HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 997
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 77/23, Beschluss v. 25.05.2023, HRRS 2023 Nr. 997
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 12. Oktober 2022, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
im Schuldspruch, soweit er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
im Ausspruch über die Einheitsjugendstrafe.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie unerlaubten Führens einer Schreckschusswaffe zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es dem Adhäsionskläger dem Grunde nach einen Schmerzensgeldanspruch zuerkannt. Die hiergegen gerichtete und mit der ausgeführten Sachrüge begründete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nicht geprüft. Eine solche Prüfung wäre nach den Urteilsfeststellungen aber geboten gewesen.
a) Nach den Feststellungen griff der Angeklagte den Geschädigten mit einem Messer an und traf ihn zunächst am linken Arm. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Verlauf beide zu Boden gingen und weiterkämpften. Als der Geschädigte auf dem Rücken lag, stach der neben ihm kniende Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz dreimal wuchtig in dessen Rumpf. Der Angeklagte wollte sich anschließend aufrichten, wurde aber vom Geschädigten wieder zu Boden gebracht, festgehalten und bis zum Eintreffen der Polizei am Verlassen des Tatorts gehindert. Das Messer steckte der Angeklagte am Boden liegend in seine Hosentasche. Der Geschädigte erlitt jeweils eine Stichverletzung an den Oberarmen und drei Stiche im Rumpfbereich; ohne die umgehende medizinische Versorgung hätte sich die mit den Rumpfverletzungen einhergehende potentielle Lebensgefahr realisiert.
b) Danach kommt in Betracht, dass der Angeklagte vom Totschlagsversuch freiwillig Abstand genommen haben könnte. Den Feststellungen lässt sich aber ebenso wenig wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe Näheres zum Vorstellungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt seines Nichtweiterhandelns entnehmen (zum maßgeblichen Rücktrittshorizont, vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; vom 14. September 2022 - 5 StR 221/22; vom 22. Juni 2022 - 2 StR 122/22). Auf der Grundlage der bisherigen Urteilsgründe lässt sich daher ein strafbefreiender Rücktritt nicht ausschließen.
2. Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) sowie des Ausspruchs über die Einheitsjugendstrafe nach sich. Die Feststellungen zum Schuldund diejenigen zum Strafausspruch können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei zustande gekommen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können durch neue, insbesondere solche zum Vorstellungsbild des Angeklagten bei Aufgabe der Tat, ergänzt werden, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 997
Bearbeiter: Christian Becker