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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2008
9. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt Markus Adick, Frankfurt am Main *
In einem für die Praxis relevanten Beschluss vom 20. März 2008 befasst sich der 1. Strafsenat des BGH erneut mit der für den Straftatbestand der Untreue (§ 266 StGB) besonders bedeutsamen Fallgruppe der so genannten Risikogeschäfte, die in der jüngsten Zeit vor allem im Zusammenhang mit Untreuevorwürfen gegen Bankvorstände sowie Vorstände und Geschäftsführer von Unternehmen eine Renaissance erlebt. Nachdem der 2. Strafsenat des BGH insbesondere in seiner Entscheidung zum so genannten "CDU-Spendenskandal" den Versuch unternommen hatte, § 266 StGB durch besondere Anforderungen an den bedingten Vorsatz restriktiver zu handhaben, stellt sich der 1. Strafsenat des BGH in seinem hier besprochenen Beschluss vom 20. März 2008 nunmehr dieser Rechtsprechung entgegen.
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer mehrerer geschlossener Immobilienfonds sowie Geschäftsführer einer weiteren Gesellschaft, die als Treuhänderin fungierte und die Anlegergelder entgegennahm. Als mehrere der Fondsgesellschaften in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, veranlasste der Angeklagte entgegen der Abrede mit den Anlegern die Verwendung der überlassenen Gelder zur Begleichung der dringlichsten Verbindlichkeiten seiner gesamten Unternehmensgruppe. Das LG Mannheim hatte den Angeklagten in der Vorinstanz unter anderem wegen Untreue verurteilt. Hierbei ging die erkennende Kammer davon aus, dass der Angeklagte bedingt vorsätzlich handelte und dass lediglich ein Gefährdungsschaden gegeben war.
Demgegenüber vertrat der 1. Strafsenat des BGH in seiner Revisionsentscheidung die Auffassung, mit Entnahme der Anlagegelder sei bereits ein endgültiger Vermögensnachteil eingetreten, den der Angeklagte mit direktem Vorsatz herbeigeführt habe, als er die Anlagegelder zur zweckwidrigen Verwendung von dem Treuhandkonto abhob. Weil ein kompensationsfähiger Ersatzanspruch gegen einen zahlungsfähigen und zahlungswilligen Schuldner zu diesem Zeitpunkt nicht existiert habe und dem Angeklagten dies bewusst gewesen sei, habe er insgesamt mit direktem Vorsatz hinsichtlich einer Untreue gehandelt.
In einem obiter dictum nahm der 1. Strafsenat im Zusammenhang mit der Fallgruppe der Risikogeschäfte zu bestehenden Unklarheiten bei der Feststellung des Vermögensnachteils und den erforderlichen Elementen des bedingten Vorsatzes bei Vermögensgefährdungen Stellung und widersprach hierbei der neueren Rechtsprechung des 2. Strafsenats. Dieses für die Praxis bedeutsame obiter dictum, das insbesondere für die Vergabe von Krediten durch Banken, darüber hinaus aber für die strafrechtliche Bewertung sämtlicher Fälle des Eingehens von Vermögensrisiken im Wirtschaftsleben als möglicher Fall einer Untreue nach § 266 StGB Geltung beansprucht, soll im Folgenden näher betrachtet werden.
