HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 504
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 37/24, Beschluss v. 20.02.2024, HRRS 2024 Nr. 504
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. November 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte und der 18-jährige Geschädigte waren Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft. Sie befanden sich am Tattag im Zimmer des Geschädigten. Der Angeklagte forderte den Geschädigten unter dem Vorwand auf, er sei Arzt und wolle sich dessen schmerzende Beine ansehen, sich auf das Bett zu legen und die Hose auszuziehen. Da sich der Geschädigte weigerte, drohte der Angeklagte, ihn zu würgen und forderte ihn auf, still zu sein. Aus Angst zog sich der Geschädigte die Hose bis zu den Knien herunter. Der Angeklagte manipulierte an dessen Penis, bis dieser erigiert war, führte diesen in seinen Anus ein und bewegte sich hin und her, bis der Geschädigte in ihm ejakulierte. Als der Angeklagte nun am Geschädigten den Analverkehr vollziehen wollte, gelang jenem die Flucht aus dem Zimmer.
2. Die landgerichtliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) hält auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2015 - 5 StR 79/15; Beschlüsse vom 2. November 2022 - 6 StR 281/22; vom 22. August 2023 - 6 StR 285/23 mwN) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
In Fällen, in denen - wie hier - „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in einer Gesamtschau gewürdigt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. November 2022 - 6 StR 281/22; vom 22. August 2023 - 6 StR 285/23 mwN). Ein wesentliches Element der Aussageanalyse ist die Prüfung der Aussagekonstanz (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 101, 121 mwN). Dazu bedarf es zunächst einer geschlossenen - wenn auch gerafften - Darstellung der Angaben des Belastungszeugen in den Urteilsgründen. Daran hat sich die Prüfung auf Übereinstimmungen, Widersprüche, Ergänzungen und Auslassungen anzuschließen. Erst auf Grundlage dessen ist es dem Revisionsgericht möglich zu prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts den bei dieser Beweislage geltenden besonderen Anforderungen an die Beweiswürdigung entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14; Beschlüsse vom 20. Dezember 2017 - 1 StR 408/17; vom 28. April 2022 - 4 StR 299/21).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar die Notwendigkeit einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussage des Geschädigten angesprochen. Die nachfolgende Darstellung ist indes lückenhaft. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten und deren Würdigung sowie die Schilderung der Angaben von zwei in der Unterkunft beruflich tätigen Zeugen zu den Bekundungen des Geschädigten ihnen gegenüber. Den Urteilsgründen lässt sich dagegen nicht entnehmen, wann und wie die Tatvorwürfe Eingang in das Ermittlungsverfahren gefunden haben. Darüber hinaus fehlen Angaben dazu, ob und gegebenenfalls wie sich der Geschädigte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden geäußert hat. Auf Grundlage dessen ist die Annahme des Landgerichts, die aussageübergreifende Konstanz spreche für die Glaubhaftigkeit der Angaben, nicht überprüfbar.
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierfür weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Darstellung der Ergebnisse der DNA-Analyse genügt nicht den vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2018 - 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187; vom 29. Juli 2020 - 6 StR 211/20). Sie beschränkt sich auf die Mitteilung, dass DNA des Geschädigten am und im After des Angeklagten sowie dessen DNA am Penis des Geschädigten gefunden worden seien. Sie enthält weder Angaben zur Art der untersuchten Spuren noch zur biostatistischen Wahrscheinlichkeit in numerischer Form.
b) Die Erwägung, es habe sich um die „lebensprägende erste sexuelle Erfahrung des Geschädigten“ gehandelt, dürfte nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn der Angeklagten dies hätte erkennen können.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 504
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede