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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2013
14. Jahrgang
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1. Zur Verwertbarkeit der im Zusammenhang mit einer molekulargenetischen Reihen-untersuchung gewonnenen Erkenntnis, dass der Verursacher der bei der Tat gelegten DNA-Spur wahrscheinlich mit einem der Teilnehmer der Untersuchung verwandt ist (sog. Beinahetreffer). (BGHSt)
2. Wird infolge des Abgleichs der DNA-Identifizierungsmuster nicht nur festgestellt und den Ermittlungsbehörden mitgeteilt, dass keiner der Probanden als Verursacher der Tatspur in Betracht kam, sondern auch, dass die teilweise Übereinstimmung der DNA-Identifizierungsmuster einzelner Probanden es als möglich erscheinen lässt, dass es sich bei diesen um Verwandte des mutmaßlichen Täters handelt, ist dieses Vorgehen von § 81h Abs. 1 StPO nicht gedeckt. Aus dem Wortlaut des § 81h Abs. 1 StPO folgt insoweit ein Verbot überschießender Feststellungen. (Bearbeiter)
3. Die Verwertung eines „Beinahetreffers“ als Verdachtsmoment stellt eine Verwendung personenbezogener Daten zu einem Zweck dar, zu dem sie nicht erhoben worden waren. Hierin liegt ein Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen Teilnehmer der DNA-Reihenuntersuchung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG, der nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung einer – gegenwärtig nicht existierenden – gesonderten gesetzlichen Grundlage bedarf. (Bearbeiter)
4. Wird der (an der DNA-Reihenuntersuchung nicht mitwirkende) Täter aufgrund einer durch § 81h Abs. 1 StPO nicht gedeckten Verwendung personenbezogener Daten ermittelt, werden seine Interessen grundsätzlich vom Schutzzweck der §§ 81h Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, 81g Abs. 2 Satz 2 StPO erfasst und er kann sich auf die Verletzung dieser Vorschriften berufen. Insoweit gilt nichts anderes als bei Verstößen gegen § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO oder § 81c Abs. 3 Satz 1 und 2 Hs. 2 StPO. (Bearbeiter)
5. Nach ständiger – vom Bundesverfassungsgericht gebilligter – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes führt nicht jeder Rechtsverstoß bei der strafprozessualen Beweisgewinnung zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten Erkenntnisse. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sog. Abwägungslehre). Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts – den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind – einschränkt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. (Bearbeiter)
6. Der Annahme eines Verwertungsverbotes kann es insbesondere entgegenstehen, wenn die Rechtslage hinsichtlich der Verwertbarkeit bestimmter Erkenntnisse – wie im Fall der sog. „Beinahetreffer“ – unklar ist. Ist in einem solchen Fall die Annahme der Ermittlungsbeamten nicht völlig unvertretbar, dass die Erkenntnisse – hier: der möglichen Verwandtschaft zwischen dem mutmaßlichen Täter und einzelnen Teilnehmern der DNA-Reihenuntersuchung – als Ermittlungsansatz verwertet werden können, scheidet ein Verwertungsverbot aus. Insoweit stellt diese Annahme nicht ohne weiteres eine bewusste oder gar willkürliche Umgehung des Gesetzes oder grundrechtlich geschützter Positionen dar. (Bearbeiter)
7. Aus den §§ 81h Abs. 3 S. 1, 81g Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 StPO ergibt sich nicht die Verpflichtung, jedes einzelne – nicht übereinstimmende – Identifizierungsmuster unmittelbar nach seinem Abgleich mit dem der Tatspur und noch vor dem Abschluss des Reihentests sofort zu löschen. Die aus der Untersuchung gewonnenen Aufzeichnungen über die DNA-Identifizierungsmuster sind überdies nach § 81h Abs. 3 Satz 2 StPO erst dann unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Aufklärung des Verbrechens nicht mehr erforderlich sind. (Bearbeiter)
8. Der Gesetzgeber hat das Verfahren, mit dem die im Rahmen der DNA-Reihenuntersuchung festgestellten DNA-Identifizierungsmuster nach § 81h Abs. 1 Nr. 3 StPO mit dem der Tatspur „automatisiert abgeglichen“ werden, nicht definiert, insbesondere nicht vorgeschrieben, dass das Ergebnis des Abgleichs nur mit dem Ergebnis „Treffer“ oder „Nichttreffer“ angezeigt werden dürfe. Die Gesetzesbegründung spricht vielmehr dafür, dass lediglich eine Arbeitserleichterung für die beauftrag-
ten Sachverständigen und Untersuchungslaboratorien geschaffen werden sollte, um eine effiziente und zeitnahe abgleichende Analyse der im Rahmen der Reihenuntersuchung in erheblicher Zahl anfallenden DNA-Identifizierungsmuster zu ermöglichen. (Bearbeiter)
9. Wenn der ermittelnde Polizeibeamte auf die Mitteilung einer hohen Übereinstimmung der DNA-Identifizierungsmuster mit der Tatspur in der Personenliste der DNA-Reihenuntersuchung die Identität der Probengeber überprüft, wird die Vorschrift des § 81f Abs. 2 Satz 3 StPO dadurch nicht verletzt. Die über § 81h Abs. 3 Satz 1 StPO anwendbare Vorschrift des § 81f Abs. 2 Satz 3 StPO regelt nur, dass die Proben an den einzuschaltenden Sachverständigen in teilanonymisierter Form zu versenden sind. Verstöße gegen das in dieser Norm ausgesprochene Gebot der Teilanonymisierung sind zudem in der Regel ohnehin nicht geeignet, die Revision zu begründen, weil die Regelungen des § 81f Abs. 2 StPO außerprozessualen Zwecken dienen, die nicht mit den Mitteln des Prozessrechts geschützt werden müssen. (Bearbeiter)
10. Entspricht die Belehrung der Teilnehmer einer DNA-Reihenuntersuchung der gemäß § 81h Abs. 4 StPO gesetzlich vorgesehenen Form, kann sie nicht durch spätere Vorgänge – seien diese auch Gesetzesverstöße –, die im Zeitpunkt der Erteilung der Belehrung nicht absehbar waren, nachträglich verfahrensfehlerhaft werden. (Bearbeiter)
Bitten im Rahmen einer Vernehmung im selben Verfahren zwei Beschuldigte darum, dieselbe Verteidigerin zu sprechen, und ist diese nicht erreichbar, so begründet dies grundsätzlich im Rahmen einer zweiten Vernehmung weder eine qualifizierte Hinweispflicht dahingehend, dass die Verteidigerin noch nicht erreicht worden ist, noch dass beide Beschuldigte nicht dieselbe Verteidigerin wählen können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Belehrungen nach § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO ordnungsgemäß erfolgt und ernsthafte Bemühungen unternommen worden sind, die Verteidigerin zu erreichen.
1. Eine Richterablehnung im Revisionsverfahren ist nur statthaft, solange dieses noch nicht durch Wirksamwerden eines Beschlusses gemäß § 349 Abs. 2 StPO beendet ist. Dies gilt auch dann, wenn die Richterablehnung mit einer Anhörungsrüge verbunden wird, die sich als unbegründet erweist.
2. Der Sonderrechtsbehelf nach § 356a StPO ist nach seinem Wortlaut und Normzweck, eine Durchsetzungsgarantie für das „prozessuale Urrecht“ auf rechtliches Gehör zu schaffen (vgl. BVerfGE 107, 305, 408), nicht dazu bestimmt, dass damit auch behauptete Verletzungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geltend gemacht werden können. Für eine analoge Anwendung des § 356a StPO auf solche Fälle ist kein Raum.
1. Eine schwägerschaftliche Verbindung deutscher Staatsangehöriger nur nach „Roma-Sitte“ vermittelt nicht das Recht, das Zeugnis zu verweigern.
2. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dessen Schlussfolgerungen nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen. Die zur richterlichen Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit des Richters setzt jedoch objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag.
Entscheidend für den Beginn der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Fristversäumung durch den Angeklagten. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt, wann dieses Hindernis entfallen ist (vgl. BGH, NStZ 2006, 54 f.). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre.
1. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 müssen im Rahmen der Rechtsrüge die notwendigen Angaben zum Verfahrensgeschehen so umfassend sein, dass dem Revisionsgericht im Sinne einer vorweggenommenen Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Akten die Beurteilung ermöglicht wird, festzustellen, ob der behauptete Verfahrensverstoß vorliegt. Um dem zu entsprechen, muss bei einer auf die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO gestützten Rüge regelmäßig angegeben werden, welche Umstände das Tatgericht zu weiterer Aufklärung hätten drängen müssen (st. Rspr.).
2. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht.
Entscheidet das Gericht über die Revision außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege, kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur solange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist.
Die Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO setzt keinen vorangehenden Besetzungseinwand gemäß § 222 b Abs. 1 Satz 1 StPO voraus, wenn eine Besetzungsmitteilung nach § 222 a Abs. 1 StPO unterblieben war.