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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2012
13. Jahrgang
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Von RA und Wiss. Ass. Dr. Christian Becker, Bucerius Law School, Hamburg
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Untreueparagraphen hat in der jüngeren Vergangenheit ein hohes Maß an publizistischer Aufmerksamkeit – auch durch den Verf. dieser Zeilen[1] – erfahren.[2] Idealerweise führt eine gesteigerte Befassung der Wissenschaft mit bestimmten Sachfragen dazu, dass sich der Begründungsdruck für die Rechtsprechung bei der Entscheidung entsprechender Fallgestaltungen erhöht, da die Kontrolle bzw. Kritik von Einzelfallentscheidungen umso leichter fällt, je eher eine kohärente und ausdifferenzierte Dogmatik zu einem
Sachproblem vorhanden ist.[3] Insoweit lässt sich der jüngste Untreue-Beschluss des BVerfG[4] durchaus – unbeschadet der Anerkennung maßgeblicher Beiträge der Rechtsprechung zur Konturierung des § 266 StGB[5] – als Erfolg der fortdauernden Kritik aus dem Schrifttum an bestimmten Entwicklungen, speziell im Bereich des sog. Gefährdungsschadens begreifen. Für die teilweise Aufhebung der (§ 263 StGB betreffenden) sog. "Al Qaida-Entscheidung" durch das BVerfG[6] ließe sich Ähnliches sagen.
Zugleich bleibt festzustellen, dass in vielen Punkten nach wie vor Klärungs- und Präzisierungsbedarf besteht. So fehlt es etwa für das Problem der Pflichtwidrigkeit bei unternehmerischen Entscheidungen[7] weiterhin an Beurteilungskriterien, die in der Sache über das Erfordernis einer evidenten Unvertretbarkeit[8] hinausgehen bzw. dieses präzisieren. Auch wenn man einer von Saliger [9] vorgeschlagenen Systematisierung ("starr indizienbasierte strafrechtsautonome Schweretheorie", "zivilrechtsakzessorische Schweretheorie" sowie "nicht indizienbasierte strafrechtsautonome Schweretheorie") folgt, ergibt sich letztlich kein Maßstab, der in einem konkreten Einzelfall die rationale Kritik der Annahme bzw. Verneinung einer Pflichtverletzung ermöglichen würde. Im Kern handelt es sich bei allen Varianten um terminologisch unterschiedliche Umschreibungen dessen, was im Gesellschaftsrecht seit der "ARAG/Garmenbeck"-Entscheidung des BGH in Zivilsachen[10] zur Prüfung der Überschreitung des unternehmerischen Ermessensspielraums herangezogen (und auch dort als zu unbestimmt kritisiert) wird.[11] Die von Saliger sog. "strafrechtsautonomen" Ansätze haben im Ergebnis lediglich zur Folge, dass nach einer ersten kaum intersubjektiv überprüfbaren "Gesamtschau" eine zweite erfolgt. Hält man eine weitergehende Konkretisierung überhaupt für möglich, kann diese letztlich nur branchen- bzw. bereichsspezifisch erfolgen.[12] Solange man versucht, Maßstäbe zu formulieren, die für jede Art unternehmerischen Verhaltens gleichermaßen gelten sollen, scheint es aussichtslos, über sprachliche Umschreibungen des Evidenzkriteriums hinaus zu gelangen.
Im Zusammenhang mit dem Nachteilsbegriff ist trotz der im Ausgangspunkt berechtigten Kritik an seiner "Normativierung" durch die Rechtsprechung[13] darauf hinzuweisen, dass das vermeintlich "Normative" im Vermögens- bzw. Schadensbegriff lediglich durch seinen Gegensatz zum vermeintlich "Wirtschaftlichen" definiert ist.[14] Da nun aber der Inhalt des wirtschaftlichen Elements beim Vermögens- bzw. Schadensbegriff seinerseits inhaltlich bislang weitgehend unbestimmt geblieben ist,[15] kann der als Abweichung hiervon begriffene Vorwurf der Normativierung letztlich kaum weniger nebulös bleiben. Sofern man aus dem grundsätzlich wirtschaftlichen Charakter des Vermögens- bzw. Schadensbegriffs auf die Maßgeblichkeit von Geld-, insbesondere Marktwerten bei den einzelnen Vermögensobjekten schließen wollte,[16] ist dies jenseits von Fällen, in denen es um die Bewertung von Gebrauchs- und Konsumgütern mit großer Marktverbreitung geht, kaum operationalisierbar. Überdies kann die Bewertung nach Marktwerten keineswegs per se mit einer Bewertung nach vermeintlich "objektiv wirtschaftlichen" Maßstäben gleichgesetzt werden. So wäre z. B. die Bewertung eines langfristig gehaltenen Wertpapiers nach Marktwerten "wirtschaftlich" geradezu unsinnig.[17] Ein kategorischer Vorrang des derart unbestimmten wirtschaftlichen Elements beim Vermögens- bzw. Schadensbegriff und eine damit einhergehende Verlagerung der Argumentationslast auf denjenigen, der demgegenüber vermeintlich normative Elemente befürwortet, ist daher allenfalls bedingt plausibel.
Nach alledem bleibt trotz der jüngst zu verzeichnenden Erfolge bei der "Einhegung" des Anwendungsbereiches der Untreue festzustellen, dass der gegenwärtige Stand der Dogmatik nach wie vor ein beträchtliches, zum Teil schwer akzeptables Maß an Spielräumen für rational nicht kritisierbare Einzelfallentscheidungen eröffnet.[18]
Vor diesem Hintergrund ist eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit § 266 StGB sinnvoll und notwendig,[19] ohne dass dadurch eine – bisweilen für die deutsche Strafrechtsdogmatik insgesamt beklagte[20] – Hypertrophie der Untreuedogmatik zu befürchten wäre.[21] Die vorliegende Entscheidung bietet insofern einen geeigneten Anlass, über die vorstehend flüchtig geworfenen Schlaglichter hinaus weitere "Brennpunkte" kurz zu skizzieren, da sie einige interessante Facetten insbesondere der Nachteilsdogmatik ins Blickfeld rückt. Der 2. Strafsenat hatte über folgenden, hier verkürzt wiedergegebenen Sachverhalt zu befinden: Die Angeklagten waren als Versicherungsvermittler tätig und hatten für eine amerikanische Versicherungsgesellschaft neben der Vertragsvermittlung und dem Prämieninkasso auch die Schadensregulierung übernommen. Sie hatten über die von den Versicherungsnehmern erhaltenen Prämien monatlich abzurechnen und durften dabei neben bestimmten Verwaltungskosten und einem Betrag für einen "Schadensfonds" auch die jeweils auf die Schadensmeldungen von Versicherungsnehmern hin erbrachten Regulierungsleistungen in Abzug bringen. Die Angeklagten führten jedoch nicht nur die tatsächlich erbrachten, sondern auch lediglich angemeldete, aber noch nicht regulierte Beträge in den Abrechnungen auf, wodurch der abzugsfähige Betrag so weit erhöht wurde, dass letztlich keinerlei Zahlungen an die Vertragspartnerin geleistet wurden. Teilweise handelte es sich dabei um Schadensmeldungen, die im weiteren Verlauf des Geschehens tatsächlich reguliert wurden. Der BGH bestätigte das Urteil des Instanzgerichts, wonach die Angeklagten wegen Untreue durch die unterlassene Weiterleitung der Prämien strafbar waren. Ein Nachteil wurde dabei in Höhe der gesamten zu Unrecht in Abzug gebrachten Schadensmeldungen angenommen, unabhängig davon, ob diese in der Folgezeit von den Angeklagten tatsächlich an ausbezahlt wurden oder nicht. Nach Ansicht des Verf. führt eine Analyse der Entscheidungsgründe zu der Einschätzung, dass dieser Sachverhalt vom 2. BGH-Strafsenat zumindest hinsichtlich der Schadenshöhe nicht vollständig überzeugend entschieden wurde.
Intuitiv plausibel erscheint zunächst die – vom 2. Strafsenat allerdings nicht näher begründete – Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten.[22] Jedenfalls angesichts der eigenverantwortlichen Übernahme der Schadensregulierung durch die Angeklagten ist die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht unter Heranziehung des insoweit grundsätzlich mittlerweile anerkannten Kriterienkatalogs[23] plausibel. Indes hat nicht zuletzt die vermehrte Befassung mit der Organuntreue zu einer gestiegenen Problemsensibilität dahingehend geführt, dass nicht jede einzelne Pflicht innerhalb eines "an sich" unter § 266 StGB fallenden Vertragsverhältnisses im Falle ihrer Verletzung den Anwendungsbereich des Untreuetatbestandes eröffnet.[24] Vor diesem Hintergrund ließe sich im hier entschiedenen Fall durchaus differenzieren. Denn der erhobene Vorwurf betrifft die Pflicht zur Weiterleitung von Prämien, die zuvor von den Kunden des Treugebers eingezogen wurden. Betrachtet man diese Tätigkeit isoliert, waren die Angeklagten – soweit es sich dem Sachverhalt entnehmen lässt – Inkassobevollmächtigte ohne diesbezüglich bestehende eigenverantwortliche Dispositionsmöglichkeit.[25] Materiell ließe sich das Einbehalten von Geldern, hinsichtlich derer neben ihrer Weiterleitung keinerlei weitere "Betreuungsleistung" geschuldet wird, eher als Unterschlagungsunrecht qualifizieren.
Freilich ist das Kriterium der "Entscheidungsfreiheit" in der Rechtsprechung nicht immer für maßgeblich gehalten worden.[26] Begreift man die Untreue ihrem Strafgrund nach als Schutz gegenüber Personen, denen das Vermögen in einer Weise anvertraut ist, die ihnen die Schädigung jenes Vermögens bei gleichzeitiger Abwesenheit von Kontrollmöglichkeiten des Treugebers ermöglicht, ist ein Verzicht auf dieses Kriterium begründbar.[27] Mag die
Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten somit im Ergebnis angesichts der weitreichenden Möglichkeiten zum kontrollfreien Umgang mit dem Vermögen der Vertragspartnerin durchaus plausibel sein, wäre eine nähere Erörterung durch den Senat womöglich angebracht gewesen. Auch bedarf die Frage, welche Anforderungen an die konkret verletzte Pflicht innerhalb eines an sich bestehenden Treuverhältnisses zu stellen sind, zukünftig weiterer Klärung.[28]
Die konkrete Pflichtverletzung sieht der Senat im Unterlassen der Weiterleitung von Prämienzahlungen. Er grenzt insofern nach der bekannten, im Schrifttum vielfach kritisierten Formel vom "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" ab[29] und gelangt so zu dem Ergebnis, dass die (aktive) Erstellung falscher Abrechnungen lediglich eine "bloße Vorbereitung der den eigentlichen Schaden herbeiführenden Nichtabführung zu zahlender Prämien" sei, die bei wertender Betrachtung zurücktrete. Die Anwendung der "Schwerpunktformel" auch im Zusammenhang mit § 266 StGB ist aus der Sicht der Rechtsprechung konsequent. Zudem relativiert sich die Bedeutung der Abgrenzung von Tun und Unterlassen im Untreuekontext, da die Vermögensbetreuungspflicht nach übereinstimmender Auffassung zugleich eine Garantenstellung für das Vermögen des Treugebers i.S.d. § 13 StGB begründet.[30] Bemerkenswert ist allerdings der Hinweis des Senats, dass der besagte Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit "schon mit Blick darauf, dass ins Einzelne gehende Feststellungen zur vertragswidrigen Verwendung der Gelder nicht getroffen sind", in der Nichtweiterleitung der Prämien liege. Soll dies dahingehend zu verstehen sein, dass auf ein Unterlassen "ausgewichen" wird, weil die Tatsacheninstanz hinreichende Feststellungen zu einem möglichen aktiven Tun nicht getroffen hat? Eine solche Vorgehensweise wäre nicht zuletzt angesichts der konkurrenzrechtlichen Subsidiarität des Unterlassens problematisch. Da es die Angeklagten als Revisionsführer aber nicht beschwert, wenn mangels entsprechender Feststellungen eine möglicherweise tatbestandlich vorliegende Begehungsstrafbarkeit nicht angenommen werden kann, sind die Ausführungen des Senats zur Tathandlungsseite im Ergebnis stimmig. Dagegen überzeugen die Erwägungen zum Taterfolg sowohl hinsichtlich des Ergebnisses als auch mit Blick auf die Begründung allenfalls teilweise.
(1.) Der Senat leitet seine Ausführungen zur Nachteilsfeststellung mit zwei Prämissen ein, die als solche wohl noch auf relativ wenig Kritik stoßen, die aber tatsächlich für zahlreiche der jüngst heftig diskutierten Probleme der Vermögensschadensdogmatik von entscheidender Bedeutung sind: das Prinzip der Gesamtsaldierung und die Tathandlung als maßgeblicher Zeitpunkt für die Saldierung (Vermögensvergleich vor und nach der Pflichtverletzung). Beides ist im Grundsatz weitgehend anerkannt,[31] wenngleich die daraus herrschend abgeleitete Konsequenz, wonach nachträgliche tätergünstige Entwicklungen allein auf der Strafzumessungsebene relevant sind, zuletzt vor allem im Zusammenhang mit der Kredituntreue – auch durch das Senatsmitglied Fischer[32] – vermehrt in Frage gestellt wurde.[33] Dieser Kritik ist zuzugeben, dass die Annahme eines Vermögensschadens durch eine Kreditausreichung kontraintuitiv ist, wenn der Kredit in der Folgezeit vollständig und ohne Verzögerungen zurückgezahlt wird. Gleichzeitig ist das Ergebnis, unterstellt man eine wie auch immer zu ermittelnde "Minderwertigkeit" des Rückzahlungsanspruchs im Valutierungszeitpunkt, bei Zugrundelegung der beiden eben erwähnten Prämissen konsequent – was freilich nicht mehr bedeutet, als dass deren Berechtigung umso kritischer hinterfragt werden muss.
Vieles spricht indes dafür, dass die Wurzel des Problems nicht beim Saldierungszeitpunkt, sondern bereits bei der Prämisse der Gesamtsaldierung als solcher liegt. Denn dieses Verfahren erfordert die Umrechnung der zu saldierenden Posten in eine "homogene Ertragskategorie".[34] Hiermit wird die Maßgeblichkeit des Geldwertes der jeweiligen Vermögensobjekte zementiert, der zugleich – wie bereits angedeutet (I.) – als Inbegriff des "Wirtschaftlichen" gilt. Dieser Geldwert (i.S.v. Verkehrs- oder Marktpreis) ist nun aber seiner Natur nach flüchtig; sein charakteristisches Merkmal ist die ständige Veränderbarkeit.[35] Die
Benennung eines konkret bezifferten Geldwertes ist somit immer eine Momentaufnahme, bei der mit Veränderungen im Zeitablauf zu rechnen ist – und zwar je nach Volatilität des jeweiligen Marktes womöglich mehrfach innerhalb kürzester Zeit. Wer demnach am Prinzip der Gesamtsaldierung nach Geldwerten als dem vermeintlich "wirtschaftlichen" Ausgangspunkt der Vermögens- bzw. Schadenslehre festhalten will, ist gezwungen, irgendeinen Zeitpunkt für die Saldierung zu wählen, wohlwissend, dass eine davon abweichende Entwicklung (sei es zu Gunsten oder zu Ungunsten des Täters) regelmäßig zu erwarten ist.[36] Es bleibt fraglich – und kann hier nicht abschließend beantwortet werden –, ob diese Schwierigkeiten ohne einen Verzicht auf das Prinzip der Gesamtsaldierung sachgerecht lösbar sind.[37] In dieser grundlegenden Dimension hatte sich der Senat freilich nicht mit diesen Problemen zu befassen. Dennoch spielt der Zeitpunkt der Saldierung für die Beurteilung der vorliegenden Entscheidung eine Rolle (dazu gleich).
(2.) Der 2. Senat stellt auf die jeweiligen Abrechnungszeitpunkte als Zeitpunkt des pflichtwidrigen Unterlassens ab. Er bejaht sodann in Übereinstimmung mit dem Landgericht einen Schaden in Höhe aller in Abzug gebrachter Leistungen, die tatsächlich im Abrechnungszeitpunkt nicht erbracht worden waren, unabhängig davon, ob dies im weiteren Verlauf noch geschah. Zur Begründung stützt sich der Senat auf seine – im Folgenden etwas ausführlicher zu beleuchtende – Rechtsprechung zu den sog. "schwarzen Kassen"[38] und argumentiert, es sei im Abrechnungszeitpunkt bereits ein endgültiger Schaden in der besagten Höhe entstanden, weshalb spätere vorteilhafte Entwicklungen allenfalls eine Schadenswiedergutmachung darstellen können.
Die hier in Bezug genommene, erstmals in der "Siemens"-Entscheidung formulierte Annahme eines endgültigen anstelle eines Gefährdungsschadens in Fällen der schwarzen Kassen ist bekanntlich viel kritisiert worden.[39] Indes scheint die Unterscheidung zwischen "endgültigen" Schäden und "bloßen" Gefährdungsschäden noch nicht hinreichend geklärt, um eine präzise Kritik zu ermöglichen.[40] Klar ist, dass beide Schadensarten "echte", also tatbestandsmäßige Schäden sind, sofern ihre jeweiligen Voraussetzungen vorliegen.[41] Darüber hinaus dürfte Einigkeit darüber zu erzielen sein, dass die Schadensfeststellung vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG typischerweise besonders problematisch ist, wo sie Prognosen über die Ausfallwahrscheinlichkeit bzw. den Ertragswert von mittel- oder langfristig fälligen Forderungen (Rückzahlungsansprüchen bei Krediten, Zahlungsansprüchen aus Wertpapieren usw.) erfordert. Dies ist die eigentliche Domäne des Gefährdungsschadens, in der die terminologische Unterscheidung sinnvoll ist, da bzw. soweit sie die Notwendigkeit besonderer sachlicher Anforderungen an die Schadensfeststellung zum Ausdruck bringt.[42]
Bei den schwarzen Kassen geht es dagegen um ein anders gelagertes Phänomen. Hier werden Vermögenswerte – namentlich Geld – dem Zugriff des Berechtigten entzogen und es stellt sich die Frage, inwieweit bzw. in welcher Höhe dieses Geld trotzdem als Vermögenswert des Treugebers in die Saldierung einzustellen ist. Angesichts dieser Struktur der Fallgruppe ist die vielfach geäußerte Kritik, die Annahme eines (zumal "endgültigen") Schadens führe zu einem bloßen Schutz der Dispositionsfreiheit, prima facie naheliegend.[43] Diese Kritik ist insofern jedoch präzisierungsbedürftig, als "Vermögen" bereits
strukturell ein Dispositionsbegriff ist.[44] Wer somit den Vorwurf des Schutzes "bloßer Dispositionsfreiheit" als Kritik formuliert, muss darlegen, wie diese von der freien Verfügungsmacht über Wirtschaftsgüter zu unterscheiden ist, die den Kern des Rechtsguts Vermögen ausmacht.[45]
Aus Sicht des Verf. erscheint folgende Herangehensweise an das Problem der Nachteilsermittlung bei schwarzen Kassen sinnvoll:[46] Es ist zunächst eine in ihrer Plausibilität scheinbar nicht zu bestreitende Prämisse, dass die Kenntnis des Inhabers von der Existenz eines ihm rechtlich zugeordneten Vermögensobjekts notwendige Bedingung für die Annahme ist, dass diesem Objekt irgendein Wert beizumessen ist.[47] Fehlt es an dieser Kenntnis, kann das jeweilige Objekt nicht zum Tausch im Wirtschaftsverkehr – und auch sonst in keiner Weise – eingesetzt werden. Es macht bei dieser Lesart keinen Unterschied, ob der Treunehmer Geld ohne Wissen des Berechtigten in einer schwarzen Kasse verbirgt oder es im Garten seiner Ferienvilla auf den Malediven vergräbt.[48] Solange man von einem binären Verständnis ausgeht, wonach entweder nur Kenntnis oder Unkenntnis eines Vermögenswertes relevant ist, muss Unkenntnis zwingend zur Annahme eines Schadens führen. In einem solchen System ist der Ansatz des 2. Senats konsequent, denn wenn die Existenz eines Vermögensgegenstandes der Kenntnis des Berechtigten entzogen wird, dann scheidet dieser absolut, wenn man so will "endgültig" aus dem Vermögen aus, da endgültig ersichtlich nicht i.S. zeitlicher Unendlichkeit gemeint sein kann.[49]
