HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 636
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 444/23, Urteil v. 10.04.2024, HRRS 2024 Nr. 636
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 11. Mai 2023 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Verbringen einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie den Angeklagten begünstigende Fehler bei der Strafzumessung geltend macht. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts brachte der Angeklagte am 20. November 2022 als Beifahrer eines Pkw annähernd drei Kilogramm Amphetamingemisch mit 286,26 Gramm Amphetamin-Base, verpackt in fünf Vakuumbeuteln in seinem Koffer und Rucksack, von Polen nach Deutschland, um dieses gewinnbringend an Abnehmer im Raum A. zu verkaufen. In seiner Hosentasche führte er hierbei griffbereit ein Faustmesser mit einer Klingenlänge von etwa fünf und einer Gesamtlänge von etwa 10,5 Zentimetern mit sich. Dass es sich um eine verbotene Waffe handelte, nahm er zumindest billigend in Kauf, ebenso einen Wirkstoffgehalt des Amphetamins deutlich über dem Grenzwert der nicht geringen Menge. Das Messer und die Betäubungsmittel wurden bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle deutscher Ermittlungsbehörden gefunden und sichergestellt. Der Angeklagte wollte sich durch den gewinnbringenden Handel mit Amphetamin eine Einnahmequelle von erheblicher Dauer und erheblichem Umfang verschaffen und hierdurch zumindest teilweise seinen Lebensunterhalt bestreiten, namentlich Schulden aus der Finanzierung seines Hauses in Polen tilgen.
2. Das Landgericht hat die Tat rechtlich als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Verbringen einer verbotenen Waffe gewertet (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG iVm Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.2, Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1.3 WaffG) und die Strafe dem Strafrahmen des minder schweren Falls des § 30a Abs. 3 BtMG entnommen, wobei es zugunsten berücksichtigt hat, dass es sich „bei Amphetamin um eine ‚weiche Droge‘“ handele. Hinsichtlich der Strafrahmenuntergrenze hat es eine Sperrwirkung des § 29a Abs. 1 BtMG angenommen. Bei der konkreten Strafzumessung hat es dem Angeklagten strafmindernd die annähernd sechs Monate dauernde Untersuchungshaft und den Verzicht auf die Rückgabe der sichergestellten Betäubungsmittel und des Faustmessers zugutegehalten.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist - entgegen des umfassenden, auf Aufhebung des Urteils samt den zugrundeliegenden Feststellungen gerichteten Antrags - ausweislich ihrer Begründung wirksam auf den Strafausspruch beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201). Sie hat Erfolg.
1. Die Strafzumessung weist - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. April 2021 - 5 StR 545/20 mwN) - durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.
a) Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl schon übersehen, dass auch § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG eine Sperrwirkung entfalten könnte (BGH, Beschluss vom 23. August 2022 - 1 StR 232/22 Rn. 3). Zudem erweist sich die Einordnung des Amphetamins als „weiche Droge“ und die darauf fußende strafmildernde Berücksichtigung dieses Umstandes als rechtsfehlerhaft, da Amphetamin ein Betäubungsmittel von mittlerer Gefährlichkeit ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2022 - 3 StR 193/22; vom 19. Mai 2022 - 1 StR 83/22 mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass eine zutreffende Einordnung der Gefährlichkeit durch das Landgericht zu einem anderen Ergebnis bei der Strafrahmenwahl geführt hätte.
b) Auch die Strafzumessung im engeren Sinne weist den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler auf. Zu Unrecht hat das Landgericht strafmildernd gewertet, dass der Angeklagte freiwillig auf die Rückgabe sichergestellter Betäubungsmittel und des mitgeführten Faustmessers verzichtet hat. Der Verzicht auf Gegenstände, die der Angeklagte ohnehin nicht behalten darf - wie hier die verbotene Waffe (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 WaffG) und die Betäubungsmittel (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2022 - 2 StR 127/22, NStZ 2023, 340) -, rechtfertigt eine Strafmilderung nicht. Weiterhin hat das Landgericht rechtsfehlerhaft die Verbüßung von Untersuchungshaft in dieser Sache als bestimmenden Strafmilderungsgrund angesehen, ohne dass es über die üblichen Beschwernisse einer Untersuchungshaft hinausgehende Belastungen konkret festgestellt hätte. Der - auch erstmalige - Vollzug von Untersuchungshaft ist für sich genommen für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil diese nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird (vgl. BGH, Urteile vom 2. März 2023 - 4 StR 298/22 Rn. 28; vom 28. September 2022 - 2 StR 127/22, NStZ 2023, 340).
c) Auf den Rechtsfehlern beruht der Strafausspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler eine höhere Strafe verhängt hätte.
2. Die auf die Revision der Staatsanwaltschaft veranlasste Überprüfung des Urteils hat im Anfechtungsumfang keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt (§ 301 StPO). Insbesondere ist das Landgericht bei der Bestimmung des Schuldumfangs rechtsfehlerfrei von der vom Angeklagten ausdrücklich eingeräumten Gesamtmenge des sichergestellten Amphetamins ausgegangen. Es hat sich auf tragfähiger Grundlage davon überzeugt, dass dieses sämtlich dem gewinnbringenden Handel diente. Die Einlassung des Angeklagten, die Gesamtmenge habe dem sukzessiven Eigenkonsum gedient, hat das Landgericht nicht geglaubt. Soweit es unzutreffend eine Überschreitung des Grenzwertes der nicht geringen Menge um „mehr als das 28-fache“ angenommen hat, statt - rechnerisch richtig - nur um das knapp 28-fache, kann der Senat ausschließen, dass das Urteil auf dieser geringfügigen Rechenungenauigkeit beruht.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 636
Bearbeiter: Christian Becker