HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 71
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 409/21, Beschluss v. 01.12.2021, HRRS 2022 Nr. 71
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 6. Mai 2021
a) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist;
b) im Einziehungsausspruch, auch soweit dieser die Aufrechterhaltung der mit Urteil des Amtsgerichts Schönebeck vom 10. Februar 2021 angeordneten Einziehung betrifft, dahin geändert, dass gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 999,96 Euro angeordnet wird, wobei sie in Höhe von 599,96 Euro als Gesamtschuldnerin haftet;
c) im Adhäsionsausspruch dahin geändert, dass die Angeklagte dem Adhäsionskläger T. Zinsen ab dem 22. April 2021 und dem Adhäsionskläger J. Zinsen ab dem 27. April 2021 zu zahlen hat.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, Diebstahls in zwei Fällen und versuchten Diebstahls unter Einbeziehung einer anderweitig erkannten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und Einziehungs- sowie Adhäsionsentscheidungen getroffen. Ihre auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Die Kammer hat nicht erörtert, ob die gegen die Angeklagte durch das Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 22. Oktober 2020, rechtskräftig seit dem 12. November 2020, verhängte Geldstrafe zum Zeitpunkt des vorliegenden Urteils bereits erledigt war (UA S. 14). Wäre dies nicht der Fall, würde das amtsgerichtliche Urteil eine Zäsurwirkung entfalten mit der Folge, dass aus dieser Vorverurteilung und der Einzelfreiheitsstrafe bezüglich der Tat vom 25. September 2020 (Ziffer II.5, UA S. 20 f.) eine gesonderte Gesamtstrafe zu bilden gewesen wäre. Wäre dagegen die Geldstrafe bereits vollständig vollstreckt, würde das Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 22. Oktober 2020 keine Zäsurwirkung mehr entfalten und käme für eine Gesamtstrafenbildung hier nicht mehr in Betracht. Aufgrund dieses Erörterungsmangels kann die Gesamtstrafenbildung keinen Bestand haben (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. September 2001 - 1 StR 398/11, juris Rn. 4).“ Dem verschließt sich der Senat letztlich nicht, weil eine Benachteiligung der Angeklagten durch die rechtsfehlerhafte Gesamtstrafenbildung nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO zu entscheiden. Mit der abschließenden Sachentscheidung ist auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2004 - 4 StR 426/04).
2. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht zu deren Begründung angeführt, die Unterbringung könne „jedenfalls nicht als von vornherein aussichtslos eingeschätzt werden“ (UA S. 57). Damit hat es einen rechtlichen Maßstab angewendet, der der vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 für verfassungswidrig erklärten Vorschrift des § 64 Abs. 2 StGB aF zugrunde lag (BVerfGE 91, 1). Der Senat kann jedoch angesichts der im angefochtenen Urteil genannten Umstände (unter anderem: Therapiemotivation der bislang noch nicht therapierten Angeklagten) ausschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung der in § 64 Satz 2 StGB enthaltenen Voraussetzung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Heilbehandlung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
3. Die Entscheidung des Landgerichts, die im Urteil des Amtsgerichts Schönebeck vom 11. Februar 2021 angeordnete Einziehung des Wertes „des Taterlangten“ (richtig: von Taterträgen) in Höhe von 400 Euro aufrecht zu erhalten, steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einbeziehung früherer Entscheidungen gemäß § 55 Abs. 2 StGB nicht in Einklang (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2019 - 4 StR 449/19 Rn. 12; vom 1. August 2019 - 4 StR 477/18 Rn. 17). Die frühere Einziehungsentscheidung ist vielmehr in das neue Urteil einzubeziehen, indem die Beträge aus der früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung zusammengezählt werden. Der Senat setzt daher den sich aus der rechtskräftigen Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts Schönebeck ergebenden Betrag und denjenigen von 599,96 Euro aus Tat II.5 in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf einen einheitlichen Einziehungsbetrag von 999,96 Euro fest, für den die Angeklagte in Höhe von 599,96 Euro als Gesamtschuldnerin haftet.
4. Die Adhäsionsentscheidung bedarf insoweit der Änderung, als Prozesszinsen erst ab dem auf die Anhängigkeit folgenden Tag zu zahlen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juni 2019 - 2 StR 190/19 Rn. 2; vom 5. Dezember 2018 - 4 StR 292/18 Rn. 2).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 71
Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi