HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1600
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 202/24, Beschluss v. 30.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1600
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Dezember 2023
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des Handeltreibens mit Cannabis in drei Fällen schuldig ist, und im Strafausspruch - mit Ausnahme der im Fall II.2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe - aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom 6. Juli 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit einer Verfahrens- und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt auf die Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der verfahrensrechtlichen Beanstandung bleibt der Erfolg versagt.
1. Die sich gegen die Verwertung von EncroChat-Daten richtende Verfahrensrüge ist unzulässig. Die Revision trägt entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO schon nicht vor, wann und in welcher Form die Daten in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind und wann der Beschwerdeführer hiergegen Widerspruch erhoben hat. Sie unterlässt ferner konkreten Vortrag hinsichtlich der Verfahrenstatsachen zur ausländischen Beweisgewinnung und -übermittlung und trägt insbesondere die insoweit erlassenen französischen Gerichtsbeschlüsse und Ermittlungsanordnungen nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2023 - 4 StR 93/22 Rn. 4; vom 18. Juli 2024 - 5 StR 623/23 Rn. 16).
Die Rechtsmeinung des Beschwerdeführers, dem Senat seien diese Verfahrenstatsachen bereits aus anderen Verfahren bekannt, weshalb insoweit eine Bezugnahme - hier in Form der Wiedergabe des verfahrensrechtlichen Sachverhalts aus der Grundsatzentscheidung des Senats (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539) - ausreichend sei, geht fehl. Denn gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss jeder Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau vortragen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 2 StR 247/18, NStZ-RR 2019, 157 mwN). Da der zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderliche Sachverhalt eigenständig vorzutragen und eine Bezugnahme auf Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter oder Aktenbestandteile nicht ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - 3 StR 426/17, NStZ-RR 2018, 153), genügt den Vortragsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erst recht kein Verweis auf Tatsachenvortrag in gänzlich anderen Verfahren.
2. Diesem Mangel an Tatsachenvortrag wird auch nicht dadurch abgeholfen, dass der Beschwerdeführer nunmehr seiner Rüge eine andere Begründung unterlegt. Mit dem nachgereichten Schriftsatz vom 14. Juni 2024 macht er zum einen geltend, die EncroChat-Daten hätten betreffend die Fälle II.1 und II.3 bis II.4 der Urteilsgründe nach den Maßstäben der Grundsatzentscheidung des Senats (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539) aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht verwertet werden dürfen, weil das Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) nach dem insoweit am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz) vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 109) keine Katalogtat im Sinne von § 100b Abs. 2 StPO mehr darstelle, zum anderen, dass es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. April 2024 - C-670/22 - zur Datenverwertung einer Unterrichtung des Mitgliedsstaates bedurft hätte, woran es fehle.
Soweit der Angeklagte seiner Rüge damit eine neue Stoßrichtung verliehen haben sollte, wäre dieser Vortrag nach § 345 Abs. 1 StPO zudem verspätet. Für den Senat besteht schon angesichts der Unzulässigkeit der Verfahrensrüge kein Anlass, insoweit Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren. Einen Antrag hat der Beschwerdeführer nicht gestellt.
Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuldspruchs und - mit Ausnahme der im Fall II.2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe - zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Das Handeltreiben bezog sich in den Fällen II.1, II.3 und II.4 der Urteilsgründe ausschließlich auf Marihuana, im Fall II.2 der Urteilsgründe allein auf Kokain. Soweit sich das Handeltreiben nur auf Marihuana und damit Cannabis bezog (§ 1 Nr. 4 und Nr. 8 KCanG), unterfällt dies nach dem seit dem 1. April 2024 geltenden KCanG (BGBl. I 2024 Nr. 109) als Handeltreiben mit Cannabis der Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (zur insoweit nicht geringen Menge und Tenorierung vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24). Da sich die danach in Betracht kommenden Strafdrohungen hier als milder erweisen, als diejenige des vom Landgericht in allen Fällen zur Anwendung gebrachten § 29a Abs. 1 BtMG, hat der Senat dies nach § 2 Abs. 3 StGB auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Das führt entsprechend § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO zur Änderung des Schuldspruchs. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Der Strafausspruch hat in den von der obigen Änderung betroffenen Fällen keinen Bestand. Der Senat kann hier nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der Beurteilung der jeweiligen Fälle aufgrund der nunmehr geltenden Rechtslage niedrigere Strafen verhängt hätte. Dies bringt zugleich den Gesamtstrafausspruch zu Fall. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1600
Bearbeiter: Christian Becker