HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2014
15. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

220. BGH 4 ARs 9/13 - Beschluss vom 13. Januar 2014 (OLG Hamm)

BGHSt; Vorlageverfahren (Zulässigkeit einer gestuften Anfrage); Vollstreckung eines ausländischen Straferkenntnisses im Geltungsbereich des ÜberstÜbk (Verhältnis des ÜberstÜbK zu den §§ 48ff. IRG; Anwendung des Umwandlungsverfahren).

§ 55 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 IRG § 11 ÜberstÜbK; § 54 IRG

1. Im Geltungsbereich des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk) wird dessen Art. 11 Abs. 1 Satz 2 lit. c nicht durch die §§ 48 ff. IRG verdrängt. (BGHSt)

2. Bei der von deutschen Gerichten zu treffenden Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Straferkenntnisses gemäß diesem Übereinkommen in Verbindung mit §§ 48 ff. IRG ist das sogenannte Umwandlungsverfahren anzuwenden. (BGHSt)

3. Der Vorrang der ÜberstÜbk gegenüber den §§ 48 ff. IRG folgt bereits aus § 1 Abs. 3 IRG, wonach Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen den Vorschriften des IRG vorgehen, soweit sie - wie das Überstellungsübereinkommen (vgl. BGBl. II (1991), S. 1006) - unmittelbar anwendbares staatliches Recht geworden sind). (Bearbeiter)


Entscheidung

196. BGH 1 StR 379/13 - Beschluss vom 15. Januar 2014 (LG Halle)

Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit (Voraussetzungen; Abgrenzung zum Beweisermittlungsantrag; Nachweis von Konnexität von Beweismittel und Beweistatsache); Steuerhinterziehung (Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 370 Abs. 1 AO

1. Die Ausführungen des Beweisantrages zur Konnexität im weiteren Sinne (zur Terminologie vgl. BGH NStZ 2013, 476) sollen dem Gericht eine sachgerechte Prüfung und Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2013, 476). Der näheren Begründung dieses Zusammenhangs bedarf es jedoch nur dann, wenn er sich nicht von selbst versteht (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 43 mwN).

2. Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als (aus tatsächlichen Gründen) bedeutungslos ansehen, wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Dies ist vom Tatrichter in freier Beweiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen. Hierbei darf das Gericht die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen; es hat diese vielmehr so, als sei sie voll erwiesen, seiner Würdigung zu Grunde zu legen (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 82).

3. Es ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, beim Vorliegen vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse den Umfang hinterzogener Lohnsteuer anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI zu bestimmen. Dies gilt sowohl hinsichtlich des tatbestandlichen Hinterziehungsumfangs als auch hinsichtlich des der Strafzumessung zu Grunde zu legenden Schadens (vgl. BGHSt 56, 153).


Entscheidung

207. BGH 2 StR 283/13 - Beschluss vom 3. Dezember 2013 (LG Wiesbaden)

Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit (Begründung des Beschlusses).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Ein Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, muss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Erforderlich sind hierzu regelmäßig eine Würdigung der bis dahin durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen sowie konkrete Erwägungen, aus denen sich ergibt, warum das Gericht aus den behaupteten Tatsachen keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen würde. Die Würdigung erlaubt eine Beweisantizipation, bei der die unter Beweis gestellte Tatsache ohne Abstriche zu berücksichtigen ist.


Entscheidung

219. BGH 4 StR 529/13 - Beschluss vom 14. Januar 2014 (LG Halle)

Abwesenheit des Angeklagten während der Hauptverhandlung; Entfernung des Angeklagten zur Vernehmung eines Zeugen (Begriff der Vernehmung: Erhebung weiterer Sachbeweise während der Vernehmung, Wahllichtbildvorlage).

Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK; § 338 Nr. 5 StPO; § 247 StPO; § 248 StPO

Der Begriff der Vernehmung ist im Regelungszusammenhang der §§ 247 und 248 StPO auf Grund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die als Anspruch auf rechtliches Gehör und angemessener Verteidigung in Art. 103 Abs. 1 GG sowie durch Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK garantiert wird, restriktiv auszulegen (BGHSt 55, 87, 90 mwN). Die Erhebung eines Sachbeweises kann demnach, auch wenn er eng mit der Vernehmung verbunden ist, nicht als Teil der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO angesehen werden, sondern ist ein Vorgang mit einer selbständigen verfahrensrechtlichen Bedeutung.


Entscheidung

213. BGH 4 StR 370/13 - Urteil vom 16. Januar 2014 (LG Stendal)

Verstoß gegen die Konzentrationsmaxime und den Beschleunigungsgrundsatz (Rügeanforderungen); überlange Unterbrechung der Hauptverhandlung (Begriff der Fortsetzung der Hauptverhandlung: Abwesenheit des Angeklagten); Besitz kinderpornographischer Schriften (Begriff der Pornographie: Posieren in sexualbetonter Körperhaltung); Einziehung (Vorbehalt der Einziehung als milderes Mittel).

Art. 6 Abs. 1 Satz EMRK; § 344 Abs. 2 StPO; § 229 StPO; § 230 Abs. 1 StPO; § 184b Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 StGB; § 74 StGB; § 74b Abs. 2 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung gilt eine Hauptverhandlung als fortgesetzt, wenn zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird (vgl. BGH NJW 2009, 384). Dies ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, die die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen. Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (vgl. BGH NJW 2013, 404).

2. Wird die Verhandlung nur „zum Schein“ fortgesetzt, um die Vorschrift des § 229 StPO zu umgehen, liegt kein Verhandeln zur Sache vor. Dies gilt auch dann, wenn dabei Prozesshandlungen vorgenommen werden, die grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind (vgl. BGH NStZ 2012, 343, 344).

3. Dass der Angeklagte zu einem Hauptverhandlungstermin nicht erscheint, stellt die Annahme einer Hauptverhandlung nicht in Frage. Soweit in § 230 Abs. 1 StPO davon die Rede ist, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, wird keine begriffliche Voraussetzung der „Hauptverhandlung“, sondern nur eine notwendige Bedingung für deren rechtmäßige Durchführung benannt, deren Fehlen zu einem absoluten Revisionsgrund führt (vgl. BGHSt 52, 24 Rn. 6).

4. Auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung ist Pornographie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB.

5. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist auch bei einer auf § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB gestützten Einziehung von den Möglichkeiten des § 74b Abs. 2 StGB Gebrauch zu machen ist (vgl. BGH NStZ 2012, 319). Danach hat der Tatrichter anzuordnen, dass die Einziehung zunächst vorbehalten bleibt und weniger einschneidende Maßnahmen zu treffen sind, wenn auch auf diese Weise der Einziehungszweck erreicht werden kann.


Entscheidung

199. BGH 1 StR 527/13 - Beschluss vom 5. Februar 2014 (LG München II)

Rücknahme der Revision (Entscheidung über deren Wirksamkeit; Ermächtigung des Verteidigers: Form).

§ 318 StPO

1. Bezweifelt ein Verfahrensbeteiligter die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme, so entscheidet das Revisionsgericht darüber in Form einer Feststellung (vgl. BGH wistra 2011, 314).

2. Für die Ermächtigung zur Rücknahme der Revision ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. Ihr Nachweis kann noch nach Abgabe der Rücknahmeerklärung - auch durch anwaltliche Versicherung des Verteidigers - geführt werden.


Entscheidung

200. BGH 1 StR 531/13 - Beschluss vom 14. Januar 2014 (LG München I)

Beschränkung der Revision (selbstständige Anfechtung der Dauer des Vorwegvollzugs einer Maßregel: Voraussetzungen); Vorwegvollzug einer Freiheitsstrafe vor der Maßregel (Dauer: Berücksichtigung von erlittener Untersuchungshaft).

§ 318 StPO; § 67 Abs. 2 StPO; § 51 Abs. 1 StGB

1. Eine Revisionsbeschränkung ist nur möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.).

2. Dies setzt bei der Anfechtung der Dauer des Vorwegvollzugs einer Unterbringung voraus, dass die Maßregel als solche rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist (vgl. BGH NStZ 2012, 587), zumal da die Dauer des Vorwegvollzugs auch von der Einschätzung der Behandlungsdauer abhängt.

3. Erlittene Untersuchungshaft ist für die Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs ohne Bedeutung, sie ist vielmehr gemäß § 51 StGB auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Teil der Strafe anzurechnen.


Entscheidung

241. BGH 4 StR 346/13 - Beschluss vom 15. Januar 2014 (LG Berlin)

Keine Befugnis zur Rechtsübertragung beim Pflichtverteidiger (Revisionseinlegung und Revisions-

begründung; allgemeiner Vertreter; Bevollmächtigung durch den Angeklagten).

§ 345 Abs. 2 StPO; § 142 StPO

Der Pflichtverteidiger kann seine Befugnisse auch im Hinblick auf die Einlegung und Begründung einer Revision nicht wirksam auf einen anderen Rechtsanwalt übertragen (st. Rspr.).


Entscheidung

203. BGH 1 StR 579/13 - Beschluss vom 3. Dezember 2013 (LG Würzburg)

Umsatzsteuerhinterziehung (Steuerhinterziehung bei unberechtigtem Steuernachweis; Vorsteuerabzug); Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (Feststellungen zur Bewertung der Tat unter allen rechtlichen Gesichtspunkten).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG; § 14c Abs. 2 UStG; § 15 UstG; § 267 Abs. 5 StPO

Ein Freispruch darf nur erfolgen, wenn vollständige und fehlerfrei getroffene Feststellungen ergeben, dass sich der Angeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht hat (vgl. BGHSt 46, 53, 61).


Entscheidung

214. BGH 4 StR 441/13 - Beschluss vom 14. Januar 2014 (LG Halle)

Anhörungsrüge (Gewährung rechtlichen Gehörs bei eingeschränkter Begründung des die Revision verwerfenden Beschlusses).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 356a StPO; § 349 Abs. 2 StPO

Aus dem Umstand, dass die Verwerfung der Revision nicht unter allen Gesichtspunkten ausführlich begründet wurde, kann nicht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs geschlossen werden. § 349 Abs. 2 StPO sieht keine Begründung des die Revision verwerfenden Beschlusses vor.