HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 823
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 560/24, Beschluss v. 06.02.2025, HRRS 2025 Nr. 823
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 26. April 2024, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass er des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung sowie der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig ist,
b) aufgehoben in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II.3 und 4 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe, jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit Erpressung (Fall II.4 der Urteilsgründe), wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung (Fall II.2 der Urteilsgründe) und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung (Fall II.3 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts versagen, führt die auf die Sachrüge veranlasste rechtliche Nachprüfung zur Änderung des Konkurrenzverhältnisses und Aufhebung des Ausspruchs über die verhängten Einzelstrafen in den Fällen II.3 und 4 der Urteilsgründe sowie der Gesamtfreiheitsstrafe.
1. Die Annahme realkonkurrierender Taten in den Fällen II.3 und 4 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen erfuhren der Angeklagte und die drei nicht revidierenden Mitangeklagten, dass sich der Zeuge B., der dem Angeklagten 60 Euro schuldete, in der Wohnung der Zeugin G. aufhielt. Die Angeklagten drangen in die Wohnung ein. B. sah sich außerstande, der Überzahl etwas entgegenzusetzen und duldete deswegen und aus Angst vor „Repressalien“, dass der Angeklagte seinen Rucksack nach Methamphetamin durchsuchte. Nun verlangte der Angeklagte von B. die Zahlung der 60 Euro. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, klemmte der Angeklagte dessen rechten Zeigefinger mit einer Metallzange ein und versengte mit einem Feuerzeug Haare an dessen Oberarm, wodurch jener Schmerzen erlitt (Fall II.3 der Urteilsgründe).
Anschließend fuhren die vier Angeklagten mit B. zur Wohnung der nicht revidierenden D. B. wollte das zwar nicht, sah aber angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Der Angeklagte verlangte erneut die Zahlung von 60 Euro und drohte, dass B. andernfalls das ihm zuvor abgenommene Mobiltelefon und seine Freiheit nicht wiedererlangen würde. Da B. kein Geld hatte, wollte der Angeklagte erreichen, dass Familienangehörige aus Sorge um B. s Wohlergehen zahlen würden. Er zwang B. dazu, dessen Bruder anzurufen und mitzuteilen, dass er festgehalten werde und „freigekauft“ werden müsse. Der Angeklagte wusste, dass er jedenfalls gegen Familienangehörige B. s keinen Anspruch auf Zahlung hatte. Am vereinbarten Treffpunkt sah der Bruder die Verletzungen B. s und zahlte das Geld an den Angeklagten (Fall II.4 der Urteilsgründe).
b) Die Annahme, der Angeklagte habe sich der Nötigung und der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung einerseits (Fall II.3 der Urteilsgründe) sowie des erpresserischen Menschenraubs der tateinheitlich begangenen räuberischen Erpressung andererseits (Fall II.4 der Urteilsgründe) schuldig gemacht, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Es liegt nicht Tatmehrheit, sondern Tateinheit vor.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift dazu ausgeführt:
„Auf der Grundlage (der) Feststellungen besteht zwischen den Geschehnissen in der Wohnung der Zeugin G. und jenen in der Wohnung der Mitangeklagten D. eine rechtliche Bewertungseinheit in Form der sukzessiven Tatbestandserfüllung. Denn der zweite Tätigkeitsakt erweist sich als unmittelbare Weiterführung des zuvor begonnenen Angriffs auf die Willensfreiheit und das Vermögen des Geschädigten, wobei beide Teilakte der Erreichung eines einheitlichen Erfolges, nämlich der Rückzahlung von Schulden aus demselben Betäubungsmittelgeschäft dienten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2000 - 3 StR 551/99, Rn. 6; Beschluss vom 22. November 2011 - 4 StR 480/11, Rn. 5). Die räumliche Trennung steht der Annahme einer Bewertungseinheit dabei ebenso wenig entgegen wie das zeitliche Intervall zwischen den Einzelakten und der Wechsel des Angriffsmittels (vgl. Senat, Beschluss vom 25. März 2020 - 6 StR 11/20, Rn. 9).“
Dem schließt sich der Senat an und ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO; die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der für die Fälle II.3 und 4 der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafen und entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO) und können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
3. Das neue Tatgericht wird bei der Strafzumessung den geänderten Schuldgehalt der einheitlichen Tat in den Blick zu nehmen haben. Werden vom ersten Tatgericht als rechtlich selbstständig erachtete Taten durch das Revisionsgericht zur Tateinheit verbunden, ist der Unrechtsgehalt dieser einen Tat gegenüber den bisher getrennt behandelten Einzelakten erhöht. Das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO gebietet dann nur, dass die Summe der bisherigen Einzelfreiheitsstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2022 - 2 StR 319/21); überdies darf sie nicht höher ausfallen als die bisher verhängte Gesamtstrafe. Das neue Tatgericht wird ferner Gelegenheit haben, nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB den Anrechnungsmaßstab für die in Spanien erlittene Auslieferungshaft zu bestimmen.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 823
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede