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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1029

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 75/23, Beschluss v. 27.06.2023, HRRS 2023 Nr. 1029


BGH 6 StR 75/23 - Beschluss vom 27. Juni 2023 (LG Stendal)

Höchstdauer einer Unterbrechung (Konzentrationsmaxime; Verhandeln zur Sache: Ablehnung eines Richters, Besorgnis der Befangenheit: Verkündung des Beschlusses in der Hauptverhandlung).

§ 229 StPO; § 24 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Es ist anerkannt, dass die Erörterung eines Ablehnungsgesuchs eine fristwahrende Verhandlung zur Sache im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO darstellt. Nichts anderes gilt, wenn der den Befangenheitsantrag zurückweisende und bereits zuvor gefasste Beschluss in der Hauptverhandlung verkündet wird. Bereits dadurch wird das Verfahren gefördert, denn es kann unbeschadet der Regelungen in § 29 Abs. 2 und 3 StPO nur nach einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch dauerhaft fortgesetzt und beendet werden.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stendal vom 5. Oktober 2022 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

a) Die Rüge, es liege ein Verstoß gegen § 229 StPO vor, weil die Strafkammer im Termin vom 25. Juli 2022 nicht zur Sache verhandelt habe, ist zwar zulässig erhoben, dringt aber nicht durch.

aa) Die Strafkammer hat an diesem Verhandlungstag, dem derjenige vom 4. Juli 2022 vorausgegangen war und derjenige vom 10. August 2022 folgte, die am 7. Juli 2022 ergangene Entscheidung über das am 4. Juli 2022 gegen die gesamte Strafkammer erhobene Ablehnungsgesuch verkündet sowie einen Pflichtverteidiger bestellt.

bb) Dieser Termin hat die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO gewahrt, weil in ihm zur Sache verhandelt worden ist. Es ist anerkannt, dass die Erörterung eines Ablehnungsgesuchs eine fristwahrende Verhandlung zur Sache im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO darstellt (vgl. - allerdings nicht tragend - BGH, Urteil vom 7. November 1978 - 1 StR 470/78; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 229 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 229 Rn. 11a; SK-StPO/Deiters/Albrecht, 5. Aufl., § 229 Rn. 4; Deutscher, StRR 2012, 44, 48; Michel, ZFS 2000, 373; aA KK-StPO/Gmel/Peterson, 9. Aufl., § 229 Rn. 7; Knauer/Wolf, NJW 2004, 2932, 2934). Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - der den Befangenheitsantrag zurückweisende und bereits zuvor gefasste Beschluss in der Hauptverhandlung verkündet wird. Bereits dadurch wird das Verfahren gefördert (vgl. für Feststellungen zur Verhandlungsfähigkeit BGH, Urteile vom 14. März 1990 - 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1; vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754), denn es kann unbeschadet der Regelungen in § 29 Abs. 2 und 3 StPO nur nach einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch dauerhaft fortgesetzt und beendet werden.

Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch keiner Verkündung in der Hauptverhandlung bedurft hätte, sie vielmehr nach § 35 Abs. 2 StPO auch durch eine formlose schriftliche Mitteilung hätte bekanntgemacht werden können. Solange das Verfahren tatsächlich gefördert und der Sitzungstag nicht von vornherein als sogenannter Schiebetermin konzipiert worden ist, bleibt ohne Bedeutung, ob das Verfahren auch anders hätte gefördert werden können und ob weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären (vgl. BGH, Urteile vom 18. März 1998 - 2 StR 675/97, NStZ-RR 1998, 335; vom 15. Juli 1998 - 1 StR 234/98, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 4; vom 3. August 2006 - 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077; Beschluss vom 13. Dezember 2022 - 6 StR 95/22 Rn. 28).

b) Die Rüge, mit der die fehlerhafte Ablehnung des Beweisantrages vom 20. September 2022 beanstandet wird, ist bereits unzulässig.

aa) Offen bleiben kann die Frage, ob es sich bei dem abgelehnten Antrag überhaupt um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO handelt. Jedenfalls fehlt es an einem vollständigen Vortrag der rügebegründenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Wird die Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO gerügt, dann muss die Revision diejenigen Tatsachen vortragen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses ergeben soll. Bei einer Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit gehören dazu auch solche, aus denen die geltend gemachte Erheblichkeit der Beweisbehauptung folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2000 - 1 StR 605/99; vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 307/03; LR-StPO/Becker, aaO, § 244 Rn. 373; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl., § 244 Rn. 404; Sander, NStZ-RR 2004, 1, 2; Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl., S. 440).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht.

Ausweislich der Revisionsbegründung handelt es sich bei den vermeintlich fehlerhaften Geo-Daten um solche der Applikation „GoogleMaps“ sowie der Kategorie „Mobilfunk-Mast/Cell Tower“. Gleichwohl legt der Beschwerdeführer keine Daten dieser Kategorie und auszugsweise „zur Veranschaulichung“ nur 73 der insgesamt 13.144 der Kategorie „Gps Fixs“ zuzuordnende Geodaten vor, obwohl der in Augenschein genommene Inhalt des Datenträgers insgesamt 23.056 mittels des Programms „Cellebrite Reader“ darstellbare Geodaten umfasst, von denen 4.952 der Kategorie „CellTowers“ zugeordnet werden können. Es wird zudem weder behauptet, dass die 73 vorgelegten Daten sogenannte Anomalien aufweisen, noch sind solche ersichtlich.

Wegen dieser Lücken im Tatsachenvortrag kann der Senat die Beweiserheblichkeit der Behauptung nicht prüfen.

c) Auch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist ungeachtet der Frage, ob sie eine bestimmte Beweisbehauptung enthält (vgl. zu den Begründungsanforderungen BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 - 3 StR 605/17), schon unzulässig, weil nicht vorgetragen wird, woraus sich Anhaltspunkte für die Notwendigkeit und Möglichkeit weiterer Aufklärungen hätten ergeben sollen.

2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Überprüfung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1029

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede