HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 989
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 300/20, Urteil v. 31.03.2021, HRRS 2021 Nr. 989
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2020 im Fall II.2. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie „tateinheitlichen zweifachen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten K. hat es wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Mai 2019 eine Jugendstrafe von einem Jahr verhängt. Außerdem hat es im Einzelnen bezeichnete drogenhaltige Gemische, ein Mobiltelefon und Gebrauchsgegenstände für den Drogenhandel eingezogen, ferner sichergestelltes Bargeld i.H.v. 5.000 €. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft bezogen auf Fall II.2. der Urteilsgründe mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Am 2. April 2019 trafen sich der Angeklagte S. und der gesondert verfolgte M. in einem Parkhaus. Im Fahrzeug des M. übergab der Angeklagte S. diesem 100,2 g Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 77 g. Im Gegenzug übergab M. dem Angeklagten S. 4.500 € (Fall II.1. der Urteilsgründe).
Am 5. Juni 2019 bat der gesondert verfolgte H. den Angeklagten S., ihm 20 g Heroin zu verkaufen. Das sagte S. zu. Die Drogenübergabe sollte sogleich, die Bezahlung später erfolgen. Der Angeklagte S. rief den Angeklagten K. an und bat ihn, die Betäubungsmittel aus einem Zimmer im Anwesen T. straße in F. zu holen und diese an H. zu übergeben. Der Angeklagte K. konnte der Aufforderung zunächst nicht nachkommen, weil er sich nicht in der Wohnung aufhielt und den Schlüssel seinem Bruder übergeben hatte. Der Angeklagte K. und dessen Bruder trafen danach den Angeklagten S. vor dem Café“ “, wo K. erneut angewiesen wurde, die von H. bestellten 20 g Heroin aus der Wohnung zu holen. Dem folgte der Angeklagte K. und übergab H. eine Plombe mit 19,5 g Heroingemisch, welches 0,1 g Heroinhydrochlorid enthielt (Fall II.2.a der Urteilsgründe).
Die Angeklagten S. und K. hatten in einer Wohngemeinschaft im Anwesen K. -Straße in F. ein Zimmer gemietet. S. beabsichtigte ? entweder allein oder gemeinsam mit K. ?, dieses Zimmer als Rauschgiftbunker zu nutzen. Er verwahrte dort am 5. Juni 2019 verschiedene Substanzen mit jeweils geringen Betäubungsmittelanteilen, darunter 539,80 g heroinhaltiges Gemisch und kleinere Mengen kokainhaltige oder morphinhaltige Gemische. Die Substanzen waren in der Schublade einer Kommode gelagert, in deren unterem Teil sich auch ein Messer befand. Ferner waren in dem Zimmer zahlreiche Verkaufsutensilien vorhanden. Schließlich hatte der Angeklagte S. 5.000 € Bargeld in 50- und 100 Euro-Scheinen dort in einer Jackentasche. Das Geld stammte aus Rauschgiftgeschäften (Fall II.2.b der Urteilsgründe).
2. Das Landgericht hat die festgestellten Handlungen rechtlich wie folgt bewertet:
a) Im Fall II.1. der Urteilsgründe habe sich der Angeklagte S. des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG schuldig gemacht.
b) Im Fall II.2.a habe der Angeklagte S. durch das Geschäft mit H. mit dem Heroin aus dem Zimmer in der T. straße im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG Handel mit Betäubungsmitteln getrieben. Tateinheitlich habe er denselben Tatbestand durch Vorrätighalten von Heroin und Morphin in dem Zimmer in der K. -Straße zum Verkauf erfüllt. Die Tatsache, dass das an den Zeugen H. herausgegebene Heroin aus der Wohnung in der T. straße stammte, stehe der Annahme einer Bewertungseinheit mit dem Heroinvorrat in dem Zimmer in der K. -Straße nicht entgegen. In welcher Wohnung eine Teilmenge des Rauschgifts gelagert wurde, sei Zufall, und aus welcher Wohnung ein Abnehmer bedient wurde, nur davon abhängig gewesen, welche jeweils näher am Übergabeort gelegen habe. Die Einzelakte beträfen bezüglich der heroin- und morphinhaltigen Betäubungsmittelgemische eine Bewertungseinheit.
Bezüglich der kokainhaltigen Mischungen in der Wohnung in der K. - -Straße sei von einer eigenen Bewertungseinheit auszugehen, die aber in Tateinheit mit der anderen Bewertungseinheit gestanden habe. Die beiden Bewertungseinheiten erfüllten jeweils nicht den Qualifikationstatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; denn sie seien nicht zu addieren.
