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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1346

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 165/23, Beschluss v. 19.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1346


BGH 5 StR 165/23 - Beschluss vom 19. Juli 2023 (LG Berlin)

Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug (Eilkompetenz; Richtervorbehalt; unbestimmter Rechtsbegriff; Zeitablauf; keine Pflicht zur nachträglichen Einholung einer richterlichen Anordnung; Beweisverwertungsverbot nur bei schwerwiegenden Verstößen).

§ 105 Abs. 1 StPO; § 103 StPO; Art. 13 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Anordnung einer Durchsuchung ist nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO allein bei Gefahr im Verzug gegeben. Wegen des Ausnahmecharakters der nichtrichterlichen Anordnung und vor allem wegen der sichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts für das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ist diese Vorgabe eng auszulegen.

2. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen daher für die Annahme von Gefahr im Verzug nicht aus. Eine solche muss vielmehr mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlusts genügt nicht. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gefahr im Verzug“ ist dabei Sache der Gerichte. Sie haben die Rechtsanwendung der Behörden uneingeschränkt nachzuprüfen; ein Beurteilungsspielraum der Strafverfolgungsbehörden besteht hierbei nicht.

3. Für die Überprüfung der Annahme von Gefahr im Verzug ist allein die Lage in der Anordnungssituation maßgeblich. Dabei ist zu berücksichtigen, wie groß der Beurteilungs- und Handlungsdruck war oder ob ausreichend Zeit für Rücksprachen mit Kollegen und Vorgesetzten sowie zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bestand. Ferner sind die situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten in Rechnung zu stellen, deren mögliche Unvollständigkeit und vorläufige Natur.

4. Bei einer kraft Eilkompetenz ergangenen Durchsuchungsanordnung steht nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, wann sie von ihr Gebrauch machen. Insbesondere ist die für richterliche Anordnungen - vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls - anerkannte maximale Geltung von sechs Monaten auf eine Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft oder deren Ermittlungspersonen nicht übertragbar.

5. Jede Durchsuchungsanordnung verliert durch Zeitablauf ihre rechtfertigende Kraft, weil sich ihre Entscheidungsgrundlage im Lauf der Zeit vom Entscheidungsinhalt immer weiter entfernt. Sie darf nur vollstreckt werden, solange sich die für den Erlass maßgeblichen Umstände nicht wesentlich geändert haben. Für eine Eilanordnung kommt hinzu, dass sie schon ihrem Wesen nach nur Eingriffe zu legitimieren vermag, die im unmittelbaren Fortgang ins Werk gesetzt werden. Nur für solche, keinen Aufschub duldende Maßnahmen besteht die Zuständigkeit der Ermittlungsbehörden, nur für solche darf sie ausgeübt werden und kann dann auch nur ein unverzügliches Handeln gestatten.

6. Die Staatsanwaltschaft ist nach einer rechtmäßigen Eilanordnung nicht gehalten, nachträglich eine richterliche Genehmigung einzuholen. Dasselbe gilt für den Fall, dass sich eine Möglichkeit hierzu ausnahmsweise noch vor Beginn der - grundsätzlich unverzüglich ins Werk zu setzenden - Durchsuchung ergibt. Ansonsten müsste der anordnende Beamte fortwährend einerseits Verbindung mit den Vollzugskräften halten und andererseits Kontaktversuche zum Gericht unternehmen, nur um Letzteres um Entscheidung ersuchen zu können, sofern dessen Erreichbarkeit schneller eintritt als der Vollzug der Maßnahme beginnt.

7. Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nach ständiger Rechtsprechung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot; dies gilt auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung. Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten. Das kommt in Betracht, wenn der Richtervorbehalt bewusst missachtet oder seine Voraussetzungen in gleichgewichtig grober Weise verkannt wurden.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. Oktober 2022 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten M. hat es eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten, gegen den Angeklagten Ma. eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren verhängt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Diese sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die auf die jeweilige Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat keinen die Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts).

Auch die Verfahrensrügen beider Angeklagter, mit denen sie die Unverwertbarkeit der aus einer Wohnungsdurchsuchung gewonnenen Beweismittel geltend machen, dringen nicht durch.

1. Den Rügen liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:

Aufgrund der im Ermittlungsverfahren bis dahin insbesondere durch Telefonüberwachungsmaßnahmen und Observationen erlangten Erkenntnisse beantragte die zuständige Staatsanwältin am 6. September 2021 beim Amtsgericht Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnungen der Beschuldigten, zu denen damals der Angeklagte M., zwei nicht revidierende Mitangeklagte sowie ein gesondert Verfolgter gehörten. Zudem wurde die Durchsuchung einer Wohnung beantragt, die den Beschuldigten nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden zur Lagerung von Betäubungsmitteln diente („Bunkerwohnung“). Die Beschlüsse wurden bereits am 7. September 2021 durch den Ermittlungsrichter erlassen.

In einem Vermerk vom 9. September 2021 hielt die zuständige Staatsanwältin fest, dass „ab dem 14. September 2021 eine dynamische Zugriffslage“ bestehen werde, die Einsatzkräfte sich bereit halten würden und über den Zugriff nach jeweils aktueller, aus Telekommunikationsüberwachung und Observation hervorgehender Lage entschieden werde.

Am 10. September 2021 gelang es den Ermittlungsbehörden, unter den observierten Personen auch den jetzigen Angeklagten Ma. zu identifizieren. Für dessen Wohnanschrift wurde eine Durchsuchungsmaßnahme angeregt. Am 13. September 2021 beantragte die Staatsanwaltschaft hierzu einen richterlichen Beschluss, der noch am selben Tag durch den Ermittlungsrichter erlassen wurde.

Am 14. September 2021 mittags wurden die Angeklagten M. und Ma. dabei observiert, wie sie gemeinsam mit einem Pkw zu einer weiteren, bislang unbekannten Wohnung in der W. Straße in B. fuhren (im Folgenden: Wohnung). Diese betraten sie mit einem eigenen Schlüssel und verließen sie kurze Zeit später mit einer zuvor nicht mitgeführten Reisetasche, die sie in ihr Fahrzeug verbrachten. Aufgrund von Erkenntnissen aus der laufenden Telekommunikationsüberwachung bestand der Verdacht, dass sich in der Reisetasche Betäubungsmittel befanden. Die beiden Angeklagten wurden verfolgt und einige Straßenzüge entfernt außer Sichtweite der Wohnung um 14:40 Uhr vorläufig festgenommen.

Bereits um 14:38 Uhr, dann nochmals um 14:40 Uhr, hatte die über diese Vorgänge informierte Staatsanwältin telefonisch versucht, den im Bereitschaftsdienst befindlichen Ermittlungsrichter zu erreichen, um sowohl eine Durchsuchung des Pkws als auch der Wohnung zu ermöglichen. Von der Geschäftsstelle wurde ihr gesagt, dass der Richter nicht an seinem Platz, sondern zu Tisch sei.

Die Staatsanwältin ordnete sodann um 14:51 Uhr aufgrund ihrer Eilkompetenz wegen eines möglichen Beweismittelverlusts selbst die Durchsuchung der Wohnung an. Laut eines von ihr gefertigten Vermerks hatte sie den Einsatzleiter der Ermittlungsbehörde zuvor nach der Eilbedürftigkeit befragt und zur Antwort erhalten, dass weitere Personen in der Wohnung sein könnten, die Beweismittel vernichten könnten.

Um 14:56 Uhr erreichte die Staatsanwältin einen diensthabenden Richter, der mündlich die Durchsuchung des Pkws anordnete. Eine richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung oder eine Bestätigung ihrer eigenen Anordnung holte sie bei dieser Gelegenheit und auch im weiteren Verlauf nicht ein.

Ab 15:00 Uhr begaben sich Zollbeamte zu der Wohnung und sicherten diese von außen ab. Durch keines der Fenster waren Bewegungen zu beobachten. Es wurden auch keine Geräusche aus der Wohnung vernommen. Nachdem der Versuch einer Öffnung der Wohnung mittels im PKW der Angeklagten aufgefundener Schlüssel misslungen war, wurde die Wohnung um 16:00 Uhr durch einen Techniker geöffnet und die Wohnung durchsucht. Es befand sich niemand in den Räumlichkeiten. In der Wohnung wurden diverse Betäubungsmittel sowie Verpackungsmaterial, vier Feinwaagen, zwei Hydraulikpressgeräte und eine Geldzählmaschine sichergestellt. Die übrigen bereits ergangenen richterlichen Durchsuchungsbeschlüsse für die weitere mutmaßliche „Bunkerwohnung“ sowie die Wohnungen der Beschuldigten wurden zwischen 15:43 Uhr und 20:30 Uhr vollzogen.

Beide Beschwerdeführer widersprachen in der Hauptverhandlung der Verwertung der aufgrund der Durchsuchung der Wohnung gewonnenen Beweismittel.

2. Die Revisionen sehen § 261 StPO als verletzt an, weil die aus der Durchsuchung hervorgegangenen Beweismittel im Urteil unverwertbar gewesen seien. Die Durchsuchung sei durch die zuständige Staatsanwältin unter Verstoß gegen den in § 105 Abs. 1 StPO angeordneten Richtervorbehalt angeordnet worden; ein Fall der Eilzuständigkeit wegen Gefahr in Verzug habe nicht vorgelegen. Diese Missachtung der richterlichen Anordnungskompetenz habe ein Beweisverwertungsverbot zur Folge gehabt.

3. Ob die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung durch die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft gedeckt war, bedarf keiner abschließenden Entscheidung, weil ein etwaiger Verstoß gegen § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall jedenfalls kein Verwertungsverbot zur Folge hätte.

a) Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Anordnung einer Durchsuchung ist nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO allein bei Gefahr im Verzug gegeben. Diese liegt vor, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme, regelmäßig wie auch hier die Sicherstellung von Beweismitteln, gefährdet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 69).

Wegen des Ausnahmecharakters der nichtrichterlichen Anordnung und vor allem wegen der sichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts für das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ist diese Vorgabe eng auszulegen. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen daher für die Annahme von Gefahr im Verzug nicht aus. Eine solche muss vielmehr mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlusts genügt nicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 Rn. 40, 46).

Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gefahr im Verzug“ ist dabei Sache der Gerichte. Sie haben die Rechtsanwendung der Behörden uneingeschränkt nachzuprüfen; ein Beurteilungsspielraum der Strafverfolgungsbehörden besteht hierbei nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 74; grundlegend BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 Rn. 49 ff.).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen wird die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme zunächst nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Wohnung letztlich erst 70 Minuten nach der Dursuchungsanordnung geöffnet wurde.

aa) Auf die Rechtsmäßigkeit der Anordnung der Staatsanwältin bleibt dies entgegen der Auffassung der Revision ohne Auswirkung. Denn für die Überprüfung der Annahme von Gefahr im Verzug ist allein die Lage in der Anordnungssituation maßgeblich. Dabei ist zu berücksichtigen, wie groß der Beurteilungs- und Handlungsdruck war oder ob ausreichend Zeit für Rücksprachen mit Kollegen und Vorgesetzten sowie zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bestand. Ferner sind die situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten in Rechnung zu stellen, deren mögliche Unvollständigkeit und vorläufige Natur (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 Rn. 58 f.; siehe auch MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 13: Gefahrenprognose aus der ex-ante-Position). Dass der späte Vollzug der Durchsuchung vorliegend durch Umstände bedingt gewesen wäre, welche für die Staatsanwältin schon zum Zeitpunkt der Anordnung erkennbar waren und daher in ihre prognostische Einschätzung des zeitlichen Spielraums für weitere Kontaktversuche zum Gericht hätten eingehen müssen, ist nicht erkennbar.

bb) Auch der Vollzug der Durchsuchung war durch die Anordnung der Staatsanwältin noch hinreichend gedeckt.

Allerdings steht es bei einer kraft Eilkompetenz ergangenen Durchsuchungsanordnung nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, wann sie von ihr Gebrauch machen. Insbesondere ist die für richterliche Anordnungen - vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls - anerkannte maximale Geltung von sechs Monaten (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997 - 2 BvR 1992/92, BVerfGE 96, 44) auf eine Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft oder deren Ermittlungspersonen nicht übertragbar. Schon allgemein gilt, dass jede Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf ihre rechtfertigende Kraft verliert, weil sich ihre Entscheidungsgrundlage im Lauf der Zeit vom Entscheidungsinhalt immer weiter entfernt. Sie darf nur vollstreckt werden, solange sich die für den Erlass maßgeblichen Umstände nicht wesentlich geändert haben (vgl. BVerfG aaO; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 113; KKStPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 9 f.). Für eine Eilanordnung kommt hinzu, dass sie schon ihrem Wesen nach nur Eingriffe zu legitimieren vermag, die im unmittelbaren Fortgang ins Werk gesetzt werden. Nur für solche, keinen Aufschub duldende Maßnahmen besteht die Zuständigkeit der Ermittlungsbehörden, nur für solche darf sie ausgeübt werden und kann dann auch nur ein unverzügliches Handeln gestatten. Zudem liegt in einer Eilentscheidung der Staatsanwaltschaft, der anders als dem Ermittlungsrichter zugleich die Leitung der Ermittlungen obliegt und der Weisungskompetenz gegenüber der Polizei zukommt, die Anordnung der Durchsuchung und nicht nur deren Gestattung (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Dem haben die Ermittlungsbehörden vorliegend jedoch hinreichend Rechnung getragen. Die Durchsuchung wurde unverzüglich, nämlich schon wenige Minuten nach der Anordnung mit der Absicherung der Wohnung von außen ins Werk gesetzt. Die Bemühungen wurden sodann ohne Unterbrechung bis zur Öffnung der Wohnung fortgesetzt. Dem Einzelfall geschuldete Verzögerungen, etwa durch technische Schwierigkeiten, beenden die Legitimität des Vollzugs der Eilanordnung nicht. Gleiches gilt für den zeitlichen Aufwand, der durch evidente Belange der Polizei bedingt ist, etwa um den Einsatz aus gefahrenabwehrrechtlicher Perspektive ausreichend vorbereiten zu können (so allgemein für den Vollzug von Durchsuchungsanordnungen LR/Tsambikakis aaO Rn. 110 mwN). Ohne Einfluss bleibt vorliegend auch die - zudem naheliegend Gründen der Verhältnismäßigkeit geschuldete - Entscheidung, vor einer gewaltsamen Öffnung der Wohnung zunächst zu versuchen, den Zutritt mit Hilfe zwischenzeitlich sichergestellter Schlüssel zu ermöglichen.

c) Auch dadurch, dass die Staatsanwältin schon fünf Minuten nach ihrer Durchsuchungsanordnung doch noch einen Richter erreichen konnte, wird deren Legitimität nicht tangiert. Denn die Staatsanwaltschaft ist nach einer rechtmäßigen Eilanordnung nicht gehalten, nachträglich eine richterliche Genehmigung einzuholen. Für den Zeitraum während des Vollzugs der Durchsuchung hat der Bundesgerichtshof dies schon wiederholt ausgesprochen (vgl. BGH, Urteile vom 15. März 2017 - 2 StR 23/16, NStZ 2017, 713; vom 18. Juli 2018 - 5 StR 547/17; für den Fall des Wegfalls der Gefahr eines Beweismittelverlustes im Verlauf der Durchsuchung BGH, Urteil vom 31. März 2021 - 2 StR 300/20; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 105 Rn. 2). Ergibt sich eine Möglichkeit hierzu ausnahmsweise noch vor Beginn der - wie dargelegt unverzüglich ins Werk zu setzenden - Durchsuchung, so gilt nichts anderes. Ansonsten müsste der anordnende Beamte fortwährend einerseits Verbindung mit den Vollzugskräften halten und andererseits Kontaktversuche zum Gericht unternehmen, nur um Letzteres um Entscheidung ersuchen zu können, sofern dessen Erreichbarkeit schneller eintritt als der Vollzug der Maßnahme beginnt.

d) Für den Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung belegen die Angaben, die in dem zur Eilentscheidung gefertigten Vermerk der Staatsanwältin enthalten sind (zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen einer nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung siehe BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 75), nicht sicher das Vorliegen der Voraussetzungen von Gefahr im Verzug.

Zwar war aufgrund des observierten Verhaltens der Angeklagten anzunehmen, dass sich in der Wohnung Beweismittel befanden. Nach der Festnahme der Angeklagten war zudem damit zu rechnen, dass die bislang verdeckt geführten Ermittlungen bei weiteren, noch auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten bekannt werden würden. Damit bestand Anlass, gebotene Durchsuchungen unverzüglich anzugehen (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 Rn. 18: sofortige Suche nach Sachbeweisen veranlasst).

Dass aber schon bei Abwarten einer richterlichen Entscheidung ein Beweismittelverlust gedroht hätte, ist durch die Dokumentation der vorliegenden Anordnung nicht belegt. Diese enthält allein den Hinweis des Einsatzleiters auf die - offensichtlich abstrakte - Möglichkeit der Anwesenheit weiterer Beteiligter in der Wohnung. Konkrete Anhaltspunkte dafür werden nicht benannt. Ebenso wenig finden sich dort Aussagen zu der Frage, ob die Angeklagten bei ihrer Festnahme noch Gelegenheit hatten, andere Beteiligte zu warnen, sowie generell zur Einschätzung der Gefahr, dass etwa in der Wohnung sich aufhaltende Personen von der außer Sichtweite vorgenommenen Festnahme unmittelbar erfahren und deshalb Anlass zur Vernichtung von Beweismitteln sehen könnten.

