HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1044
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 145/24, Urteil v. 18.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1044
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 6. September 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Rechtsgang vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Dieses Urteil hat der Senat mit Urteil vom 28. April 2022 - 5 StR 511/21 - auf die Revision der Nebenklägerin aufgehoben und die Sache wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung zu neuer Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten erneut freigesprochen. Dagegen wenden sich die jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhobenen Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger; die Nebenklägerin beanstandet zudem das Verfahren. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben jeweils Erfolg.
Mit der zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, am 25. März 2020 seine Bekannte M. C. durch komprimierende Gewalt gegen den Hals getötet und den Leichnam anschließend in der B. straße 6 in B. auf dem Gehweg abgelegt zu haben.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der 1991 in Nigeria geborene Angeklagte und die 1991 in Ghana geborene später Getötete kannten sich seit 2013 aus B. und waren befreundet. Sie studierte in B., was sie auch fortsetzte, nachdem sie im Jahr 2018 nach Südafrika gezogen war, und hielt in B. zwei Wohnungen als Hauptmieterin, von denen sie die zuletzt von ihr genutzte (im Folgenden: Mietwohnung) dem Angeklagten zur Nutzung überließ, als dieser Ende des Jahres 2019 seine bisherige Wohnung räumen musste. Die genauen Absprachen zur Zahlung von Miete und Nebenkosten konnten nicht festgestellt werden; die Nutzungsüberlassung sollte jedoch nicht unentgeltlich sein. Der Angeklagte zahlte gleichwohl weder Miete noch Nebenkosten, so dass der Strom und die Versorgung mit Warmwasser schließlich abgestellt wurden.
Ab Anfang März 2020 monierte die junge Frau im - zuvor durchweg freundlich geführten - Chatverkehr mit dem Angeklagten die unterbliebenen Mietzahlungen; ihr Tonfall wurde schärfer, während der Angeklagte zu beschwichtigen versuchte und eine Zahlung in Aussicht stellte. Sie fühlte sich jedenfalls ab dem 14. März 2020 vom Angeklagten hingehalten, der auf ihre Versuche, ihn persönlich zu konfrontieren, dergestalt reagierte, dass er sie gegenüber Freunden als „Schlampe“ bezeichnete. Einen dieser Freunde sprach die später Getötete am 14. März 2020 an und berichtete ihm von den Mietschulden. Einen Tag später betraten sie am späten Vormittag die Mietwohnung. Beide redeten abfällig über den Angeklagten, wobei sie davon ausgingen, dass dieser nicht zugegen wäre. Der Angeklagte, der davon aufwachte, dass die Wohnung betreten wurde, bekam dies mit; in der Folge kam es zum Streit zwischen ihm und der später Getöteten. Sie forderte ihn auf, seine Sachen zu packen und die Mietwohnung zu verlassen; den ihm überlassenen Schlüssel nahm sie ihm ab. Noch während der Anwesenheit des Angeklagten schloss sie das Schlafzimmer ab, in dem sich noch Papiere befanden, aus denen sich insbesondere Hinweise auf die finanziellen Probleme des Angeklagten ergaben. Sie kündigte an, seine Möbel und Wertgegenstände zu verkaufen, um die Schulden zu tilgen, womit der Angeklagte einverstanden war. Seine persönlichen Sachen und Kleidungsstücke lagerte der Angeklagte in einer Lagerbox ein. Er kam ab dem 17. März 2020 in der Wohnung eines flüchtigen Bekannten (im Folgenden: Unterkunft) unter.
In der Folgezeit versuchte das Tatopfer die Mutter des Angeklagten zur Zahlung von dessen Schulden zu bewegen. Als die Mutter des Angeklagten am Morgen des Tattages die Zahlung ablehnte, entschloss sich die später Getötete den Angeklagten unter Druck zu setzen und veröffentlichte auf einem zu diesem Zweck erstellten, auf den Namen des Angeklagten lautenden „Fake-Account“ auf der Plattform Instagram Fotos des Angeklagten und ein Live-Video. Sie drohte ihm, alle seine „Inkassobriefe, Polizei Briefe, Amtsgericht Briefe etc.“ preiszugeben, wenn sie bis zum nächsten Tag nichts von ihm höre und lobte für den Aufenthaltsort des Angeklagten, der ihr ca. 3.950 Euro schulde, „Finderlohn“ aus. In dem Live-Video zeigte sie die Mietwohnung in verdrecktem und unaufgeräumtem Zustand und sprach abfällig über den Angeklagten. Dieser wurde nur wenige Minuten später auf den „Fake-Account“ aufmerksam gemacht und kommunizierte mit mehreren Personen darüber, dabei kündigte er an, die später Getötete werde „ihre Strafe bekommen“; er werde „zurückschlagen, vielleicht nicht heute oder morgen, aber sicherlich irgendwann“, sollte sie ihre Drohung wahrmachen. Zu dieser Zeit befand er sich in der Unterkunft. Für die Zeit zwischen 12.47 Uhr und 13.55 Uhr hat das Landgericht den Aufenthaltsort des Angeklagten nicht festzustellen vermocht. Für die Zeit danach ergeben sich zwei weitere Zeiträume, in denen sein Aufenthaltsort weitgehend ungeklärt blieb, wobei der letzte von gut zweieinhalb Stunden den Zeitpunkt der Ablage der Leiche abdeckt.
Die später Getötete ihrerseits kommunizierte über ihr Mobiltelefon in der Zeit ab 11.44 Uhr mit mehreren anderen Teilnehmern, unter anderem mit ihrem Freund in Südafrika und zuletzt mit einer Bekannten über WhatsApp. Diese sandte um 13.09 Uhr eine Nachricht. Etwa 10 bis 20 Minuten später wurde auf dem Mobiltelefon der später Getöteten damit begonnen, bei WhatsApp eine Sprachnachricht aufzunehmen, die aber nicht abgesandt wurde. Darüber hinaus ließen sich keine weiteren Lebenszeichen feststellen.
Die Getötete starb am 25. März 2020 durch Erwürgen, an ihrem Kopf fanden sich zudem Spuren stumpfer Gewalteinwirkung, die durch Faustschläge oder ähnliches herbeigeführt worden sein können. Der Todeszeitpunkt lag zwischen 13.11 Uhr und 21.50 Uhr, eine nähere Eingrenzung war nicht möglich. Der Leichnam wurde gegen 23.25 Uhr auf dem Bauch liegend mit dem Gesicht nach unten auf dem Bürgersteig vor dem Haus in der B. straße 6 aufgefunden und war lediglich mit dem linken Schuh (der andere lag unmittelbar neben dem rechten Fuß), Unterhose, verkehrt herum angezogener langer Hose und einer Jacke (ohne BH und TShirt) bekleidet. Der Fundort liegt gegenüber der Einfahrt zu der Tiefgarage, die auch von den Bewohnern des Hauses, in dem sich die Mietwohnung befand, genutzt wird; diese kann über den Fahrstuhl aus dem Haus heraus erreicht werden. Um 22.15 Uhr befand sich der Leichnam noch nicht an der Stelle.
Zwischen 20 und etwa 23 Uhr hatte die - in der Hauptverhandlung nicht vernommene - Nachbarin der Getöteten aus der Mietwohnung einen lauten Streit in ausländischer Sprache wahrgenommen. Zwei Personen (dem Phänotyp nach Schwarzafrikaner), „wohl“ ein Mann und eine Frau verließen die Mietwohnung und gingen die Treppe hinunter, wobei die Frau möglicherweise gehoben oder geschoben wurde. Am Morgen des 26. März 2020 zwischen 8 und 9 Uhr, während der Polizeieinsatz am Leichenfundort in der B. straße noch lief, kamen drei Schwarzafrikaner aus der Mietwohnung. Die Nachbarin öffnete ihre Wohnungstür und sah zunächst wiederum einen Mann und eine Frau im Flur; beide waren „eingemummt“, reagierten auf Ansprache nicht, drehten sich weg und liefen zügig die Treppe hinunter. Kurze Zeit später kam ein weiterer junger Mann aus der Mietwohnung, drehte nach Ansprache ebenfalls den Kopf weg und lief zügig davon.
Bei der Durchsuchung der Mietwohnung wurden keine Einbruchs- oder Kampfspuren gefunden. Es befanden sich ein Laptop und Giro- und Kreditkarten in der Wohnung, das Mobiltelefon und die Wohnungsschlüssel waren hingegen verschwunden.
Am 27. März 2020 warf der Bruder der Getöteten dem Angeklagten in einem Telefongespräch die Tat vor. Am selben Tag wusch der Angeklagte seine sämtlichen in der Unterkunft befindlichen Kleidungsgegenstände mit Ausnahme derer, die er am Körper trug; dazu zählte auch seine einzige Winterjacke. Am Morgen des Folgetages rief er das Mobiltelefon der Verstorbenen an. Nach seiner Festnahme am 28. März 2020 wurde der Angeklagte eingehend vernommen; er beantwortete ohne Verteidiger und ohne Aktenkenntnis sämtliche Fragen und stellte die eigene Tatbeteiligung - wie auch in der Hauptverhandlung - durchweg in Abrede.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich trotz Indizien, die für die Täterschaft des Angeklagten sprächen, nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass er der Täter war. Dies hat die Strafkammer im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der eskalierende Streit zwischen dem Angeklagten und der später Getöteten und der zeitliche Zusammenhang zwischen der Bloßstellung des Angeklagten im Internet und der Tat spreche ebenso für Täterschaft des Angeklagten wie seine mehrfachen bedrohlichen Äußerungen in Richtung der Getöteten am Tattag. Er habe für drei Zeiträume am Tattag kein Alibi; einer dieser Zeiträume falle mit dem Kommunikationsabbruch der Getöteten zusammen, ein anderer mit der Verbringung der Leiche an den Fundort. Die DNA-Spurenlage insbesondere unter den Fingernagelüberständen an der rechten Hand der Getöteten spreche „eher“ für einen Körperkontakt zum Angeklagten kurz vor dem Tod; „zwingend“ sei dies aber nicht. Auch das Waschen der Kleidung kurz nach der Tat belaste den Angeklagten.
Es gebe jedoch verschiedene entlastende Momente, zahlreiche Unklarheiten im Tagesablauf der Getöteten und des Angeklagten und es kämen neben dem Angeklagten auch andere Täter in Betracht.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben Erfolg.
1. Die Revisionen der Nebenkläger sind zulässig. Die sachgerechte Auslegung der Revisionsschrift der Nebenklägerin ergibt, dass sich ihr Rechtsmittel gegen den Freispruch vom Vorwurf eines Tötungsdelikts zum Nachteil ihrer Tochter wendet. Der Nebenkläger rügt ausdrücklich die unterlassene Verurteilung wegen Totschlags zum Nachteil seiner Schwester. Beide verfolgen damit ein zulässiges Ziel (vgl. § 395 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 400 Abs. 1 StPO).
2. Die Revisionen sind auch begründet, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts, die zum Freispruch des Angeklagten geführt hat, hält der auf die Sachrüge veranlassten revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Auf die nicht in zulässiger Weise erhobene Verfahrensbeanstandung der Nebenklägerin (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts) kommt es damit nicht mehr an.
a) Zwar muss das Revisionsgericht es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Das Urteil muss aber erkennen lassen, dass der Tatrichter Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - 4 StR 603/19, NStZ 2021, 116 Rn. 6 mwN). Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung dürfen einzelne Beweisergebnisse zudem nicht mit der fehlerhaft isolierten Anwendung des Zweifelssatzes entwertet werden, denn der Grundsatz in dubio pro reo ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 16. Februar 2022 - 5 StR 320/21 Rn. 14).