Hinsichtlich weiterer Drogenvorräte in der Wohnung im Anwesen T. straße bestehe ein Beweisverwertungsverbot, sodass hierzu keine Feststellungen getroffen werden könnten.
c) Der Angeklagte K. habe im Fall II.2.a, ähnlich wie ein Drogenkurier, nur Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch den Angeklagten S. geleistet, zumal eine Beteiligung am Verkaufserlös nicht feststellbar sei. Tateinheitlich habe er Besitz an diesen Betäubungsmitteln gehabt.
d) Eine Beteiligung des Angeklagten K. am Handeltreiben mit dem Drogenvorrat in dem Zimmer in der K. -Straße sei nicht festzustellen.
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind nach der Rechtsmittelbegründung auf die Verurteilung der Angeklagten im Fall II.2. der Urteilsgründe beschränkt. Diese Beschränkung ist wirksam.
2. Im Umfang der Anfechtung haben die Rechtsmittel mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung der Verurteilung im Fall II.2. der Urteilsgründe.
a) Die Ausführungen zum Vorliegen zweier tateinheitlich zusammentreffender Bewertungseinheiten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln durch den Angeklagten S. sind rechtsfehlerhaft.
Die Begründung des Landgerichts dafür, dass es bezüglich der heroinhaltigen Mengen nicht auf den Lagerungsort ankomme, während kokainhaltige Mischungen an demselben Ort eine gesonderte Bewertungseinheit bilden sollen, ist widersprüchlich und unzutreffend. Von einer Bewertungseinheit ist auszugehen, wenn verschiedene Betäubungsmittelmengen vermischt oder vor Beginn der Verkaufstätigkeit zu einem Gesamtvorrat zusammengefügt werden. Der Besitz verschiedener Betäubungsmittelmengen an unterschiedlichen Orten ohne solche Verbindung kann nicht schon aufgrund der Gleichzeitigkeit zur Tateinheit führen. Auch die Absicht des Angeklagten S., die Betäubungsmittelmengen aus den beiden Wohnungen im Bedarfsfall miteinander zu vermengen oder sie zusammen zu verkaufen, genügt gegebenenfalls nicht zur Herstellung einer Bewertungseinheit (vgl. dazu Körner/Patzak/Volkmer/Patzak, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 316 mwN). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die verschiedenen Drogenmengen in einem einheitlichen Vorgang erworben worden sind, liegen nicht vor. Insoweit wäre von Tatmehrheit auszugehen.
Der Schuldspruch wegen zweifachen tateinheitlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln kann deshalb nicht bestehen bleiben. Damit entfällt auch die Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe, so dass nur die Einzelstrafe im Fall II.1. verbleibt; die bisherige Gesamtfreiheitsstrafe ist damit gegenstandslos.
b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht nur von Beihilfe des Angeklagten K. zum Handeltreiben des Angeklagten S. mit Betäubungsmitteln bei dem Drogengeschäft mit H. in Tateinheit mit Besitz an diesen Betäubungsmitteln ausgegangen ist.
aa) Die Ausführungen zur Ablehnung einer Mittäterschaft sind lückenhaft.
Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten K., er habe kein Geld von H. entgegengenommen, für unwiderlegt erachtet. Deshalb habe er mangels Gewinnbeteiligung bei der Drogenübergabe an H. nur Beihilfe geleistet. Das Landgericht ist dabei auch der Aussage des Zeugen H. nicht gefolgt, er habe Betäubungsmittel immer nur von dem Angeklagten K., nicht von S., gekauft und den Kaufpreis nur an K. gezahlt; denn der Zeuge H. habe widersprüchliche Angaben gemacht, die auch nicht mit der Tatsache vereinbar seien, dass der Angeklagte K. noch bis zum 18. Mai 2019 in Untersuchungshaft war.
Diese Überlegung greift zu kurz. Wenn der Zeuge H. den Angeklagten S. mit seiner Aussage schützen wollte, schließt dies nicht aus, dass eine mittäterschaftliche Beteiligung des Angeklagten K. am Drogenhandel im Zeitraum zwischen seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft und dem Zeitpunkt des polizeilich überwachten Drogengeschäfts mit H. vorgelegen hat. Ob das der Fall war, wäre aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu prüfen gewesen, wobei auch die Tatsachen zu berücksichtigen gewesen wären, dass der Angeklagte K. wiederholt nach Deutschland eingereist war und hier keiner Arbeit nachging, wegen Drogenbesitzes aufgefallen und wiederholt wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestraft war sowie nach seiner Einlassung zeitweise in der gemeinsam mit S. angemieteten Wohnung in der K. - -Straße und zeitweise in der Wohnung in der T. straße gewohnt hatte, wo jeweils Drogen vorrätig gehalten wurden. Das hat das Landgericht nicht in eine Gesamtwürdigung einbezogen.
bb) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht dem Angeklagten K. das Vorrätighalten von Betäubungsmitteln in der Wohnung in der K. -Straße nicht zugerechnet hat.
Insoweit hat das Landgericht die Einlassung des Angeklagten K., er habe keine Verfügungsgewalt über die Gegenstände im Zimmer gehabt und den Angeklagten S. nicht beim Umgang damit unterstützt, für unwiderlegt gehalten. Es sei nicht nachzuweisen, dass er nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im Mai 2019 mehr als nur einmal in dem Zimmer übernachtet habe. Es sei möglich, dass der Angeklagte S. die Betäubungsmittel und die Utensilien für den Handel damit ohne Zutun des Angeklagten K. in dieses Zimmer verbracht habe, während K. in Untersuchungshaft gewesen sei. Das Landgericht ist den Ausführungen des Zeugen W., dass der Angeklagte K. das Zimmer durchgehend bewohnt habe, nicht gefolgt; denn dieser habe ungenaue Angaben gemacht und den Angeklagten K. möglicherweise mit dessen Bruder verwechselt. Auch die Angaben des Mitbewohners St. bei seiner polizeilichen Vernehmung, dass beide Angeklagten ihm in der Vergangenheit Rauschgift und eine Tätigkeit als Verkäufer von Betäubungsmitteln angeboten hätten, seien nicht ausreichend, um die Einlassung des Angeklagten K. zu widerlegen. Diese Aussage sei von geringem Beweiswert, weil sie lediglich durch Zeugnis vom Hörensagen des Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnte.
Auch diese Beweiswürdigung ist lückenhaft. Sie lässt erneut eine Gesamtwürdigung aller Umstände vermissen und berücksichtigt wieder nicht, dass der Angeklagte K. nach seiner Einreise nach Deutschland keiner Arbeit nachging, wegen Drogenbesitzes aufgefallen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestraft war sowie nach seiner Einlassung zeitweise in dem gemeinsam mit S. angemieteten Zimmer in der K. -Straße und zeitweise in dem Zimmer in der T. straße gewohnt hatte, wo jeweils Drogen vorrätig gehalten wurden. Das wäre bei einer Gesamtschau aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände mit zu berücksichtigen gewesen.
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Annahme des Landgerichts, dass bezüglich der Ergebnisse der Durchsuchung der Wohnung in der T. straße ein Beweisverwertungsverbot vorliege, begegnet rechtlichen Bedenken. Der neue Tatrichter wird dies abermals zu prüfen haben. Für die Feststellung der maßgeblichen Prozesstatsachen gilt das Freibeweisverfahren (vgl. Senat, Urteil vom 28. Juni 1961 ? 2 StR 154/61, BGHSt 16, 164, 166), indem auch die Aufklärungspflicht des Gerichts zu beachten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 ? 2 BvR 1150/80 und 1504/82, BVerfGE 70, 297, 309; Beschluss vom 14. Dezember 2000 ? 2 BvR 1741/99, 276, 2061/00, BVerfGE 103, 21, 37). Eine Beweiserhebung in der Hauptverhandlung durch Vernehmung von Zeugen ist danach weder erforderlich noch ausreichend.
In dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts wegen Gefahr im Verzug fehlerhaft gewesen sei. Es hat aber nicht geprüft, ob bereits zuvor eine wirksame Anordnung der Durchsuchung durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft vorgelegen hatte. Die Durchsuchung begann mit dem Eingriff in den Schutzbereich gemäß Art. 13 Abs. 1 GG; dieser lag jedenfalls mit dem Betreten der Räume der Wohngemeinschaft vor, nicht erst mit Betreten des Zimmers der Angeklagten. Insoweit konnte die Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts prozessual überholt gewesen sein; denn eine zurecht wegen Gefahr im Verzug begonnene Durchsuchung kann gegebenenfalls in zulässiger Weise fortgesetzt werden, wenn in deren Verlauf die ursprünglich zutreffend angenommene Gefahr eines Beweismittelverlustes entfällt (vgl. Senat, Urteil vom 15. März 2017 - 2 StR 23/16, NStZ 2017, 713; BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 - 5 StR 547/17, juris; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Aufl., § 105 Rn. 2 a.E.). Ob ein Fehler der erst nach Beginn der Durchsuchung erfolgten Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hat, wäre jedenfalls unter Abwägung aller Umstände, einschließlich einer zunächst bestehenden Gefahr im Verzug, zu prüfen.
b) Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der Bundesgerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen. Dies gilt gleichermaßen für die Beweiswürdigung. Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist. Eine schrittweise Angabe von Belegen für jede einzelne Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein, ist entbehrlich (vgl. Senat, BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - 2 StR 380/19, NStZ-RR 2020, 258 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 989
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß