HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 629
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 12/23, Beschluss v. 18.03.2024, HRRS 2024 Nr. 629
Die Rechtskraft eines Strafurteils beendet den Lauf der Verfolgungsverjährung und es beginnt im Falle einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten oder Freigesprochenen der Lauf der Verfolgungsverjährung von neuem.
Der Angeklagte war mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Juli 2008 aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf einer gemeinschaftlich mit einem gesondert Verfolgten am 27. Februar 2008 in Berlin begangenen gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) freigesprochen worden.
Mit Beschluss vom 20. April 2020 hat das Amtsgericht Tiergarten aufgrund eines als glaubhaft erachteten außergerichtlichen Geständnisses des Angeklagten gemäß § 370 Abs. 2, § 362 Nr. 4 StPO die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung gegen ihn angeordnet. Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 14. Juli 2020 verworfen.
Aufgrund der neuen Hauptverhandlung hat das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten mit Urteil vom 2. Dezember 2020 abermals aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Berlin dieses Urteil am 26. April 2022 aufgehoben und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Kammergericht ist der Ansicht, die zehnjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB sei nach der letzten Unterbrechung durch die richterliche Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 15. Juli 2008 (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB) am 14. Juli 2018 abgelaufen. Es beabsichtigt daher, der Revision stattzugeben und das Verfahren unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 349 Abs. 4 StPO) wegen Eintritts von Verfolgungsverjährung einzustellen (§ 206a StPO). Daran sieht es sich aber durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. November 1972 (2 StR 498/72, in GA 1974, 149 f. nur teilweise abgedruckt) und den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. November 2000 (NStZ-RR 2001, 142, 144) gehindert, wonach mit der Rechtskraft eines Wiederaufnahmebeschlusses eine neue Verfolgungsverjährung mit einer neuen Verjährungsfrist beginne.
Das Kammergericht teilt diese Rechtsauffassung jedenfalls für die zur Entscheidung anstehende Konstellation eines rechtskräftigen Freispruchs nicht. Durch ein solches Urteil werde der Lauf der Verjährungsfrist weder beendet noch gehemmt (§ 78b Abs. 3 StGB); es bewirke auch nicht das Ruhen der Verjährung (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Das Kammergericht hat die Sache daher dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG zur Beantwortung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Beendet die Rechtskraft eines Freispruchs den Lauf der (Verfolgungs-) Verjährung mit der Folge, dass im Falle einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen eine neue Frist für die Strafverfolgungsverjährung zu laufen beginnt, oder bleibt die Rechtskraft eines freisprechenden Urteils ohne Einfluss auf den weiteren Lauf der Verjährungsfrist und steht mithin deren Ablauf nicht entgegen? Der Generalbundesanwalt ist der Rechtsansicht des Kammergerichts entgegengetreten. Er hält die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 29. November 1972 vertretene Auffassung für zutreffend und meint zudem, die aufgeworfene Problematik stelle sich gleichermaßen für verurteilende Erkenntnisse, weshalb die auf freisprechende Urteile beschränkte Vorlegungsfrage entsprechend zu erweitern sei. Er beantragt deshalb zu beschließen:
Die Rechtskraft eines Strafurteils beendet den Lauf der Verfolgungsverjährung mit der Folge, dass im Falle einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten eine neue Frist für die Strafverfolgungsverjährung zu laufen beginnt.
III.
Die Vorlage ist zulässig. Die Vorlagevoraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG sind gegeben.
1. Die Vorlage betrifft eine Rechts- und keine Tatfrage. Denn die Frage, welche Auswirkungen die Rechtskraft einer (freisprechenden oder verurteilenden) strafrechtlichen Entscheidung einerseits und eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten andererseits auf die Strafverfolgungsverjährung haben, ist unabhängig von den konkreten tatsächlichen Umständen des zu entscheidenden Einzelfalls anhand abstrakt-genereller, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle zugänglicher Maßstäbe zu beantworten (vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16 mwN).
2. Durch die beabsichtigte Sachbehandlung würde das vorlegende Kammergericht in der entscheidungserheblichen Rechtsfrage von den tragenden Gründen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. November 1972 (2 StR 498/72) und von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 1988 (NJW 1988, 2251 f.) abweichen.
a) In dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Verfahren hatte die Strafkammer das ursprünglich im Sicherungsverfahren ergangene und die Unterbringung des Angeklagten anordnende Urteil aus dem Jahr 1954 nach Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten im Jahr 1972 aufgehoben und den Angeklagten unter Absehen von Strafe des Betrugs in fünf Fällen schuldig gesprochen. Der Bundesgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Revision des seine Freisprechung begehrenden Angeklagten verworfen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat er unter anderem ausgeführt, die Strafverfolgung sei nicht verjährt, denn mit der Rechtskraft des Strafurteils erlösche das Recht auf Strafverfolgung und wegen Wegfalls dieses Rechts ende auch die Verfolgungsverjährung; erst wenn das Urteil der Strafverfolgung nicht mehr entgegenstehe, also mit der Rechtskraft des Wiederaufnahmebeschlusses gemäß § 370 Abs. 2 StPO, beginne eine neue Verfolgungsverjährung mit einer neuen Verjährungsfrist (so bereits BGH, Urteil vom 27. November 1964 - 3 StR 53/64 zu einer nach § 79 Abs. 1 BVerfGG zulässigen Wiederaufnahme, insoweit in BGHSt 20, 115 nicht abgedruckt, unter Berufung auf RGSt 76, 46, 48). Dies gelte allgemein, also für verurteilende wie für freisprechende Erkenntnisse gleichermaßen. Die neue Verjährungsfrist sei noch nicht abgelaufen.
b) Dieser Auffassung hat sich das Oberlandesgericht Düsseldorf in der genannten Entscheidung angeschlossen. Wie in der durch das Kammergericht zu entscheidenden Sache war der Angeklagte im dortigen Verfahren zunächst freigesprochen und das Verfahren später auf Antrag der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen worden.
c) Danach kommt es für die Frage der die Vorlagepflicht begründenden Divergenz nicht mehr entscheidend darauf an, dass in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. November 1972 zugrunde liegenden Verfahren zunächst eine Unterbringung des Angeklagten im Sicherungsverfahren angeordnet worden war, während das Verfahren des vorlegenden Kammergerichts in der ersten Hauptverhandlung mit einem Freispruch beendet worden ist. Schon ungeachtet dessen, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsauffassung ohnehin ausdrücklich allgemein formuliert und sowohl auf verurteilende als auch auf freisprechende Erkenntnisse bezogen hat, besteht keine wesentliche Abweichung des damals entschiedenen von dem durch das Kammergericht nunmehr zu entscheidenden Fall. Denn die Anordnung von Maßregeln gegen einen Schuldunfähigen im Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO kommt im Hinblick auf den Schuldspruch einem Freispruch gleich (vgl. etwa BeckOK StPO/Singelnstein, 50. Ed., § 362 Rn. 5; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 9; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 15; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl., Rn. 308; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 362 Rn. 4 jeweils mwN; MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, § 362 Rn. 12).
d) Ebenso wenig wirkt sich aus, dass das Verfahren in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. November 1972 zugrunde liegenden Fall zugunsten des Angeklagten wiederaufgenommen worden war und nicht, wie in dem durch das Kammergericht zu entscheidenden Fall, zuungunsten. In der Diskussion um die vorgelegte Rechtsfrage wird zwar von einer Auffassung zwischen der Wiederaufnahme zugunsten und derjenigen zuungunsten unterschieden und jedenfalls für den letzteren Fall ein Fortlaufen der Verjährung angenommen (vgl. etwa OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 370 Rn. 19; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15; SSWStGB/Rosenau, 5. Aufl., § 78b Rn. 12; vgl. dazu unten IV. 2. a). Jedenfalls aufgrund der verfahrensidentischen Situation in dem vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedenen Fall bleibt aber eine Divergenz bestehen.
e) Der Zulässigkeit der Vorlage steht auch nicht entgegen, dass die Rechtsprechung, von der das Kammergericht abzuweichen beabsichtigt, überholt wäre.
Zwar fehlt es an der erforderlichen Divergenz, wenn die tragende Rechtsgrundlage der abweichenden Ansicht infolge späterer Gesetzesänderungen entfallen ist. Darauf abstellend wird im Zusammenhang mit der Vorlagefrage teilweise vertreten, die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zu einer anderen Rechtslage ergangen, weil gerade die §§ 78 ff. StGB durch spätere Gesetze, insbesondere das am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717) in der Fassung des Gesetzes über das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 30. Juli 1973 (BGBl. I S. 909), erhebliche Veränderungen erfahren hätten (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 370 Rn. 19; Lenzen, JR 1988, 520 f.). In der Literatur wird hingegen teilweise die Auffassung vertreten, die Gesetzesänderungen beträfen gerade nicht die für die Vorlagefrage relevanten Vorschriften über das Ruhen der Verjährung infolge gesetzlicher Verfolgungshindernisse oder das Verhältnis zwischen Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung (Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 681; Gössel, NStZ 1988, 537, 539; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 298).
