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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1218

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 240/24, Beschluss v. 27.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1218


BGH 5 StR 240/24 - Beschluss vom 27. August 2024 (LG Lübeck)

Feststellung des milderen Gesetzes bei der Verurteilung wegen Handeltreiben mit Cannabis.

§ 2 Abs. 3 StGB; § 34 KCanG

Leitsatz des Bearbeiters

Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt. Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt wird, etwa durch Annahme eines gesetzlich geregelten besonders oder minder schweren Falls, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 12. Januar 2024, soweit es ihn betrifft, im Fall 2 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung des vorgenannten Urteils, soweit sie den Angeklagten betrifft, dahin ergänzt, dass er seine notwendigen Auslagen hinsichtlich der Einziehung nur insoweit trägt, als diese angeordnet worden ist; im Übrigen trägt diese Auslagen die Staatskasse.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und der sofortigen Beschwerde, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Raub und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.000 Euro angeordnet, wobei er insoweit als Gesamtschuldner haftet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision; mit seiner sofortigen Beschwerde beanstandet er die Kostenentscheidung des Urteils, soweit ihm seine notwendigen Auslagen insgesamt auferlegt worden sind. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

1. Die auf die mit der Sachrüge geführte Revision veranlasste Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch im Fall 1 der Urteilsgründe sowie zur Einziehungsanordnung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

2. Im Fall 2 der Urteilsgründe kann der Schuldspruch indes keinen Bestand haben.

a) Allerdings hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte mehr als ein Kilogramm Marihuana erwarb und in einer Bunkerwohnung lagerte, das er gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Diesen Sachverhalt hat die Strafkammer - zum Urteilszeitpunkt zutreffend - rechtlich als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewürdigt. Im Rahmen der Strafzumessung zu diesem Fall ist sie trotz der erheblichen Menge Cannabis von einem minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG ausgegangen, weil Marihuana als „weiche Droge“ ein geringeres Gefährdungspotential als andere Betäubungsmittel habe, dieses sichergestellt worden, nicht in den Verkehr gelangt und der Angeklagte nicht vorbestraft sei.

b) Nunmehr ist am 1. April 2024 das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom 27. März 2024 (KCanG; BGBl. I 2024 Nr. 109) in Kraft getreten. Da der Umgang mit Konsumcannabis nunmehr abschließend im Konsumcannabisgesetz geregelt ist, sind damit im Zusammenhang stehende Taten grundsätzlich allein nach § 34 KCanG zu bewerten. Dies hätte der Senat bei der Revisionsentscheidung nach § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen, wenn die Neuregelung im Konsumcannabisgesetz sich als milder erwiese. Dies kann der Senat in der hier konkret gegebenen Konstellation nicht abschließend entscheiden, was zur Aufhebung des Schuldspruchs nötigt. Dazu im Einzelnen:

aa) Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (BGH, Urteil vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130, 131 f. mwN). Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt wird, etwa durch Annahme eines gesetzlich geregelten besonders oder minder schweren Falls, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. August 2024 - 5 StR 254/24; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24 Rn. 5 mwN).

bb) Hier käme eine Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, mit Blick auf die Menge in einem besonders schweren Fall nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG in Betracht. Die Vorschrift droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren an. Der Strafrahmen des Konsumcannabisgesetzes erweist sich damit insoweit nicht als milder, als derjenige des zur Tatzeit geltenden und von der Strafkammer zur Anwendung gebrachte Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG, der die gleiche Strafdrohung vorsieht.

Allerdings stellt die Vorschrift des § 34 Abs. 3 KCanG lediglich eine Strafzumessungsregel dar. Ob bei Vorliegen eines Regelbeispiels von der Regelwirkung auszugehen oder von ihr - hier zugunsten des Angeklagten - abzusehen ist, obliegt als Strafzumessungsakt allein der Entscheidung des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2018 - 2 StR 45/17 Rn. 14). Gegen ein Absehen von der Regelwirkung könnte hier zwar sprechen, dass der bei der Annahme des minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG zugunsten des Angeklagten herangezogene Strafzumessungsgesichtspunkt, dass es sich bei Cannabis um eine „weiche Droge“ handele, für die Strafzumessung nach § 34 Abs. 1, 3 KCanG bedeutungslos ist; denn diese Strafnorm betrifft ausschließlich Cannabis mit einer im Vergleich zu bestimmten anderen Suchtstoffen geringeren Gefährlichkeit. Dies hat bereits bei der gesetzlichen Festlegung der Strafrahmen Berücksichtigung gefunden (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130). Mit Blick auf die anderen zugunsten des Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte kann der Senat aber - entgegen der Annahme des Generalbundesanwalts - letztlich gleichwohl nicht mit der gebotenen Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des § 34 KCanG von der Regelwirkung des § 34 Abs. 3 KCanG abgesehen und die Strafe aus dem Grundtatbestand des § 34 Abs. 1 KCanG zugemessen hätte.

c) Im Ergebnis bedarf die Frage, ob bei vorliegendem Regelbeispiel der nicht geringen Menge, auf die sich das Handeltreiben des Angeklagten bezog, die Strafe aus dem Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG zuzumessen oder von der Regelwirkung abzusehen ist, einer Bewertung durch das neue Tatgericht. Davon hängt es ab, ob - im letztgenannten Fall - das Konsumcannabisgesetz Anwendung findet oder bei Bejahung der Regelwirkung § 34 Abs. 3 KCanG und bei erneuter Annahme eines minder schweren Falls des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 2 BtMG für den hier zu beurteilenden Sachverhalt allein das zur Tatzeit geltende Betäubungsmittelgesetz maßgeblich bleibt, weil das Konsumcannabisgesetz hier - ausnahmsweise - nicht milder ist.

d) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem Aufhebungsgrund nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können deshalb bestehen bleiben.

3. Der Wegfall der im Fall 2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe von neun Monaten bedingt auch die Aufhebung der Gesamtstrafe. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es auch insoweit nicht.

4. Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

Für die Verteidigung gegen die Einziehung ist dem Verteidiger eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 4142 der Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 zum RVG (im Folgenden VVRVG) entstanden, die - in Abweichung vom allgemeinen strafprozessualen Vergütungssystem nach Pauschalsätzen - nach dem (Gegenstands-)Wert der Einziehung berechnet wird (§§ 13, 49 RVG). Dieser betrug entsprechend der Anklageschrift mehr als 217.000 Euro; aus diesem Wert ist die Gebühr zu berechnen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 26. Oktober 2023 - 3 Ws 66/23). Tatsächlich eingezogen wurde bei dem Angeklagten aber nur ein Betrag in Höhe von 10.000 Euro; insoweit wäre eine geringere Gebühr angefallen (vgl. Anlage 2 RVG zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG; § 49 RVG).

Das - hier weitgehende - Entfallen der von der Staatsanwaltschaft begehrten Einziehungsanordnung muss sich, wenn die Tragung der gesamten Kosten (vgl. § 465 Abs. 1 StPO) durch den Angeklagten unbillig wäre, bei der Kostenentscheidung zugunsten des Angeklagten auswirken (BayObLG, StraFo 2024, 74, 75; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 229/19; vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20, NJW 2021, 1829; vom 13. Oktober 2021 - 4 StR 270/21 Rn. 2; vom 1. Februar 2024 - 5 StR 93/23, wistra 2024, 344, 345). Dies hat der Senat nach dem Rechtsgedanken des § 465 Abs. 2 Satz 2 StPO für die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens jedenfalls dann zu beachten, wenn - wie hier - eine zulässige Kostenbeschwerde erhoben ist und die tatgerichtliche Einziehungsanordnung aus Rechtsgründen niedriger als ursprünglich beantragt ausfällt, ohne dass von der Einziehung nach § 421 StPO abgesehen wird (zur Behandlung der Kosten im Revisionsverfahren, insbesondere wenn nach § 421 StPO von der Einziehung abgesehen wird BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2021 - 5 StR 458/20, NStZ-RR 2021, 229, 230; vom 8. Dezember 2021 - 5 StR 296/21, NStZ-RR 2022, 160; vgl. zur Kostenentscheidung bei Absehen von der Einziehung auch KG Berlin, wistra 2024, 130, 131).

Hier wäre es unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu belasten, weil die Entscheidung über die Einziehung in erheblichem Umfang zu seinen Gunsten ausgegangen ist und durch die ursprüngliche Beantragung höhere notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO entstanden sind. Da diese Kosten mit Blick auf ihre zusätzliche Entstehung (vgl. Nr. 4142 VVRVG) ohne weiteres identifizier- und bezifferbar sind, hat der Senat insoweit eine Entscheidung über die Kostentragungspflicht getroffen und von einer Verteilung nach Bruchteilen (vgl. § 464d StPO) abgesehen. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung steht dem nicht entgegen, da sich für das Strafverfahren und das vermögensordnende, quasikondiktorische Einziehungsverfahren (vgl. Habetha, NJW 2021, 1830, 1831) mit Fest- und Wertgebühren unterschiedliche Gebühren- und Vergütungssysteme gegenüberstehen (vgl. BayObLG, StraFo 2024, 74, 79).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1218

Bearbeiter: Christian Becker