b) Nach diesen Maßgaben liegen hier durchgreifende Rechtsfehler vor, denn die Beweiswürdigung enthält - wie schon im ersten Rechtsgang - keine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung der für und wider die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen. Die Erwägungen der Strafkammer zu etwaigen Alternativtätern erweisen sich zudem als lückenhaft und widersprüchlich. Insoweit gilt:
aa) Das Landgericht hat seinen Ausführungen zwar zutreffend vorangestellt, dass der Zweifelssatz nicht isoliert auf einzelne Indizien angewendet werden darf und einzelne Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt werden müssen. Diesen Ansatz hat es aber nicht durchgehalten und hat mehrere gegen den Angeklagten sprechende Gesichtspunkte nicht oder nicht - wie es geboten gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2022 - 5 StR 320/21 Rn. 14) - mit dem ihnen zukommenden Gewicht in seine „Gesamtwürdigung“ eingestellt.
(1) Dies betrifft insbesondere den Umgang der Strafkammer mit den an der Leiche gefundenen DNA-Spuren. Hierzu im Einzelnen:
(a) Das Landgericht hat zwar eine unter den Fingernägeln der Getöteten durch Abrieb der Fingernagelunterstände gesicherte Zwei-Personen-Mischspur, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von der Getöteten und dem Angeklagten stammt und zu der der Sachverständige ausgeführt hat, sie sei besser durch einen direkten Kontakt der Getöteten mit dem Angeklagten kurz vor ihrem Tod erklärbar, als eine Entstehung durch Übertragung, etwa durch Bewegen der Kleidung des Angeklagten oder ähnliches, als belastendes Indiz gewertet.
Zu weiteren DNA-Mischspuren an zahlreichen anderen Stellen des Leichnams (Fingernagelunter- und -überstände links, Handinnenfläche rechts, Hals vorne, Stirn, Wange und Brust rechts), bei denen eine (Mit-)Verursachung durch den Angeklagten (lediglich) möglich ist, hat die Strafkammer in der Beweiswürdigung zu den DNA-Spuren indes ohne weitere Begründung ausgeführt, dass sich daraus Schlüsse auf eine Täterschaft des Angeklagten nicht ziehen ließen. Dies ist rechtsfehlerhaft. Denn auch wenn neben dem Angeklagten und der Getöteten weitere Personen als Spurenleger in Betracht kommen würden, kann der Umstand, dass eine Mitverursachung einer Spur durch einen Angeklagten bloß möglich ist, ein Indiz für seine Täterschaft darstellen, dessen Wert im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu bewerten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2023 - 5 StR 383/23 Rn. 11 mwN). Daran fehlt es, obgleich zu einer solchen gesamtwürdigenden Betrachtung umso mehr Anlass besteht, wenn sich - wie hier - neben einer eindeutig auf einen Verdächtigen hinweisenden Spur zahlreiche weitere Spuren an tatrelevanten Stellen (insbesondere an Hals, Stirn und Wange) finden, als deren (Mit-)Verursacher er in Betracht kommt. Soweit das Landgericht in seiner „Gesamtwürdigung“ ausgeführt hat, die „übrigen DNA-Spuren (soweit sie überhaupt aussagekräftig waren) […] ließen sich mit einem Kontakt im Zusammenhang mit der Tötung gut in Einklang bringen“, ließen sich „aus Sicht der Kammer jedoch zwanglos“ auch durch Übertragung erklären, genügt dies den dargelegten Anforderungen an eine Gesamtwürdigung erkennbar nicht, weil sich an dieser Formulierung zeigt, dass die Indizien gerade nicht im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen, sondern isoliert gewertet werden. Damit lassen die Urteilsgründe insoweit schon nicht erkennen, ob sich die Strafkammer des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteile vom 13. März 2024 - 5 StR 273/23 Rn. 27; vom 30. Juli 2020 - 4 StR 603/19 Rn. 11 mwN).
Es kommt nach alledem nicht mehr entscheidend darauf an, dass die Darstellung der DNA-Mischspuren im Urteil ohnehin nicht den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2022 - 5 StR 410/21; Urteil vom 29. April 2021 - 4 StR 46/21).
(b) Die fehlende gesamtwürdigende Betrachtung der weiteren DNA-Spuren hat sich zudem auch auf die tatgerichtliche Bewertung der eindeutig auf den Angeklagten hinweisenden Zwei-Personen-Spur unter den Fingernägeln der rechten Hand der Getöteten ausgewirkt:
Die Strafkammer hat den Beweiswert der Spur mit dem Hinweis relativiert, diese könne angesichts der geringen festgestellten Materialmenge auch dadurch entstanden sein, dass eine einzige Hautschuppe des Angeklagten unter den Fingernagel der Getöteten gelangt sei. Die Antragung einer einzelnen Hautschuppe sei nach sachverständiger Einschätzung durch Kontakt mit von dem Angeklagten getragener Kleidung oder Polstermöbeln „zwanglos möglich“.
Unabhängig davon, dass schon nicht erläutert wird, wie sich diese Relativierung mit der Einschätzung des Sachverständigen verträgt, diese Spur sei mit einem direkten Kontakt besser zu erklären als mit einer mittelbaren Übertragung, ist weder durch die Beweiswürdigung belegt noch sonst ersichtlich, dass vorliegend nur eine einzige Hautschuppe des Angeklagten übertragen worden sein sollte. Denn diese - isoliert auf die Materialmenge in der einen Spur gestützte - These wäre nicht damit zu vereinbaren, dass auch in der Spur von den Fingernagelüberständen der rechten Hand dem DNA-Profil des Angeklagten entsprechenden Merkmale - wenn auch in schwächerer Ausprägung - nachweisbar sind, und - wie dargelegt - auch an zahlreichen anderen Stellen des Leichnams DNA-Mischspuren gefunden wurden, bei denen eine (Mit-)Verursachung durch den Angeklagten möglich ist. Es erschließt sich nicht, wie gegebenenfalls mehrere DNA-Spuren an unterschiedlichen Stellen des Körpers der Getöteten durch nur eine einzelne Hauptschuppe des Angeklagten verursacht worden sein sollten.
(2) Auch der Umgang des Landgerichts mit einem Gutachten zu Faserspuren an der Kleidung der Getöteten erweist sich aus den gleichen Gründen als rechtsfehlerhaft: Die an acht verschiedenen Stellen der Jacke der Getöteten gefundenen mehreren Faserspuren passen zum Innenfutter, zum Obermaterial und zum Randinnenfutter der Winterjacke des Angeklagten, bei der es sich um einen handelsüblichen Parka handelt. Nach den referierten Ausführungen des Sachverständigen sind die Faserbefunde „zwanglos“ mit einem Kontakt der beiden Kleidungsstücke vereinbar.
Gleichwohl hat das Landgericht wegen der von ihm angenommenen Möglichkeit einer Übertragung der Fasern auf die Jacke der Getöteten ohne einen solchen Kontakt den Beweiswert der Faserspuren isoliert und damit nach den oben genannten Maßstäben rechtsfehlerhaft als „noch geringer als bezüglich der aufgefundenen DNA-Spuren“ gewertet und diese Indizien dementsprechend letztlich nicht mit der ihnen zukommenden Bedeutung in die Gesamtwürdigung eingestellt.
Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, lässt sich den Urteilsgründen zudem nicht entnehmen, wie sich der Sachverständige zu der vom Landgericht für möglich gehaltenen mittelbaren Übertragung, also ohne „Kontakt zwischen den zwei Kleidungsstücken“, verhalten hat; insoweit erweist sich die Beweiswürdigung damit auch als lückenhaft.