Dies belegt das Vorliegen eines Falles, in dem die Reichweite der Gesetzesänderung zumindest zweifelhaft und schon deshalb vorzulegen ist (vgl. KKStPO/Feilcke, 9. Aufl., § 121 GVG Rn. 29; LR/Gittermann, StPO, 27. Aufl., § 121 GVG Rn. 60). Hinzu kommt, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf am 29. Januar 1988 und damit jedenfalls nach Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes ergangen ist.
3. Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die beabsichtigte Entscheidung des Kammergerichts entscheidungserheblich.
a) Auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO wegen des Verfahrenshindernisses der Strafverfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) kann das Kammergericht nur erkennen, wenn die Rechtskraft des aufgrund der ersten Hauptverhandlung vom 15. Juli 2008 ergangenen freisprechenden Urteils ohne Einfluss auf den weiteren Lauf der zehnjährigen Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) geblieben ist, deren Ablauf also nicht gehindert hat. Dann wäre nämlich - wie das Kammergericht folgerichtig angenommen hat - nach der letzten Unterbrechung durch die richterliche Vernehmung des Angeklagten in der genannten Hauptverhandlung (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB) am 14. Juli 2018 Verfolgungsverjährung eingetreten. Nachfolgende Unterbrechungshandlungen im Zusammenhang mit dem durch Antrag vom 26. April 2019 eingeleiteten Wiederaufnahmeverfahren oder der neuen Hauptverhandlung vermöchten daran nichts zu ändern.
b) Eine solche Entscheidung wäre dagegen trotz Verstreichens von zehn Jahren seit der letzten Unterbrechung durch die richterliche Vernehmung des Angeklagten in der ersten Hauptverhandlung (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB) ausgeschlossen, wenn die Rechtskraft des Urteils vom 15. Juli 2008 die Verfolgungsverjährung beendet hätte und durch die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des freigesprochenen Angeklagten eine neue Frist in Lauf gesetzt worden wäre.
4. Der Senat hat die Vorlegungsfrage, die nur die Wiederaufnahme zuungunsten Freigesprochener betrifft, wie folgt weiter gefasst:
Beendet die Rechtskraft eines Strafurteils den Lauf der Verfolgungsverjährung und beginnt im Falle einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten oder Freigesprochenen der Lauf der Verfolgungsverjährung von neuem? Denn die Frage der Wirkung der Rechtskraft eines Urteils stellt sich bei einer Wiederaufnahme nicht nur im Falle eines Freispruchs, sondern gleichermaßen in Fällen einer Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 1 bis 3 StPO bei verurteilenden Erkenntnissen. Deshalb hat schon der Generalbundesanwalt die Erweiterung der Vorlagefrage auf verurteilende Erkenntnisse bei Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten beantragt.
Um die mithin einheitlich zu beantwortende Rechtsfrage umfassend zu klären, fasst der Senat die Vorlagefrage entsprechend weiter (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Mai 2023 - GSSt 1/23 Rn. 17 f., BGHSt 67, 295; vom 30. Oktober 1997 - 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277, 282; vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35; KKStPO/Feilcke, 9. Aufl., § 121 GVG Rn. 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 121 GVG Rn. 13; SSWStPO/Quentin, 5. Aufl., § 121 GVG Rn. 22).
Der Senat beantwortet die dergestalt erweiterte Vorlagefrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Er hält an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest.
1. Mit der Rechtskraft eines Strafurteils endet die Strafverfolgungsverjährung. Wird das Verfahren nach § 362 StPO wieder aufgenommen, beginnt mit der Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung eine neue Verfolgungsverjährung mit der gesetzlich vorgegebenen Verjährungsfrist (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72, in GA 1974, 149 f. nur teilweise abgedruckt; ebenso bereits BGH, Urteil vom 27. November 1964 - 3 StR 53/64 zur nach § 79 Abs. 1 BVerfGG zulässigen Wiederaufnahme, insoweit in BGHSt 20, 115 nicht abgedruckt; RGSt 76, 46, 48; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251 f. und NStZ-RR 2001, 142, 144; OLG Frankfurt, MDR 1978, 513; OLG Stuttgart, MDR 1986, 608 f.; aus der Literatur: Göhler/Gürtler/Thoma, OWiG, 18. Aufl., Vor § 31 Rn. 2a; Gössel, NStZ 1988, 537 ff.; HKGS/Beukelmann, 5. Aufl., StGB, § 78 Rn. 18; HKGS/Weiler, 5. Aufl., StPO, § 362 Rn. 1, § 370 Rn. 7; KKOWiG/Ellbogen, 5. Aufl., § 31 Rn. 37; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 9, 11; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 7, § 370 Rn. 41; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 362 Rn. 3; NKStGB/Saliger, 6. Aufl., § 78 Rn. 15; Pfeiffer, Festgabe für Graßhof, 1998, S. 271, 285). Dazu im Einzelnen:
a) Durch ein rechtskräftiges strafrechtliches Erkenntnis wird die Strafverfolgung abgeschlossen, das Recht auf weitere Strafverfolgung erlischt (BGH, Urteile vom 27. November 1964 - 3 StR 53/64, insoweit in BGHSt 20, 115 nicht abgedruckt; vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72; RGSt 76, 46, 48; RGSt 69, 8, 10; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 71, NJW 2023, 3698).
Denn mit der materiellen Rechtskraft eines Strafurteils - gleichviel ob verurteilend oder freisprechend - tritt Strafklageverbrauch ein, aus dem ein umfassendes Verfahrenshindernis folgt, das die Einmaligkeit der Strafverfolgung sichert und damit nicht nur eine wiederholte Bestrafung für eine Tat, sondern schon eine Wiederholung des Strafverfahrens ausschließt, und zwar auch im Falle eines vorangegangenen Freispruchs („ne bis in idem“). Dieser Grundsatz hat nach Art. 103 Abs. 3 GG Verfassungsrang (vgl. BVerfG, Urteile vom 18. Dezember 1953 - 1 BvR 230/51, BVerfGE 3, 248, 251 ff.; vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 65, NJW 2023, 3698; BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1953 - GSSt 2/53, BGHSt 5, 323, 328 ff.).
b) Mit dem Abschluss der Strafverfolgung endet zugleich die Verfolgungsverjährung (BGH, Urteil vom 27. November 1964 - 3 StR 53/64, insoweit in BGHSt 20, 115 nicht abgedruckt; Beschluss vom 31. März 1965 - 4 ARs 2/65, BGHSt 20, 198, 200; Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251), deren Gegenstand die Strafverfolgung ist (vgl. § 78 Abs. 3 StGB); denn eine nicht mehr statthafte - und deshalb nicht mehr stattfindende - Strafverfolgung kann der Verfolgungsverjährung denklogisch nicht unterliegen (vgl. RGSt 76, 46, 48; RGSt 69, 8, 10; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 142, 143; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 7).
c) Die rechtskräftige Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt die Rechtskraft des Strafurteils und das daraus resultierende Verfolgungsverbot. Das kann damit der Strafverfolgung nicht mehr entgegenstehen (BGH, Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72). Strafverfolgung findet erneut statt (vgl. etwa LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 370 Rn. 35; MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, § 370 Rn. 20; Gössel, NStZ 1988, 537, 538; Radtke, Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozeß, 1994, S. 320, Fn. 57 [„erneute Rechtshängigkeit“]; möglicherweise weitergehend [„neuer Akt der Verfolgung“]: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Zweiter Band: Strafprozeß, S. 266, 297; ähnlich [„neues Verfahren“]: Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 861 f. mwN).
Die Wiederaufnahmeentscheidung entfaltet insoweit Wirkung nur für die Zukunft. Da die Verfolgungsverjährung mit der Rechtskraft des Urteils endgültig geendet hatte, gibt es auch keine bereits in Lauf gesetzte Frist, an die angeknüpft werden könnte; sie muss daher nach dem Wegfall der Rechtskraft des Urteils neu begründet werden (vgl. LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 11). Dementsprechend beginnt mit der Möglichkeit der erneuten Strafverfolgung zugleich die Verfolgungsverjährung mit der gesetzlichen Verjährungsfrist (BGH, Urteile vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72; BGH, vom 27. November 1964 - 3 StR 53/64, insoweit in BGHSt 20, 115 nicht abgedruckt; RGSt 76, 46, 48 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251 f.; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 142, 144; Gössel, NStZ 1988, 537, LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 7).
d) Die Auswirkungen der Wiederaufnahmeentscheidung auf den Lauf der Verfolgungsverjährungsfrist treten unabhängig davon ein, ob es sich um einen Freispruch oder ein verurteilendes Erkenntnis handelt.
2. Der vom Senat vertretenen Ansicht sind allerdings - überwiegend in der Literatur, teilweise aber auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung - andere Auffassungen entgegengesetzt worden.
a) Eine Ansicht, der sich im Ergebnis auch das Kammergericht angeschlossen hat, rechnet - jedenfalls bei einer Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten - den Zeitraum zwischen Eintritt und Beseitigung der Rechtskraft des Strafurteils in die Verjährungsfrist ein. Sie nimmt mithin (im Ergebnis rückwirkend) eine Fortsetzung der Verfolgungsverjährung mit der ursprünglich in Lauf gesetzten Frist an. Damit behandelt sie die Verjährungsfrist so, als sei sie trotz der zwischenzeitlichen Rechtskraft des Strafurteils weitergelaufen. Daraus folge, dass eine Wiederaufnahme zuungunsten nur innerhalb der ursprünglichen Verjährungsfrist zulässig sei (vgl. etwa OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 685 f.; AKStPO/Loos, § 362 Rn. 7; BeckOK StGB/Dallmeyer, 60. Ed., § 78b Rn. 8; von Heintschel-Heinegg/Dallmeyer, StGB, 4. Aufl., § 78b Rn. 7; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Bülte, AO, 264. Lfg., § 376 Rn. 195, 197 mwN; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 7, § 370 Rn. 19; KMR/Eschelbach, StPO, 40. EL, § 362 Rn. 103 und 72. EL, § 370 Rn. 41; Letzgus, Festschrift für Geppert, 2011, S. 785, 798; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl., Rn. 18 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 362 Rn. 1, § 370 Rn. 14; Miebach/Hohmann/Feilcke, Wiederaufnahme in Strafsachen, Kapitel G Rn. 31 f.; MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, § 362 Rn 7, § 370 Rn. 25; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, 3. Band: Wiederaufnahmerecht, 1974, S. 109 f.; ders. Strafprozeß, 4. Aufl., S. 684 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 30. Aufl., § 57 Rn. 11; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15; SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 362 Rn. 20 f., § 370 Rn. 25; SSWStGB/Rosenau, 5. Aufl., § 78b Rn. 12; SSWStPO/Kaspar, 5. Aufl., Vorbemerkung zu §§ 359 ff. Rn. 28, § 362 Rn. 14).
Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Verjährung geböten ein weiteres Ablaufen der Verjährungsfrist auch im Falle eines freisprechenden Urteils. Denn mit dem Zeitablauf nehme das Bedürfnis nach Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu und steige wegen der sich typischerweise verschlechternden Beweislage auch die Gefahr eines Fehlurteils zulasten des Angeklagten (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; KK/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 7; AKStPO/Loos, § 362 Rn. 7; KMR/Eschelbach, StPO, 40. EL, § 362 Rn. 103; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 362 Rn. 1; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 35 30. Aufl., § 78a Rn. 15). Die Außerachtlassung des Zeitraums der Rechtskraft des Strafurteils für die Berechnung der Verjährungsfrist führe auch zu sachwidrigen Ergebnissen. So könnten selbst Bagatelldelikte noch nach Jahrzehnten verfolgt werden (vgl. KK/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 7; KMR/Eschelbach, StPO, 40. EL, § 362 Rn. 103; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 362 Rn. 1; SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 362 Rn. 21; Ziemba, Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen oder Verurteilten, 1974, S. 116). Ohne ein weiteres Ablaufen der Verfolgungsverjährung stünde der freigesprochene Täter zudem schlechter als der überhaupt nicht verfolgte (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; KMR/Eschelbach, StPO, 40. EL, § 362 Rn. 103; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl., Rn. 19; MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, § 370 Rn. 25; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Bülte, AO, 264. Lfg., § 376 Rn. 195 f.), obwohl durch den Freispruch ein Vertrauenstatbestand für das Ausbleiben strafrechtlicher Verfolgung geschaffen worden sei (SSWStPO/Kaspar, 5. Aufl., Vorbemerkung zu §§ 359 ff. Rn. 28).
b) Eine weitere Auffassung geht davon aus, dass die Verfolgungsverjährung durch die Rechtskraft des Strafurteils nicht beendet, sondern nur zum Ruhen gebracht werde. Mit Wirksamwerden der Wiederaufnahmeentscheidung ende das Ruhen der ursprünglichen Verjährungsfrist und setze sich deren Lauf - anknüpfend an ihren Stand bei Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils - fort. Der Zeitraum zwischen Rechtskraft des Strafurteils und Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung bleibe danach für die Fristberechnung außer Betracht (vgl. etwa BeckOK StPO/Singelnstein, 50. Ed., § 370 Rn. 9; Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 171 f.; Graf/Reichling in Volk/Beukelmann, Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschaftsund Steuerstrafsachen, 36 3. Aufl., § 6 Rn. 112; HKStPO/Temming, 7. Aufl., § 370 Rn. 5; Jacobsen-Raetsch, Wiederaufnahme und Verjährung, 2011, S. 201; Kohlmann/Heerspink, Steuerstrafrecht, 70. Lfg., § 376 AO Rn. 48; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7; Lenzen, JR 1988, 520, 521 f.; Matt/Renzikowski/Dietmeier, StGB, 2. Aufl., § 78b Rn. 10; MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl., § 78b Rn. 21; Radtke/Hohmann, StPO, § 370 Rn. 11; SKStGB/Wolter, 9. Aufl., Vor § 78 Rn. 10, § 78b Rn. 14; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 299 ff.).
Für die Annahme, mit der Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung beginne eine neue Verjährungsfrist, fehle es an einer Rechtsgrundlage. Der Beginn der Verjährung sei vielmehr in § 78a StGB abschließend geregelt und diese Norm sehe einen Neubeginn nach Wiederaufnahme nicht vor (Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7). Allerdings sei während der Zeit der Rechtskraft des Strafurteils infolge des absoluten Verfolgungsverbots des Art. 103 Abs. 3 GG eine Strafverfolgung nicht zulässig, sondern nur die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob sie durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens wieder zugelassen werden soll. Deshalb bewirke das Urteil während der Zeit seiner Rechtskraft das Ruhen der Verjährung (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Die Zeit der Rechtskraft bleibe für die Berechnung der Verjährungsfrist außer Betracht (vgl. Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 171 f.; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7; Lenzen, JR 1988, 520, 521; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 299 ff.; Kohlmann/Heerspink, Steuerstrafrecht, 70. Lfg., § 376 AO Rn. 48). Damit werde sowohl dem Institut der Verjährung als auch dem der Wiederaufnahme Rechnung getragen (vgl. Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 171 f.; Jacobsen-Raetsch, Wiederaufnahme und Verjährung, 2011, S. 201; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 301).
3. Diese Ansichten vermögen nicht zu überzeugen; vielmehr bestätigen sowohl die gesetzlichen Regelungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens als auch diejenigen über die Verjährung die Auffassung des Senats, die durch grundsätzliche systematische Erwägungen zum Verhältnis von Rechtskraft, Wiederaufnahme und Verfolgungsverjährung zusätzlich gestützt wird. Das ergibt sich aus Folgendem:
a) Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Verhältnis von Rechtskraft, Wiederaufnahme und Verfolgungsverjährung existiert nicht (Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 149 f.; Gössel, NStZ 1988, 537, 538; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 9; vgl. auch Letzgus, Festschrift für Geppert, 2011, S. 785, 798 f., der de lege ferenda eine gesetzliche Regelung der Streitfrage vorschlägt).
b) Die gesetzlichen Regelungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten oder Freigesprochenen belegen das hier gefundene Ergebnis.
aa) Der Wortlaut der Vorschriften über die Wiederaufnahme zuungunsten begrenzt diese an keiner Stelle auf den Zeitraum der ursprünglichen Verfolgungsverjährungsfrist oder lässt die Abänderung der Entscheidung des Ausgangsverfahrens nur innerhalb dieser Frist zu (vgl. auch LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 11).
bb) Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften spricht dafür, dass dies eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers war.
Die Prozessordnungen einzelner Partikularstaaten ließen die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zu, namentlich Art. 472 der württembergischen Strafprozessordnung von 1868, § 265 Abs. 2 der Lübecker Strafprozessordnung von 1873 und § 355 der österreichischen Strafprozessordnung von 1873 (vgl. hierzu Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, Abteilung 1, 2. Aufl., Neudruck 1983, S. 382, 385, 388). Die am 1. Oktober 1879 in Kraft getretene Reichsstrafprozessordnung hat diese Regelung nicht übernommen. Dieser historische Hintergrund legt es nahe, dass der Gesetzgeber die Wiederaufnahme unabhängig vom Lauf der ursprünglichen Verjährungsfrist für zulässig hielt (vgl. auch Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 682 Fn. 1061; für ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers unabhängig vom historischen Kontext KG, GA 1921/25, 128, 129 f.; Gössel, NStZ 1988, 537, 538; aA Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 149 f.).
cc) Entscheidend für die hier vertretene Auffassung vom Neubeginn der Verjährung nach Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung sprechen Sinn und Zweck der Regelungen über die Wiederaufnahme. Insoweit gilt:
(1) Wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist einerseits die Forderung nach materieller Gerechtigkeit. Für den Bereich des Strafrechts wird dieses Anliegen im Schuldgrundsatz aufgenommen. Der Strafprozess hat das materielle Schuldprinzip zu verwirklichen. Sein zentrales Anliegen ist deshalb die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfG, Urteile vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628, 2883 und 2155/11 Rn. 55 f., 102, BVerfGE 133, 168; vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 104, NJW 2023, 3698).
(2) Ein weiteres wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips ist andererseits das Gebot der Rechtssicherheit, in dem wiederum das Institut der Rechtskraft gründet (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1953 - 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 380, 403 ff.; BVerfG, Beschlüsse vom 8. Mai 1973 - 2 BvL 5, 6, 7 und 13/72, BVerfGE 35, 41, 47; vom 8. Januar 1981 - 2 BvR 873/80, BVerfGE 56, 22, 31; Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, 267; BGH, Urteil vom 24. September 1974 - 1 StR 365/74, BGHSt 26, 1, 2; Beschluss vom 15. April 2008 - 5 StR 635/07 Rn. 12, BGHSt 52, 213; grundlegend ferner Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 328 ff., 371 ff.; LR/Kühne/Gössel/Lüderssen, StPO, 27. Aufl., Einleitung Rn. 79 ff. jeweils mwN; Radtke, Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozeß, 1994, S. 36 ff.).
(3) Mit der Rechtskraft eines Strafurteils räumt der Gesetzgeber der Rechtssicherheit Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit ein (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 75, NJW 2023, 3698; BGH, Beschluss vom 25. April 2012 - 5 StR 451/11 Rn. 22, BGHSt 57, 218). Dies gilt auch dann, wenn sich die gerichtliche Entscheidung später als sachlich unzutreffend herausstellt. Der Auflösung des dadurch entstehenden Konflikts zwischen den beiden gleichsam verfassungskräftig aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsätzen dient die in den §§ 359 ff. StPO normierte Wiederaufnahme (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. September 2006 - 2 BvR 123/06, NJW 2007, 207; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2002 - StB 15/02, BGHSt 48, 153, 159; vgl. dazu auch LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., Vor § 359 Rn. 17 ff.).
(a) Im Rechtsinstitut der Wiederaufnahme wird für eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände um des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit willen die Rechtskraft eines Strafurteils und damit das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen (BVerfG, Beschluss vom 8. November 1967 - 1 BvR 60/66, BVerfGE 22, 322, 329). Es ermöglicht so die Beseitigung rechtskräftiger Fehlentscheidungen und dient damit der materiellen Wahrheit und Gerechtigkeit sowie der Rechtsbewährung (hierzu Peters, Strafprozeß, 4. Aufl., S. 668; ferner KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., Vor § 359 Rn. 1; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., Vor § 359 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., Vorbemerkung zu § 359 Rn. 1; Miebach/Hohmann/Feilcke, Wiederaufnahme in Strafsachen, Kapitel G Rn. 1).
(b) Ein weiterer wesentlicher Zweck des Wiederaufnahmeverfahrens liegt in der Sicherung der Autorität eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Denn insbesondere die Wiederaufnahmetatbestände des § 362 StPO zielen nicht in erster Linie auf eine Änderung des materiellen Entscheidungsinhalts und damit auf eine Korrektur des Ergebnisses des rechtkräftig abgeschlossenen Verfahrens, sondern auf die Wiederholung des fehlerbehafteten Verfahrens (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 117 ff., NJW 2023, 3698):
So ermöglichen die in § 362 Nr. 1 bis 3 StPO normierten Gründe eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Fällen schwerwiegender Verfahrensmängel, nämlich bei einer in der Hauptverhandlung zugunsten des Angeklagten vorgebrachten unechten oder verfälschten Urkunde (§ 362 Nr. 1 StPO), bei einer Falschaussage (§ 362 Nr. 2 StPO) oder bei einer strafbaren Amtspflichtverletzung durch einen mitwirkenden Richter oder Schöffen (§ 362 Nr. 3 StPO). Ein Urteil mit einem solch schwerwiegenden Mangel verfehlt die Anforderungen an ein justizförmiges, rechtsgeleitetes Verfahren. Die Wahrung dieser Anforderungen ist jedoch unverzichtbare rechtsstaatliche Voraussetzung für einen gerechten Schuldspruch (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628, 2883/10 und 2155/11 Rn. 56 ff., BVerfGE 133, 168). Die Möglichkeit, ein unter solchen Mängeln gefundenes Urteil aufzuheben und das Verfahren zu wiederholen, sichert mithin den Geltungsanspruch des Urteils und damit die rechtsstaatliche Autorität des Strafverfahrens ab (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 121, NJW 2023, 3698).
Auch der im Vorlageverfahren maßgebliche Wiederaufnahmegrund eines glaubhaften Geständnisses nach § 362 Nr. 4 StPO zielt nicht vorrangig auf eine Abänderung des Freispruchs; vielmehr soll diese Vorschrift ein Verhalten verhindern, das die Autorität des staatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 122, NJW 2023, 3698). Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass das allgemeine Rechtsbewusstsein gefährdet würde, wenn sich ein irrtümlich Freigesprochener der Straftat folgenlos öffentlich berühmen könnte; er soll nicht in aller Öffentlichkeit die kriminelle Tat schildern, das Opfer und dessen Angehörige verhöhnen, mit dem Freispruch prahlen und den Staat lächerlich machen dürfen (vgl. Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, Abteilung 1, 2. Aufl., Neudruck 1983, S. 264; ferner KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 1a, 11, 26; kritisch zu diesem Begründungsansatz Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 983 ff., der freilich den Wiederaufnahmegrund des § 362 Nr. 4 StPO insgesamt für illegitim hält). Der Grundsatz des akkusatorischen Strafverfahrens, das mit einem Freispruch endet, wenn die Unschuldsvermutung nicht widerlegt werden kann, wäre verkannt, wenn ein Freigesprochener beanspruchte, in seinen sozialen Bezügen nicht als unschuldig, sondern als Täter wahrgenommen zu werden (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 122, NJW 2023, 3698).
(c) Diese beiden Zwecke der Wiederaufnahme, das vom Inquisitionsprinzip erstrebte Ziel einer materiell gerechten Entscheidung und die dem Akkusationsprinzip geschuldete Durchbrechung der Rechtskraft einer mit schwerwiegenden Verfahrensmängeln behafteten und deshalb keine Bestandskraft verdienenden Entscheidung (vgl. Gössel, NStZ 1988, 537, 538; vgl. auch LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., Vor § 359 Rn. 17 ff.) können indes nicht erreicht werden, wenn - wie hier und in einer Vielzahl von Fällen - ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren nur innerhalb der ursprünglich in Lauf gesetzten Verjährungsfrist wiederaufgenommen werden könnte oder das wiederaufgenommene Verfahren wegen Eintritts der Verjährung sogleich nach § 206a StPO wieder eingestellt werden müsste (LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 7, § 370 Rn. 41; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 11; NKStGB/Saliger, 6. Aufl., § 78 Rn. 15).
Die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Wertentscheidung des Gesetzgebers, im Falle von Wiederaufnahmegründen nach § 362 Nr. 1 bis 4 StPO den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit über die Rechtssicherheit zu stellen, würde leerlaufen, wollte man davon ausgehen, dass die ursprünglich in Lauf gesetzte Verfolgungsverjährungsfrist auch im Zeitraum der zwischenzeitlichen Rechtskraft weiterliefe. Wollte man hingegen davon ausgehen, dass die ursprünglich in Lauf gesetzte Verfolgungsverjährungsfrist zwar weiterliefe, aber während der Rechtskraft ruhte, würde der Anwendungsbereich zwar nicht in gleichem Maße geschmälert. Allerdings findet sich auch für diese Annahme keine gesetzliche Grundlage.
dd) Aus der Wirkung der Wiederaufnahmeentscheidung nach § 370 Abs. 2 StPO kann nichts für den Lauf der Verjährungsfrist abgeleitet werden.
(1) Das Argument einiger Vertreter der Gegenauffassungen, dass infolge der Beseitigung der Rechtskraft des Strafurteils durch die rechtskräftige Wiederaufnahmeanordnung das Verfahren in den Stand vor Eintritt der Rechtskraft zurückversetzt werde und es nicht einzusehen sei, weshalb dies nicht auch für den Lauf der Verjährung gelten solle (vgl. KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 7; vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler/Bülte, AO, 264. Lfg., § 376 Rn. 197; Kohlmann/Heerspink, Steuerstrafrecht, 70. Lfg., § 376 AO Rn. 48), vermag nicht zu überzeugen. Denn es ist weder systematisch geboten noch sachgerecht, den Lauf der Verjährungsfrist an die prozessrechtliche Wirkung der Wiederaufnahmeentscheidung anzuknüpfen.
Die rechtskräftige Wiederaufnahmeanordnung nach § 370 Abs. 2 StPO versetzt das Verfahren in den Zustand der Rechtshängigkeit zurück, im Falle eines erstinstanzlichen Verfahrens also auf den Stand nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses (KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 370 Rn. 13; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 370 Rn. 35; MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 370 Rn. 10). Würde dieser Stand auch für die Frage der Verjährung maßgeblich sein, entfiele die Wirkung der zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens und Urteilsrechtskraft vorgenommenen Unterbrechungshandlungen, zumindest also derjenigen nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 8 StGB. Diese Konsequenz ihres Arguments wird von denjenigen, die sich darauf stützen, nicht in den Blick genommen. Träfe es zu, hätte dies noch weitergehende Einschränkungen des praktischen Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme zur Folge, für die es weder eine gesetzliche Grundlage noch einen Anlass gibt. Eine derartige Verknüpfung von prozessrechtlichen Wirkungen der Wiederaufnahme mit verjährungsrechtlichen Fragen wäre auch nicht sachgerecht, zumal da die während des Hauptverfahrens verwirklichten Unterbrechungstatbestände als solche von den Wiederaufnahmegründen nicht berührt werden.
(2) Soweit diejenigen, die von einem Ruhen oder einer Hemmung der Verjährung ausgehen, als Wirkung der Wiederaufnahmeentscheidung zwar anerkennen, dass die Verfolgungsverjährung wiederauflebt, insoweit aber auf den Stand der ursprünglichen Verjährungsfrist bei Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils abstellen (vgl. etwa MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl., § 78b Rn. 21; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15), lässt sich solches der Gesetzessystematik ebenfalls nicht entnehmen. Denn dadurch würde letztlich bewirkt, dass infolge der Wiederaufnahme - je nach der bereits verstrichenen Zeit - lediglich eine kürzere Verjährungsfrist in Lauf gesetzt würde. Für die Annahme einer solchen Teilfrist bietet das Gesetz indes keine Handhabe (vgl. LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 11).
c) Für die hier gefundene Lösung streitet zudem, dass sie sich - unbeschadet der sich aus § 361 StPO ergebenden Sonderproblematik der über die abgeschlossene Strafvollstreckung und sogar den Tod des Verurteilten hinausreichenden Wiederaufnahmemöglichkeit zugunsten des Verurteilten - im Ergebnis auch mit den Regelungen über die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten (§ 359 StPO) und ihrer Handhabung in Rechtsprechung und Literatur in Einklang bringen lässt.
Denn es entspricht der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Strafverfolgungsverjährung der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten nicht entgegensteht.
aa) So wird von einigen, die - wie der Senat - von einem Neubeginn der Verjährung infolge einer Wiederaufnahme zuungunsten ausgehen, diese Folge gleichermaßen in Fällen der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72; ebenso bereits BGH, Urteil vom 27. November 1964 - 3 StR 53/64 zur nach § 79 Abs. 1 BVerfGG zulässigen - ebenfalls zugunsten wirkenden - Wiederaufnahme, insoweit in BGHSt 20, 115 nicht abgedruckt; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 142, 143 f.; HKGS/Beukelmann, 5. Aufl., StGB, § 78 Rn. 18; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 9, 11; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 370 Rn. 41; NKStGB/Saliger, 6. Aufl., § 78 Rn. 15). Auch einige Vertreter der unter IV.2. dargestellten Gegenauffassungen gehen im Falle der Wiederaufnahme zugunsten von einem Neubeginn der Verfolgungsverjährung aus (Peters, Fehlerquellen im Strafprozess, 3. Band: Wiederaufnahmerecht, 1974, S. 109; im Ergebnis ebenso Jacobsen-Raetsch, Wiederaufnahme und Verjährung, 2011, S. 206, 210).
bb) Eine weitere in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur vertretene Auffassung hält - mit im Detail leicht abweichenden Argumenten - bei der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten ein Weiterlaufen der Strafverfolgungsverjährung für bedeutungslos, weil eine Schlechterstellung gegenüber dem ursprünglich rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren ausgeschlossen sei (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556), das Verfahren nach Wiederaufnahme wegen des in § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO normierten Verschlechterungsverbots keine Ahndung der Tat im Sinne von § 78 Abs. 1 StGB darstelle (SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 370 Rn. 25; ihm folgend Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 686 [„keine Strafverfolgung“]) oder jedenfalls das Rehabilitationsinteresse Vorrang vor der Verfolgungsverjährung habe (vgl. Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl., Rn. 16 f.; ähnlich MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, § 362 Rn. 7, § 370 Rn. 25).
Allerdings vermögen die insoweit gegebenen Begründungen nicht zu überzeugen. So geht etwa der Hinweis fehl, bei der Wiederaufnahme zugunsten gehe es nicht um eine „Ahndung der Tat“ im Sinne des § 78 Abs. 1 StGB, was bereits der Blick auf § 358 Abs. 2 StPO erhellt: Denn es ist nicht zweifelhaft, dass die neue Hauptverhandlung nach Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht der Strafverfolgung und damit auch der „Ahndung der Tat“ in den Grenzen des Verschlechterungsverbots dient. Soweit maßgeblich unter Hinweis auf § 361 StPO auf das Rehabilitationsinteresse abgestellt wird, bleibt unklar, warum etwa in den Fällen der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 1 bis 3 StPO, in denen es wie bei § 362 Nr. 1 bis 3 StPO in erster Linie darum geht, ein unter schwerwiegenden Verfahrensmängeln gefundenes Urteil aufzuheben und das Verfahren zu wiederholen (vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 121, NJW 2023, 3698) und dessen Ausgang ungewiss ist, der Lauf der Verjährungsfrist bedeutungslos sein sollte, zumal insbesondere bei kurzen Verjährungsfristen diese auch im wiederaufgenommenen Verfahren ablaufen könnten.
cc) Auch diejenigen, die davon ausgehen, dass die Verfolgungsverjährung durch die Rechtskraft des Strafurteils zum Ruhen gebracht wird (vgl. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7; Matt/Renzikowski/Dietmeier, StGB, 2. Aufl., § 78b Rn. 10; MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl., § 78b Rn. 21; Radtke/Hohmann, StPO, § 370 Rn. 11; SKStGB/Wolter, 10. Aufl., Vor § 78 Rn. 11, § 78b Rn. 14; vgl. auch - nur für den Fall der Wiederaufnahme zugunsten - KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 7, § 370 Rn. 19; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 30. Aufl., § 57 Rn. 11; SSWStGB/Rosenau, 5. Aufl., § 78b Rn. 12; wohl auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15) gelangen in einer Vielzahl der Fälle dazu, dass die Strafverfolgungsverjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist und deshalb der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten nicht entgegensteht, auch wenn diese Auffassung insbesondere aus systematischen Gründen (vgl. dazu unten IV. 3. d) cc) nicht verfängt.
d) Aus der Systematik der Verjährungsvorschriften der §§ 78 ff. StGB lassen sich die Auffassung des Senats stützende Aspekte ableiten. Im Übrigen lassen sich die Vorschriften ebenfalls mit ihr vereinbaren. Insoweit gilt:
aa) Dass die Verfolgungsverjährung mit der Rechtskraft des Strafurteils endet, wird bestätigt durch § 79 Abs. 6 StGB, wonach mit der Rechtskraft eines - eine Strafe oder Maßregel (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) verhängenden - Strafurteils die Vollstreckungsverjährung beginnt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 1965 - 4 ARs 2/65, BGHSt 20, 198, 200).
Nach den Vorgaben des Gesetzgebers zum systematischen Verhältnis von Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung stehen diese in einem aliud-Verhältnis. Die Vorschrift des § 79 StGB über die Vollstreckungsverjährung wurde durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717) in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 1973 (BGBl. I S. 909) neu gefasst. Nach dem Verständnis der Verfasser des ihr zugrunde liegenden § 131 StGBE (1962) beginnt „mit der rechtskräftigen Verurteilung ... eine neue Verjährung, nicht nur eine neue Verjährungsfrist“ (BT-Drucks. IV/650, S. 260).
Dieses systematische Verständnis spricht dafür, dass sich die beiden Arten der Verjährung in dem Sinne ausschließen, dass die Verfolgungsverjährung mit Beginn der Vollstreckungsverjährung endet (vgl. Gössel, NStZ 1988, 537, 539; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 297; vgl. zum Ganzen auch LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., Vor § 78 Rn. 2), nicht dagegen für die Annahme, die Verfolgungsverjährung könne parallel zur Vollstreckungsverjährung weiterlaufen (so aber Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 682, 684 f.; Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 165 f.). Dem entspricht es, dass die Verfolgungsverjährung - mittlerweile nach Maßgabe des § 78b Abs. 3 StGB - nach Urteilsverkündung weiterläuft und die Vollstreckungsverjährung zur Vermeidung eines verjährungsfreien Zwischenraums zwischen Verfolgung und Vollstreckung mit der Rechtskraft des Sanktionsausspruchs unmittelbar an die Verfolgungsverjährung anknüpft (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1958 - 4 StR 145/58, BGHSt 11, 393, 395 f.).
bb) Die Regelungen über die Unterbrechung der Verjährung nach § 78c Abs. 1 StGB geben für die Beantwortung der Vorlagefrage nichts her. Weder das Urteil noch der Wiederaufnahmebeschluss sind im Katalog der Tatbestände aufgeführt, die die Verjährung unterbrechen und von neuem beginnen lassen (§ 78c Abs. 3 Satz 1 StGB).
Der vereinzelt vorgeschlagenen analogen Anwendung der den Strafbefehl oder eine andere dem Urteil entsprechende Entscheidung betreffenden Bestimmung des § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 StGB auf das Urteil selbst (Peters, Strafprozeß, 4. Aufl., S. 684 f.) steht schon das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke entgegen. Denn der Gesetzgeber hat auf die Aufnahme des Urteils in die Norm mit Rücksicht auf die Ablaufhemmung des § 78b Abs. 3 StGB bewusst verzichtet (BT-Drucks. IV/650, S. 260 [zu § 130 Abs. 1 StGBE (1962)]); abgesehen davon ist der Katalog der Unterbrechungstatbestände des § 78c Abs. 1 StGB abschließend (BT-Drucks. IV/650, S. 258, 260 [zu § 130 Abs. 1 StGBE (1962)]); Fischer, StGB, 71. Aufl., § 78c Rn. 7; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78c Rn. 3; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. August 1972 - 4 StR 292/72, BGHSt 25, 6, 8; Urteil vom 10. April 1979 - 4 StR 127/79, BGHSt 28, 381, 382) und einer analogen Anwendung nicht zugänglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2008 - 3 StR 545/07; vom 29. September 2004 - 1 StR 565/03; Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 149; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 78c Rn. 7; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78c Rn. 3).
cc) Die Rechtskraft des Strafurteils führt nicht dazu, dass die Verfolgung „nach dem Gesetz … nicht fortgesetzt werden kann“ und mithin nicht zum Ruhen der Verfolgungsverjährung nach § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB.
Ruhen bedeutet Stillstand der Verjährungsfrist; nach Wegfall des Grundes des Ruhens setzt sich die Verjährung mit dem noch nicht verbrauchten Teil der Frist fort (BT-Drucks. 15/5653, S. 7; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78b Rn. 1; NKStGB/Saliger, 6. Aufl., § 78b Rn. 1). Das Ruhen der Verjährung setzt damit eine an sich laufende Verjährung voraus, wohingegen - wovon auch Autoren, die ein Ruhen der Verjährung befürworten „grundsätzlich“ ausgehen -die Strafverfolgungsverjährung mit der Rechtskraft des Urteils endet (vgl. Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund neuer Beweise, 2016, S. 170; MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl., § 78b Rn. 21; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7). Die Vorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB, die - wie bereits ihr Wortlaut nahelegt („solange“) - auf vorübergehende und nicht auf solche Verfahrenshindernisse zugeschnitten ist, die auf eine zeitlich unbegrenzte Geltung angelegt sind (vgl. Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 406, 685; Jacobsen-Raetsch, Wiederaufnahme und Verjährung, 2011, S. 201), ist dementsprechend nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss unanwendbar (vgl. RGSt 76, 46, 48 [zu § 69 StGB aF]; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251, 2252; OLG Stuttgart, MDR 1986, 608, 609; aA KG, GA 1921/25, 128, 129; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Band 2, § 362 Rn. 3; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7 sowie die oben unter IV. 2. b) zitierten Autoren).
dd) Auch aus der Vorschrift des § 78b Abs. 3 StGB über die sogenannte Ablaufhemmung lässt sich nichts zur Beantwortung der Vorlagefrage ableiten.
Nach dieser Norm läuft die Verjährung nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ab, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Damit wird die Verjährung nicht zum Ruhen gebracht; vielmehr läuft diese grundsätzlich weiter. Ihr Ablauf wird aber dergestalt gehemmt, dass sich die Wirkung der Verjährung nicht vor Eintritt der Rechtskraft entfaltet (BT-Drucks. IV/650, S. 259; OLG Düsseldorf, JR 1993, 77; BeckOK StGB/Dallmeyer, 60. Ed., § 78b Rn. 7; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 78b Rn. 11, 11b; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78b Rn. 13).
Die Ablaufhemmung ist schon nach dem Wortlaut der Norm auf den Zeitraum zwischen Erlass und Rechtskraft des Urteils beschränkt. Ihre Wirkung endet mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils und reicht nicht über den dadurch bewirkten Abschluss des Verfahrens hinaus (BT-Drucks. IV/650, S. 259; MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl., § 78b Rn. 20 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 30 ff., BGHSt 63, 40). Systematisch stellt die Vorschrift eine Ausnahme zu den sonstigen Regelungen der Verjährung dar. Dies spricht für ein enges Verständnis der Norm (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 41 ff., BGHSt 63, 40), die den Missbrauch des Rechtsmittelverfahrens verhindern und zugleich den Grundsatz verwirklichen soll, dass die Verjährung möglichst nicht während eines schwebenden und von den Behörden betriebenen Verfahrens eintritt (BT-Drucks. IV/650, S. 259; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1983 - 1 StR 821/83, BGHSt 32, 209 f.).
ee) Aus § 78a StGB lässt sich nichts gegen einen Neubeginn der Verjährung nach Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung herleiten. Die Vorschrift bestimmt den Beginn der Verjährung auf den Zeitpunkt der Beendigung der Tat. Sie besagt indes nicht, dass die Verjährung nur zu diesem und zu keinem anderen Zeitpunkt beginnen könne (so aber Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 78 Rn. 7; SSWStGB/Rosenau, 6. Aufl., § 78b Rn. 12).
Ein solch abschließender, jeden anderen Beginn ausschließender Regelungsgehalt ergibt sich bereits nicht aus dem Wortlaut der durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz (BGBl. I S. 717) in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 1973 (BGBl. I S. 909) gegenüber der Vorgängervorschrift in § 67 Abs. 4 StGB aF neu gefassten Norm.
Die Gesetzessystematik belegt sogar das Gegenteil. Wie bereits nach alter Rechtslage (§ 68 Abs. 3 StGB aF) beginnt gemäß der - ebenfalls durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz neu gefassten - Vorschrift des § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB beginnt die Verjährung nach jeder Unterbrechung von neuem (LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78 Rn. 11; NKStGB/Saliger, 6. Aufl., § 78 Rn. 15). Dies spricht dafür, dass die Verjährung erst recht dann neu beginnen muss, wenn sie nicht nur unterbrochen, sondern sogar vollständig beendet war. Jedenfalls belegt § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB, dass § 78a StGB keine abschließende Regelung für den Verjährungsbeginn darstellt, sondern lediglich den erstmaligen Beginn der Verjährungsfrist regelt. Einen späteren Neubeginn schließt die Vorschrift nicht aus.
ff) Der vom Bundesgerichtshof seit jeher vertretenen Auffassung steht schließlich auch nicht die Regelung der sogenannten absoluten Verjährung in § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB entgegen.
(1) Nach dieser durch das am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717) in der Fassung des Gesetzes über das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 30. Juli 1973 (BGBl. I S. 909) neu eingeführten Vorschrift tritt ungeachtet aller Unterbrechungen nach § 78c Abs. 1 StGB Verjährung spätestens mit Verstreichen des Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist ein. Die Regelung dient den schutzwürdigen Belangen des von strafrechtlichen Ermittlungen Betroffenen, der sich strafrechtlicher Verfolgung nicht ohne jede zeitliche Begrenzung ausgesetzt sehen soll. Ist das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen, so soll das Verfahren unabhängig von der Frage, ob die Ermittlungsbehörden es betreiben oder nicht, ein Ende finden (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 34, BGHSt 63, 40).
(2) Auch wenn das Gesetz erst nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. November 1972 (2 StR 498/72) in Kraft getreten ist, von dem das Kammergericht abweichen möchte, hat es entgegen einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 370 Rn. 19; Lenzen, JR 1988, 520 f.) nicht dazu geführt, dass die Entscheidung aufgrund der Einführung der absoluten Verjährung überholt wäre, soweit darin ausgeführt wird, die Verjährung laufe auch im Fall eines gesetzlichen Verfolgungsverbots - ohne Rücksicht auf die Zeitdauer - nicht.
Tatsächlich wird durch § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB keine absolute zeitliche Verfolgbarkeitsgrenze im strengen Sinne angeordnet. Denn das in der Schaffung der absoluten Verjährung zum Ausdruck kommende Bestreben nach einer Begrenzung der aus Unterbrechungshandlungen resultierenden Verlängerungen der Verfolgungsverjährung (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 260 zu dem § 78b Abs. 3 StGB zugrunde liegenden § 130 Abs. 2 Satz 2 StGBE (1962)) wurde nicht vorbehaltlos umgesetzt (Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 681). Vielmehr bestimmt § 78c Abs. 3 Satz 3 StGB, dass die Vorschrift des § 78b StGB unberührt bleibt. Ihr kommt demnach Vorrang vor der absoluten Verjährung zu. Sie schiebt den Eintritt der absoluten Verjährung auf (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 31 f., BGHSt 63, 40). Bei der Berechnung der Höchstfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB bleibt die Zeit unberücksichtigt, in der der Fristablauf gemäß § 78b StGB suspendiert ist. Während dieser Zeit kann die absolute Verjährung nicht eintreten (vgl. LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78c Rn. 13, MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl., § 78c Rn. 1 mwN; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78c Rn. 22; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 - 5 StR 606/00), so dass die tatsächliche Zeitspanne zwischen Verjährungsbeginn und Ablauf der absoluten Verjährungsfrist auch weit über dem Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist liegen kann (vgl. etwa NKStGB/Saliger, 6. Aufl., § 78c Rn. 37).
Vorrang vor der absoluten Verjährung hat damit die Ablaufhemmung nach § 78b Abs. 3 StGB mit der Folge, dass die Regelung des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB nach Erlass eines Urteils des ersten Rechtszuges jedenfalls bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens nicht zur Anwendung kommt. Auch die Zeit des Ruhens des Verfahrens infolge eines gesetzlichen Verfolgungshindernisses nach § 78b Abs. 1 Nr. 2 StGB wird in die Höchstfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB nicht eingerechnet, und zwar ohne Rücksicht auf die Zeitdauer (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251, 2252; so schon zur Rechtslage vor Einführung der absoluten Verjährung BGH, Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72).
Ergibt sich damit aber aus § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB letztlich - anders als die Bezeichnung „absolute Verjährung“ nahelegt - gerade keine zeitlich absolute Grenze für die Verfolgbarkeit von Straftaten, steht die Regelung auch nicht der Auffassung des Senats entgegen, durch den rechtskräftigen Wiederaufnahmebeschluss werde eine neue Verfolgungsverjährung mit neuer Verjährungsfrist in Lauf gesetzt, zumal damit ohnehin eine neue Höchstfrist nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB in Lauf gesetzt wird (so schon OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 142, 144).
e) Sprechen die gesetzlichen Vorschriften der §§ 359 ff. StPO und der §§ 78 ff. StGB nach alledem grundsätzlich für einen Neubeginn der Verjährung nach Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung und sind auch keine Regelungen ersichtlich, die diesem Ergebnis widerstreiten, bleibt zunächst das von den Gegenauffassungen ins Feld geführte Argument zu prüfen, Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Verjährung stünden entgegen. Es verfängt allerdings nicht. Insbesondere erfordern teleologische Erwägungen ein Weiterlaufen der Verjährung während der nunmehr beseitigten Rechtskraft des Strafurteils nicht (so aber etwa OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; AKStPO/Loos, § 362 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 362 Rn. 1; Lenzen, JR 1988, 520; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15; Ziemba, Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen oder Verurteilten, 1974, S. 116). Hierzu gilt das Folgende:
aa) Die Verjährungsvorschriften regeln die Verfolgbarkeit der Tat; sie lassen ihre Strafbarkeit beziehungsweise deren Unrecht und die Schuld des Täters unberührt (BVerfG, Beschlüsse vom 26. Februar 1969 - 2 BvL 15 und 23/68, BVerfGE 25, 269, 287, 294; vom 31. Januar 2000 - 2 BvR 104/00, NStZ 2000, 251; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2017 - GSSt 2/17 Rn. 34, BGHSt 62, 184; vgl. zu dieser prozessualen Rechtsnatur der Verjährung etwa LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., Vor § 78 Rn. 7 ff. mwN auch zur Gegenansicht).
Das Rechtsinstitut der Verjährung soll jedenfalls der Rechtssicherheit (des Einzelnen) und dem Rechtsfrieden (der Allgemeinheit) auf der einen Seite sowie verfahrenspraktischen Erwägungen auf der anderen Seite dienen. Mit Verstreichen der Verjährungsfrist wird das Spannungsverhältnis zwischen Zeit und Recht dahin aufgelöst, dass dem eintretenden Rechtsfrieden der Vorrang vor der Verfolgung der Straftat gewährt wird. Damit wirkt das Rechtsinstitut der Verjährung auch einer Untätigkeit der Organe der Strafrechtspflege in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegen, indem es sie von Anfang an zu einer ökonomischen und effizienten Verfahrensgestaltung anhält. Dies beugt zugleich einem aus der „Vergänglichkeit der Beweise“ folgenden Beweismittelschwund vor (vgl. zum Ganzen BT-Drucks. IV/650, S. 257; BGH, Urteil vom 26. Juni 1958 - 4 StR 145/58, BGHSt 11, 393, 396; Beschluss vom 23. Januar 1959 - 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 337 f.; Urteil vom 28. November 1984 - 2 StR 309/84, NJW 1985, 1719, 1720; Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - 5 StR 578/05 Rn. 22, BGHSt 51, 72; vom 6. April 2016 - 2 StR 219/15, NStZRR 2016, 241; vom 12. Juni 2017 - GSSt 2/17 Rn. 34, BGHSt 62, 184; vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 34, BGHSt 63, 40; vom 1. September 2020 - 1 StR 58/19 Rn. 22 f., BGHSt 65, 136; vgl. allgemein zu auch umstrittenen Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969 - 2 BvL 15 und 23/68, BVerfGE 25, 269, 293 ff.; Asholt, Verjährung im Strafrecht, 2016, S. 90 ff.; Hörnle, Festschrift Beulke, 2015, S. 115, 118 ff.).
bb) Diese Zwecksetzung des Instituts der Verjährung gebietet weder ein weiteres Ablaufen der Verjährungsfrist während der Rechtskraft eines Strafurteils noch steht sie der Annahme entgegen, die Verjährungsfrist werde mit der rechtskräftigen Wiederaufnahmeentscheidung neu begründet.
(1) Das gilt zunächst, soweit die Verjährung Rechtssicherheit gewährleisten soll.
(a) Im Gebot der Rechtssicherheit als einem wesentlichen Element der Rechtsstaatlichkeit gründet nicht nur das Rechtsinstitut der Verjährung, sondern wie dargelegt auch das der materiellen Rechtskraft.
Dem Institut der Rechtskraft kommt dabei sogar ein besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zu. Der Staat hat sich um der Rechtssicherheit willen eine freiwillige Begrenzung in seinem Recht auf Verfolgung strafbarer Handlungen auferlegt und damit insoweit auf die Durchsetzung des die Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung sichernden Legalitätsprinzips verzichtet. Der Verfassungsgeber hat das Verfahrenshindernis der Rechtskraft angesichts der historischen Erfahrungen in den Rang eines Prozessgrundrechts erhoben (BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvR 873/80, BVerfGE 56, 22, 31 f.). Die Rechtskraft und das daran anknüpfende Mehrfachverfolgungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG) gewähren dem Prinzip der Rechtssicherheit grundsätzlich Vorrang vor dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 76 ff., NJW 2023, 3698 mwN; vgl. auch die Nachweise bei Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 344 ff.). Damit wird der staatliche Strafanspruch um der individuellen Rechtssicherheit willen begrenzt. Der Verfolgte soll darauf vertrauen können, nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss wegen des nämlichen Sachverhalts nicht nochmals belangt zu werden. Daneben dient die Rechtskraft einer Entscheidung auch dem Rechtsfrieden und sichert damit ein vom Einzelnen unabhängiges Bedürfnis der Gesellschaft an einer endgültigen Feststellung der Rechtslage. Die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen darf deshalb grundsätzlich ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtigkeit nicht mehr durchbrochen werden. Wirkt die Rechtskraft einer Entscheidung zugunsten eines Adressaten, wird ihre Bedeutung durch den Aspekt des Vertrauensschutzes verstärkt. Art. 103 Abs. 3 GG gewährt einem Verurteilten oder Freigesprochenen in diesem Sinne ein subjektives grundrechtsgleiches und zudem abwägungsfestes Recht, das zugleich der Freiheit und der Menschenwürde des Betroffenen dient (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 55 ff., 88, NJW 2023, 3698 mwN).
Ein solches Gewicht kommt dem Aspekt der Rechtssicherheit im Rechtsinstitut der Verjährung nicht zu: Der Täter hat keinen Anspruch auf Verjährung innerhalb einer bestimmten Frist oder darauf, dass überhaupt Verjährung eintritt (vgl. RGSt 24, 427, 428; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., Vor § 78 Rn. 9 mwN). Die Verjährung einer Tat ist vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Übergangsregelung nach dem Recht zu beurteilen, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 2 StR 122/05, BGHSt 50, 138, 139). Die Verjährungsvorschriften unterliegen nicht dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot. Sie regeln nämlich wie dargestellt nur, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll, und lassen die Strafbarkeit unberührt (BVerfG, Beschlüsse vom 26. Februar 1969 - 2 BvL 15 und 23/68, BVerfGE 25, 269, 287; vom 30. Mai 1994 - 2 BvR 746/94, NStZ 1994, 480; vom 31. Januar 2000 - 2 BvR 104/00, NStZ 2000, 251; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2017 - GSSt 2/17 Rn. 34, BGHSt 62, 184). Lediglich die Neueröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen ist aus rechtsstaatlichen Gründen unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2000 - 2 BvR 104/00, NStZ 2000, 251; LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., Vor § 78 Rn. 11).
(b) Mit dieser unterschiedlichen Gewichtung der Rechtssicherheit im Institut der Rechtskraft auf der einen Seite und in dem der Verjährung auf der anderen Seite ist es nicht vereinbar, die Gründe für eine Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten oder Freigesprochenen zwar die Rechtskraft eines Strafurteils durchbrechen zu lassen, eine Wiederaufnahme im Einzelfall aber an dem verfassungsrechtlich abgeschwächt geschützten Institut der Verjährung scheitern zu lassen.
Dieser Wertungswiderspruch wird auch daran deutlich, dass ein Freispruch wegen der darin liegenden ausdrücklichen staatlichen Entscheidung darüber, dass die Voraussetzungen für die Bestrafung eines bestimmten Verhaltens nicht erfüllt sind, eine noch stärkere Zäsurwirkung entfaltet als der allein durch Zeitablauf bewirkte Eintritt der Verfolgungsverjährung (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 155, NJW 2023, 3698; aA Kudlich/Görken, NJW 2023, 3683, 3685). Im Falle einer verurteilenden Entscheidung gilt dies entsprechend für eine nicht ausgeurteilte Strafbarkeit.
(2) Der die Verjährung weiter legitimierende Gedanke des Rechtsfriedens ist in den zu einer Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten berechtigenden Konstellationen gerade durch den Verfahrensabschluss als solchen in empfindlicher Weise gestört (vgl. LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 7; Grüner/Wasserburg, NStZ 1999, 286, 290; WeberKlatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 296).
Das gilt nicht nur in den Fällen von Verfahrensmängeln, in denen die Urteilsgrundlage durch eine unechte oder verfälschte Urkunde (§ 362 Nr. 1 StPO) oder durch eine falsche Aussage (§ 362 Nr. 2 StPO) beeinflusst wurde oder in denen ein bei der Urteilsfindung mitwirkender Richter in Beziehung auf die Sache eine strafbare Amtspflichtverletzung begangen hat (§ 362 Nr. 3 StPO), sondern auch für die im Vorlageverfahren angeordnete Wiederaufnahme wegen eines glaubhaften Geständnisses nach § 362 Nr. 4 StPO. Denn dieser Vorschrift liegt wie aufgezeigt der Gedanke zugrunde, dass das allgemeine Rechtsbewusstsein gefährdet würde, wenn sich ein irrtümlich Freigesprochener der Straftat folgenlos öffentlich berühmen könnte (vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 2023 - 2 BvR 900/22 Rn. 121, NJW 2023, 3698; ferner Grünewald, ZStW 120 [2008], 545, 576 f.).
(3) Die aus der „Vergänglichkeit der Beweise“ resultierende Gefahr eines Fehlurteils (vgl. etwa OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; AKStPO/Loos, § 362 Rn. 7; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 7) spricht ebenfalls nicht für ein weiteres Ablaufen der Verjährungsfrist während der Rechtskraft des Freispruchs.
Zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten berechtigen nämlich nur Mängel der bisherigen Beweismittel (§ 362 Nr. 1 und Nr. 2 StPO), Mängel betreffend die zu ihrer Würdigung berufenen Personen (§ 362 Nr. 3 StPO) oder eben ein nachträgliches glaubhaftes Geständnis des Freigesprochenen (§ 362 Nr. 4 StPO). In einer Vielzahl dieser Fälle ist die neue Beweislage gegenüber der alten zumindest teilweise verbessert.
Abgesehen davon tragen die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und der Zweifelsgrundsatz dieser Gefahr, die auch bei innerhalb der regulären Verjährungsfrist verfolgten Taten auftreten kann, hinreichend Rechnung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969 - 2 BvL 15 und 23/68, BVerfGE 25, 269, 294).
f) Die weiteren für ein Fortlaufen der Verjährung auch nach Rechtskraft des Strafurteils und damit gegen die hier vertretene Auffassung vorgebrachten Wertungs- und Billigkeitsaspekte vermögen schließlich ebenfalls nicht zu überzeugen.
aa) Das gilt zunächst für den Einwand, der Neubeginn der Verjährung führe zu dem sachwidrigen Ergebnis, dass selbst „Bagatelldelikte“ noch nach langer Zeit verfolgt werden könnten (vgl. KMR/Eschelbach, StPO, 40. EL, § 362 Rn. 103; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 362 Rn. 1; SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 362 Rn. 21; Ziemba, Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen oder Verurteilten, 1974, S. 116). Ungeachtet der fehlenden praktischen Relevanz einer Wiederaufnahme zuungunsten bei „Bagatelldelikten“ ist die Verfolgbarkeit trotz längeren Zeitablaufs Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, die Wiederaufnahme zur Durchbrechung der Rechtskraft zuzulassen. Dem minder schweren Gewicht solcher Delikte trägt der Gesetzgeber durch die Regelung in § 78 Abs. 3 StGB Rechnung. Soweit es heißt, die hier vertretene Auffassung führe zu „seltsamen Konsequenzen“, weil etwa die zur Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 1 StPO berechtigende Urkundenfälschung wegen Ablaufs der Verfolgungsverjährung nicht mehr verfolgt werden könne, wohl aber die weniger schwerwiegende Tat, wegen der wiederaufgenommen wird (SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 362 Rn. 21), verkennt dies bereits den unterschiedlichen Stand, in dem sich das Verfahren wegen der beiden Straftaten jeweils befindet, und mithin die Wirkung der Wiederaufnahme.
bb) Eine andere Bewertung der Vorlagefrage gebietet schließlich auch nicht der unter anderem vom vorlegenden Kammergericht erhobene Einwand, der Freigesprochene werde gegenüber dem nicht verfolgten Täter schlechter gestellt, was einen Wertungswiderspruch darstelle (vgl. etwa OLG Nürnberg, NStZ 1988, 555, 556; KMR/Eschelbach, StPO, 40. EL, § 362 Rn. 103; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl., Rn. 19; Miebach/Hohmann/Feilcke, Wiederaufnahme in Strafsachen, Kapitel G Rn. 32; MüKoStPO/Engländer/Zimmermann, § 370 Rn. 25; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, 3. Band: Wiederaufnahmerecht, 1974, S. 109; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 30. Aufl., § 57 Rn. 11; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78a Rn. 15; Ziemba, Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen oder Verurteilten, 1974, S. 117).
Zwar lässt sich die unterschiedliche Behandlung nicht für alle Fälle des § 362 StPO damit rechtfertigen, der Angeklagte sei bei der Beeinflussung von Polizei und Staatsanwaltschaft durch verfälschte Beweismittel nicht stehen geblieben, sondern so weit gegangen, dass er sogar vor Gericht mit solchen Beweismitteln einen Freispruch erreicht (vgl. aber OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2251, 2252; Gössel, NStZ 1988, 537, 540). Denn die Wiederaufnahmegründe des § 362 Nr. 1 bis 3 StPO setzen ein prozessuales Fehlverhalten des Angeklagten nicht voraus (vgl. KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 362 Rn. 8; LR/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 362 Rn. 11). Das gilt - denknotwendig - erst recht für den auf einen Zeitpunkt nach einem rechtskräftigen Freispruch abstellenden § 362 Nr. 4 StPO.
Allerdings hat die Durchführung eines Strafverfahrens nach der gesetzlichen Konzeption des Verjährungsrechts stets Auswirkungen auf die Gesamtdauer der Verfolgungsverjährung. Namentlich ist der freigesprochene Angeklagte schon deshalb einer längeren Verjährung ausgesetzt als ein nicht verfolgter Täter, weil es in seinem Falle notwendig zu einer Reihe von Unterbrechungshandlungen nach § 78c Abs. 1 StGB kommt, in deren Folge die Verjährung jeweils von neuem beginnt (§ 78c Abs. 3 Satz 1 StGB); die Verfolgungsverjährung kann sich deshalb grundsätzlich ohnehin bis zur Grenze der absoluten Verjährungsfrist verlängern (vgl. § 78c Abs. 3 Satz 2 und 3 StGB). Das gilt mit Abstrichen auch für den Fall einer - freilich nicht strafklageverbrauchenden - Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO. Auch hier kann es zu einer Verlängerung der Verjährung infolge von Unterbrechungshandlungen nach § 78c Abs. 1 StGB kommen. In beiden Fällen dauert die Verfolgungsverjährung länger als beim gänzlich unverfolgten Täter.
Auch schaffen das rechtskräftige Strafurteil und das daran anknüpfende Mehrfachverfolgungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG) keinen besonderen Vertrauenstatbestand im Hinblick auf die Verjährung. Sie begründen ein berechtigtes Vertrauen des Verurteilten oder Freigesprochenen allein dahin, dass die Strafverfolgung grundsätzlich endgültig abgeschlossen ist und nur nach Maßgabe des Wiederaufnahmerechts erneuert werden kann. Dass er aufgrund der gerichtlichen Entscheidung auch darauf vertrauen können soll, dass die Verjährungsfrist ungeachtet der Rechtskraft des Strafurteils und damit der Unzulässigkeit weiterer Strafverfolgung weiter abläuft, lässt sich der gesetzlichen Regelung demgegenüber - wie dargelegt - gerade nicht entnehmen.
Für den hier maßgeblichen Wiederaufnahmegrund des § 362 Nr. 4 StPO kommt hinzu, dass der Freigesprochene sich des ihm durch die Rechtskraft des Freispruchs gewährten Schutzes mit seinem glaubhaften Geständnis und mithin durch eigenes, freies und ihm damit zurechenbares Verhalten begibt (vgl. Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, Abteilung 1, 2. Aufl., Neudruck 1983, S. 264; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997, S. 388; BeckOK GG/Radtke, 57. Ed., Art. 103 Rn. 47). Insofern erscheint noch nicht einmal sein Vertrauen in den Fortbestand des rechtskräftigen Strafurteils schutzwürdig (vgl. Grünewald, ZStW 120 [2008], 545, 576 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 629
Bearbeiter: Christian Becker