Als Risikogeschäft lassen sich Handlungen definieren, die unter Unsicherheit erfolgen und das erhöhte Risiko eines Verlustes schaffen.[2] Als Paradefall des Risikogeschäftes gilt daher die Vergabe von Krediten; ebenso trivial wie zutreffend ist aber der Befund, dass nahezu jede Entscheidung im Wirtschaftsleben ein Risikogeschäft ist, weil das Eingehen von Verlustrisiken zum Alltag wirtschaftlicher Betätigung zählt.[3] Bei der Subsumtion von Risikogeschäften unter den Tatbestand von § 266 StGB stellt sich zum einen die nur selten einfach zu beantwortende Frage, unter welchen Voraussetzungen das nicht
per se verbotene Eingehen von Verlustrisiken eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht des Täters darstellt.[4] In diesem Bereich ist noch immer vieles ungeklärt, und als unstreitig kann wohl nur gelten, dass es auf eine Verletzung der im Innenverhältnisses zwischen dem Täter und dem Treugeber geltenden vermögensschützenden Vorgaben ankommt und eine Treuepflichtverletzung jedenfalls nicht allein darauf zurückgeführt werden kann, dass eine Handlung des Täters später zu einem Vermögensschaden geführt hat.[5] Zum anderen ist zu fragen, unter welchen Voraussetzungen eine Gefährdung des Vermögens bereits einen Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB begründet und welches die notwendigen Elemente des Untreuevorsatzes in Fällen der Vermögensgefährdung sind[6]. Das in der hier besprochenen Entscheidung des 1. Strafsenats zur Bewertung stehende Tatgeschehen bot indes keinen Anlass, die Pflichtwidrigkeit des Handelns des Angeklagten näher zu untersuchen: sie folgte unmittelbar aus der Zuwiderhandlung des Angeklagten gegen eine Treuhandvereinbarung, die der Angeklagte dadurch beging, dass er Gelder von Treuhandkonten auf Konten seiner Unternehmensgruppe transferierte und letztlich ein Schneeballsystem mit diesen Geldern speiste.[7]
Eingehender befasst sich der 1. Strafsenat hingegen mit dem Merkmal des Vermögensnachteils und dem für § 266 StGB zumindest erforderlichen Eventualvorsatz. Die Ausführungen des 1. Strafsenats in dem vorliegenden Beschluss zeigen dabei erneut die enge Verflechtung von Elementen des objektiven und des subjektiven Tatbestandes von § 266 StGB.[8]
Der von § 266 StGB verwendete Begriff des Vermögensnachteils ist ganz überwiegend deckungsgleich mit dem des Vermögensschadens, wie ihn die Tatbestände des Betruges (§ 263 StGB) und der Erpressung (§ 253 StGB) verwenden.[9] Ein Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB liegt folglich vor, wenn eine saldierende Betrachtung ergibt, dass das Vermögen des Geschäftsherrn nach der Vornahme einer Handlung des Täters niedriger ist als zuvor. Nicht in die Saldierung einzustellen sind Ansprüche des Geschäftsherrn auf Schadensersatz, die gegen den Täter auf Grund seines deliktischen Handelns bestehen können.[10] Wenig problematisch ist die Konstellation, in welcher der Geschäftsführer unmittelbar einen dauerhaften, endgültigen Schaden erleidet, das Vermögen mit anderen Worten sofort und dauerhaft "weg" ist. Von dieser Konstellation geht der 1. Strafsenat in der vorliegenden Entscheidung aus und erkennt, dass die Anleger schon mit der treupflichtigen Entnahme der Gelder vom Treuhandkonto zur allgemeinen Tilgung von Schulden der Unternehmensgruppe einen endgültigen Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB erlitten.[11]
Sodann stellt der 1. Strafsenat fest, der Angeklagte habe mit direktem Vorsatz gehandelt, weil er die treuwidrige Verwendung der Anlagebeträge gekannt und gewollt habe. Folgt man dieser Einschätzung, handelt es sich also nicht um einen Fall, in dem der Nachteil für das Vermögen aus einer auf ihm ruhenden Gefährdung folgte, die erst noch in einen endgültigen Schaden umschlagen konnte, sondern in dem ein endgültiger Vermögensverlust für die Anleger unmittelbar mit der Entnahme der Anlagegelder von dem Treuhandkonto verbunden war. Offensichtlich auf Grund des Vorbringens des Angeklagten in der Revision hat der 1. Strafsenat aber sodann Anlass, sich näher mit den Ausführungen des 2. Strafsenats zu den Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes hinsichtlich eines Gefährdungsschadens aus der Entscheidung vom 18. Oktober 2006[12] im Zusammenhang mit dem so genannten "CDU-Spendenskandal" zu befassen. Hierbei stellt der 1. Strafsenat fest, der Annahme des 2. Strafsenats nicht folgen zu können, dass sich der Vorsatz immer auch auf die Billigung des endgültigen Vermögensnachteils erstrecken müsste. Was ist der Hintergrund dieser Feststellung?
Der 2. Strafsenat hatte in seiner vorstehend zitierten Entscheidung im Zusammenhang mit der Untreuestrafbarkeit durch Bildung und Unterhaltung schwarzer Kassen ausgeführt, der Tatbestand des § 266 StGB sei "in Fällen der vorliegenden Art" im subjektiven Bereich zu begrenzen.[13] Dies bedeutet nach Ansicht des 2. Strafse-
nats, dass "der bedingte Vorsatz eines Gefährdungsschadens nicht nur Kenntnis des Täters von der konkreten Möglichkeit eines Schadenseintritts und das Inkaufnehmen dieser konkreten Gefahr voraussetzt, sondern darüber hinaus eine Billigung der Realisierung dieser Gefahr, sei es auch nur in der Form, dass der Täter sich mit dem Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs abfindet".[14] Das Ansinnen des 2. Strafsenats bestand darin, einer Vorverlagerung der Untreuestrafbarkeit in das bei § 266 StGB straflose Stadium des Versuchs entgegenzuwirken, die aus der Möglichkeit folgt, den Tatbestand bei Eintritt einer Vermögensgefährdung und Vorliegen bedingt vorsätzlichen Handelns als erfüllt anzusehen.[15] Auch die Strafrechtslehre betrachtet die früh erreichte Untreuestrafbarkeit in solchen Konstellationen bereits seit langem kritisch und befürchtet, der Tatbestand werde contra legem auf Versuchshandlungen angewendet;[16] selbst der 1. Strafsenat konzediert in seinem vorliegenden Beschluss, dass bei einer "doppelten Vorverlagerung" der Strafbarkeit, also bei Handeln mit (erstens) nur bedingtem Vorsatz im Hinblick auf eine (zweitens) bloße Vermögensgefährdung "Bedenken" hinsichtlich einer Überdehnung von § 266 StGB aufkommen können.[17] Welche Auswirkungen die Rechtsprechung des 2. Strafsenats auf die Anwendung von § 266 StGB hätte, lässt sich an folgendem Beispiel zeigen: Der Geschäftsführer eines Unternehmens gewährt einem langjährigen Kunden des Unternehmens wiederholt längere Zahlungsfristen, nachdem der Kunde in ernsthafte Liquiditätsschwierigkeiten geraten ist. Dabei hält der Geschäftsführer es für möglich und nicht ganz fernliegend, dass der Kunde endgültig in Vermögensverfall geraten und die Forderung seines Unternehmens ausfallen könnte. Allerdings hofft er, dass letztlich alles gut geht und die Forderung doch noch beglichen wird. Unterstellt man der Einfachheit halber, dass der Geschäftsführer durch die Verlängerung der Zahlungsfrist gegen seine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 StGB verstieß, und dass wegen der zweifelhaften Werthaltigkeit der gegen den Kunden gerichteten Zahlungsforderung auch eine den Nachteil begründende Vermögensgefährdung vorlag, ließe sich mit der Rechtsprechung des 2. Strafsenats eine Untreuestrafbarkeit gleichwohl bestreiten, weil der Geschäftsführer die Realisierung der Gefahr des Forderungsausfalls nicht billigte und er deswegen nicht mit Vorsatz im Hinblick auf einen endgültigen Schaden handelte.
Diese Rechtsprechung führte der 2. Strafsenat fort und hob in einem weiteren Beschluss vom 25. Mai 2007 unter Verweis auf seinen Beschluss vom 18. Oktober 2006 die Verurteilung eines Notars wegen § 266 StGB zum Nachteil einer Bank mit der Begründung auf, das voluntative Vorsatzelement des Angeklagten sei nicht hinreichend belegt.[18] Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen des erkennenden LG einen von der geschädigten Bank auf sein Anderkonto überwiesenen Betrag, der zur Finanzierung des Erwerbs eines noch zu sanierenden Objekts dienen sollte, an die Verkäuferin überwiesen, obwohl ihm eine nach der Treuhandabrede erforderliche Fertigstellungsbürgschaft nicht vorlag und die Kreditforderung der Bank daher nicht hinreichend gesichert war. Die Kreditforderung der Bank wurde später zu 30 % ihres Nominalwertes verkauft. Der 2. Strafsenat bejahte zwar das kognitive Element des Untreuevorsatzes, weil dem Angeklagten auf Grund seiner langjährigen beruflichen Erfahrung das mit dem Verzicht auf die Fertigstellungsbürgschaft verbundene Risiko für die Bank bewusst gewesen sei. Allerdings halte die Feststellung des LG, der Angeklagte habe eine Vermögensgefährdung der Bank billigend in Kauf genommen, einer "sachlich-rechtlichen Prüfung unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Senats nicht stand",[19] weil nicht feststehe, dass der Angeklagte eine Realisierung der Möglichkeit eines Schadenseintritts gebilligt habe.[20] Eine detaillierte Analyse des Beschlusses würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass seine Begründung nicht vollständig widerspruchsfrei ist und die Gefahr besteht, dass die vom 2. Strafsenat bezweckte Restriktion des Tatbestandes von § 266 StGB[21] in der Praxis nicht ohne weiteres anerkannt wird. Denn insbesondere Staatsanwaltschaften könnten in Fällen wie dem Vorliegenden davon ausgehen, eine Kreditforderung werde bereits dadurch in ihrem Wert vermindert, dass sie nicht hinreichend besichert sei, und die Bank erleide bereits in diesem Stadium einen Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB. Würden sie ferner unterstellen, dem Täter sei eine infolge der unzureichenden Sicherung bestehende Wertminderung der Kreditforderung der Bank bewusst gewesen, könnten sie sich für die Annahme vorsätzlichen Handelns auf den Standpunkt stellen, es genüge für § 266 StGB, wenn der Täter eben (nur) diese Wertminderung gebilligt hätte.
Tatsächlich stellt sich sogar der 1. Strafsenat in seinem Beschluss vom 20. März 2008 ausdrücklich dem Postulat entgegen, dass sich der bedingte Vorsatz hinsichtlich eines Gefährdungsschadens auf einen in der Zukunft liegenden endgültigen Vermögensvorteil erstrecken müsse und unterstellt, es handele sich insoweit um eine "Scheinproblematik", die sich bei einer präzisen Begriffsverwendung weitgehend erledige. Der 1. Strafsenat verweist sodann auf die Vergabe eines ungesicherten Kredits an ein zahlungsunfähiges Unternehmen, bei der ein mit der Ausreichung der Darlehenssumme erlangter Rückzahlungsanspruch der Bank minderwertig sei und ein unmittelbar und realiter eingetretener Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB aus einer Saldierung der
ausbezahlten Darlehenssumme mit dem verbleibenden Wert des Rückzahlungsanspruchs folge.[22]
Dieser Herleitung des Vermögensnachteils ist insoweit zuzustimmen, als eine nachteilsrelevante Vermögensminderung bereits dann vorliegen kann, wenn eine wirtschaftliche Betrachtung ergibt, dass ein auf dem Vermögen ruhendes Gefährdungspotenzial dessen Wert mindert.[23] Verlangen es etwa die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung oder bankübliche Bewertungsgrundsätze, eine zweifelhafte Forderung nicht mit ihrem Nominalwert in der Bilanz zu aktivieren, sondern sie lediglich mit einem an der tatsächlichen Realisierungsaussicht verminderten Wert auszuweisen, bezeichnet diese Differenz zwischen dem Nominalwert und dem zulässigerweise anzusetzenden Wert die Höhe des bis zum Zeitpunkt des Forderungsausweises eingetretenen Vermögensnachteils im Sinne von § 266 StGB. Soweit in diesem Bereich gelegentlich Unklarheiten zu herrschen scheinen, dürfte dies an der verbreiteten, wenngleich dogmatisch nicht eben feinsinnigen Terminologie der "schadensgleichen" Vermögensgefährdung liegen, die den Blick darauf verstellt, dass es die Gefährdung selbst ist, die den Schaden begründet und es ihrer Gleichstellung mit einem endgültigen, dauerhaften Schaden nicht bedarf.[24] In den Kreditvergabefällen besteht der Schaden deshalb in dem Risiko, dass der Kredit später notleidend wird,[25] in dem vorstehend gebildeten Beispielsfall entsteht er durch die Gefahr, dass die Forderung endgültig ausfällt et cetera. So einfach dies klingt, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch die Feststellung eines Gefährdungsschadens wegen der erforderlichen Bewertung von Rückzahlungsforderungen durch Sachverständigengutachten etc. ihrerseits mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sein kann.
Es ist davon auszugehen, dass Staatsanwaltschaften bei der Auslegung von § 266 StGB künftig der weiteren Linie des 1. Strafsenats zuneigen und bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts den Standpunkt einnehmen werden, es sei für die bereits eingetretene Minderung des Vermögens und im Ergebnis für den objektiven Tatbestand von § 266 StGB nicht relevant, ob ein Vermögensnachteil endgültig eintritt, die vermindert ausgewiesene Forderung also tatsächlich dauerhaft uneinbringlich ist, oder ob sie wider Erwarten doch noch in voller Höhe zurückgezahlt wird.[26] Tatsächlich ist zuzugeben, dass es dogmatisch nicht vollständig befriedigend ist, in subjektiver Hinsicht ein zusätzliches voluntatives Billigungselement hinsichtlich einer endgültigen Vermögensminderung zu verlangen, während der Vermögensnachteil in objektiver Hinsicht den Eintritt eines endgültigen Schadens gerade nicht voraussetzt. Deshalb muss zum Beispiel der Bankvorstand, der einen nicht hinreichend gesicherten Kredit ausreicht, obwohl er um die fehlende Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruchs sicher weiß, auch künftig mit dem Vorwurf rechnen, er habe den Gefährdungsschaden mindestens billigend in Kauf genommen und deshalb hinsichtlich der Gefährdung des Vermögens der Bank mit Vorsatz gehandelt. Und wer als Notar um die Gefährdung des Kreditanspruchs der Bank infolge mangelhafter Besicherung weiß, wird sich ebenso dem späteren Vorwurf ausgesetzt sehen, den Gefährdungsschaden der Bank gebilligt zu haben, als er den ihm zu treuen Händen übergebenen Kreditbetrag auszahlte. Selbst wenn es in all diesen Fällen dem Täter noch so unerwünscht sein mag, dass Forderungen ausfallen und fremdes Vermögen geschädigt wird, dürfte dies trotz des erkennbaren Willens der Rechtsprechung, den Tatbestand von § 266 StGB zu begrenzen, kaum dazu führen, dass Staatsanwaltschaften den Vorsatz ablehnen.
Ungeachtet der Frage, ob man der Ansicht des 1. Strafsenats oder der Ansicht des 2. Strafsenats folgt, ist jedoch zweifelhaft, ob sich - wie der 1. Strafsenat meint - das "tatsächlich nicht gegebene Problem der Überdehnung des Untreuetatbestandes auch nicht scheinbar"[27] stellt. Die grundsätzliche Kritik der Lehre, dass eine Begrenzung von § 266 StGB sich dogmatisch widerspruchsfrei nicht im subjektiven Tatbestand bewirken lässt, zusätzliche Vorsatzerfordernisse deshalb in erster Linie als "Krücke der Einzelfallgerechtigkeit"[28] anzusehen sind und eine wirksame Begrenzung des Tatbestandes von § 266 StGB auf der Ebene des objektiven Tatbestandes ansetzen muss,[29] bleibt ebenso berechtigt wie die sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre erhobene Forderung nach einer Restriktion des Untreuetatbestands. Weil die vielfach als ausufernd empfundene Anwendung von § 266 StGB auf jeden Fall wirklichen oder auch nur vermeintlichen Missmanagements überdies nicht zuletzt auf einem nicht eindeutig umgrenzten Pflichtenkatalog der potenziellen Täter beruht,[30] scheint es ratsam, verlässliche Voraussetzungen für die Annahme einer Treuepflichtverletzung zu bestimmen und § 266 StGB bereits im objektiven Tatbestand (auch) anhand dieses Merkmals zu begrenzen. Und insoweit ist die Überdehnung des Untreuetatbestandes keineswegs ein Scheinproblem. Nur beispielhaft sei auf die formelhafte und zu Recht erheblicher Kritik ausgesetzte Wendung der Rechtsprechung verwiesen, ein Risiko werde dann unzulässigerweise
eingegangen, wenn "die Gefahr eines Verlustes wahrscheinlicher ist als die Aussicht auf Gewinn".[31]
In den vorliegend angesprochenen Fällen hätte eine Betrachtung der Pflichtverletzung nicht zu anderen Ergebnissen geführt. Grundsätzlich verspricht eine Begrenzung der Untreuestrafbarkeit über das Merkmal der Pflichtwidrigkeit jedoch schlüssigere Ergebnisse und ein höheres Maß an Rechtssicherheit, zumal anhand der Kriterien einer unterdessen in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Business Judgment Rule[32] risikobehaftete Entscheidungen auch jenseits des sachlichen Anwendungsbereiches des AktG auf Plausibilität und objektive Nachvollziehbarkeit geprüft werden können.[33] In seinen Entscheidungen zur Untreue durch Kreditvergabe hat der BGH bereits erste Schritte auf einem an Plausibilitätskriterien ausgerichteten Weg unternommen und zu Recht die sorgfältige Abwägung von Chancen und Risiken in den Mittelpunkt der Bewertung gestellt.[34] Als inhatlich vertretbar und damit nicht pflichtwidrig im Sinne von § 266 StGB können hiernach Entscheidungen gelten, die auf sorgfältig ermittelter Informationsgrundlage und frei von Interessenskonflikten oder sachfremden Erwägungen getroffen werden. Anhaltspunkte hierfür können sich aus dem Entscheidungsverfahren, insbesondere aus der Einhaltung von Regelungen zur Zuständigkeit der Entscheidungsträger und der Mitwirkung von Aufsichtsorganen sowie aus der Transparenz eines Entscheidungsvorgangs ergeben. Auch wenn hier noch keineswegs von gesicherten Kriterien für eine Unterscheidung zwischen straflosen und strafbaren Vermögensgefährdungen gesprochen werden kann und auch die Eignung der den Entscheidungen des BGH zur Untreue durch Kreditvergabe gewählten Kriterien nicht unumstritten ist,[35] deutet sich zumindest eine Möglichkeit an, die aus einer Begrenzung anhand des subjektiven Tatbestandes und einer Orientierung am Nachteilsbegriff resultierenden Verzerrungen und Unwägbarkeiten, die mit einer Anwendung von § 266 StGB insbesondere auf unternehmerisches Handeln nach wie vor verbunden sind, reduzieren zu können und den Umfang der gerichtlichen Überprüfung unternehmerischen Handelns zu begrenzen.
* Der Verfasser ist Rechtsanwalt bei Clifford Chance, Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Solicitors in Frankfurt am Main.
[2] Hillenkamp NStZ 1981, 161, 165; vgl. auch Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 7ff.
[3] Vgl. Ransiek ZStW 2004, 634; Fischer, StGB, 55. Aufl. (2008), § 266 Rn 62; Dierlamm, in: Münchner Kommentar zum StGB, Band 4 (2006), § 266 Rn 200; Thomas, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen (2006), § 17 Rn. 83; BGH 1 StR 571/04, Urteil vom 22. November 2005 = HRRS 2006 Nr. 45.
[4] Vgl. Fischer, StGB, § 266 Rn. 42: "Eine Frage der Pflichtwidrigkeit, nicht erst des Vermögensnachteils durch Gefährdung ist die Beurteilung rechtsgeschäftlichen Handelns, das für den Treugeber das Risiko eines Vermögensverlustes beinhaltet".
[5] HRRS 2006 Nr. 45; Taschke, in: Festschrift für Lüderssen (2002), S. 127, 128; Krause StV 2006, 307; differenzierend: Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Band 7, 11. Aufl. (2005), § 266 Rn. 94; Schünemann NStZ 2005 473, 475; Große Vorholt, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. (2007), Rn. 378 m.w.N. aus der Rechtsprechung.
[6] Nach Ansicht von Schünemann, Organuntreue. Das Mannesmann-Verfahren als Exempel? (2004), S. 34, liegt bei den Risikogeschäften das "Hauptproblem" beim Vermögensschaden.
