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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 809

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 26/24, Beschluss v. 21.05.2024, HRRS 2024 Nr. 809


BGH 5 StR 26/24 - Beschluss vom 21. Mai 2024 (LG Hamburg)

Keine Erwähnung von Aussagen der Jugendgerichtshilfe in der Beweiswürdigung; Ausschöpfungsrüge.

§ 261 StPO; § 344 StPO; § 38 JGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Allein die Nichterwähnung eines erhobenen Beweises (hier: der Aussage der Jugendgerichtshilfe zum Reifegrad des Angeklagten) belegt nicht, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung nicht in die Überzeugungsbildung eingeflossen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob das Gericht alle nach den Umständen des Einzelfalls relevanten Umstände erörtert hat (Klarstellung gegenüber BGH HRRS 2011 Nr. 565).

2. Eine sogenannte Ausschöpfungsrüge verspricht nur Erfolg, wenn in den Urteilsgründen eine Auseinandersetzung mit Beweisergebnissen (hier: dem Bericht der Jugendgerichtshilfe) fehlt, obwohl diese im Hinblick auf die vollständige Erfassung des relevanten Beweisstoffes und die inhaltliche Richtigkeit der Feststellungen geboten war. Ob dies der Fall ist, kann in aller Regel nur beurteilt werden, wenn auch -unter Beachtung des Rekonstruktionsverbots - der Inhalt des nach dem Beschwerdevorbringen zu berücksichtigenden Beweisergebnisses vorgetragen wird.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 1. September 2023 im Schuldspruch ihn betreffend dahin geändert, dass er des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Cannabis in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und von insgesamt mehr als 60 Gramm Cannabis sowie des Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit Besitz von Munition schuldig ist.

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das vorgenannte Urteil in den jeweils sie betreffenden Aussprüchen über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin geändert, dass diese wie folgt angeordnet ist:

- gegen den Angeklagten K. in Höhe von 34.995 Euro, davon in Höhe von 27.795 Euro als Gesamtschuldner;

- gegen die Angeklagte D. in Höhe von 27.795 Euro als Gesamtschuldner;

- gegen die Angeklagte C. in Höhe von 890 Euro als Gesamtschuldner.

Die weitergehenden Einziehungsanordnungen entfallen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:

 den Angeklagten K. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen „vorsätzlichen unerlaubten“ Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit „vorsätzlichem unerlaubten“ Besitz von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten;

- die Angeklagte D. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und

- die Angeklagte C. wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Dagegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte K. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit das Landgericht den Angeklagten K. wegen seines Umgangs mit knapp 260 g Kokain (mehr als 185 g Kokainhydrochlorid) und gut neun Kilogramm Haschisch (mehr als 2,4 kg Tetrahydrocannabinol) tateinheitlich zu dem - allein die Droge Kokain betreffenden - bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat, kann der Schuldspruch teilweise - das Haschisch betreffend - keinen Bestand haben. Denn am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109), was der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen hat; nach der Neuregelung unterfallen das Handeltreiben mit und der Besitz von Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern allein dem - milderen - KCanG (BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - 5 StR 136/24; vgl. insoweit zur nicht geringen Menge und zur Tenorierung BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24).

a) Nach dem vom Landgericht insoweit festgestellten Tatgeschehen lag in der Aufbewahrung der gut neun Kilogramm Haschisch für einen unbekannt gebliebenen Hintermann, dem der Angeklagte K. die Drogen später gegen einen Kurierlohn liefern wollte, der Besitz von insgesamt mehr als 60 Gramm Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB). Dass sich die Tat auf Cannabis in nicht geringer Menge bezog, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), das im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN). Die Regelung des § 265 StPO steht der vom Senat entsprechend § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO vorgenommenen Änderung und Ergänzung des Schuldspruchs nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Der Senat hat bei der Neufassung des Schuldspruchs auch hinsichtlich der Verstöße gegen das Waffengesetz den Zusatz vorsätzlicher und unerlaubter Tatbegehung entfallen lassen. Dies dient der Klarstellung der ansonsten durch die Aufnahme nicht notwendigen Inhalts unübersichtlichen Urteilsformel. Da nach § 15 StGB nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, fahrlässiges hingegen lediglich dann, wenn es ausdrücklich mit Strafe bedroht ist, bedarf der Zusatz vorsätzlicher Begehung keiner Aufnahme in die Urteilsformel. Dass es sich bei Straftaten nach dem Waffengesetz um einen „unerlaubten“ Umgang mit Waffen handelt, versteht sich von selbst, weil das Handeln im Rahmen einer erteilten Erlaubnis die Strafbarkeit aufgrund der gegebenen Verwaltungsakzessorietät der Straftatbestände ausschließt. Das Merkmal „unerlaubt“ bedarf deshalb nicht der Tenorierung (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13 Rn. 35).

b) Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt.

Zwar kann aufgrund der gesetzgeberischen Wertung, die sich mit Blick auf die in § 34 Abs. 3 KCanG gegenüber § 29a Abs. 1 BtMG vorgesehene mildere Strafdrohung ergibt, auch in Fällen, in denen die konkrete Strafe nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB aus dem Strafrahmen einer Vorschrift des Betäubungsmittelgesetzes zuzumessen ist, einer verhängten Strafe die Grundlage entzogen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2024 - 5 StR 115/24). Der Senat kann aber hier ausschließen, dass die Tathandlungen des Angeklagten in Bezug auf Haschisch für das Landgericht bei der Bestimmung des Schuldumfangs und damit bei der Findung der insoweit verhängten Einsatzstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten mitentscheidend waren.

Denn es hat die Strafe zutreffend dem Strafrahmen des - unabhängig von dem Umgang mit Cannabis verwirklichten - § 30a Abs. 1 BtMG entnommen, weil der Angeklagte über den Zeitraum von mehreren Monaten auf zumindest mittlerer Hierarchieebene bandenmäßig mit Kokain in nicht geringer Menge Handel trieb. Die zu verhängende Mindeststrafe betrug mithin fünf Jahre Freiheitsstrafe; dass insoweit ein minder schwerer Fall vorgelegen hätte und die Strafe deshalb aus dem Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG zuzumessen gewesen wäre, hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler ausgeschlossen.

Tateinheitlich dazu verwirklichte der Angeklagte nicht nur den - mittlerweile milder zu bestrafenden - Besitz von Cannabis und die Beihilfe zum Handeltreiben damit, sondern er erfüllte im Hinblick auf die nicht unerhebliche Menge Kokain, die er gleichermaßen dem unbekannten Hintermann überbringen sollte, auch die - von der Gesetzesänderung nicht betroffenen - Tatbestände des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Angesichts dessen kam dem auf den Umgang mit Cannabis entfallenden Schuldumfang ersichtlich keine maßgebliche Bedeutung zu, zumal da die verhängte Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens festgesetzt worden ist.

2. Die Revision des Angeklagten K. zeigt zum Strafausspruch auch im Übrigen Rechtsfehler nicht auf. Insbesondere begegnet die Anwendung allgemeinen Strafrechts auf den zu Beginn der Tatzeit 20 Jahre und 3 Monate alten Angeklagten keinen Bedenken.

a) Die insoweit erhobene Rüge einer Verletzung des § 261 StPO, das Urteil habe sich nicht mit dem Bericht der Jugendgerichtshilfe auseinandergesetzt, hat keinen Erfolg; sie erweist sich als unzulässig.

Die Verfahrensbeanstandung stellt sich als eine sogenannte Ausschöpfungsrüge dar (vgl. dazu etwa LR/Sander, StPO, 27. Aufl., § 261 Rn. 261 ff.; für eine Aufklärungsrüge hingegen OLG Celle, Beschluss vom 28. Mai 2021 - 2 Ss 38/21, ZJJ 2021, 384; OLG Hamm, Beschluss vom 25. November 2004 - 2 Ss 413/04 Rn.15). Eine solche verspricht nur Erfolg, wenn in den Urteilsgründen eine Auseinandersetzung mit Beweisergebnissen fehlt, obwohl diese im Hinblick auf die vollständige Erfassung des relevanten Beweisstoffes und die inhaltliche Richtigkeit der Feststellungen geboten war (vgl. MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl., § 261 Rn. 432 f. mwN). Ob dies der Fall ist, kann in aller Regel nur beurteilt werden, wenn auch - zudem unter Beachtung des Rekonstruktionsverbots - der Inhalt des nach dem Beschwerdevorbringen zu berücksichtigenden Beweisergebnisses vorgetragen wird (vgl. dazu LR/Sander aaO, Rn. 266 mwN). Daran fehlt es hier, denn der Revisionsführer hat zum Bericht der Jugendgerichtshilfe nichts vorgetragen. Dass die Jugendgerichtshilfe für die Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes plädierte und eine zur Bewährung auszusetzende Jugendstrafe befürwortete, genügt dafür nicht.

Damit bleibt im Ergebnis sowohl unklar, womit sich das Urteil hätte auseinandersetzen müssen, als auch, ob das Urteil dies nicht - wenn auch nicht unter ausdrücklicher Nennung der Quelle - getan hat. Denn den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass sich die Strafkammer ausführlich und gründlich mit Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat, die „auf den ersten Blick“ für noch wirksame Entwicklungskräfte bei dem Angeklagten hätten sprechen können und sie in einer kritischen Zusammenschau mit den Umständen gewürdigt hat, welche für eine erhebliche Reife des Angeklagten schon zur Tatzeit sprachen. Ohne Kenntnis vom Inhalt der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe lässt sich demnach - entgegen der in der Gegenerklärung vertretenen Auffassung der Revision - nicht feststellen, dass die Jugendkammer diese „vollständig übergangen“ hätte.

b) Es stellt auch keinen auf die Sachrüge hin beachtlichen Mangel dar, dass die Auffassung der Jugendgerichtshilfe zum Reifegrad des Angeklagten im Urteil nicht ausdrücklich mitgeteilt ist, denn allein die Nichterwähnung eines erhobenen Beweises belegt nicht, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung nicht in die Überzeugungsbildung eingeflossen ist (BGH, Urteil vom 1. Juli 1998 - 1 StR 182/98, NStZ-RR 1999, 26). Entscheidend ist vielmehr, ob das Gericht - wie hier geschehen - alle nach den Umständen des Einzelfalls relevanten Umstände erörtert hat (vgl. OLG Celle, aaO). Soweit die Entscheidung des Senats vom 15. März 2011 (5 StR 35/11, NStZ-RR 2011, 218) anders zu verstehen sein sollte (vgl. KG, Beschluss vom 23. August 2012 - [4] 121 Ss 170/12 [202/12], StV 2013, 763; Eisenberg/Kölbel, JGG, 25. Aufl., § 38 Rn. 88; Eisenberg, ZJJ 2011, 202, 204), hält er hieran nicht fest.

3. Die auf die erhobenen Sachrügen gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat auch im Übrigen und auch die Angeklagten D. und C. betreffend zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Der Ausspruch über die Einziehung von Ersatz des Wertes des Taterlangten kann jedoch teilweise keinen Bestand haben.

Der Generalbundesanwalt hat dazu in seinen Antragsschriften ausgeführt:

Bedenken begegnet hingegen, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, die Mitangeklagte D. habe täglich 15 Kapseln pro Fahrerschicht für jeweils 50 EUR, mithin täglich für insgesamt 750 EUR und bezogen auf den Zeitraum für 37.750 EUR veräußert. Nach den getroffenen Feststellungen stand den Kurieren die Möglichkeit offen, den sog. „4+1-Rabatt“ anzuwenden (UA S. 18), mithin bei einem Kauf von vier Kapseln, eine fünfte umsonst weiterzugeben. Dementsprechend hat das Landgericht - ersichtlich davon ausgehend, dass es zu diesem Rabatt nicht hinsichtlich jeder 5. Kapsel, sondern nur vereinzelt kam - den durch die gesondert Verfolgte F. vereinnahmten Erlös unter Anwendung eines Sicherheitsabschlags von 10 % mit 7.200 EUR anstatt 8.000 EUR berechnet (UA S. 18, 71). Mit Blick darauf, dass das Landgericht angenommen hat, auch der Mitangeklagten D. sei die Möglichkeit eingeräumt worden, diesen Rabatt zu gewähren (UA S. 57), hätte es diesen Abschlag auch bei der Berechnung der durch sie erzielten Verkaufseinnahmen vornehmen müssen.

… Da mit Blick auf die Feststellungen zu den persönlichen und finanziellen Verhältnissen des Angeklagten (UA S. 6 ff.) und der Mitangeklagten D. (UA S. 9 f.) sowie dem zeitlichen Ablauf nahe liegt, dass die Bargeldbeträge, die im Januar 2023 bei dem Angeklagten und der gesamtschuldnerisch mithaftenden Mitangeklagten sichergestellt wurden, aus den vorangegangenen abgeurteilten Kurierfahrten stammen, mithin beide Beträge Teil des Gesamterlöses sind, hätte das Landgericht von dem sich bei Anwendung des Sicherheitsabschlags ergebenden Einziehungsbetrag, ungeachtet der Frage, ob auf die Herausgabe des Geldes verzichtet worden ist, insgesamt 5.955 EUR (2.505 EUR + 3.450 EUR) in Abzug bringen müssen.

Dem schließt sich der Senat an. Rechnerisch ergeben sich danach die der Beschlussformel zu entnehmenden Einziehungsbeträge. Der Senat schließt aus, dass in einem neuen Rechtsgang zusätzliche Feststellungen getroffen werden könnten und lässt deshalb die weitergehenden Einziehungsanordnungen entfallen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Mit Blick auf den geringfügigen Erfolg der Rechtsmittel erscheint es nicht unbillig, die Angeklagten insgesamt mit den Kosten ihrer Rechtsmittel zu belasten.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 809

Bearbeiter: Christian Becker