalt aufweist. Dazu gehören beispielsweise auch Abgeordnete auf Bundes- oder Landesebene, die legislative Aufgaben wahrnehmen. Aus Gründen der Praxisrelevanz soll der Schwerpunkt der nachfolgenden Ausführungen auf Angriffe gegen Amtsträger im Sinne des § 11 I Nr. 2 StGB gelegt werden.

[10] Nach vorzugswürdiger Ansicht kommt in dieser Vorschrift das Staatsschutzprinzip (Realprinzip) in Kombination mit dem Individualschutzprinzip (passives Personalitätsprinzip) zum Ausdruck, vgl. Satzger in: Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch. Kommentar, 2. Aufl. (2014), §5 Rd. 27; Ambos in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 2. Aufl. (2011), § 5 Rd. 37. Anders Werle-Jeßberger in: Laufhütte/Rissing-van-Saan/Tiedemann (Hrsg.), Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, Band 1, 12. Aufl. (2007) § 5 Rd. 205: lediglich Individualschutzprinzip.

[11] In diesem Kontext ist die der vorliegend untersuchten Fragestellung entgegengesetzte Problematik ebenfalls von hohem Interesse, ob der Beruf des normbrechenden Amtsträgers einen Straferschwerungsgrund darstellen darf, dazu Schäfer/Sander/Gemmeren Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. (2012) Rd. 628.

[12] Entsprechendes gilt mit gleicher Formulierung auch bei anderen Tatbeständen, z.B. Folter oder brutale Misshandlung (Art. 222-3) oder Gewalttätigkeiten, die zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit geführt haben, (Art. 222-12, 13).

[13] Ähnlich die 2010 eingeführte Regelung im polnischen Strafgesetzbuch, Art. 148 § 3: Täter eines qualifizierten Totschlags ist, wer "einen öffentlichen Funktionär während oder im Zusammenhang mit seinen Dienstpflichten zum Schutz der Sicherheit von Menschen oder Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung tötet". Ebenfalls nach gleichem Muster Art. 82 Abs. 1 g, 86 Abs. 3 c des türkischen Strafgesetzbuches: Tötung bzw. Gesundheitsschädigung einer Person "wegen Ausübung ihrer Befugnisse aus der erfüllten öffentlichen Aufgabe".

[14] Ähnlich die Lage in Österreich, § 117 II öStGB: "Wird eine strafbare Handlung gegen die Ehre wider einen Beamten … während der Ausübung seines Amtes … begangen, so hat die Staatsanwaltschaft den Täter mit Ermächtigung des Verletzten und der diesem vorgesetzten Stelle innerhalb der sonst dem Verletzten für das Verlangen nach Verfolgung offenstehenden Frist zu verfolgen".

[15] Vergleichbar ist die Regelung des § 121 I Nr. 2 StGB, die das Nötigen oder tätliche Angreifen eines Anstaltsbeamten oder eines anderen Amtsträgers oder Beauftragten durch Gefangene unter Strafe stellt.

[16] Die Regelung folgt zwar einem "logische(n) Prinzip" (Miebach in: Joecks/Miebach[Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 2, 2. Aufl.[2012], § 46 Rd. 183), wird jedoch trotz ihrer "Selbstverständlichkeit" oft nicht beachtet, so Theune StV 1985, 205. Zu Einzelfällen siehe Fischer Strafgesetzbuch, 61. Aufl., (2014), § 46 Rd. 77 ff.

[17] BGH HRRS 2014 Nr. 28 Rn. 14.

[18] Zur strafmildernden Wirkung eines nachvollziehbaren Motivs für die Begehung der Tat vgl. MüKo-StGB/Miebach (Fn. 16 ) § 46 Rd. 99; Stree-Kinzig in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch. Kommentar, 28. Aufl. (2010), § 46 Rd. 13. Aus der Rechtsprechung BGH StV 1982; 1993, 521 sowie OLG Düsseldorf wistra 1994, 353.

[19] BGHSt 34, 350; BGH HRRS 2014 Nr. 28 Rd. 15; 2013 Nr. 632 (= BGH NStZ 2013, 46); 2010 Nr. 545 (= NStZ-RR 2010, 336).

[20] BGH HRRS 2014 Nr. 28 Rn. 14.

[21] Abweichend ist die Lage bei manchen ausländischen Strafrechtsordnungen (siehe oben II) zu beurteilen, die ausweislich einschlägiger, auf staatliche Repräsentanten bezogener Qualifikationstatbestände ein erhöhtes Unrecht bei solchen Rechtsgutsverletzungen annehmen. Darin fließt anscheinend nicht nur der Schutz der Individualrechtsgüter des verletzten Repräsentanten ein, sondern in Kombination auch der Gedanke der Sanktionierung einer Auflehnung gegen die Staatsgewalt.

[22] Zum Schutz von Amtsträgern durch § 113 StGB vgl. BVerfG NVwZ 2007, 1181: "Durch die Strafbewehrung einer unter Einsatz von Gewalt oder der Drohung mit ihr erfolgenden Widerstandshandlung (§ 113 StGB) soll der rechtliche Schutz der Amtsträger verstärkt werden, die bei Vollstreckungsmaßnahmen besonderen Gefahren durch Gegenwehr ausgesetzt sind." Nach vorzugswürdiger Auffassung weist § 113 StGB dementsprechend einen doppelten Schutzzweck auf, vgl. Schönke/Schröder-Eser (Fn. 18 ) § 113 Rd. 2: Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen sowie der dazu berufenen Organe; kritisch dazu Bosch in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 3, 2. Aufl. (2012), § 113 Rd. 2.

[23] Siehe dazu Schäfer/Sander/Gemmeren (Fn. 11 ) Rd. 642.

[24] Vgl. Neumann in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 4. Aufl. (2013), § 213 Rd. 6; Kühl in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. (2011), § 213 Rd. 2.

[25] Dieser Standpunkt steht nicht im Widerspruch zur regelmäßigen Strafmilderung bei agent provocateur-Fällen (vgl. Schönke/Schröder-Stree-Kinzig[Fn. 18 ] § 46 Rd. 13): Dort geht es nämlich darum, ob ein Strafabschlag an sich statthaft oder geboten ist, weil der Täter erst durch ein dem Staat zurechenbares Verhalten zum Delikt motiviert wurde, während vorliegend die Frage im Raume steht, ob in solchen vergleichbaren Provokationsfällen eine zum Regelfall noch stärkere Strafmilderung angebracht ist.