[7] BGH 1 StR 488/07 - 20. März 2008 = HRRS 2008 Nr. 522 Rn. 12; zur Untreue bei Schneeballsystemen vgl. auch BGH 3 StR 493/07 - Beschluss vom 1. April 2008 = HRRS 2008 Nr. 649 .
[8] Saliger ZStW 2000, 563, 569 spricht von einer möglichen "Verschleifung" der Tatbestandsmerkmale von § 266 StGB; Ransiek ZStW 2004, 634 ,647.
[9] BGHSt 15, 342, 343 f.; Fischer, StGB, § 266 Rn 59; Lackner/Kühl, StGB, 26 Aufl. (2007), § 266 Rn 17; Schünemann, a.a.O. (Fn. 4), Rn 132; Dierlamm, a.a.O. (Fn. 2), Rn 177.
[10] Fischer, StGB, § 266 Rn 73a; Dierlamm, a.a.O. (Fn. 2), Rn 184; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 266 Rn 42.
[11] HRRS 2008 Nr. 522 Rn. 13.
[12] BGHSt 51, 100 = HRRS 2007 Nr. 2.
[13] BGH NJW 2007, 1760, 1766 = HRRS 2008 Nr. 522.
[14] BGH NJW 2007, 1760, 1766.
[15] BGH NJW 2007, 1760, 1766.
[16] Ransiek, ZStW 2004, 634, 640; Matt/Saliger, Straflosigkeit der versuchten Untreue - Über die Richtigkeit dieser Entscheidung des Gesetzgebers und dogmatische Konsequenzen, in: Irrwege der Strafgesetzgebung (1999), S. 217, 219; Dierlamm, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 186.
[17] HRRS 2008 Nr. 522 Rn. 18.
[18] BGH 2 StR 469/06 - 25. Mai 2007 = HRRS 2007 Nr. 663 Rn. 13.
[19] HRRS 2007 Nr. 663 Rn. 9.
[20] HRRS 2007 Nr. 663 Rn. 13.
[21] HRRS 2007 Nr. 663 Rn. 13.
[22] HRRS 2008 Nr. 522 Rn. 19; bereits zuvor BGHSt 46, 30, 47; 47, 148, 156.
[23] BGHSt 44, 376, 384; Fischer, StGB, § 266 Rn. 61 ff.; Dierlamm, a.a.O. (Fn. 2), Rn 186; Lenckner/Perron, a.a.O. (Fn. 9), Rn 45; OLG Hamm wistra 1999, 350, 353.
[24] Vgl. Ransiek, ZStW 2004, 634, 667, 669; ähnlich Lenckner JZ 1971, 320, 322; Waßmer, a.a.O. (Fn. 1), S. 131.
[25] Ransiek ZStW 2004, 634, 670.
[26] Vgl. Lenckner/Perron, a.a.O. (Fn. 9), Rn 45.
[27] HRRS 2008 Nr. 522 Rn. 18.
[28] Hillenkamp NStZ 1981, 161, 163.
[29] Hillenkamp NStZ 1981, 161, 163; Waßmer, a.a.O. (Fn. 1), S. 159.
[30] Zur Bedeutung der Vermögensbetreuungspflicht für die Begrenzung von § 266 StGB vgl. zuletzt BGH 3 StR 493/07, Beschluss v. 1. April 2008 = HRRS 2008 Nr. 649.
[31] BGH NJW 1975, 1234.
[32] Zu Hintergründen und Elementen der Business Judgment Rule im US-amerikanischen Recht vgl. Buxbaum, The Duty of Care and the Business Judgment Rule in American Law - Recent Developments and Current Problems, in: Kreutzer (Hrsg.), Die Haftung der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften (1991), S. 79 ff.
[33] Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Dieser Grundgedanke eines Geschäftsleiterermessens gilt nach der Gesetzesbegründung des UMAG auch nicht nur für die AG, sondern gilt auch ohne positivrechtliche Regelung für alle Bereiche unternehmerischen Handelns; vgl. auch Große Vorholt, a.a.O. (Fn.4), Rn. 393ff.
[34] BGHSt 46, 30; 47, 148.
[35] Vgl. etwa die weiteren Vorschläge von Gallandi wistra 2001, 281, 284.