Der im Vermerk noch sehr abstrakt beschriebenen Gefahr eines Beweismittelverlusts stand zum Zeitpunkt der Anordnung zudem eine hohe Wahrscheinlichkeit gegenüber, zeitnah eine richterliche Entscheidung herbeiführen zu können. Denn die Staatsanwältin hatte bei ihren Anrufen die Auskunft erhalten, dass sich der diensthabende Richter lediglich bei Tisch befinde. Folglich konnte - zumal bei einem an einem Werktag am frühen Nachmittag für die Stadt B. zuständigen Bereitschaftsrichter - mit einer Rückkehr in überschaubarer Zeit gerechnet werden (zum verfassungsrechtlichen Gebot der uneingeschränkten Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienststunden BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 64).

e) Selbst bei Annahme eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt des § 105 Abs. 1 StPO hätte dieser jedoch kein Verwertungsverbot für die mittels der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel zur Folge.

Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot; dies gilt auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung. Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NStZ 2011, 103). Das kommt in Betracht, wenn der Richtervorbehalt bewusst missachtet oder seine Voraussetzungen in gleichgewichtig grober Weise verkannt wurden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2020 - 4 StR 15/20, NStZ 2020, 621; vom 27. November 2018 - 5 StR 566/18, NStZ-RR 2019, 94; grundlegend BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285; aus dem Schrifttum Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 105 Rn. 19; MüKoStPO/Hauschild aaO Rn. 36; für ein „allgemeines Verbot der Verwertung“ dagegen LR/Tsambikakis aaO Rn. 141).

Eine derart massive Rechtsverletzung steht vorliegend jedoch nicht im Raum. Hiergegen sprechen im Rahmen der gebotenen Abwägung neben dem erheblichen Gewicht der in Rede stehenden Straftaten bereits die immerhin vorhandene, wenn auch noch eher abstrakte Gefahr eines Beweisverlustes, der in einer dynamischen Zugriffslage unternommene zweimalige Versuch der vorherigen Kontaktaufnahme zum Gericht sowie der Umstand, dass die betroffene Wohnung ausschließlich als „Bunker“ für die Lagerung von Betäubungsmitteln diente und schon bei Anordnung der Durchsuchung kein Anhaltspunkt für eine Nutzung zu Wohnzwecken bestand.

Hinzu kommt vorliegend, dass eine richterliche Anordnung nicht nur bei ex-post-Betrachtung mit Sicherheit ergangen wäre, sondern die verantwortliche Staatsanwältin hiervon auch schon bei ihrer Entscheidung ausgehen durfte (vgl. zur grundsätzlichen Berücksichtigung eines hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs im Rahmen der Abwägung etwa BGH, Urteil vom 17. Februar 2016 - 2 StR 25/15, NStZ 2016, 551; zu dessen fehlender Relevanz in Fällen grober Missachtung eines Richtervorbehalts BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - 2 StR 394/15, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 9; zum Ganzen MüKoStPO/Hauschild aaO Rn. 37 f.). Zwar war die betroffene Wohnung am fraglichen Tag erstmals ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Jedoch waren diese im bisherigen Verfahren sehr darauf bedacht gewesen, absehbar erforderlich werdende richterliche Durchsuchungsanordnungen zeitnah einzuholen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 Rn. 18). Entsprechend waren in den Tagen zuvor bereits mehrere Durchsuchungsanordnungen für Wohnungen beantragt und vom Ermittlungsrichter sämtlich erlassen worden. Darunter befand sich bereits eine mutmaßliche Bunkerwohnung derselben Tätergruppierung. Die vorliegend in Rede stehende Durchsuchungsmaßnahme war folglich in einen fortwährenden Kontakt zu richterlichen Entscheidungsträgern eingebettet, der sogar nach der Eilentscheidung der Staatsanwältin noch seine Fortsetzung fand durch die richterliche Anordnung der Durchsuchung des Pkws der Angeklagten. Die dadurch gestützte entsprechende Verlaufshypothese war hier auch nicht etwa durch eine zwischenzeitlich veränderte Situation entkräftet worden (vgl. zu einem solchen Fall BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 2 BvR 1845/00, NJW 2003, 2303 Rn. 21 f.). Vielmehr lagen die zur Durchsuchungsanordnung führenden Beobachtungen und die Festnahme der Angeklagten ganz auf der Linie der bisherigen Ermittlungen.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1346

Bearbeiter: Christian Becker