Jedoch ist eine solche Sichtweise nicht sinnvoll durchhaltbar, und zwar bereits deshalb nicht, weil der Treugeber praktisch niemals aktuelle und vollständige Kenntnis über all seine Vermögensgegenstände haben kann.[50] Ein wesentliches Moment bei der Bewertung von i.w.S. "verborgenen" Vermögensobjekten muss daher die Möglichkeit der Kenntniserlangung, die potentielle Kenntnis sein.[51] So hat der Geschäftsherr bei Gegenständen des Umlaufvermögens die Möglichkeit, sich durch Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen oder auf ähnliche Weise Kenntnis zu verschaffen. Die Bewertung eines Vermögenswertes, von dessen Existenz der Berechtigte aktuell keine Kenntnis hat, hängt also letztlich davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit zukünftig mit einer (Wieder-)Erlangung der Kenntnis – und damit der für Vermögen kennzeichnenden Verfügungsmacht – zu rechnen ist.[52] Ein zur Verdeutlichung zugespitztes Beispiel: Der Gönner G hat dem Künstler K unbemerkt einen Barscheck über 10.000,- € zugesteckt. Der Wert dieses Schecks, von dessen Zugehörigkeit zu seinem Vermögen K aktuell keine Kenntnis hat, ist ersichtlich unterschiedlich, wenn a) der Scheck sich einige Tage später immer noch in der Jackentasche befindet und die Jacke an der Garderobe in Ks Atelier hängt oder b) der Scheck bei einem abendlichen Waldspaziergang unbemerkt aus Ks Jacke gefallen ist und vom Wind in ein Astloch getragen wurde. Der Grund für die unterschiedliche Bewertung liegt ebenso ersichtlich darin, dass in Variante a) eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass K den Scheck finden wird und ihn somit zukünftig als "Vermögen" einsetzen kann. Diese Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Umsetzbarkeit eines aktuell der Kenntnis des Berechtigten entzogenen Vermögensgegenstandes ist also bei der Ermittlung seines Gegenwartswertes ein wesentlicher Faktor.[53] Der Sache nach ist es nichts anderes, wenn Forderungen nach der Wahrscheinlichkeit ihrer Durchsetzbarkeit bewertet werden.
Daraus ließe sich folgern: Die erstmalige Überführung von Geldmitteln in eine schwarze Kasse begründet regelmäßig einen Vermögensschaden. Denn wie auch immer das System der schwarzen Kassen beschaffen ist und welche Absichten der Betreiber verfolgt, die dort verborgenen Mittel sind keinesfalls mit ihrem Nominalwert anzusetzen.[54] Da dieser aber für den Zeitpunkt vor der
Tathandlung maßgeblich war, als sich das Geld z.B. auf einem Geschäftskonto befand, ergibt die Saldierung in jedem Fall einen Verlust zum Nachteil des Treugebers. Anders verhält es sich, wenn der Täter ein existierendes System "übernimmt". Hier verändert sich die tatsächliche Wahrscheinlichkeit der Kenntniserlangung regelmäßig nicht zum Nachteil des Treugebers. Eine Schadensbegründung setzt daher voraus, dass man – wie es der Sache nach im "Siemens-Fall" sowohl der 2. Strafsenat als auch das BVerfG getan haben – die rein rechtliche Existenz eines Anspruchs gegen den Treunehmer in kontrafaktischer Weise als vermögenswerte Exspektanz berücksichtigt.[55] Denkbar wäre die Verursachung eines Nachteils bei der Fortführung einer anderweitig angelegten schwarzen Kasse dagegen dann, wenn der Täter eine zu erwartende Aufdeckung – etwa aufgrund einer bevorstehenden Betriebsprüfung – durch zusätzliche Verschleierungsmaßnahmen verhindert.
All dies in einen begrifflichen Zusammenhang mit der Diskussion um endgültige Schäden und Gefährdungsschäden zu stellen, erscheint wenig sinnvoll. Die Probleme im Zusammenhang mit schwarzen Kassen – etwa: Bestimmung des maßgeblichen Kenntnisstandes bei der Beurteilung der Aufdeckungswahrscheinlichkeit,[56] verwendungszweckabhängige oder verwendungszweckunabhängige Betrachtungsweise,[57] Zurechnung etwaiger Kenntnis von Leitungsorganen bei juristischen Personen[58] – sind gänzlich andere als bei den herkömmlicherweise mit dem Begriff Gefährdungsschaden verbundenen Fällen, bei denen es vor allem um die Schwierigkeit der prognostischen Beurteilung der aus einer Forderung bzw. einem Wertpapier zu erwartenden Zahlungsströme geht. Eine Befreiung der Diskussion um schwarze Kassen von diesem insoweit eher konfundierenden Begriffspaar könnte idealerweise dazu führen, den Diskussionsstand präziser zu systematisieren und die einzelnen Kritikpunkte klarer zu formulieren.
(3.) Überträgt man den soeben skizzierten Ansatz auf den vorliegenden Fall, ließe sich wie folgt argumentieren: Die Vertragspartnerin der Kläger hatte vor der Pflichtverletzung keinerlei Kenntnis darüber, in welcher Höhe ihr Ansprüche auf die Weiterleitung von Geldern zustanden, da sie diese Kenntnis ja überhaupt nur durch die Abrechnungen erlangen konnte. Ansprüche, die über den Betrag hinausgingen, der sich aus den gefälschten Abrechnungen ergab, hätten demnach vor der Tathandlung keinen Wert gehabt, da die Gläubigerin von ihrer Existenz bzw. ihrer Höhe nichts wusste und sie wahrscheinlich auch keine Aussicht hatte, entsprechende Kenntnis zu erlangen. Nach der Tathandlung blieb der Wert bei "0", so dass ein Vermögensverlust nicht feststellbar wäre. Dieses Ergebnis ließe sich mit guten Gründen als unbefriedigend charakterisieren, da der Nachteil mit der Erwägung verneint wird, dass die zu saldierenden Positionen wegen der Pflichtverletzung des Treunehmers (= Fälschung der Abrechnungen) für den Treugeber zu keinem Zeitpunkt werthaltig waren. Es gelingt dem Treunehmer also durch die Pflichtverletzung die Entstehung eines Nachteils zu verhindern. Eine Korrektur dieses Ergebnisses, indem die Forderung vor der Tathandlung mit ihrem Nominalwert eingestellt wird, ließe sich mit ähnlichen Erwägungen begründen, wie das auf Betrugs- bzw. Erpressungsebene in den freilich umstrittenen sog. "Rückverkaufsfällen"[59] geschieht. Der Senat stellt indes keine der dargestellten Erwägungen an, da er letztlich überhaupt keine präzise Saldierung vornimmt bzw. nicht erklärt, welche vor der Tathandlung werthaltige Vermögensposition nach der Tathandlung weniger wert gewesen sein soll. Es lässt sich vermuten, dass das Gericht vor der Tathandlung von einer Bewertung der Ansprüche auf Prämienweiterleitung mit ihrem Nominalwert ausgeht.
Aber selbst wenn man eine solche eher ergebnisorientierte Betrachtungsweise befürwortet, scheidet die Annahme eines Schadens in der vom Senat angenommenen Höhe aus. Richtigerweise sind nämlich diejenigen Beträge in
Abzug zu bringen, die im weiteren Verlauf auf die zunächst nur angemeldeten Schadensbeträge tatsächlich erbracht wurden. Dies folgt aus der Anwendung der aus der Fahrlässigkeitsdogmatik stammenden Grundsätze des sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhangs.[60] Deren Relevanz für die Untreuedogmatik ist im Schrifttum mehrfach betont worden.[61] Mangels Pflichtwidrigkeitszusammenhangs scheidet die Verwirklichung des objektiven Untreuetatbestandes aus, wenn der durch die Pflichtverletzung verursachte Nachteil bei pflichtgemäßem Verhalten gleichermaßen eingetreten wäre. Genau dies ist vorliegend aber der Fall, da durch die Zahlungen auf die zunächst lediglich angemeldeten Ansprüche eine Verbindlichkeit der Treugeberin gegenüber den Versicherungsnehmern erfüllt wurde. Hierzu wäre die Treugeberin auch verpflichtet gewesen, wenn die Kläger ordnungsgemäß abgerechnet hätten. Der einzige schadensrelevante Unterschied zwischen dem tatsächlichen Verhalten der Angeklagten und dem hypothetischen pflichtgemäßen Alternativverhalten bestünde darin, dass die zunächst nur angemeldeten Beträge erst zu einem späteren Zeitpunkt hätten abgerechnet werden dürfen, und zwar jeweils in dem Monat, in dem die Zahlungen tatsächlich erbracht wurden. Dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, von einem durch die Pflichtverletzung verursachten Nachteil in Höhe des gesamten jeweils an die Versicherungsnehmer zu leistenden Betrages auszugehen. Denn dieser wäre auch bei pflichtgemäßem Verhalten für das Vermögen der Treugeberin letztlich "verloren" gewesen.
Auch die Rechtsprechung hat bereits der Sache nach bei der Untreue auf die Rechtsfigur des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zurückgegriffen. So wurde bei der Haushaltsuntreue ein Vermögensnachteil durch die zweckwidrige Verwendung von Mitteln mit der Begründung verneint, die damit getätigten Aufwendungen hätten "so oder so" erbracht werden müssen.[62] Diese Entscheidungen stellen für den hier zu entscheidenden Fall den sachnäheren Anknüpfungspunkt gegenüber der vom Senat herangezogenen Rechtsprechung zum sog. "Abrechnungsbetrug"[63] dar. Vorliegend führten die später von den Klägern geleisteten Zahlungen eben zum Erlöschen einer "so oder so" zu erfüllenden Verbindlichkeit gegenüber den Versicherungsnehmern, was auch der Senat nicht bestreitet. Beim ärztlichen Abrechnungsbetrug ist es dagegen regelmäßig so, dass kein Vergütungsanspruch des Arztes besteht, weshalb die Leistung gerade nicht zum Erlöschen einer ohnehin zu tilgenden Schuld führt.[64] Dort geht es dann meist um die Kompensationstauglichkeit einer lege artis erbrachten ärztlichen Leistung, also um eine die Schadensbegründung betreffende Saldierungs- bzw. Bewertungsproblematik. Im hier zu entscheidenden Fall stellt sich dagegen nicht die Frage der Kompensation im saldierungstechnischen Sinne durch hypothetische Kausalverläufe, sondern es fehlt am hinreichenden (Zurechnungs-)Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Selbst wenn man also die Rechtsprechung zum Abrechnungsbetrug an sich für überzeugend hielte,[65] eignet sie sich nicht zur Übertragung auf den vorliegenden Fall. Bei der an sich gebotenen Heranziehung der Rechtsprechung zur Haushaltsuntreue wäre demgegenüber ein Nachteil in Höhe der später tatsächlich erbrachten Schadensregulierungen zu verneinen gewesen.
Der Verf. hat eine – im Ergebnis und in der Begründung zumindest teilweise kritikwürdige – aktuelle Entscheidung des 2. BGH-Strafsenates zum Anlass genommen, ein kurzes Schlaglicht auf einige Brennpunkte der Untreuediskussion zu werfen. Mehr als eine Skizze sowie die punktuelle Andeutung von Diskussionsansätzen konnte und sollte nicht geleistet werden. Insbesondere war eine umfassende Aufarbeitung und Würdigung der zu zahllosen Einzelfragen gesondert existierenden Streitstände weder beabsichtigt noch im gegebenen Rahmen möglich. Mögen die hier angedeuteten Gedanken zukünftig auf (jeweils begründete) Zustimmung, Kritik oder auch auf Ablehnung stoßen, kann doch all dies einen Beitrag zum Fortgang des wissenschaftlichen Diskurses bedeuten – und das Ziel dieser Randnotizen wäre damit erreicht.
[1] HRRS 2010, 383 ff.
[2] Neben der Untreue-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2010 sei hier lediglich auf die BGH-Urteile in den Verfahren "Mannesmann", "Kanther" und "Siemens" hingewiesen, von denen jedes Gegenstand einer Vielzahl von Anmerkungen und Besprechungsaufsätzen war (auf entsprechende Nachweise wird hier verzichtet).
[3] Vgl. zu dieser Funktion einer ausdifferenzierten Dogmatik Schünemann, in: FS f. Roxin I (2001), S. 1, 5 f.
[4] BVerfGE 126, 170 = HRRS 2010 Nr. 656.
[5] Siehe auch Schünemann NStZ 2005, 473, 474.
[6] Beschluss v. 7.12.2011 2 BvR 1857/10 = HRRS 2012 Nr. 27.
[7] Instruktiv dazu Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 909 ff.
[8] Vgl. zur Bedeutung "klarer und eindeutiger" Fälle im Zusammenhang mit § 266 StGB Fischer, in: Jahn/Nack, Gegenwartsfragen des europäischen und deutschen Strafrechts (2012), S. 73, 74 f.
[9] Saliger, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB (2009), § 266 Rn. 40 f.
[10] BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926.
[11] Krit. zuletzt Baums ZGR 2011, 218, 237 ff.
[12] Ein Vorschlag für den Bereich des Wertpapiereigengeschäfts von Banken findet sich bei Becker/Walla/Endert WM 2010, 875 ff.
[13] Saliger, in: FS f. Samson (2010), S. 455 ff.; ferner Rönnau, in: FS f. Rissing-van Saan (2011), 517 ff., der angesichts des in der Rechtsprechung an sich zu Grunde gelegten wirtschaftlichen Ausgangspunktes von "Schadensfiktionen" spricht.
[14] Explizit Saliger, in: FS f. Samson, S. 455, 456: "Normativierung des Schadensbegriffs in diesem allgemeinen Sinne umfasst alle Erscheinungsformen der Schadenslehre, die von einer wirtschaftlich-faktischen Bestimmung des Schadens abstrahieren" (Hervorhebung im Original); allg. zur Bedeutung des Begriffs "normativ" in der juristischen Argumentation jüngst Hilgendorf, in: FS f. Rottleuthner (2011), S. 45 ff.
[15] Insofern berechtigte Kritik bei Hefendehl, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 4 (2006), § 263 Rn. 299 ff.
[16] Vermögensschaden als qua Saldierung zu ermittelnde Verringerung des "Gesamtgeldwertes" des Vermögens, siehe zu diesem im Grundsatz herrschenden Ausgangspunkt Saliger, in: Matt/Renzikowski, StGB (4. Quartal 2012), § 263 Rn. 192 ff., insbesondere 197 ff.
[17] Vgl. insoweit etwa die differenzierten Bewertungsregeln für Finanzinstrumente in den IFRS, dargestellt bei Kuhn IRZ 2010, 103 ff.; zu den Konsequenzen der fair value-Bilanzierung von Wertpapieren im Kontext der Finanzkrise siehe auch demnächst Becker/Endert ZGR 2012, Heft 5, IV. 5. c).
[18] Dabei steht außer Frage, dass sich die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Einzelfall nie im Wege einer logisch zwingenden Deduktion vollzieht (dies ist weder möglich noch überhaupt wünschenswert), dass es also mit anderen Worten stets "Spielräume" gibt und geben muss, in denen mehr oder weniger gute Gründe sowohl für als auch gegen eine Subsumtion sprechen. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wo die handelnden Personen selbst (Prognose-)Entscheidungen unter erhöhter Unsicherheit treffen, die dann später aus der ex-post-Perspektive zum Gegenstand rechtlicher Verantwortungszuschreibung gemacht werden (sollen). Hierbei handelt es sich (freilich nicht ausschließlich) um ein typisches Phänomen des Wirtschaftslebens, in das die Untreue insoweit verstärkt Einzug gehalten hat. Die fortschreitende Konturierung von Verhaltensmaßstäben, die auch aus der ex-ante-Perspektive berücksichtigungsfähig sind, kann die Rechtssicherheit für die handelnden Personen ebenso erhöhen, wie die Anwendungssicherheit für die Strafjustiz.
[19] Eine heuristisch wertvolle funktionale Auslegung des § 266 StGB vor dem Hintergrund systemtheoretischer Prämissen liefert Bräunig, Untreue in der Wirtschaft (2011), passim; aus systemtheoretischer Sicht siehe auch (zum Merkmal der "gravierenden Pflichtverletzung") Theile ZIS 2011, 616 ff. Im Übrigen kann die nach wie vor nicht abebbende Literaturflut zu § 266 StGB hier nicht – auch nicht auszugsweise – wiedergegeben werden.
[20] Rotsch ZIS 2008, 1 ff. mit Replik von Puppe ZIS 2008, 67 ff.; zum Ganzen bereits Schünemann, a.a.O. (Fn. 3), S. 1 ff.
[21] Ob der immer wieder im Schrifttum gegenüber den Ermittlungsbehörden erhobene Vorwurf der Anwendungshypertrophie bei der Untreue berechtigt ist, mag hier dahinstehen.
[22] Inwieweit einfache Handelsvertreter als Täter des § 266 StGB in Betracht kommen, ist umstritten, siehe dazu (offenlassend) BGH NStZ 1983, 74 m.w.N. zum Streitstand. Dem vorliegenden Sachverhalt ist i.Ü. nicht zu entnehmen, ob zwischen der von den Angeklagten betriebenen S. OHG und der vermeintlichen Treugeberin ein Handelsvertretervertrag bestand, dann wäre die S. OHG als Versicherungsvertreterin zu qualifizieren, oder ob die S. OHG eine Versicherungsmaklerin war (es ist nicht unüblich, dass auch Versicherungsmakler von Versicherern mit Regulierungsvollmachten ausgestattet werden).
[23] Zusf. und m.w.N. BVerfGE 126, 170, 209; näher Saliger, a.a.O. (Fn. 9), Rn. 10 f.
[24] Eingehend und m.w.N. zu unterschiedlichen Restriktionsansätzen Saliger, a.a.O. (Fn. 9), Rn. 35.
[25] Siehe auch Kindhäuser, in: NK-StGB, 3. Aufl. (2010), § 266 Rn. 58, wo eine Vermögensbetreuungspflicht im Inkassogeschäft nur für den Fall bejaht wird, dass damit die Berechtigung zu Verfügungen (Stundungen, Vergleiche usw.) verbunden ist.
[26] Exemplarisch BGH wistra 1989, 60, 61, wo aber zumindest die Befugnis zur Erstellung von Quittungen und zur Herausgabe von Wechselgeld gefordert wird; restriktiver hinsichtlich der Bejahung des § 266 StGB etwa BGH NStZ 1983, 455, wonach eine "buchhalterische" Tätigkeit notwendig sein soll.
[27] So im Ausgangspunkt überzeugend Schünemann, in: LK-StGB, 11. Aufl. (1998), § 266 Rn. 82 ff.; Fischer, StGB, 59. Aufl. (2012), § 266 Rn. 37.
[28] Besonders kontrovers wird in diesem Zusammenhang aktuell die Frage erörtert, inwieweit Geschäftsleiter sich bereits dann untreuerechtlich pflichtwidrig verhalten, wenn sie gegen ihre gesellschaftsrechtliche Legalitätspflicht verstoßen. Der 1. BGH-Strafsenat hat dies jüngst in zwei Entscheidungen verneint und einen zumindest mittelbaren Vermögensbezug der verletzten Pflicht gefordert – ohne dass bislang geklärt wäre, wie ein solcher festzustellen ist; zum Ganzen m.w.N. (auch zu den erwähnten BGH-Judikaten) Rönnau, in: Jahn/Nack, a.a.O. (Fn. 8), S. 57, 59 ff.
[29] Pars pro toto etwa die Kritik von Freund, in: MK-StGB, Bd. 1, 2. Aufl. (2011), § 13 Rn. 5 ff.
[30] Siehe zur Verwirklichung des Treubruchtatbestandes durch Unterlassen Saliger, a.a.O. (Fn. 9), Rn. 33 m.w.N., auch zum Streit bzgl. der Anwendbarkeit von § 13 StGB.
[31] Aus der Rspr. vgl. die Nachw. bei Fischer, a.a.O. (Fn. 27), Rn. 115; aus dem Schrifttum etwa Saliger, a.a.O. (Fn. 9), Rn. 54 f.; Esser, in: AnwK-StGB (2011), § 266 Rn. 175 f.; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB. 28. Aufl. (2010), § 266 Rn. 40.
[32] NStZ-Jahresheft 2009, 8, 11 f.
[33] Siehe zur Kritik und zu einem Lösungsansatz im Zusammenhang mit der Parallelproblematik beim Betrug Gaede, in: AnwK-StGB, § 263 Rn. 125 m.w.N.; wie die h.M. aber BVerfGE 126, 170, 225 f.
[34] Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen (1994), S. 169.
[35] Bei Niklas Luhmann finden sich ähnliche Erwägungen im Zusammenhang mit Preisen, wobei Luhmann darunter zu erwartende Geldzahlungen versteht, die als Gegenleistung für den Erwerb knapper Güter erbracht werden (also im Kern den auch im vorliegenden Kontext gemeinten Wiederverkaufswert), siehe ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft (1994), S. 17 f. Die Instabilität der so verstandenen Preise wird nach Luhmann umso bedeutsamer, je stärker sich das Wirtschaftssystem ausdifferenziert (a.a.O., S. 20 ff.). Überträgt man diese Erwägungen auf den hier behandelten Kontext, ist erklärbar, warum das Problem der Instabilität des Marktwertes von Vermögensobjekten bislang kaum im Fokus der Schadensdogmatik stand. Denn es wird umso virulenter, je mehr sich Fragen der Bewertung von komplexen Wertpapieren, langfristig fälligen Forderungen und anderen nicht gegenständlichen, durch ihre Zukunftsbezogenheit gekennzeichneten Vermögensgegenständen stellen. Strukturell besteht das Problem aber bei allen Vermögensobjekten gleichermaßen, wenngleich die Auswirkungen bei Konsum- und Gebrauchsgütern mit stabilen Marktverhältnissen für das Strafrecht meist nicht relevant werden.
[36] Der Gedanke wird zutr. betont bei BVerfGE 126, 170, 207 (im Anschluss an Fischer).
[37] Einen Vorschlag zur Schadensfeststellung ohne Gesamtsaldierung (dort im Zusammenhang mit dem Betrug) bietet etwa Kindhäuser, in: FS f. Lüderssen (2002), S. 635 ff.; ferner findet sich ein 3-stufiges Konzept zur "Einhegung" des Schadensmerkmals (beim Betrug) in entsprechenden Fällen bei Gaede, a.a.O. (Fn. 33), Rn. 123 ff. Auch das konsequente Festhalten der h. M. an der Tathandlung bzw. Verfügung (beim Betrug) als Saldierungszeitpunkt ist natürlich eine "Lösung". Deren normative Plausibilität ist aber zumindest dann fraglich, wenn etwaige als Kompensation in Betracht kommende Vermögensgegenstände nicht der unmittelbaren Weiterveräußerung dienen sollen, da dann der Gegenwartswert zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Vermögensgegenstände für den Vermögensinhaber "wirtschaftlich" letztlich uninteressant ist. Hier zeigt sich ein weiteres grundsätzliches Problem der Schadensdogmatik, und zwar der nicht zu eliminierende subjektive Charakter jeder Bewertung, vgl. dazu auch Becker JR 2012, 82, 84 m.w.N.
[38] Und zwar namentlich auf das "Trienekens"-Urteil BGHSt 55, 266 = HRRS 2010 Nr. 839; vgl. i. Ü. die bis auf die Zeiten des Reichsgerichts zurückgehende Darstellung der Rechtsprechung bei Schünemann StraFo 2010, 1, 5 ff.
[39] Stellvertretend für die Kritik hier nur Kempf, in: FS f. Volk (2009), S. 231 ff.
[40] Eine Erörterung der Problematik findet sich bei Saliger, in: FS f. Samson, S. 455, 471 ff., der den substanziellen Vermögensverlust als Gegensatz zum Gefährdungsschaden für adäquat hält, vgl. auch bereits Becker HRRS 2009, 334, 336 m. Fn. 31. Im Zusammenhang mit der Bewertung von Forderungen bzw. Wertpapieren wird die Unterscheidung zusätzlich dadurch verkompliziert, dass auch die Totalabschreibung im bilanziellen Sinne nichts anderes bedeutet, als dass der Bewertende gegenwärtig von einem Totalausfall ausgeht (oder bei Zugrundelegung des fair value: dass das Vermögensobjekt derzeit nicht auf einem Markt handelbar ist) – und nicht etwa, dass der entsprechende Vermögensgegenstand in irgendeiner Form "endgültig" wertlos wäre. Ein bemerkenswertes Beispiel bilden insoweit die berüchtigten "toxischen" Kreditverbriefungen, die auf dem Höhepunkt der Finanzkrise aufgrund des Zusammenbruchs des entsprechenden Handels bei Zugrundelegung von Marktwerten als wertlos galten, heute aber häufig wieder mit lediglich geringen bis mittleren Abschlägen auf ihren Nominalwert veräußert werden können, siehe etwa Süddeutsche Zeitung vom 22.3.2012, S. 25 zum erfolgreichen Wiederverkauf solcher Papiere durch die US-amerikanische Regierung, die diese auf dem Höhepunkt der Krise übernommen hatte.
[41] Becker HRRS 2009, 334, 336 f.; Fischer NStZ-Sonderheft 2009, 8, 11; Saliger, in: FS f. Samson, S. 455, 469 ff.
[42] Die Formulierung solcher Anforderungen ist freilich um ein Vielfaches bedeutender als die terminologischen Fragen.
[43] Nachw. zu dieser Kritik bei Fischer NStZ-Sonderheft 2009, 8, 16 f.
[44] Vgl. bereits Hefendehl, a.a.O. (Fn. 32), S. 92, zu Dispositionsbegriffen in der Wissenschaftstheorie einführend Lorenz, in: Mittelstraß, Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 1 (2004), S. 492 f.
[45] Vgl. auch Saliger, a.a.O. (Fn. 16), § 263 Rn. 189, der von zulässigem unselbständigen und unzulässigem selbständigen Dispositionsschutz spricht; ferner ders./Gaede HRRS 2008, 57, 70, wonach eine verwendungszweckunabhängige Betrachtung stets nicht nur zu einem unzulässigen reinen Dispositionsschutz, sondern auch zu einer Verschleifung von Tathandlung und Erfolg führt.
[46] Die folgenden Ausführungen beanspruchen keineswegs durchgängig Originalität. Sie dienen lediglich der Skizzierung eines Ausgangspunktes, von dem aus die einzelnen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Fallgruppe sich als kohärent lösbar erweisen könnten. Inhaltlich nahestehend sind etwa die Ausführungen bei Brammsen/Apel WM 2010, 781, 783 ff.; Hohn, in: FS f. Rissing-van-Saan, S. 169, 175 ff.; z.T. auch Rönnau StV 2009, 246, 248 ff.
[47] Hohn, in: FS Rissing van Saan, S. 169, 176 ff.; Rönnau StV 2009, 246, 248.
[48] Insofern ist der Hinweis von Saliger (FS f. Samson, S. 455, 462 f.) zutreffend, dass die konsequente Fortführung dieses Ansatzes dazu führt, dass die Verbringung von Geld in eine schwarze Kasse mit dessen Unterschlagung gleichgesetzt wird.
[49] Zu den Problemen bei der Bestimmung der hinreichenden Dauer Rönnau StV 2009, 246, 249.
[50] Pars pro toto Satzger NStZ 2009, 297, 303.
[51] Zutr. Rönnau StV 2009, 246, 250; Hohn, in: FS Rissing van Saan, S. 169, 179.
[52] Schünemann (StraFo 2010, 1, 9) verlangt weitergehend, dass der Treugeber konkret und aktuell seine Verfügungsmacht bzgl. der entsprechenden Vermögenswerte in Anspruch nehmen muss, damit von einem Schaden gesprochen werden kann.
[53] Ähnlich im Ansatz Satzger NStZ 2009, 297, 303: "Prognoseentscheidung über das weitere Schicksal des Vermögens". Insofern ist dem 2. Strafsenat zumindest in der Sache dahingehend beizupflichten, dass es einen bewertungsrelevanten Unterschied zwischen den Fällen "Kanther" und "Siemens" gibt, denn im erstgenannten Fall waren die Gelder jedenfalls zu Anfang auf Bankkonten der Treugeberin verborgen, weshalb eine größere Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand als im Fall "Siemens", wo die Mittel auf Auslandskonten angelegt waren, die unter dem Namen von Scheinfirmen geführt wurden, vgl. dazu Fischer NStZ-Sonderheft 2009, 8, 17 und 18 f. Nach dem hier befürworteten Verständnis führt dies indes nicht dazu, dass es sich einmal um einen Gefährdungs- und einmal um einen endgültigen Schaden handelt, sondern lediglich zu einer unterschiedlichen Beurteilung des für die jeweils verborgenen Mittel anzusetzenden Wertes der Höhe nach.
[54] Hier kann die zweckkonforme Mittelverwendungsabsicht des Treunehmers entgegen Saliger (FS f. Samson, S. 455, 463) nicht dazu führen, dass ein Vermögensschaden ausgeschlossen ist. Verkürzt gesagt: Geld, das sich im Umlaufvermögen befindet, ist immer mehr wert als derselbe Betrag in einer schwarzen Kasse. Die gegenteilige Ansicht von Satzger (NStZ 2009, 297, 303), wonach der Wirtschaftsverkehr das Geld in der schwarzen Kasse womöglich sogar höher bewertet als auf dem Geschäftskonto, erscheint wenig plausibel. Denn ist das Geld im "offiziellen" Umlaufvermögen des Treugebers, kann dieser immer noch jederzeit entscheiden, dieses für illegale, aber gewinnbringende Zwecke einzusetzen. Er kann nur ebenso jederzeit entscheiden, das Geld in jeder anderen Hinsicht zu verwenden, und allein diese uneingeschränkte (potentielle) Verwendungsmöglichkeit des Treugebers rechtfertigt die Bewertung der Geldmittel zu ihrem Nominalwert – und ihr Fehlen rechtfertigt demgegenüber eine Abwertung, über deren Höhe dann freilich zu diskutieren wäre.
[55] Rönnau StV 2009, 246 f.; Schünemann StraFo 2010, 1, 9 f.; vgl. auch Becker HRRS 2010, 383, 388 f.
[56] Hierbei wird man folgende Paradoxie zu beachten haben: Will man den für die verborgenen Mittel anzusetzenden Wert ermitteln, ist der Sache nach zu fragen, welchen Betrag ein gedachter Erwerber des Unternehmens dafür vernünftigerweise aufwenden würde. Insofern muss also unterstellt werden, dass dieser gedachte Erwerber Kenntnis von der Existenz der Mittel hat. Damit wären diese aber grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen (ggf. abzüglich etwaiger Kosten für ein "Waschen" der Gelder, also für ihre Überführung in das Umlaufvermögen der Firma), denn der Erwerber, dem die Existenz der Mittel bekannt ist, kann diese ja nach seinem Belieben verwenden. Um dieses sinnlose Ergebnis zu vermeiden, darf die zunächst zu Bewertungszwecken unterstellte Kenntnis des homunculus nicht dazu führen, dass die Mittel wegen dieser Kenntnis so bewertet werden, als befänden sie sich tatsächlich im Umlaufvermögen. Bei diesen Prämissen sind die von Hohn (FS Rissing-van Saan, S. 169, 180 f.) in ähnlichem Zusammenhang beschriebenen Friktionen vermeidbar.
[57] Die verwendungszweckunabhängige Betrachtung des 2. Strafsenats bildet einen der Hauptkritikpunkte, siehe nur Saliger, in: FS f. Samson, S. 455, 462 f. m.w.N. in Fn. 50. Vom hier befürworteten Ausgangspunkt ist dazu zwar zu sagen, dass etwaige Absichten des Täters die Wahrscheinlichkeit der Wiedererlangung von Verfügungsmacht für den Treugeber nicht erhöhen; gleichwohl ließen sich diese aber bei der Bewertung berücksichtigen, da der erwähnte homunculus ggf. bereit wäre, für die Mittel einen höheren Betrag zu zahlen, wenn damit zu rechnen ist, dass diese zukünftig profitabel eingesetzt werden; vgl. auch Saliger/Gaede HRRS 2008, 57, 70, die eine Bewertung des Verlustrisikos unabhängig von den Absichten des Verwalters für undurchführbar halten.
[58] Zu diesem Problemkreis etwa Schünemann StraFo 2010, 1, 8; vgl. auch BGHSt 55, 266, 281 f ("Trienekens").
[59] Dazu m.w.N. Rönnau, in: FS f. Rissing-van Saan, S. 517, 522 f. und (krit. gegenüber der Handhabung dieser Fälle in der Rspr.) S. 541.
[60] Zum Stand der Diskussion in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik statt Vieler Duttge, in: MK-StGB, a.a.O. (Fn. 29), § 15 Rn. 164 ff.
[61] Etwa Saliger, in: Walz/Hüttemann/Rawert/Karsten Schmidt, Non Profit Law Yearbook (2005), S. 209, 226 f.; ders., a.a.O. (Fn. 9), Rn. 81 m.w.N.; der Sache nach wohl auch Fischer, a.a.O. (Fn. 27), Rn. 133.
[62] BGH NStZ 1984, 549, 550; NJW 1995, 603, 605.
[63] Zu dieser Fallgruppe m.w.N. Rönnau, in: FS f. Rissing-van Saan, S. 517, 525 ff.
[64] Näher zu dieser Fallgruppe Grunst NStZ 2004, 533 ff.; Volk NJW 2000, 3385 ff.
[65] Zusf. Kritik dagegen bei Rönnau, in: FS f. Rissing-van Saan, S. 517, 541.