(3) Ausdrücklich von der Gesamtwürdigung ausgenommen hat das Landgericht den Umstand, dass im Treppenhaus neben zwei Verschlüssen zu Ohrsteckern, die DNA-Spuren der Getöteten aufwiesen, auch ein - mit Verschluss versehener - Ohrstecker gefunden wurde, der dem Angeklagten gehört. Die Strafkammer hat diese Auffindesituation für „unstimmig und nicht belastend“ gehalten und deshalb in der Gesamtschau der Beweise unberücksichtigt gelassen. Dass die Strafkammer für dieses Indiz ausgehend von ihrer Hypothese eines Kampf- oder Verbringungsgeschehens im Treppenhaus keine „stimmige“ Erklärung gefunden hat, erlaubte es nicht, es insgesamt von der Beweiswürdigung auszunehmen. Vielmehr hätte sie prüfen müssen, ob das Auffinden des Ohrsteckers auch anderweitig hätte erklärt werden können und diese Spur ausgehend davon für die Beweiswürdigung von Bedeutung sein konnte. Soweit sie in diesem Zusammenhang allein in Bedacht genommen hat, der Ohrstecker könne auch bei Aufräumarbeiten in das Treppenhaus gelangt sein, ist der Ausgangspunkt für diese entlastende Alternativhypothese zudem nicht belegt. Denn es ist dem Urteil nicht zu entnehmen, dass die Getötete im Zuge von Aufräumarbeiten persönliche Gegenstände des Angeklagten durch das Treppenhaus aus der Wohnung geschafft hätte; insoweit ist die Beweiswürdigung damit auch lückenhaft.
(4) Schließlich stellt sich der Umgang mit dem Aussage- und dem Kommunikationsverhalten des Angeklagten auch nach der Tat als rechtsfehlerhaft dar. Dazu hat das Landgericht in seiner Gesamtwürdigung ausgeführt, es spreche „insgesamt eher gegen eine Täterschaft des Angeklagten“. Denn das von ihm gezeigte Verhalten würde sich „für einen psychisch gesunden Täter als ungewöhnlich“ darstellen, weil es „ein erhebliches Maß an Verdrängung oder Verstellung“ erfordere.
Dabei hat die Strafkammer wiederum erhebliche Gesichtspunkte außer Betracht gelassen: So ist der Angeklagte in seinem Bekanntenkreis als jemand beschrieben, der dafür bekannt ist zu lügen, auch dann, wenn er der Lüge schon überführt ist, und als jemand, der sich verstellen kann. Diesen von ihr festgestellten Umstand hat das Landgericht auch bei der Bewertung von Einzelindizien nicht eingestellt, etwa im Zusammenhang mit seiner Würdigung, die Einlassung des Angeklagten zum Waschen seiner gesamten Kleidung einschließlich seiner einzigen Winterjacke zwei Tage nach der Tat, insbesondere nachdem er von dem Bruder der Getöteten mit dem Tatvorwurf konfrontiert worden sei, stelle sich als plausibel dar.
Auch die zeitlichen Zusammenhänge sind der Strafkammer bei der Bewertung des Kommunikations- und Nachtatverhaltens teilweise aus dem Blick geraten: So hat es etwa zwei Anrufversuche des Angeklagten auf dem Mobiltelefon der Getöteten am Tag nach der Tat (26. März 2020) und am Morgen des 28. März 2020 als entlastendes Indiz gewertet, weil es „für einen psychisch gesunden Menschen“ plausibler sei, eine Telefonnummer anzurufen, weil man „noch hoffte, die Angerufene tatsächlich zu erreichen, da dies der übliche Zweck eines Anrufes“ sei. Dies lässt indes gänzlich unberücksichtigt, dass der Angeklagte infolge der Tatbezichtigung durch den Bruder der Getöteten spätestens seit dem 27. März 2020 wusste, dass die von ihm Angerufene tot war.
bb) Die Erwägungen des Landgerichts zu möglichen Alternativtätern erweisen sich ebenfalls als rechtsfehlerhaft.
(1) Sie sind in erheblichem Maße lückenhaft, weil sich das Landgericht nicht damit befasst, wie die Spurenlage - insbesondere die in mehrerlei Hinsicht auf den Angeklagten, nicht aber auf Dritte hinweisenden festgestellten DNA- und Faserspuren - mit der Hypothese eines oder mehrerer unbekannter anderer Täter in Einklang zu bringen sein sollte. Es lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass in einem ähnlichen Umfang wie von dem Angeklagten stammend Spuren anderer Personen am Leichnam festgestellt worden wären, obwohl dieser eingehend auf Spuren untersucht wurde. Es ist nicht ersichtlich oder in den Urteilsgründen belegt, dass dies damit erklärt werden könnte, dass sich die Ermittlungen nach Auffinden der Leiche sehr schnell auf den Angeklagten konzentrierten. Wenn aber Spuren, die auf einen Dritten als Täter hindeuten könnten, am Leichnam fehlen, wäre dies ein wesentlich gegen die Hypothese eines Alternativtäters sprechender Gesichtspunkt, der hätte erörtert werden müssen.
(2) In ihrer „Gesamtwürdigung“ hat die Strafkammer zudem widersprüchliche Ausführungen dazu gemacht, warum festgestellte Umstände gegen eine Täterschaft des Angeklagten und für einen oder mehrere Alternativtäter sprechen sollten. So hat sie ausgeführt, die Verbringung der Leiche auf die Straße spreche gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten, weil dieser dadurch - neben dem Risiko der Entdeckung beim Transport - das schnellere Auffinden der Leiche erleichtert hätte, was wiederum den Zusammenhang zu dem zwischen ihm und der Getöteten bestehenden Konflikt offenbart hätte. Demgegenüber könnten die von der Nachbarin - am Morgen nach der Tat - beobachteten Personen einen Grund für das Fortschaffen der Leiche haben, um nicht als Nutzer der Wohnung identifiziert zu werden.
Abgesehen davon, dass dieses den unbekannten Personen zugeschriebene Motiv auch auf den Angeklagten zutreffen könnte und sich den Urteilsgründen keine Hinweise darauf entnehmen lassen, dass die beobachteten Personen tatsächlich „Nutzer“ der Mietwohnung waren, nennt das Landgericht im Widerspruch dazu dann aber sehr wohl ein denkbares Motiv für den Angeklagten, die Getötete im öffentlichen Straßenraum abzulegen. Er könne durch ihre Bekleidung versucht haben, den Eindruck eines Sexualdelikts zu erwecken, um dadurch den Verdacht von sich abzulenken. Dieser Widerspruch wird nicht aufgelöst, insbesondere nicht durch die Erwägung, die verkehrt angezogene Hose könne auch dadurch zu erklären sein, dass es sich tatsächlich um ein Sexualdelikt oder die Anbahnung eines solchen gehandelt habe, was wiederum gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechen soll. Denn es gibt - wie die Strafkammer auch an anderer Stelle des Urteils ausführt - nach der Spurenlage keinerlei Hinweis auf ein Sexualdelikt. Es stellt sich aber als rechtsfehlerhaft und insbesondere vom Zweifelssatz nicht geboten dar, zugunsten eines Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 28. Mai 2024 - 6 StR 479/23 Rn. 10 mwN).
c) Das Urteil beruht auf den Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einem anderen, für den Angeklagten ungünstigen Beweisergebnis gelangt wäre, wenn es auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung entschieden hätte. Da bereits diese Rechtsfehler zur Aufhebung nötigen, kommt es auf die weiteren in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft und in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigten Rechtsmängel nicht mehr an. Die Sache bedarf nach alledem erneut umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung.
An einer Verweisung an ein anderes Gericht gleicher Ordnung nach § 354 Abs. 1 Satz 2 StPO war der Senat gehindert, weil es im Stadtstaat Bremen nur ein Landgericht gibt; eine Verweisung an die Außenstelle des Landgerichts beim Amtsgericht Bremerhaven kam nicht in Betracht. Zwar gelten Außenstellen im Verhältnis zum Stammsitz als „anderes Gericht“ im Sinne des § 354 Abs. 2 StPO (LR/Franke, StPO, 27. Aufl. § 354 Rn. 71). Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 GVG dürfen Schwurgerichtssachen indes einer auswärtigen Strafkammer nicht zugewiesen werden (LR/Gittermann, StPO, 27. Aufl., § 78 GVG Rn. 4a).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1044
Bearbeiter: Christian Becker