HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 816
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 68/24, Urteil v. 23.05.2024, HRRS 2024 Nr. 816
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. Juli 2023, soweit es die Angeklagten K., Kr. und Ö. betrifft, in den Aussprüchen über die Gesamtstrafen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: den Angeklagten K. unter Freisprechung im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer Einzelstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Norderstedt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und wegen weiterer fünf Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren; den Angeklagten Kr. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten; den Angeklagten Ö. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre - insoweit vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revisionen auf die Gesamtstrafenaussprüche beschränkt. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligten sich die Angeklagten in den Jahren 2020 bis 2022 an verschiedenen Drogengeschäften.
1. Der Angeklagte K. führte im Zeitraum vom 3. April 2020 bis zum 20. Dezember 2022 in acht Fällen Geschäfte mit Marihuana und Kokain durch, wobei er in vier Fällen Marihuana aus dem Drogenvorrat des Angeklagten Ö. und des Mitangeklagten C. ankaufte und an seine Kunden weiterverkaufte.
Die Strafkammer hat hierfür zunächst drei Einzelstrafen von zweimal einem Jahr und vier Monaten und einmal einem Jahr und drei Monaten verhängt und unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr aus einem zäsurbildenden Urteil des Amtsgerichts Norderstedt eine erste Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten gebildet. Aus weiteren Einzelstrafen von zweimal einem Jahr und zehn Monaten, zwei Jahren und fünf Monaten, zwei Jahren und sechs Monaten und der Einsatzstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten hat es auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren erkannt.
Zur Bildung dieser Gesamtfreiheitsstrafen hat die Strafkammer ausgeführt, dabei habe sie erneut umfassend alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände abgewogen. Innerhalb der jeweiligen Gesamtfreiheitsstrafen habe sie die sehr engen kriminologischen und motivatorischen Zusammenhänge, auch bezüglich der einbezogenen Strafe, gesehen und den in Bezug auf die erste Gesamtfreiheitsstrafe hinsichtlich der Fälle 1, 2 und 3 engen und in Bezug auf die zweite Gesamtfreiheitsstrafe eher losen zeitlichen sowie den betreffend beide Gesamtstrafen recht engen situativen Zusammenhang berücksichtigt. Insbesondere habe sie auch das durch Bildung zweier Gesamtfreiheitsstrafen zu gegenwärtigende Gesamtstrafübel berücksichtigt.
2. Der Angeklagte Kr. hatte nach den Feststellungen zwischen dem 21. November 2021 und dem 20. Dezember 2022 in sieben Fällen Umgang mit Drogen, wobei er in fünf Fällen selbst Geschäfte vereinbarte oder hierüber verhandelte und in zwei Fällen andere Personen bei der Durchführung solcher Geschäfte unterstützte.
Bei diesem Angeklagten hat die Strafkammer aus Einzelfreiheitsstrafen von sieben Monaten, einem Jahr und drei Monaten, einem Jahr und vier Monaten, einem Jahr und fünf Monaten, einem Jahr und acht Monaten, zwei Jahren und der Einsatzstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten gebildet. Dies hat das Landgericht unter Verweis auf die erneute umfassende Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände begründet und dabei zudem „den sehr engen kriminologischen und eher losen zeitlichen, situativen und motivatorischen Zusammenhang berücksichtigt“.
3. Der Angeklagte Ö. handelte zwischen dem 25. August 2022 und dem 11. November 2022 in sechs verschiedenen Fällen mit Cannabisprodukten und Kokain, zumeist alleine, teilweise auch mit anderen Personen gemeinsam. Bei ihm hat die Strafkammer aus Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten, zwei Jahren und acht Monaten, zwei Jahren und neun Monaten, zwei Jahren und zehn Monaten, drei Jahren und drei Monaten und der Einsatzstrafe von vier Jahren und sechs Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gebildet. Auch bei diesem Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt, es habe erneut umfassend alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände abgewogen und dabei zudem „den sehr engen kriminologischen und den recht engen zeitlichen, situativen und motivatorischen Zusammenhang berücksichtigt“.
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
1. Sie sind im Laufe des Revisionsverfahrens mit Schreiben vom 21. Februar 2024 wirksam auf die jeweiligen Gesamtstrafenaussprüche beschränkt worden. Eine solche Beschränkung ist grundsätzlich statthaft, weil es sich bei der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB um einen eigenen Strafzumessungsakt handelt; auch mögliche Fehler bei der Festsetzung der Einzelstrafen stehen der Wirksamkeit nicht entgegen (vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2012 - 2 StR 16/12, NStZ-RR 2012, 288; vom 13. November 1997 - 4 StR 432/97, BGHR StPO § 318 Strafausspruch 2).
Der Bundesgerichtshof hat zwar verschiedentlich eine solche Revisionsbeschränkung als unwirksam erachtet, wenn bei der Begründung der Gesamtstrafe zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zur Festsetzung der Einzelstrafen niedergelegten Erwägungen Bezug genommen worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 8. September 1999 - 3 StR 285/99, NStZ-RR 2000, 13; vom 28. Februar 2013 - 4 StR 537/12, NStZ-RR 2013, 373; vom 2. März 2023 - 4 StR 298/22). Eine solche ausdrückliche Bezugnahme lässt sich der Formulierung des Landgerichts, es habe bei der Gesamtstrafenbildung „erneut“ alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände abgewogen, nicht entnehmen, auch wenn es viele schuldrelevante Aspekte lediglich bei der Bemessung der Einzelstrafen hervorgehoben hat. Der Senat sähe zudem darin keinen tragfähigen Grund, einer grundsätzlich möglichen Rechtsmittelbeschränkung die Wirksamkeit abzusprechen.
Die Bezugnahme auf frühere Ausführungen dient der gebotenen Straffung der Urteilsgründe. Hierdurch werden die an früherer Stelle des Urteils genannten Erwägungen in die an späterer Stelle vorzunehmende Würdigung inkorporiert. Dies steht der wörtlichen Wiederholung des bereits an anderer Stelle Ausgeführten gleich. Eine Beschränkung der Anfechtung im Rahmen des Rechtsmittelangriffs ist stets zulässig und als solche wirksam, wenn Gegenstand der Anfechtung ein solcher Teil der Entscheidung ist, der losgelöst und getrennt von dem nicht angefochtenen Teil des Urteils eine in sich selbständige Prüfung und Beurteilung zulässt (grundlegend BGH, Urteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100, „Trennbarkeitsformel“). Weshalb es für die rechtliche Beurteilung der Trennbarkeit des angefochtenen Urteilsteils von dem nicht angefochtenen Teil einen Unterschied machen soll, ob bestimmte Erwägungen wörtlich wiederholt oder durch Bezugnahme inkorporiert werden, erschließt sich nicht. Anders verhält es sich lediglich, wenn das Gericht über den gesetzlichen Zusammenhang zwischen Einzel- und Gesamtstrafen hinaus (vgl. § 54 Abs. 1 und 2 StGB) selbst eine besondere Verschränkung beider Strafen vornimmt, es etwa im Rahmen einer Verständigung zu einer besonderen Wechselwirkung zwischen Einzelstrafen und Gesamtstrafen kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2013 - 4 StR 537/12, NStZ-RR 2013, 373).
2. Infolge der wirksamen Revisionsbeschränkungen der Staatsanwaltschaft auf die jeweiligen Gesamtstrafenaussprüche unterliegen die Schuldsprüche und Einzelstrafen nicht der Überprüfung des Revisionsgerichts, weder auf Rechtsfehler zu Gunsten noch auf solche zu Lasten (§ 301 StPO) der Angeklagten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch die Rechtsänderungen infolge Inkrafttretens des Cannabisgesetzes zum 1. April 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 109). Lediglich wenn bei Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch auch die Einzelstrafen angefochten sind, hat die Berücksichtigung milderen Rechts (§ 2 Abs. 3 StGB) Auswirkungen auf den eigentlich nicht angefochtenen Schuldspruch, damit klar zum Ausdruck kommt, auf welche Gesetze sich der Strafausspruch jetzt gründet (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24; Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 35/64, BGHSt 20, 116, 121). Anders verhält es sich bei einer Beschränkung des Rechtsmittels auf die Gesamtstrafenbildung. Wird lediglich - wie hier - durch nachträgliche Rechtsänderung die Strafdrohung milder, verbleibt es bei dem Grundsatz, dass rechtskräftige Einzelstrafen ihre Eigenständigkeit behalten, auch wenn eine neue Gesamtstrafe zu bilden ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1977 - 1 StR 390/77); ein Eingreifen nach § 354a StPO ist dann nicht veranlasst (vgl. OLG Stuttgart NJW 1970, 820; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 354a Rn. 5).
Der Bundesgerichtshof hat zwar die Aufhebung einer rechtskräftig verhängten Strafe unter Neufassung des Schuldspruchs gemäß § 354a StPO auch dann für geboten erachtet, wenn der Rechtsmittelangriff lediglich die Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung betraf und Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig waren (BGH, Urteil vom 24. September 1974 - 1 StR 365/74, BGHSt 26, 1; vgl. auch KG, NStZ-RR 2004, 286). Dies hat er aber mit der in diesem Fall anzuwendenden Ausnahmevorschrift des Art. 313 Abs. 1 und 3 EGStGB begründet. Anders verhält es sich hier. Das abgeurteilte Verhalten der Angeklagten ist - soweit es den Umgang mit Cannabis betrifft - nach wie vor strafbar (vgl. § 34 KCanG). In der Übergangsvorschrift des Art. 316p EGStGB wird nur für solche Fälle auf Art. 313 EGStGB verwiesen, die nach dem neuen Recht weder strafbar noch bußgeldbedroht sind.
3. Die Gesamtstrafenbildungen weisen Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten auf.
a) Insoweit gilt (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105 mwN): Die Bemessung der Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 1 StGB ist ein eigenständiger Zumessungsakt, bei dem die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend zu würdigen sind. Dabei sind vor allem das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Besteht zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang, hat die Erhöhung der Einsatzstrafe in der Regel geringer auszufallen. Auch hierbei braucht der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen. Eine Bezugnahme auf die zu den Einzelstrafen gemachten Ausführungen ist grundsätzlich zulässig. Einer eingehenderen Begründung bedarf es hingegen, wenn die Einsatzstrafe nur geringfügig überschritten oder die Summe der Einzelstrafen nahezu erreicht wird.
b) Diesen Maßstäben werden die Gesamtstrafenbildungen nicht gerecht.
Bei allen drei Angeklagten ist die Einsatzstrafe trotz einer Vielzahl hoher einzubeziehender Einzelstrafen nur sehr geringfügig erhöht worden, beim Angeklagten K. einmal um zwei Monate und einmal um fünf Monate, beim Angeklagten Kr. um vier Monate, und beim Angeklagten Ö. um neun Monate. Dies hätte angesichts der Anzahl und Höhe der einbezogenen Strafen einer ausführlicheren Begründung bedurft, als sie das Landgericht vorgenommen hat.
Beim Angeklagten K. hat es zudem zutreffend eingestellt, dass ein eher loser zeitlicher Zusammenhang in Bezug auf die zweite Gesamtfreiheitsstrafe bestehe, beim Angeklagten Kr. insgesamt auf den eher losen zeitlichen, situativen und motivatorischen Zusammenhang verwiesen. Gerade vor diesem Hintergrund wäre es in besonderem Maße erklärungsbedürftig gewesen, weshalb die Einsatzstrafen in diesen Fällen nur geringfügig erhöht wurden. Der bei dem Angeklagten K. bei der Festsetzung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe behauptete sehr enge kriminologische und motivatorische Zusammenhang mit der Straftat, die der einbezogenen Strafe zugrunde liegt (Tatzeit Juli 2019), erschließt sich zudem nicht ohne weiteres.
Soweit das Landgericht den Angeklagten teilweise gewerbsmäßiges Handeln besonders angelastet hat, hätte es - wie der Generalbundesanwalt zutreffend bemerkt - erörtern müssen, ob dies nicht geeignet ist, den bei der Gesamtstrafenbildung mildernd eingestellten engen kriminologischen und motivatorischen Zusammenhang zu relativieren. Gewerbsmäßig handelt, wer sich aus der wiederholten Begehung von Betäubungsmittelstraftaten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2015 - 1 StR 317/15 mwN). Dies beschreibt nichts anderes als einen besonderen motivatorischen Zusammenhang mehrerer auf die Verletzung desselben Rechtsguts abzielender Straftaten. Es ist jedenfalls im vorliegenden Fall erläuterungsbedürftig, weshalb ein in anderem Zusammenhang als Straferschwerungsgrund gewichteter Umstand strafmildernd zu einer derart straffen Zusammenziehung der Einzelstrafen Anlass gab.
4. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese vom Rechtsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
5. Im Anfechtungsumfang sind keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten Ö. ersichtlich (§ 301 StPO). Über die umfassend eingelegten Revisionen der Angeklagten K. und Kr. hat der Senat durch Beschluss entschieden.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 816
Bearbeiter: Christian Becker